Psychische Erkrankungen sind häufig, die häufigsten sind Depressionen und Angststörungen, aber auch andere Formen nehmen immer mehr zu. Dennoch, psychisch krank will man nicht sein, das hat für einige, besonders ältere, Menschen immer noch den Beigeschmack von „irre“ und „verrückt“. Rheuma oder Diabetes sind sozial etabliert, aber Depressionen?
In stiller Koalition werden Patienten vom Hausarzt zum Spezialisten, zur Klinik und wieder zurück geschickt, um nur ja irgendeine körperliche Ursache zu finden. Allenfalls lässt man noch „zu viel Stress“ durchgehen, aber selten stößt die Aussage „Ihr Leiden könnte psychosomatisch sein“ auf Gegenliebe. Dabei weiß man längst, dass sehr viele, wenn nicht die meisten, Patienten in Hausarztpraxen psychosomatische Leiden mitbringen.
Doch fühlt man diese Leiden tatsächlich im Körper. Rasende Schmerzen, ein pochendes Herz, Schlaflosigkeit, völlige Erschöpfung, Magenkrämpfe oder Impotenz. Das bildet man sich nicht ein und dies macht den Schritt zur Einsicht mitunter schwer, denn sehr oft ist der Körper beteiligt.
Krankheit und Gesundheit
„Und dann wurde ich plötzlich krank.“ Wie der Blitz aus heiterem Himmel scheint da jemand getroffen worden zu sein. Auf einmal die Panikattacken, mit der Angst einen Herzinfarkt zu erleiden. Das EKG ist normal, man ist für den Moment erleichtert, doch die Angst kommt immer wieder. Doch auch wer weiter funktioniert muss nicht gesund sein, sondern mutet sich nur noch mehr zu.
Erkennt man die psychische Komponente, ist erste Reaktion oft die Frage, wie man denn jetzt (und das möglichst schnell) wieder gesund wird. Verständlich, aber was soll das heißen? Wieder so zu funktionieren wie vorher? Als hätte die Krankheit keine Ursache, keine Vorgeschichte. Meistens resultiert sie aus den Jahren davor, mit etwas zu viel Alkohol, mehr Stress als einem gut tat, Beziehungsproblemen, die man nicht sehen wollte.
Muster, die sich wie rote Fäden durch die Biographie ziehen, die einem bisher als selbstverständlich erschienen, so lebt „man“ doch, oder? Als könne man anders leben, einfach so. Eine psychische Krankheit stellt Gewohnheiten infrage. Manche davon sind ganz unbewusst und bedürfen einer tiefenpsychologischen Aufarbeitung, andere sind nur nie hinterfragt worden.
Krankheit ist auch die Möglichkeit Bilanz zu ziehen, über das bisherige Leben. Irgendwie scheint Sand ins Getriebe gekommen zu sein. Früher war doch alles so einfach. Und dann kam die Angst, die Leere, diese Kraft- und Hoffnungslosigkeit, so kennt man sich gar nicht. Man ahnt, dass es nicht mehr so weiter geht.
Nicht alle psychischen Krankheiten haben tiefsitzende biographische Ursachen und manche sind zum Teil angeboren. Wer einen schlimmen Unfall hatte, Opfer von (sexueller) Gewalt wurde oder Monate unter unerträglichem Stress litt, muss keine frühe Störung mitbringen um Krankheitssymptome zu entwickeln. Hierfür gibt es gute Traumatherapien. Der Beginn dieser Probleme ist recht genau festzusetzen, doch sind solche Fälle eher die Ausnahme und auch alte Muster brauchen aktuelle Auslöser, den Tag, an dem alles anders wurde.
Ein lautloser Übergang
Wann jemand psychisch krank ist, kann man nicht genau sagen, es gibt keine starre Grenze, oft ist es eher ein schleichender Prozess. Man braucht Zeit und Mut, um sich selbst damit zu konfrontieren, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Oder hohen Leidensdruck. Darum ist der Status von vorher oft auch keiner, der wieder anzustreben ist. Denn genau aus dem stillen Funktionieren, der chronischen Überforderung, der Missachtung der eigenen Bedürfnisse, resultieren viele Probleme.
Man kann auch nicht sagen, wann jemand wieder gesund ist. Krank zu sein, auch psychisch krank zu sein, bietet immer auch die Chance Neues zu lernen und so wenig man sagen kann, wann jemand richtig Gitarre oder Englisch beherrscht, so wenig kann man sagen, wann er psychisch genug gelernt hat. Oft merkt man es rückblickend, dass das eigene Empfinden oder der ehemalige Patient anders geworden ist und Kompetenzen dazugewonnen wurden.
Nicht selten ist die Lebensqualität nachher sogar besser als vorher. Die Freude echt, die Entspannung ohne Alkohol möglich, die körperliche Haltung verändert, der Blick wacher. Man ist vielleicht nicht der, den die anderen kannten, aber dafür so, wie man selbst sein möchte. Und das ist ein gutes Zeichen, für Gesundheit.