Graue Mülltonne

Das Objekt der Begierde. © Tim Reckmann under cc

Über zwanghaftes Wegwerfen ist sehr wenig zu finden, aber die paar Brocken ähneln einander stark. Vielleicht wurden die andere Informationen darüber aber auch entsorgt.

Das Messie-Syndrom ist gut bekannt und oft beschrieben. Das zwanghafte Wegwerfen scheint irgendwie das exakte Gegenteil zu sein. Messies können nichts wegwerfen, sie kämpfen um jeden benutzen Briefumschlag, weil man den noch als Einkaufszettel verwenden kann. An sich nicht falsch, wenn ihre Wohnung nicht schon 7.000 Dinge hätte, die ebenfalls noch für irgendwas gut sein könnten.

Irgendwann kommt jedoch der Zeitpunkt, an dem man sich überlegen könnte, ob man die Zeitschriften von 2003 wirklich noch mal lesen wird oder was auch immer man da gerade hortet. Aber den Zwang etwas zu sammeln kann man immerhin intuitiv noch gut nachvollziehen. Da ist etwas, was man noch gebrauchen könnte, wenn man genügend Stauraum hat, kommt so etwas klassischerweise in den Keller.

Wegwerfen als Teil der Ordnung

Jeder wirft immer mal wieder alte Sachen weg. Irgendwie hat man da etwas vor sich, was man schon lange nicht mehr gebraucht hat und dann überlegt man hin und her. Von manchem kann man sich leicht trennen, aber anderes tut schon weh, weil mit einem bestimmten Gegenstand oder Kleidungsstück oft alte Erinnerungen verbunden sind.

Aber bekanntlich sind die Menschen unterschiedlich und so werfen einige weg, was nicht niet- und nagelfest ist. Man kann das als Ordnung schaffen ansehen. Was weg ist, muss nicht mehr sortiert werden und raubt keinen Platz. Der Zwang kommt ins Spiel, wenn man es kaum abwarten kann etwas wegzuwerfen. Ein User eines Forums schreibt über sich, dass er Weihnachten am liebsten den Leuten das Geschenkpapier aus den Händen reißen und sofort zum Altpapier bringen würde. Er kann sich aber beherrschen.

Natürlich kann Ordnung etwas Schönes haben. Alles ist sauber, übersichtlich, aufgeräumt. Die einen brauchen weite und lichte Räume, andere sind eher Grottenolme, mögen kleine Zimmer, die tendenziell dunkler sind, mal mehr, mal weniger voll gestellt, das Prinzip Höhle. Menschen, die alles wegschmeißen, könnten ordentliche Menschen sein. Ordnung ist praktisch. Man weiß sofort, wo etwas ist, ein Griff und man hat alles, was man braucht. Alles geht zügig.

Das ist durchaus rational nachvollziehbar, aber muss eigentlich alles im Leben übersichtlich sein und zügig sein? Viele ziehen ihre Lust am Leben gerade aus den Umwegen, den Zufällen, dem Unvorhersehbaren. Die zufällige Begegnung, der nette Plausch, der ausufert, die spontane Aktion, die Brüche im Leben.

Psychologische Hintergründe des Wegwerfens

Die Lebenspraxis ist ein Teil der gut nachvollziehbar ist. In der Regel halten sich Ordnung und Struktur hier und Chaos oder Spontaneität dort die Waage, mal mehr zum einen, mal zum anderen Pol verlagert. Zwanghaftes Wegwerfen überbetont die Ordnung. Manchmal kann die Geschichte dahinter den Kontext erhellen. Eine ist die von einem Mann, der als Kind oft mehrfach in der Woche nächtliche Luftalarme erlebte und in den Bunker musste. Die wichtigsten Sachen mussten stets gepackt und am besten im Dunkeln griffbereit sein. Zu viel Kram ist da nur im Weg und hinderlich. Solche Erfahrungen können sich festfressen.

Wegwerfen kann ein Ausdruck von Kontrolle sein. Man hat die Macht, alles was hier nicht hin gehört zu entsorgen. Raus zur Mülltonne, zack, weg. Alles ist wieder sortiert, so wie es sein muss. Der Zwang zum Wegwerfen kann in Kombination mit anderen mehr oder weniger normalen Zwangsstörungen auftreten. In vielen Fällen dürfte das Leben der Betroffenen auch ansonsten durchgetaktet sein, geplant, geordnet, sortiert – die Form ist in der Regel weitaus wichtiger, als der Inhalt.

Findet ein geplanter Termin dann statt, kann man sich entspannen, einen Haken hinter die Sache machen, die Bühne gehört nun oft den anderen, man selber ist vielleicht nur Statist und plant, während die anderen sich vergnügen, schon die nächsten Schritte, je weiter im voraus, desto besser.

Was soll da kontrolliert werden? Zwänge haben oft die Funktion Gefühle im Griff zu halten. Die Kommunikation von zwanghaften Menschen ist oft reduziert auf die reine Information: Was findet wann und wo statt. Wie das Ereignis dann selbst war, wird vielleicht noch knapp bewertet, aber nie farbig ausgeschmückt. Warum noch über etwas reden, bei dem doch ohnehin alle anwesend waren: Ein Restaurantbesuch, ein gemeinsam geschauter Film, vielleicht auch der Inhalt eines Buches oder Videos, was einen bewegt hat. Zwanghafte Menschen sehen keinen Sinn darin zu beschreiben, wie sie etwas empfunden haben. Der Termin ist abgehakt, der nächste wartet bereits und da muss alles geregelt sein.

Reduziert auf das Wesentliche

Gefühle sind in gewisser Weise unberechenbar und wirken oft auch bedrohlich. Das besonders, wenn man mit eigenen zu kämpfen hat, die man nicht kontrollieren kann. Durch Zwänge kann man sie reduzieren. Gefühle sind so wenig falsch, wie der Versuch sie zu strukturieren verkehrt ist, solange man nicht ins Extrem der einen oder anderen Seite abrutscht. Kontrolle ist immer auch der Versuch das Chaos und die damit verbundene Angst zu reduzieren.

Wenn sich das Empfinden einstellt etwas im Griff zu haben, regeln zu können ist das befriedigend. In der Psyche, wie auch in der Umgebung. Das Unwichtige kann weg, manchmal eben auch in die Mülltonne. Keine unnötigen Worte, keine überflüssigen Gefühle und keine Dinge in der Wohnung, die man nicht unbedingt braucht. Dort kann dann auch weiter sortiert werden, eine ebenfalls befriedigende Tätigkeit, wenn man etwas zwanghaft ist.

Das Wegwerfen kann dann zu einer Art Ersatzhandlung werden. Wenn Spannungen da sind, kann man diese abbauen, indem man etwas wegschmeißt. Irgendwann kann es aber zu Konflikten mit anderen Familienmitgliedern kommen, wenn ständig Dinge fehlen, die doch angeblich ’sowieso nicht mehr benutzt würden‘.

Seit die Bücher von Marie Kondō auch bei uns populär geworden sind, bewegt sich das Wegwerfen zwischen Zwang und Lifestyle. Vielleicht ist es ein gutes Gegengewicht, gegen die oftmals sinnlose Anhäufung von Kosumgütern, bei denen man manchmal den Verdacht haben kann, dass sie eine innere Leere füllen sollen. Da kann Wegwerfen dann wirklich zur Befreiung werden. Zwanghaftes Wegwerfen schränkt die Freiheit dann wieder ein.