Groteske Gesichter als Steinrelief

So stellt man sich heute teilweise noch immer psychisch kranke Menschen vor. © wwwuppertal under cc

Man hört immer wieder davon, wie man sich Energievampire oder andere unliebsame Menschen vom Leib halten soll, aber es sind auch psychisch kranke Menschen.

Als solche brauchen sie unsere Hilfe, die sie natürlich auch annehmen (können) müssen. Das wiederum verhindert ihre Krankheit in einigen Fällen, so dass nicht immer alles nach Drehbuch läuft.

Einige Probleme mit der Sprache

Wir versuchen heute häufig sprachlich sensibel zu agieren. Jeder soll schon sprachlich nicht nur mitgemeint, sondern am besten mitgenannt werden. Wie sinnvoll das ist, ist Inhalt manchmal erregter Diskussionen. Der Hintergrund ist der, dass man irgendwie um einen Zusammenhang zwischen Sprache und Bewusstsein weiß, nur wohl doch nicht so genau.

Denn häufig spielt sich die Vorstellung über die Wirkung der Begriffe auf der Ebene der Wortmagie ab, wenn man annimmt, wer keine ‚bösen‘, also abwertenden oder diskriminierenden Begriffe benutzt, könne oder würde auch nicht mehr abwertend denken. Das bekommt etwas selbstwidersprüchliche Züge, indem man Menschen anhand ihrer Wortwahl einsortiert, im Namen der Antidiskriminierung.

Dass die 1:1-Zuschreibung sprachphilosophisch ohnehin absurd ist, zeigen Vertreter wie Quine oder Wittgenstein, die nicht die einzigen Philosophen sind, aber beide eint, dass sie meinen, die Bedeutung von Begriffen liege im Gebrauch. Übersetzt heißt das, dass jeder den Begriffen eine etwas andere Bedeutung gibt und der jeweilige Kontext entscheidet, was sie bedeuten. Auf den sollte man auch weiterhin achten, alles andere ich eine Verarmung und befeuert das, was es zu verhindern vorgibt, dämliche Stereotypien oder Vorurteile zu etablieren und obendrein, jenen, die da schmerzfrei sind eine Steilvorlage für Provokationen zu liefern.

Enger aufs Thema bezogen, würden man heute weniger von Irren und Monstern reden, aber dann doch von Energievampiren, toxische Menschen, Psychopathen und anderen Personen, denen man sich entziehen sollte. Überhaupt werden Menschen gerade oft wieder zu Personen, so rein sprachlich. In dieser ganzen Technisierung und Verdinglichung ist genau jene subtile Entwertung enthalten, die man im Grunde überwinden will, sofern man nicht nur irgend etwas nachbetet. Man hält sich die anderen auf Distanz. Wer toxisch ist, den muss man meiden, nicht verstehen.

Was ist psychische Krankheit und warum?

Was als krank gilt ist in vielerlei Hinsicht auch eine gesellschaftliche Frage, die sich also ein Stück weit nach dem Zeitgeist richtet. In Wann ist man psychisch krank und was bedeutet das? haben wir das schon einmal behandelt. Wir feiern uns heute dafür offen, liberal und divers zu sein, es ist nicht so lange her, als vieles bei uns noch gesetzlich verboten war, auf das wir heute stolz sind. Da brauchen wir nicht zurück in dunkelste Zeiten, 50 Jahre reichen und da war für viele die Welt in Ordnung, auch wenn natürlich die erwähnten Themen des Gleichberechtigung der Geschlechter, der sexuellen Orientierung unmittelbar vor der Tür stand und mitunter heftig erkämpft wurde.

So versuchte man, mit einigem Erfolg, nach und nach immer mehr marginalisierte Gruppen in die Gesellschaft zu integrieren, den vermeintlich Schwachen und manchmal Sprachlosen eine Stimme zu geben. Inzwischen ist aber die Normalbevölkerung, je nach Definition von Normalität, ohnehin schon ausgedünnt, weil sie gar nicht mehr von einem Bündel gemeinsamer Einstellungen getragen wird. Darüber hinaus wird sie oft auch noch attackiert und selbst als irgendwie problematisch etikettiert, mit technischen und sperrigen Begriffen.

Innerhalb einiger Jahrzehnte bewegt sich viel, eine Gesellschaft im ständigen Wandel, aber die Gesellschaft besteht eben auch jungen, erwachsenen und älteren Menschen und nicht allen fällt der Wandel leicht, allen fehlt etwas anderes, aber alle Alterklassen haben Probleme, auch in Form manifester psychischer Phänomene.

War Homosexualität noch bis 1969 ein Straftatbestand und galt danach als irgendwie unnormal bis krank, ist man heute ein seltsamer Mensch, wenn man sie kritisch sieht. Frauen mussten bis 1977 ihren Ehemann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollten. Sie galten als weniger belastbar, moralisch inkonsequent und zu emotional, was heute als völlig antiquiert gilt. Die Beziehung zu Ausländern war sehr asymmetrisch, man brauchte sie als Arbeitskräfte und dachte, sie würden wieder gehen, heute lernen wir, die Rolle von Migranten für unser Land, die oft schon in der dritten oder vierten Generation zu uns gehören, zu würdigen. Nebenbei gab es noch die Wiedervereinigung, der kalte Krieg ging zu Ende, bevor er jüngst wieder kam, das Internet hat die Gesellschaft fundamental verändert und das wachsende Bewusstsein für den Klimawandel ist aktuell dabei. Das alles zog und zieht weitere Änderungen nach sich.

Jedes Jahrzehnt eine neue, neulich noch mit Corona und aktuell mit Krieg als Gratisbeigabe. Das gut situierte Standardmodell von eben, wird heute als alter weißer Mann selbst diskriminiert und gilt als mindestens aus der Zeit gefallen bis toxisch. Sie geben sich trotzig, grillen Fleisch, fahren große Autos, trinken Bier und hacken Holz und werden niemals Bürger:innen sagen. Ist diese mentale Verhärtung eigentlich krank oder einfach eine Anpassung an eine ruppigere Zeit oder eine Variante mit all dem umzugehen? Warum sollte es richtig sein, sich allem sofort anzupassen?

Ist eigentlich irgendwas schief gelaufen?

Wie wir in Psychische Erkrankungen durch eine kranke Welt? aufzeigten, nehmen Verunsicherung und mit ihr psychische Erkrankungen zu. Es wird immer wieder gefragt, ob diese tatsächlich mehr werden oder ob nur unsere Sensibilität für diese Problematiken steigt. Die Untersuchungen, von denen man glaubt, dass sie Licht ins Dunkel bringen können sind einfach uneinheitlich, geradezu grotesk ist die Spannbreite bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Ich las eine Metastudie, die tatsächlich zu der Auffassung kam, es gäbe 0% narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, während andere von einer narzisstischen Epidemie sprechen, neuerdings wird die Diagnose gestrichen, näheres in: Psycho-Wende: Warum es Narzissmus als Persönlichkeitsstörung nicht mehr gibt.

Depressionen werden zur Anpassungsstörung oder zum Burnout, vieles ist auch hier in Bewegung, es geht um neue Klassifizierungen, theoretische Systematiken, den Kampf um Forschungsgelder und Einflussbereiche. Der Fokus der Öffentlichkeit liegt allerdings gerade bei dem, worunter man selbst leidet, das sind statistisch Ängste und Depressionen und dem worunter man leidet, wenn andere es haben oder dem, was medial gut verkauft werden kann. Da ist man dann neuerdings oft beim Psychopathen, dem narzisstischen Chef, den toxischen Beziehungen oder dem Hass oder Mobbing im Internet. Nicht zu vergessen Formen der Sucht, die Menschen und ganze Familien über Co-Abhängigkeit, Mitleid und Resignation in den Abgrund ziehen können.

Keine Frage, diese Menschen sind anstrengend und manchmal sogar gefährlich. Manchmal ist es notwendig sie zu meiden, wenigstens ihre Krankheit zu erkennen und zu wissen, was mit ihnen los ist, um selbst entscheiden zu können, ob und wie weit man sich auf die einlassen kann und möchte. Aber vergessen wir nicht, es sind auch psychisch kranke Menschen, die unsere Hilfe brauchen, auch wenn sie sie nicht in allen Fällen annehmen können.

Es ist jedoch nicht schön depressiv, traumatisiert, süchtig oder ängstlich zu sein. Die grandiose Fassade der Narzissten mag manchmal selbstzufrieden wirken, doch ihr Leid ist groß, wenn diese Fassade zusammenbricht, was immer wieder mal passiert. Ihr Neid ist permanent und muss durch ständige Entwertungen bekämpft werden.

Es gibt immer mehr Stimmen die sagen, dass unsere westliche Gesellschaft insgesamt auf dem Weg ist in einem erheblichen Ausmaß narzisstische Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Das wäre dann etwas, was schiefgelaufen ist. Diese Überkonkurrenz, das Wettbewerbsdenken, die Bewertungen [Massenmedien], die narzisstische Vereinzelung, die Menschen benutzt und nutzlose kalt abblitzen lässt, die schöne Fassade, die kühle Oberflächlichkeit, die Moralisierung, um selbst gut dazustehen, das findet man in vielen Beschreibungen unserer Zeit wieder.

Wie könnten dysfunktionale Menschen nützlich sein?

Es gibt die Theorie, dass psychische Störungen, Krankheiten oder Dysfunktionen eine unbewusste Form des Protests sind. Ich kann nicht, heißt dann einfach: ‚Ich will nicht‘, aber unbewusst. Unbewusst heißt, auch wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, sehe ich es nicht und könnte ob der Behauptung sogar sauer werden. Und natürlich wollen manche auch wirklich nichts lieber, als wieder die Normalität zu genießen, die man nun zu schätzen weiß.

Aber vieles wird auch lahmgelegt durch den Ausfall psychisch kranker Menschen, rechnen wir psychosomatische Erkrankungen noch dazu, allen voran der Rückenschmerz, so ist der Protest schon recht groß. Viele machen nicht mehr mit und nachdem wir uns eine Zeit immer weiter selbst optimiert haben, schaffen es einige nicht mehr und andere fragen sich von vorn herein, wofür überhaupt? Der Stern am Himmel verblasst, der uns ein lohnendes Ziel anzeigt, weil viele ahnen, dass es nicht besser werden wird, wenn wir die alten Ziele einfach stur weiter verfolgen.

Manche werden ängstlich, andere depressiv, wieder andere aggressiv. Weil die Welt so ist, wie sie ist oder mindestens, wie sie sie erleben. Die paradoxe Antwort könnte sein, dass wir es am besten so hinbekommen, dass psychisch kranke Menschen dennoch nützlich sind, indem wir uns von dem Nützlichkeitsgedanken entfernen. Es gibt Menschen, die nicht einfach nur funktionieren wollen, andere möchten nicht mit Gewalt oder Tricks integriert werden und das muss man respektieren.

Wenn sie egoistisch sind, was manche sind, würden sie vielleicht mitmachen, wenn man ihnen erklärt, was sie selbst davon haben, wenn es erstens, ernst gemeint und zweitens, attraktiv genug ist. Es muss und wird aber nicht jeder. Es gibt Narzissten, die kriminell sind:

„Was die Person des Psychopathen und seine Grandiosität und Selbstzentriertheit angeht, so besteht ein enger Zusammenhang zwischen Psychopathie (am extremen Ende des narzisstischen Spektrum angesiedelt) und antisozialem Verhalten im Sinne des Gesetzes. Hierzu Samernov (1984, S.181): „Obwohl auf diagnostischer Ebene zwischen Psychopathen und Kriminellen differenziert wird, so gibt es im Grunde doch kaum Unterschiede zwischen beiden.“ Auch Coid (1998, S. 82) sieht den Zusammenhang zwischen Narzisstischer Persönlichkeitsstörung (NPS) und Verbrechen, die dem Bedürfnis entspringen, Macht und Kontrolle auszuüben, sowie andere zu beherrschen, in Übereinstimmung mit der psychodynamischen Literatur zur Narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Im Folgenden möchte ich die Verbindung zwischen Narzissmus und Kriminalität anhand verschiedener Beispiele illustrieren. Ich werde zeigen, dass Narzissmus nicht notwendigerweise mit kriminellem Verhalten einher gehen muss, Kriminalität jedoch sehr wohl Narzissmus impliziert (unter Berücksichtigung oben genannter Ausnahmen).“[1]

Aus dem, was Michael Stone hier schreibt, geht aber auch hervor, dass die meisten Narzissten nicht kriminell sind. Es gibt Psychopathen, die sich bewusst sind, dass sie Psychopathen sind und nicht toxisch werden wollen. Auf der einen Seite wollen sie einfach ihre Ruhe haben, auf der anderen Seite ist diese Selbsteinsicht und der Versuch anderen nicht zu schaden, etwas, was uns Respekt abnötigen sollte, weil es für sie viel leichter wäre, sich einfach zu nehmen, was sie wollen. Auch ihr Motiv wird eher sein, ständigen Ärger zu vermeiden, also egoistisch, aber dennoch hilft es auch der Gesellschaft.

Depressive Menschen können uns selbst herunter ziehen, sie tun aber oft ihr Bestes um weiter zu funktionieren. Damit schaden sie sich selbst oft noch mehr. Wir leben inzwischen in einer Zeit, in der wir nicht mehr leichtfertig auf Menschen verzichten können, wir könnten ihnen also entgegen kommen und uns und ihnen klar machen, dass wir sie brauchen, auch wenn sie eine gewisse Zeit nicht funktionieren.

Wir wollen und brauchen Dich!

In einer auf Leistung und finanziellen Wohlstand hin optimierten Welt fühlt man sich schnell nutzlos, wenn man keine Leistung mehr bringen kann und wenn man diese Sicht verinnerlicht, denkt man auch noch, das geschehe zurecht. Traurig, wir müssen uns erst wieder klar machen, dass wir zuerst Menschen sind, die es verdient haben zu leben und ein gutes Leben zu führen, Leistung ist dann eine Beigabe. Oder genauer: Jeder sollte leisten, was er gerne leisten will und wozu er gut in der Lage ist, beides überschneidet sich vermutlich ein gutes Stück weit.

Ein plötzlicher Schnitt, in dem man sich wieder nutzlos fühlt – vor allen Dingen, wenn man sich stark über seine Arbeit definiert hat – die Rente, könnte auch langsam ausgedimmt werden. Bei den einen früher, bei den anderen später. Je nach Neigung und Fähigkeit kann man auch wechseln. Das kann für jedes Alter und alle Menschen gelten, als ein Mechanismus, in dem man es erlebt gebraucht zu werden und auch andere zu brauchen. Das kann den narzisstischen Trend, das Prinzip Narzissmus umkehren. Denn Dankbarkeit und die Fähigkeit zur Abhängigkeit ist etwas, was Narzissten nicht besitzen.

Psychisch kranke Menschen können an allen möglichen Stellen der Gesellschaft weiterhin eingesetzt und dort auch geschützt werden und Struktur bekommen. Das hilft nicht bei allen akuten Formen der Krankheit, aber hier geht es nicht um Therapie, sondern einen generellen Ansatz der eine gesellschaftliche Trendwende markiert. Aber es überschneidet sich mit außertherapeutischen Ansätzen, die immer besser in Therapiekonzepte eingeflochten werden.

Eine generelle Offenheit löst ein ganz anderes Grundgefühl aus, als wechselseitiges Misstrauen oder Ablehnung, auch als ein Gefühl nur dann etwas wert zu sein, wenn man nützlich ist und sich der Nutzen zumeist noch in Arbeit und Verdienst ausgedrückt. Wir wollen und brauchen Dich, könnte die Botschaft an jeden Menschen sein.

Prinzipielle Offenheit muss keine naive Haltung sein. Eine der Erkenntnisse des Anthropologen Michael Tomasello ist, dass wir Menschen zwar ultrakooperativ sind, aber zugleich eine starke Abneigung gegen Trittbrettfahrer haben. Das sind jene, die sich am gemeinsamen Ganzen beteiligen könnten, es aber nicht tun. In Das kaputte Wir haben wir das ausgeführt.

Damit es möglichst wenige Trittbrettfahrer gibt, ist ein Klima der Offenheit gut, so dass man sich mit der Gesellschaft identifizieren kann oder mindestens mit einer beliebig großen oder kleinen Ecke der Welt, um die man sich vielleicht gerne kümmert. Jeder kann etwas in seiner Nische tun, bekommt die Verantwortung für ein kleineres oder größeres Stück Welt. So kann man von der Basis des Egoismus Menschen dennoch in die Welt einbinden, einfach weil sie machen dürfen, was ihnen Freude macht.

PS:

Der Beitrag ist anders geworden, als er sollte. Ich wollte eigentlich viel mehr auf schwierige Menschen eingehen und markieren, welche Mühe sie sich mitunter geben und welche Herausforderung der ganz normale Alltag für sie bedeutet, der ja auch viele Menschen ohne eine Psychodiagnose ziemlich stressen kann. Wie oft springen sie über ihre langen Schatten. Danke dafür, versuchen wir die Welt für sie und uns alle besser zu machen. In Krisenzeiten sind die Türen für Veränderungen in der Regel weit geöffnet.

Quellen:

[1] Michael Stone, „Empirische Grundlagen zum Narzissmus“, in Otto F. Kernberg und Hans-Peter Hartmann (Hrsg.), Narzissmus: Grundlagen – Störungsbilder – Therapie, Schattauer 2006, S. 407f