Depersonalisation und Derealisation gehen damit einher, dass die Betroffenen sich als „nicht vollständig im Hier“ erleben oder die Welt „wie durch einen Schleier“ wahrnehmen. Sie fühlen sich entfremdet und losgelöst von sich, die Welt erscheint ihnen andersartig und mitunter so, als würden sie ein Schauspiel erleben.

Depersonalisation und Derealisation: klinische Beschreibung

Gemäß der ICD 11, dem internationalen psychiatrischen Klassifikationssystem wird die Depersonalisation beschrieben als ein Erleben, bei dem die Betroffenen das eigene Selbst als „fremd oder unwirklich“ empfinden oder sie haben das Gefühl, „von den eigenen Gedanken, Gefühlen, Empfindungen, dem Körper oder den Handlungen losgelöst zu sein“. Viele Betroffene empfinden sich als ein Beobachter von außen, so als ob sie sich aus der Ferne betrachten würden oder sich in einem Theaterstück oder Schauspiel befänden. Für manche fühlt es sich so an, als seien sie Zuschauer ihres eigenen Handelns. Manchmal kann Depersonalisation sich als ein emotionales oder körperliches Betäubungsgefühl zeigen oder als Wahrnehmungsveränderung, bei der man beispielsweise ein verzerrtes Zeitempfinden hat.

Bei der Derealisation werden gemäß der ICD-11 andere Personen, die Umwelt und Objekte darin als „fremd oder unwirklich“ wahrgenommen. Für Betroffene erscheint das „Außen“ als weiter entfernt, nebelig, farblos oder verzerrt. Sie haben mitunter das Gefühl wie durch einen Schleier auf die Außenwelt zu blicken. Ferner kann es vorkommen, dass sie sich „von der Umgebung losgelöst“ empfinden. Die Außenwelt hat in bestimmter Weise etwas von ihrem Realitätscharakter verloren.

Betroffene sind sich darüber bewusst

Frau mit halblangen Haaren steht vor Spiegel im Badezimmer

Bei der Depersonalisation kann das eigene Spiegelbild fremd erscheinen. © Andrei! under cc

Gemäß der Universitätsmedizin Mainz erlebt eine Vielzahl der Menschen im Leben mindestens einmal eine Depersonalisation/Derealisation. Diese Phase ist jedoch nur leicht und oft nicht von Dauer, sondern eher kurzlebig. Häufig können diese Phasen in Zusammenhang mit Stress und Übermüdung auftreten.
Etwa 0,5-1,5 Prozent der Allgemeinbevölkerung sollen unter einer Depersonalisation/Derealisation leiden, die eine klinische Relevanz besitzt. Ein Merkmal des Depersonalisations-/Derealisationssyndroms ist, dass die Einsicht bei den Betroffenen erhalten bleibt, „dass die Veränderungen nicht von außen durch andere Personen oder Kräfte eingegeben“ wurden.

Es handelt sich beim Depersonalisations-Derealisationssyndrom (DDS) bzw. der Depersonalisations-Derealisationsstörung (DDS) um eine relativ häufige seelische Erkrankung, die jedoch nur selten diagnostiziert wird. Oft beginnt die Depersonalisations-Derealisationsstörung nach einem Angstanfall, einer körperlichen Erkrankung oder der Einnahme von Drogen wie z.B. Cannabis. Nicht selten können Betroffene aber auch zunächst keinen Auslöser benennen. Bis Patienten mit einer DDS eine adäquate Behandlung erhalten vergehen oft etliche Jahre, in denen die Patienten zahlreiche Ärzte aufsuchen, um Hilfe für ihr befremdliches Erleben zu erhalten.

zitiert nach Universitätsmedizin Mainz

Depersonalisation/Derealisation: häufiger als gedacht?

Einige Fachleute sind der Ansicht, dass das Depersonalisations-/Derealisationssyndrom in der Praxis häufiger auftritt, als es bisher gemeinhin angenommen wurde.

In der Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation ICD-10 gilt das so genannte Depersonalisations-/Derealisationssyndrom als selten – doch das dürfe unter anderem daran liegen, dass es in der Praxis häufig verkannt wird. Tatsächlich ergeben Studien übereinstimmend, dass in den westlichen Ländern zwischen einem und zwei Prozent der Bevölkerung die Kriterien dieser psychischen Störung erfüllen. Das sind ebenso viele Menschen, wie an einer Schizophrenie leiden.

zitiert nach Elbers, M. (2018), spektrum.de

Depersonalisation und Derealisation: Mögliche Ursachen

Wenn die Welt um einen herum irgendwie surreal erscheint und der eigene Körper so wirkt, als würde man im Autopiloten agieren, ist ein einheitliches Ich-Erleben nicht gegeben.

Frau sitzt im Zimmer und legt müde Kopf auf Knie

Gerade wenn man müde ist, kann sich die Welt unwirklich anfühlen. © morrisjoyce under cc

Wie bereits erwähnt, sind vorübergehende Fremdheitsempfindungen nicht ungewöhnlich und können in Zusammenhang mit Stress, aber auch Angst, Müdigkeit, Erschöpfung oder bei schweren Unfällen und lebensbedrohlichen Situationen auftreten. Darüber hinaus können Depersonalisation und Derealisation in Zusammenhang mit psychischen, somatischen oder psychosomatischen Erkrankungen vorkommen, wie zum Beispiel bei Depressionen, Angsterkrankungen, Migräne, Anfallkrankheiten (Krampfanfälle) oder unter anderem bei neurologischen Erkrankungen mit Schwindelgefühl. Der Konsum von Drogen kann ebenfalls auslösend sein.
Insbesondere in Zusammenhang mit zum Beispiel dissoziativen Störungen können traumatische Erfahrungen eine Rolle spielen.

Traumatische Erlebnisse als Ursache

In Verbindung mit der Depersonalisations-/Derealisationsstörung benennt der US-amerikanische Psychiater Prof. David Spiegel von der Stanford University School of Medicine als mögliche Ursachen im Allgemeinen erhebliche Belastungen, wie sie zum Beispiel durch emotionalen Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit auftreten können. Auch andere schwer belastende Situationen wie etwa körperlicher Missbrauch oder das Erleben von häuslicher Gewalt können mögliche Auslöser sein. Schocksituationen wie der plötzliche Tod, schwere Beeinträchtigungen und psychische Erkrankungen nahestehender Bezugspersonen können zu einem traumatischen Erleben und der Symptomatik führen.

Menschengemachte Traumata in der Kindheit

Die US-amerikanische Psychiaterin Daphne Simeon ist für ihre Forschungen zur Depersonalisationsstörung bekannt. In einer ihrer Studien zeigte sich, dass von Menschen verursachte Traumata in der Kindheit ein starker Prädiktor für die Diagnose der Depersonalisationsstörung sowie für starke und pathologische Dissoziationen und Depersonalisation sein kann.

… childhood interpersonal trauma as a whole was highly predictive of both a diagnosis of depersonalization disorder and of scores denoting dissociation, pathological dissociation, and depersonalization.

zitiert nach Simeon et al. (2001), The American Journal of Psychiatry

Untersucht man die Arten des Missbrauchs in der Kindheit, zeigt sich, dass insbesondere emotionaler Missbrauch (Abwertungen, Drohungen, Einschüchtern, emotionale Vernachlässigung), häufig durch die Eltern, mit der Depersonalisationsstörung in Verbindung zu stehen scheint. Hingegen scheinen andere Formen des Missbrauchs (z. B. sexueller Missbrauch) häufiger mit anderen dissoziativen Störungen verbunden zu sein.

This suggests a unique relationship between emotional abuse and depersonalization disorder, while other more severe types or combinations of abuse may contribute to more severe dissociative symptoms, such as amnesia or identity disturbances.

zitiert nach Simeon et al. (2001), The American Journal of Psychiatry

Wie fühlt sich Depersonalisation/Derealisation an?

Frau sitzt am Bildschirm, drei verzerrte Bilder

Bei Stress kann das Depersonalisations-/Derealisationserleben zunehmen. © Ashley Campbell under cc

Betroffene berichten von ihrem Depersonalisations-/Derealisationserleben in verschiedenen Varianten. Einige Umschreibungen haben wir beispielhaft aufgeführt.

„Wenn viel Hektik und Stress ist und viel Trubel in meinem Kopf, geht es los. Ich fühle mich dann wie unter einer Taucherglocke. Bin dort richtig gefangen. Dann achte ich bewusst auf Entspannung, damit ich aus dem Zustand wieder aussteigen kann.“

„Die Stimmen von anderen höre ich dumpf. Wie wenn man Druck auf den Ohren hat. Mir hilft Sport, um wieder in mir drin zu sein.“

„Sehe ich meine Hand vor mir, fühlt sie sich fremd an. Natürlich weiß ich, dass sie zu mir gehört, aber sie fühlt sich so fremd an.“

In Stresssituationen oft verstärkt

„Wenn ich mal wieder gefangen in der Angst bin und auch bei Panikattacken ist die Welt für mich weiter weg. Ich gehöre nicht zu hier, ich bin dann wie abgeschottet.“

„Ich habe Phasen mit Angst und Überlastung, wo meine Emotionen verschwunden sind. Wie ein Roboter. Ich fühle nichts. Ich starre meinen Mann und meinen Hund an und spüre keine Emotionen. Da ist nichts.“

„Zu bestimmten Zeiten, wenn ich große Unsicherheit verspüre, habe ich solche Symptome. Zum Beispiel ist meine Stimme mir fremd. Sie fühlt sich nicht als meine an, obwohl ich weiß, sie ist meine. Manchmal habe ich Sehstörungen. Alles ist verschwommen. Meine Wahrnehmung ist verlangsamt. Das habe ich, wenn viel Stress ist. Körperlich ist alles abgeklärt, das ist die Psyche.“

Mehr zur Depersonalisation liest du hier: Neben sich stehen – Depersonalisation (1). Sollten dich die allgemeinen Informationen vermuten lassen, du könntest unter Depersonalisations- und Derealisationssymptomen leiden, ist es ratsam, dir psychotherapeutische Hilfe zur weiteren Abklärung zu holen. Für einen ersten Check steht von der Universitätsmedizin Mainz die Deutsche Version der Depersonalization Severity Scale online zur Verfügung.