Polyamorie
In der Polyamorie wird diese Problematik versucht zu entproblematisieren. Anhänger dieser Bewegung sind der Auffassung, dass es möglich sei, mehrere Menschen auf jeweils spezifische Art zur selben Zeit zu lieben. Mal mit mal ohne sexuelle Beziehung, je nach dem, was die Beziehung zu diesem Menschen gerade braucht. Die Polyamorie versteht sich aber nicht als Neuauflage der freien Liebe, sondern schließt tiefere und langfristigere Bindungen mit all ihren Problematiken, wie eventuell aufkommender Eifersucht, mit ein.
Die Eifersucht wird dort in der Tat als größtes Hindernis angesehen, das im besten Fall in und durch polyamore Beziehungen überwunden werden könnte. Allerdings ist es fragwürdig, ob man Besitzansprüche und Gedanken der Ausschließlichkeit, die hinter der Eifersucht stehen, überhaupt überwunden werden sollten. Eifersucht ist in Grenzen eine durchaus gesunde psychische Reaktion auf Gefahren, die der Beziehung drohen, und es ist gerade auch die Unfähigkeit zur Eifersucht, die manche narzisstische Problematik kennzeichnet.
Die andere Frage wäre, ob der Liebe hier nicht ein ideologisches Konzept aufgedrückt wird, was das Aufkommen normaler Gefühle in der Liebe, die auch mit Ausschließlichkeit zu tun haben, behindern. Gerade diejenigen, die so nicht empfinden (können), sind vielleicht bei der Polyamorie gut aufgehoben. Die Zeit wird zeigen, inwieweit der Ansatz zukunftsfähig ist oder wieder kassiert wird. Nicht jeder polyamor lebende Mensch muss zwingend ein Narzisst sein, ich kann mir nur vorstellen, dass es hier Überschneidungen gibt, weil das Konzept Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung besonders attraktiv vorkommen könnte.
Ein echtes Problem von Narzissten ist jedoch, das Gefühl nicht ertragen zu können, irgend jemanden zu brauchen. Das läuft dann in der Beziehungspraxis oft darauf hinaus, dass Narzissten asymmetrische Beziehungen bevorzugen, in denen der andere dankbar sein sollte, von diesem großartigen Menschen erwählt worden zu sein. Mit dem Gefühl, dem anderen aus reinem Großmut etwas vom Leben zu gönnen, lässt sich dann halbewegs leben. Dass man einen solchen Partner in der Regel nicht wertschätzt, weil sozusagen die B-Variante bewusst erwählt wurde, macht diese Beziehungen nicht einfach, auf Augenhöhe findet sie oft nicht statt und in gewisser Weise ist auch das eine Abwehr gegen realistische Beziehungen.
Angst vor Nähe und Verbindlichkeit
Die eher narzisstische Weigerung, sich festzulegen, weil man ja doch noch Beziehungen oder Affären zu allen möglichen anderen Menschen haben könnte, eine Tür, die man sich gerne offen hält, gibt es einen fließenden Übergang zu einer Angst vor Nähe und der damit verbundenen Verantwortung und Verbindlichkeit. In der eher neurotischen Variante dominiert eine starke Sorge vor der Verantwortung und den Verbindlichkeiten, die mit einer Partnerschaft, erst recht mit einer festen oder sogar der Ehe, einhergehen.
Das drückt sich auch in einem relativ bekannten Phänomen aus. Ein Paar ist schon seit vielen Jahren glücklich zusammen und alles klappt prima. Irgendwann, nach vielleicht 15 Jahren beschließen sie, doch noch zu heiraten und schon nach kurzer Zeit ist die Beziehung vorbei. Die Weigerung zu heiraten hatte schon ihren Sinn, denn so lange war alles irgendwie noch ein Spiel, aus dem man sich jederzeit zurückziehen konnte. Für viele kommt jedoch mit dem offiziellen Bekenntnis noch eine andere Gewichtung mit ins Spiel, vor allem werden ödipale Muster, die lange schliefen, reaktiviert.
Da helfen auch Bekenntnisse, das alles sei doch nur ein Stück Papier oder Metall, auch nicht weiter. Solange man nur irgendwie zusammen ist, ist das alles kein Problem, ein Hochzeit ändert viel, zeigt Verbindlichkeit und meldet einen sozialen Platz an, in guten wie in schlechten Zeiten. Das ist heute in dem Sinne etwas entschärft, weil der Ödipuskomplex oft ausfällt oder abgeschwächt ist, wie in „Warum wir den Ödipuskomplex brauchen“ und „Narzissmus in der Gesellschaft“ erläutert.
Die Angst vor Nähe ist für manche eine Ahnung der Verbindlichkeiten und ein gefühltes Ende der Freiheiten und diese Menschen bekommen wirklich das Gefühl, nun gefangen zu sein, was sie schwer verstört. Das ist insofern schade, als man Zweisamkeit gar nicht als Beschneidung der Freiheit erleben muss, sondern sie wirklich auch ein Aufbruch in neue Welten sein kann, die man eben nur zu zweit in intimen Beziehungen erleben kann.
Angst, den anderen zu verlieren
Andere Gründe für Beziehungsunfähigkeit können der frühe Verlust eines Elternteils sein. Wenn ein Kind den Menschen, den es über alles liebt, verliert, dann bleibt das nicht ohne Folgen und es kann sein, dass mit jedem Mal, bei dem man verliebt ist, gleichzeitig die Angst vor dem Verlust des anderen wieder hochkommt. Doch auch, wer keine derart traumatischen Erfahrungen gemacht hat, kann Angst haben, dass er bei einer großen Liebe den Verlust derselben nicht ertragen könnte. Denn es ist ja wahr, der Mensch, den wir am meisten lieben, kann uns zugleich am tiefsten verletzen und dessen Abwesenheit fürchten wir am meisten. Aber dafür auf die Freuden der Liebe verzichten? Für manche Menschen scheint es die bessere Lösung zu sein.