Nähe, Bewegung, Freude: Auf Tanz sprechen auch Menschen an, die bereits dement sind. © Oliver Hallmann under cc

Für viele ist Demenz eine Horrordiagnose und sie würden lieber tot sein, als dement zu werden, von daher ist die Frage nach einer Demenzprophylaxe aktuell und wichtig. Viele warten mehr oder weniger ängstlich auf ein Medikament, was die Menschheit von der Geißel befreit, aber es ist fraglich, ob es das eine Medikament jemals geben wird. Vermutlich wird es eher wie beim Krebs sein, bei dem man eine Vielzahl von Methoden hat, weil es ‚den Krebs‘ nicht gibt, sondern viele verschiedene Arten, ähnlich, wie es bei der Demenz auch der Fall ist.

Wenn von Demenz geredet wird, ist häufig die Alzheimer Demenz gemeint. Allen Demenzformen ist gemeinsam, dass es sich um neurodegenerative sowie neurokognitive Störungen handelt, also solche, bei denen das Hirn abgebaut wird und/oder die höheren Denkleistungen verloren gehen, ebenso emotionale und soziale Fähigkeiten. Dabei gibt es zahlreiche Formen den Demenz, wenigstens zehn muss man wohl unterscheiden, doch es geht noch wesentlich genauer, die Alzheimer Demenz macht etwas 60% aller Fälle aus.

Das heißt aber auch, dass fast die Hälfte aller Demenzen andere als die Alzheimer Demenzen sind und auch bei dieser gibt es unterschiedliche Formen. Die viel selteneren treten früh im Leben auf, bereits in den mittleren Lebensjahren und haben einen fulminanten Verlauf, die weitaus häufigeren Versionen aber erst im fortgeschrittenen Lebensalter. Die Ursachen sind noch immer unklar – von Genen über Entzündungen, Aluminium und Feinstaub wird vieles diskutiert – und vermutlich wird es auch hier, wie bei allen breiteren Erkrankungen auf eine bunte Mischung der Faktoren hinaus laufen. Man kennt das von den Herz-/Kreislauf-Erkrankungen, den Erkrankungen des Bewegungsapparates, von Depressionen und Krebs und genau an der Stelle bekommt man vermutlich einen Fuß in die Tür.

Neben der Alzheimer Demenz gilt die vaskuläre Demenz als nächsthäufige, etwa 20 % aller Demenzen fallen darunter, letztlich handelt es sich dabei um eine Unterversorgung mit Blut durch Arteriosklerose, Entzündungen oder kleine Schlaganfälle, viele Demenzen gelten auch als Mischformen der eben genannten.[1]

Was heißt denn eigentlich unheilbar?

Allgemein gelten neurodegenerative Erkrankungen als unheilbar, aber ehrlich gesagt ist die Spanne, die uns das schicksalhaft klingende unheilbar anbietet, oft so groß, dass die Maßnahmen, die man treffen kann, alles andere als vergebene Liebesmüh sind. Ähnliches sehen wir bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen, wie bei der MS (Multiple Sklerose), die diverse Verlaufsformen kennt, manchmal erschreckend schnelle, manche können mit Training und einer Anpassung der Lebensweise so gut kompensiert werden, dass die Betroffenen ein normales Lebensalter, ohne wesentliche Einschränkungen erreichen.

Prominent wurden die Einweißablagerungen (Plaques) im Kopf als problematisch angesehen, aber bereits eine frühe Studie förderte das sogenannte Nonnen-Paradoxon zutage. In einer groß angelegten und gut begleiteten Studie haben David Snowdon und sein Team 678 Nonnen untersucht und dabei auf regelmäßigen kognitiven Tests unterzogen. Der Vorteil solcher Studien ist, dass die Lebensbedingungen der Nonnen homogen waren, das heißt, weitere störende Faktoren konnten ausgeschlossen werden.

Die Ergebnisse waren für die Forschung äußerst überraschend, weil man zum einen zwar Nonnen fand, deren kognitive Einbußen mit der Plaques Hypothese korrelierten, aber dann gab es eben auch welche, bei denen das nicht der Fall war:

„Dann entdeckte er und sein Forschungsteam jedoch „eines der schlimmsten Alzheimer-Gehirne, das wir jemals hatten“, so Snowdon, nämlich das Gehirn von Schwester Bernadette. Das Problem: Schwester Bernadette ist bis zu ihrem Lebensende mit 85 Jahren stets körperlich und geistig fit gewesen. Das passte demnach überhaupt nicht zu der Plaques-Theorie.“[2]

Und sie ist nicht die einzige, es gab einen Schachgroßmeister, der im fortgeschrittenen Alter sein Leben selbst organisierte, sich bestens zurecht fand und von sich aus zum Arzt ging, weil er statt der gewohnten Anzahl an Zügen beim Schach nun einen weniger vorher berechnen konnte. Der Arzt konnte nichts besonderes finden, zufällig starb der Schachgroßmeister kurze Zeit später, man untersuchte sein Hirn und es war übersät mit Plaques, laut der Plaques-Theorie, hätte er annähernd lebensunfähig sein müssen.

Die Plaques-Theorie ist damit nicht komplett vom Tisch, aber als alleinige Ursache schon. Es scheint etwas zu geben, was trotz vieler Plaques dafür sorgt, dass Menschen geistig fit bleiben. Demenzen mögen unheilbar sein, aber was, wenn man das Ausbrechen der Krankheit herauszögern kann? Oder den Verlauf soweit ausbremsen, dass man ein mehr oder minder normales Leben führen kann, bis ins hohe Alter?

Dies scheint tatsächlich immer wahrscheinlicher zu werden und gerade wenn und weil nicht ganz klar ist, welches der eine Schalter ist, ist nicht ausgeschlossen, dass es gar nicht nur einen gibt, sondern viele. Wie bei Depressionen, Krebs oder chronischen Schmerzen. Wenn man stirbt, bevor man ernsthaft an Demenz erkrankt, ist das Problem keines mehr, da die Krankheit in der Regel spät ausbricht, ist eine Verzögerung in jeder Hinsicht ein Gewinn.

Geistige und körperliche Beweglichkeit

Man weiß inzwischen, was nicht hilft. Kreuzworträtsel und Sudoku bringen nichts, viel besser sind körperliche und geistige Beweglichkeit. Der Unterschied zwischen geistiger Beweglichkeit und Sudoku ist, dass man beim Sudoku lösen besser im Sudoku wird, aber sonst bei nichts. Geistige Beweglichkeit heißt, dass man nicht ein und dasselbe immer wieder macht – auch keine Rätsel oder Sudoku –, sondern sich in immer neue Bereiche stürzt.

Wobei die normale Vielfalt des Lebens oft ausreicht, wenn man sie lebt. Soziale Beziehungen sind immens kompliziert, pflegt man Freundschaften, hat man welche und darüber hinaus auch noch einen Schlüssel zum Glück in der Hand. Trifft man sich mit anderen Menschen, so ist das anregend, diverse Formen des Ehrenamtes werden gebraucht, hier könnte man sich und anderen etwas Gutes tun. Nicht das, was wir oft als hochgeistig ansehen, bringt das Gehirn richtig auf Touren, sondern die schier unglaubliche Komplexität des Alltags, sofern man an ihm und seinem sozialen Austausch wirklich teilnimmt. Dazu gehören dann Spiel und Sport, Klatsch und Tratsch und Dinge, die unsere Kreativität und Geschicklichkeit erfordern.

20% sind reine vaskuläre Demenzen, also solche, die mit einer Unterversorgung mit Blut und Sauerstoff zu tun haben, weitere Formen sind Mischformen, in denen die Durchblutung ebenfalls eine Rolle spielt. Insofern scheint körperliche Bewegung einen doppelten Effekt zu haben, weil sie die Durchblutung fördert, damit die Sauerstoffversorgung um eine Vielfaches anregt, auch im Gehirn, zum anderen, weil Bewegung eine außerordentlich komplexer Vorgang ist, bei dem das Gehirn viel arbeiten muss. Wenn man so etwas einfaches macht wie Gehen, ist das ein an sich ungeheuer komplizierter Vorgang, er kommt uns nur vergleichsweise leicht vor. Koordination, Gleichgewicht und so vieles mehr, auf was wir nie achten, was wir als Kinder aber lange Zeit lernen mussten. Laufen wir etwas schneller so wird das Kreislauf-System angeregt und das Gehirn besser mit Blut versorgt, dreht man sich beim Laufen noch, wird die Bewegung noch unendlich komplexer und wir sind bei dem gelandet, was Kinder gerne machen oder bei einer der effektivsten Formen der Demenzprophylaxe überhaupt, dem Tanz. Mitunter sehr komplexe Bewegungsmuster zu und mit Musik, die ebenfalls das Hirn fordert, weil sie die Emotionen anspricht, Tanz ist soziale Interaktion, eine lustvolle Begegnung der Geschlechter, manchmal noch mit erotischer Spannung verbunden, was kann man von einer effektiven Demenzprophylaxe mehr erwarten?

Vorausgesetzt, man mag den Tanz. Denn das ist ein wichtiger Punkt, den man verstehen muss. Wenn man, womöglich noch aus Angst vor einer dementiellen Erkrankung, immer nur Rätselhefte durcharbeitet, obwohl einem das an sich gar keinen Spaß macht, dann kombiniert man das Nutzlose mit dem Schlechten und kriegt zur Angst noch weiteren Stress. Das bringt auch dann wenig, wenn man sich aus dem gleichen Grund zum Tanzkurs zwingt. Dann kombiniert man immerhin das Nützliche mit dem Schlechten, aber gut ist das in der Summe noch immer nicht.