Die Paradoxie der Vorsorge

Immer im Umbau. So sind Bauernhäuser, so ist unser Gehirn. © Rosemarie Voegtli under cc

Wenn Sie Demenzprophylaxe oder -vorsorge betreiben wollen, machen Sie es am besten richtig. Richtig heißt in dem Fall das Nützliche mit dem Guten zu verbinden, das ist die optimale Kombination. Das ist aber nicht doppelt schwer und kompliziert, sondern leicht, darin liegt die Paradoxie.

Demenz ist eine neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Versuchen wir das Gehirn zu verstehen. Trotz recht intensiver Hirnforschung wissen wir nicht besonders viel darüber. Wir wissen einige Details deutlich besser, aber das sind eher solche, die nur für die Experten interessant sind. Eine Erkenntnis gab es jedoch, die alle überrascht hat und die leicht zu verstehen und zu vermitteln ist: Sie stellen sich das Gehirn wie einen Computer vor? Vergessen Sie es. Stellen Sie es sich lieber als Bauernhaus in den Alpen vor. Das ist romantisch und schön und kommt in einer Hinsicht der Wahrheit sehr nahe, denn das Charakteristikum eines solchen Bauernhauses ist, dass es nie fertig ist. Wind und Wetter setzen ihm zu, hier ein Abfluss, da ein paar Ziegeln oder neue Holzplanken, das Haus ist in ständigem Umbau, genau wie unser Gehirn. Der Hirnforscher Manfred Spitzer sagte, dass das Gehirn eines nicht kann: Nicht lernen. Mit anderen Worten, das Gehirn lernt immer und wenn wie die Korrelation zwischen Neurologiesprache und anderen Sprache n und Theorien mal kurz akzeptieren, dann bedeutet das, was das Gehirn ständig umgebaut wird. Immer.

Das Gehirn lernt ständig und gerne und wenn wir die Sprachkorrelation schon zulassen, dann auch zur anderen Seite und dann können wir auch darauf schauen – denn unser Gehirn von unserem Ich abzutrennen, ist theoretisch eher schwierig – unter welche Bedingungen wir besonders gerne lernen. Ohne tief in die Lerntheorien einzusteigen kann man die Top 3 leicht identifizieren, abermals von einem Hirnforscher unterstützt, dieses mal Gerhard Roth, den man wie Spitzer würdigen und kritisieren muss: Würdigen wir ihn an dieser Stelle, denn er hat die Top Effekte des Lernens in der Schule aus seiner Sicht dargestellt. Nummer 2 bei ihm ist ganz einfach die Zahl der Wiederholungen oder der gute alte Fleiß. Deutlich höher rangiert allerdings die Nummer 1 und das ist ein Lehrer (oder anderer Mensch), der erkennbar für sein Fach brennt, begeistert ist und live und in Farbe vermittelt, dass Lernen keine Strafe ist, sondern eine Lust sein kann. Da das Leben aber keine Schule ist, dass Gehirn aber sehr gerne immer lernen möchte, sind also auch hier Wiederholungen und die authentische Begeisterung anderer Menschen wichtig, vergessen wir aber nicht, einen sehr wichtigen und den vielleicht wichtigsten Punkt: die eigene Begeisterung.

Wir lernen am besten, wenn uns etwas wirklich brennend interessiert, wenn andere uns anstecken, super, wenn nicht, ist es schön, wenn wir selbst für ein Thema brennen oder eine körperliche Tätigkeit. Deshalb, wenn Sie gerne tanzen, toll, machen sie es unbedingt weiter, es ist eine der effektivsten Formen der Demenzprophylaxe, wenn Sie passionierter Nichttänzer sind, zwingen Sie sich nicht dazu, schon gar nicht aus Angst. Lernen Sie das, was ihnen Spaß und Freunde macht, denn vor allem mit Spaß und Freude lernen wir gut. Spaß ist das Gegenteil von Stress, wenn Sie sehr neugierig sind, sind Sie ohnehin nicht aufzuhalten. Lassen Sie sich nicht künstlich ausbremsen. Die anderen sollte spaßbetont lernen, eine Ausnahme gibt es: Der Hunger kann auch beim Essen kommen, also versuchen Sie ruhig auch etwas, was Sie noch nie versucht haben, wenn Sie merken, dass es gar nichts ist, lassen Sie es bleiben.

Wenn Sie Neues ohnehin aufsaugen, toll, wenn nicht, zwingen Sie sich auch hier nicht zu ganz Neuem, denn das schafft nur Frust, Stress und Misserfolgserlebnisse. Reflexion ist ohnehin gut, hier nun erneut: Was genau mache ich eigentlich gerne? Gibt es da noch alte Träume, Begonnenes, was Sie ohnehin immer schon mal weiter machen wollten, aber immer hinten anstellten? Das wäre es und jetzt wäre der Zeitpunkt. Ein Instrument lernen, die Fremdsprache die man mal angefangen hat weiterführen, einen Kochkurs besuchen, einen Traum endlich mal einlösen. Auf der Bühne stehen, Malen, eine Reise in die Toskana oder nach Afrika? Das ist es, was wirklich Spaß macht und wenn Sie meinen, sich das noch immer nicht leisten zu dürfen und unter einem chronisch schlechten Gewissen leiden, wenn es um eigene Ansprüche geht, verkaufen Sie es vor sich und den anderen als Demenzprophylaxe. Musik ist besonders gut, auch sie hebt die Stimmung und ist ein ungemein kreativer Akt, der das Gehirn auf Hochtouren bringt. Je mehr man selbst musiziert, umso besser, aber dazu gehört bereits das beschwingte Mitsingen. Es geht also immer.

Struktur und Neues, neue Eindrücke, die an Altbekanntes anknüpfen, auch das gilt aktuell als ganz weit vorne. Entstressen Sie sich, dann sind Sie ganz von selbst irgendwann wieder aufnahmebereit. Wer zugeballert ist, kann irgendwann nichts mehr aufnehmen. Fangen Sie jetzt mit dem Lernen an und das heißt, beseitigen Sie alte Vorurteile. Denken Sie, es sei zu spät? Vor Jahren schon sagte mir eine Psychotherapeutin, dass man – entgegen der Ansicht früherer Jahrzehnte – auch 80 Jährige therapieren könne und würde, die einzige Frage sei, ob sie wollen. Neulich hörte ich von erfolgreichen Psychotherapien an noch älteren Menschen, einer davon war 96! Psychotherapien können auch immens etwas bewegen, sie sind sozusagen Arbeit am Hirn. Neuroplastizität heißt der Fachbegriff dafür, dass das Gehirn wie ein Bauernhaus in den Alpen ist, nie fertig, in beständigem Umbau. Es will nichts lieber tun, als zu lernen.

Sekundäre Symptome behandeln

Psychotherapie ist als Demenzprophylaxe wenig erwähnt, würde aber in vielerlei Hinsicht Sinn machen. Die häufigsten Symptome, die mit einer beginnenden Demenz einhergehen, sind Ängste und Depressionen, vielleicht nicht zufällig auch die psychischen Störungen Nummer 1 und 2 bei uns. Wie so oft, weiß man nicht was Ursache und was Wirkung ist. Ist eine Hirnregion ausgeprägt oder unterversorgt, aufgrund des Inputs oder ist das Verhalten, wie es ist, aufgrund der wenig oder stark ausgeprägten Hirnregion? Oder verstärkt sich beides? Es trägt ohnehin zur Verbesserung der Lebensqualität bei, wenn man keine Depressionen oder Ängste hat, über die Schiene Dauerstress, von dem man weiß, dass er die Infektabwehr reduziert, kann man sich auch das Vorkommen von Mikroentzündungen, die zur Arteriosklerose führen, als Teilursache vorstellen und mindestens die Depressionen sind als Risikofaktor für Demenz bekannt.

Die weiteren sekundären Symptome sind eher somatischer Art – wobei wir nie vergessen dürfen, dass Psyche und Körper fließend und nahtlos ineinander übergehen – und betreffen grob gesagt, all das, was wir als Risikofaktoren des Herz-/Kreislauf-Systems kennen, die erstaunlicherweise auch für die Degeneration der Rückenwirbel verantwortlich sind. Schmerzen, Depressionen, Bewegungsmangel, Umstellung der Neurotransmittersysteme, die für die Reizverarbeitung im Gehirn zuständig sind, all das hängt eng zusammen.

Dass Spaß haben gegen Depressionen wirksam ist, ist einsichtig, dies ist dann wiederum eine Ursache der Demenz, der der Boden entzogen ist. Ist die Depression zu stark, hilft eine Psychotherapie und speziell bei Depressionen ist auch Bewegung eine wichtige Komponente, auch das hilft wiederum, es gibt öfter eine passende Antwort, als man denkt, oft auch in der Kombination vermeintlich einfacher Ansätze. Ob nun eine medikamentöse Behandlung der sekundären Symptome ein sinnvoller Ansatz ist, ist umstritten, man weiß einfach zu wenig und die Erkenntnisse ändern sich immer wieder. Zu denken wäre an einen Eingriff in die Herz-/Kreislauf-Erkrankungen und einen in die Depressionen oder Ängste, da der weitreichende Einsatz von Mitteln gegen Herz-/Kreislauf-Erkrankungen verbreitet ist, Demenzen aber zu- und nicht abnehmen, muss man hier eher pessimistisch sein.

Kann man mit Demenz glücklich sein?

Wie am Anfang erwähnt, gehören gerade Demenzerkrankungen zu den Horrordiagnosen. Betroffene, die ihre Diagnose erfahren sind oft vollkommen geschockt und manche sagen, sie würde gerne mit Krebspatienten tauschen, andere nehmen sich das Leben. Zu entwürdigend kommt es ihnen vor als ‚Hülle‘ übrig zu bleiben oder anderen zur Last zu fallen. Besonders die Anfangsphase der Erkrankung ist ein Albtraum, weil man merkt, dass etwas nicht stimmt, sich und anderen das aber auch nicht eingestehen will.

Man ist unsicher und verängstigt, weil man nicht weiß, ist es nun eine Demenz – und was ist das eigentlich genau? – oder normale Altersvergesslichkeit. Oft kann man Entwarnung geben, aber wenn man unsicher ist, versucht man nicht immer Gewissheit zu bekommen, was durchaus verständlich ist.

Je häufiger die Krankheit ist, umso normaler wird sie aber auch und umso mehr Wege findet man, mit ihr umzugehen. Die erste Phase ist vermutlich wirklich der Horror, es stellen sich zwei Fragen, die eine ist, ob man bei weiter fortschreitender Demenz glücklich leben kann, die andere ist, ob man die Krankheit beim Auftreten erster Symptome so weit herauszögern kann, dass über ein gezieltes und individualisiertes Training nicht nur deren weiteres Fortschreiten verlangsamt werden kann, sondern die Symptome sich sogar bessern können.

Bei der ersten Frage geht es also darum, wie man sich fühlt, wenn man vergessen hat, dass man dement ist. Eine klare Antwort kann man nicht geben, aber manche dementen Menschen wirken nicht unbedingt unglücklich. Da ältere Erinnerungen und Bewegungsmuster noch gut abgespeichert sind, Neues aber vergessen wird, können sie oft noch Singen oder Tanzen, aber wissen nicht mehr, was es zum Frühstück gab. Wenn das Leben eines Menschen in der Vergangenheit schön war und er an das anknüpfen kann, was ihm früher Freude machte: Singen, Tanzen, Kochen, Basteln oder leichtes Handwerk kann so ein Leben durchaus erfüllt sein. Definiert man sich stark über seine kognitive Leistungsfähigkeit, ist das schwerer. In Demenz WGs, bei denen die Bewohner auch noch Pflichten haben, scheint das oft ganz gut zu klappen.

Fängt man bei der Erstdiagnose konsequent an, sein Leben zu ändern, ist einiges zu erreichen. Bäume wachsen nicht in den Himmel und man muss immer schauen, welchen Menschen man das vor sich hat, aber nicht selten ist gerade eine Diagnose der Startschuss zu einer radikalen Änderung im Leben eines Menschen. Da Demenzen statistisch weit überwiegend erst im Alter beginnen, ist ein Aufschub von einigen Jahren oft ein großer Gewinn und gerade wenn man verinnerlicht hat, dass Rückzug, Angst und Verzagtheit nicht zum Ziel führen, kann die Lebensqualität in idealen Fall sogar steigen, aber nicht immer läuft es ideal.