Um Gelassenheit lernen zu können, muss man zunächst einige Anstrengungen investieren. Wir müssen erst einmal alte Gedankenmuster erkennen und aufbrechen. Danach folgt das bewusste Praktizieren des neu Erlernten. Zu guter Letzt erfahren wir, wie viel besser es mit dem neuen Mindset gehen kann. Erst kommt das kognitive Umlernen, dann folgt die Ebene des Fühlens. Nach und nach gewöhnen wir uns um. Die Belohnung der investierten Energie ist die Gelassenheit in einem Leben, das mehr Ruhe bereithält. Welche Ansatzpunkte können zu einem entspannten Mindset führen sowie zu einem Lebensalltag, der mit weniger Aufregung verbunden ist?
Gelassenheit lernen: Gamechanger für die Psyche
Natürlich sind in diesem Artikel nur einige Ansatzpunkte zusammengetragen, die ich in Verbindung mit meiner Lebensführung vor dem Hintergrund von psychologischem Wissen erfahren durfte. Die Aufzählung ist nicht erschöpfend. Sie muss auch nicht für jeden Menschen passend sein. Es sind Gedankenvorschläge, die das Lernen von Gelassenheit erleichtern können, weil sie vielleicht auch als Psychologische Gamechanger verstanden werden. Nachfolgend sind einige dieser Gamechanger aufgeführt.
1. Seelische Wunden: Hürde oder Lehre?
Manchmal denken wir, dass andere Menschen es wesentlich leichter im Leben haben. Für sie scheint der Fluss des Lebens viel müheloser zu fließen als für uns. Doch der Punkt ist nicht zwangsläufig, dass diese Menschen ein weniger herausforderndes Leben besitzen. Auch sie gehen ihrem Alltag nach, auch sie haben Kinder, einen Haushalt und vielleicht auch Eltern, um die sie sich kümmern müssen. Dennoch packen sie die Aufgaben ruhiger an, haben Gelassenheit schon lernen können.
Die Betreffenden gehen also lediglich anders mit den alltäglichen Herausforderungen um. Sie haben vielleicht insgesamt weniger psychischen Ballast aus ihrer Vergangenheit bei sich oder sie haben diesen eventuell bereits aufgearbeitet und abgelegt. Deshalb ist ihre Realität sozusagen zwar eine ähnliche zu der unseren, nur wie wir sie betrachten, unterscheidet sich.
Unsere seelischen Verletzungen können zu unseren größten Hürden oder zu unseren größten Lehrern werden. Entscheidend ist es, was wir aus den Erfahrungen machen. Viele Menschen, darunter auch ich, neigen dazu, in einer Art Passivität oder Opfermodus zu verfallen, sobald ihnen „mal wieder“ etwas Schlimmes passiert. Wir neigen dazu, unseren Selbstwert oder den Wert unseres Lebens daran zu hängen, wenn uns etwas Negatives widerfährt. Dann sind wir am Jammern und Klagen (Bsp. „Warum passiert immer mir so etwas?“, „Ich bin einfach nicht gut genug.“) und auch diese Verhaltensweisen haben ihre Funktion. Sie sorgen dafür, dass wir dem Selbstmitgefühl in uns mehr Raum geben. Wichtig ist es allerdings, alsbald nach einem Rückschlag gedanklich wieder auf die Beine zu kommen. Dem Kontrollerleben den Vorzug zu geben und in die Aktivität zu gehen.
Dankbarkeit führt zu Gelassenheit
Auch die Betrachtungsweise kann uns helfen, wenn wir mit etwas Abstand auf seelische Verletzungen blicken. Betrachten wir das, was uns passiert ist, als schlecht, färben wir unser Leben in der Retrospektive nur unnötig schwarz ein. Schaffen wir es jedoch auch, den negativen Erfahrungen eine gewisse Dankbarkeit entgegenzubringen, erscheint die Vergangenheit in einem anderen, wesentlich helleren Licht.
Aus irgendeinem Grund glauben wir, dass ein erfülltes Leben ein Leben voller Glück ist. Doch zum Leben gehören auch Erschwernisse, Rückschläge und negative Emotionen dazu. Es gibt nicht eine Seite ohne die andere. Wer so lebt, dass er negative Erfahrungen möglichst verhindert, verhindert auch das Leben, weil er sein Dasein auf das Motiv der Vermeidung von Verletzungen orientiert.
2. Gedanken bestimmen die Realität
Unsere Gedanken bestimmen unsere Realität. Deshalb sollten wir darauf achten, wie wir mit uns selbst sprechen. Wenn wir uns häufiger abwerten, werden wir auch weniger Wert empfinden.
Es macht einen gehörigen Unterschied, ob du zu dir sagst: „Ich kriege es nicht hin, Grenzen gegenüber Menschen zu setzen, die mir schaden. Ich bin einfach zu schwach.“ Oder: „Ich übe, Grenzen setzen. Und selbst wenn es manchmal noch nicht so gut klappt, wird es mir insgesamt immer besser gelingen. Es ist alles eine Frage der Übung.“ Ferner macht es einen gehörigen Unterschied, ob du zu dir sagst: „Ich bin so ein Versager, ich habe kaum etwas im Leben erreicht.“ Oder: „Ich hatte einen schweren Start, aber ich werde mich immer weiter verändern. Ich brauche nur etwas Geduld.“
Eine guter psychologischer Tipp kann es sein, wenn man die Gedanken gegenüber der eigenen Person aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Stelle dir einfach vor, ein Freund oder eine Freundin würde so mit dir reden, wie du in deinen Gedanken mit dir sprichst. Was würdest du dieser Person sagen? Vermutlich: Sie solle etwas netter zu dir sein. Und eben das solltest du auch in Bezug auf dich anbringen. Du solltest etwas netter zu dir sein. Es wird uns nicht besser gehen und wir werden auch keine bessere Leistung erzielen, wenn wir ähnlich einem inneren Kritiker verbal auf uns eindreschen. Im Gegenteil: Dadurch vergrößern wir die Hürden der Alltagsbewältigung nur noch mehr.
Innerer Kritiker: Gegner der Gelassenheit
Die inneren Stimmen, die wir haben und die häufig negativ und zweifelnd sind, sind im Ursprung nicht unsere. Es sind die Stimmen unserer Kindheit. Sie sprechen nach, was unsere Eltern oder andere Bezugspersonen uns einst immer wieder suggeriert haben. Deshalb wird es allmählich notwendig, mit diesem Minderwert, der auf deiner Schulter sitzt und dir immer wieder ins Ohr flüstert („Das kannst du nicht“, „Du genügst nicht“, „War doch klar, dass du versagst“), hart ins Gericht zu gehen. Denn der Minderwert sagt weder die Wahrheit, noch bildet er die Realität überzeugend ab. Frühere verbale Einimpfungen in der Kindheit oder in vergangenen Beziehungen haben ihn dreist und überzeugend werden lassen. Folglich können wir dieses missgünstige Etwas von unserer Schulter schubsen und einfach weiter unseren Weg gehen.
Dein Weg in ein selbstbewusstes Leben, in dem du Gelassenheit lernen kannst, beginnt im Kopf.
3. Welten zwischen Befürchtung und Realität
Oft liegen Welten zwischen dem, was wir befürchten, und dem, was tatsächlich passiert. Nicht wenige Menschen sind sich ihrer kognitiven Verzerrungen nicht bewusst, weil die Ursprünge dieses Mindsets häufig bereits in der Kindheit und Adoleszenz gelegt wurden. Kurzum: Wir wissen häufig gar nicht, dass ein anderes Denken möglich ist, weil wir es gewohnt sind, so zu denken. Doch wie ein selbstrichtendes Damoklesschwert schweben diese negativen Gedankenmuster über uns und erschweren uns das Leben. Gelassenheit lernen wäre mit diesen Gedankenmustern nahezu unmöglich. Deshalb gilt es, sie aufzubrechen. Schwarz-Weiß-Malerei, unlogische Verallgemeinerungen, emotional eingefärbte Schlussfolgerungen und eben das Katastrophisieren gehören dazu.
Aufschreiben lohnt sich für mehr Gelassenheit
Eine „Katastrophenliste“ kann dabei helfen, diesen Unterschied sichtbar zu machen. Was befürchten wir, wird passieren, zum Beispiel in Bezug auf bevorstehende Ereignisse? Später schreiben wir dann auf, was tatsächlich eingetreten ist. So wird uns schwarz auf weiß vor Augen geführt, wie oft wir falsch liegen.
Für den seltenen Fall, dass wir mit unserem katastrophisierenden Denken richtig liegen, solltest du dich fragen, inwiefern du dank deiner Katastrophen-Antizipationen tatsächlich besser auf das Ereignis vorbereitet wurdest. Vermutlich kaum, oder? Viel eher haben sie dich gehörig Energie gekostet, Energie, die dir dann bei der Lösung des Problems fehlte. Auch dahingehend wird es also notwendig, Gelassenheit zu lernen.
Das Aufschreiben ist ein nützliches Werkzeug in psychologischen Therapien. Es strukturiert die Gedanken, klart den Geist und führt einem immer wieder vor Augen, was man den lieben langen Tag so an „Beeinflussendem“ denkt. Du kannst deine negativen Glaubenssätze aufschreiben, deine Schwächen, Baustellen im Leben, aber auch deine Stärken, deine Erfolge, wofür du dankbar bist etc.
Durch das Aufschreiben verlassen deine Gedanken, vor allem aber deine Befürchtungen, negativen Ansichten und unbegründeten Ängste deinen Geist. Das Prinzip funktioniert wie bei einem Einkaufszettel. Einmal zu Papier gebracht, braucht man nicht mehr dauernd daran zu denken, noch Äpfel kaufen zu müssen. Alles Negative ist dann raus aus deinem Kopf.
Im nächsten Teil unserer Artikelserie, wie man Gelassenheit lernen kann, haben wir weitere psychologische Ansatzpunkte aufgeführt: Ängste besiegen: Was ich als Psychologin gelernt habe – Psychologische Gamechanger (2).