Der Tod der Eltern ist immer ein einschneidendes Ereignis, doch eine besondere Dimension bekommt er für die Hinterbliebenen, wenn junge Eltern sterben. Dabei kann es sein, dass ein Elternteil stirbt, seltener kommt es vor, dass beide Eltern sterben, etwa bei einem Unfall.
Der Umgang mit Tod und Sterben
Der Umgang mit dem Tod ist wesentlich eine kulturelle Frage und unsere Kultur neigt dazu den Tod auszugrenzen. Trauer ist nichts für die Öffentlichkeit, man hat nicht das Bedürfnis sie öffentlich auszuleben, sondern wenn schon, dann hat man das im Stillen mit sich auszumachen. Nicht, weil man es selbst so möchte, sondern weil die Gesellschaft es erwartet. Dieser Befund von Philippe Ariès aus den spätern 1970er hat sich bis heute nicht groß geändert, eher ist es noch schlimmer geworden.[1] Genauer muss man wohl von einer Zweiteilung sprechen.
Auf der einen Seite steht die Erwartung, dass man schnell wieder funktioniert, was im Einzelfall, bei dem der nichts und niemand anderen hat, als seine Arbeit, sogar eine Stütze sein kann, auf der anderen Seite ist auch das ein Problem. Trauer kann heute nicht sehr gut geteilt werden, weil wir oft nicht mehr wissen, wie wir mit ihr und den Trauernden umgehen sollen. Die Trauer ist auf ihre Weise schon ein Akt der Verarbeitung und gerade die Psychologie weiß, dass verdrängte Gefühle nicht weg sind. Sie wirken dann nur im Unbewussten weiter und dort kommen sie auf ganz merkwürdige und neurotisch verzerrte Arten wieder ans Licht.
Wird die Mutter eines Jungen plötzlich aus dem Leben gerissen, so kann das dazu führen, dass er sich später, als Erwachsener, scheut feste Beziehungen einzugehen, von der heimlichen Angst getrieben, dass, wenn er sich wirklich emotional einlässt, ihm das Liebste im Leben wieder genommen wird. Eine Erfahrung, die der Junge kennt, die nur in der Zeit verirrt ist. Rational wird einem dieser Zusammenhang schnell klar, aber muss noch einmal durchlebt werden und dabei bleibt es nicht aus, dass die Trauer dann doch gefühlt werden muss, manchmal Jahre oder Jahrzehnte später. Besser ist es also, man lässt die Trauer zu, so gut wie es heute geht und deutet sie nicht zu schnell als Depression fehl. Trauer ist an sich kein Problem, es ist tatsächlich furchtbar traurig, wenn ein geliebter Mensch aus dem Leben gerissen wird. Die Vorstellung, dass dann nach zwei Wochen wieder alles in Ordnung sein soll, ist die eigentliche Absurdität, nicht die Trauer.
Das Problem haben Kinder weniger, da sie oft noch nicht wissen, was sich ‚gehört‘ und was erwartet wird. Für sie ist die Möglichkeit zu trauern, aber auch allen sonstigen Gefühlen Ausdruck geben zu können, besonders wichtig. Die modernen Formen der Psychotherapie sind in einem guten Sinne pragmatisch orientiert, das heißt, dass man einerseits darum weiß, dass Gefühle nicht verdrängt oder verleugnet werden dürfen, andererseits muss auch das Weiterleben klappen, denn darum geht es ja am Ende des Tages, auch in der Therapie.
Auf der anderen Seite nähern sich Teile der Gesellschaft den Themen Tod und Sterben wieder an, wollen Angehörige von sterbenden Patienten diese nicht in ein Hinterzimmer abgeschoben sehen, sondern in Hospiz- und Palliativnetzwerken und -stationen angemesssen und würdig versorgt wissen. Themen wie Sterbehilfe sind Teil ethischer Debatten, der Tod kommt also in einigen Bereichen zurück in unser Bewusstsein.
So in etwa ist die Situation hier und heute, eine Rückkehr der Beachtung des Todes, aber noch immer auf dem Boden einer breiteren Verdrängung in der jüngsten Vergangenheit.
Der Tod eines Elternteils ist immer ein Schock für Kinder, ein Trauma, was verarbeitet werden muss. Es gibt im Grunde keinen guten Zeitpunkt für den Tod der Eltern oder eines Elternteils. Jüngere Kinder können oft noch nicht erfassen, was es bedeutet, dass ein Elternteil nun einfach nicht mehr da ist und in seinem Fehlen ist der Verstorbene ja auch weiterhin im Leben anwesend. In Situationen wie Urlaub oder Weihnachten, in denen beim letzten Mal der Verstorbene noch dabei war oder natürlich am Geburts- oder Todestag des Verstorbenen ist man immer wieder an ihn erinnert. Jüngere Kinder sind noch unselbstständiger, brauchen ihre Eltern noch mehr, ältere Kinder mögen selbstständiger sein, blicken aber auf eine längere Geschichte mit den Eltern zurück und wissen, wen und was sie verloren haben.
Der plötzliche Tod beider Eltern
Das dürfte der seltenste Fall sein, dennoch kommt er vor. Verkehrsunfälle, Flugzeugabstürze könnten die Ursachen sein. Eine Tragödie für das Kind. Hier ist an erster Stelle dafür zu sorgen, dass das Kind in ein neues, stabiles Umfeld kommt und da ein plötzlicher Tod nie planbar ist, muss man dem Kind die Möglichkeit geben, durch eine dem Alter und dem Charakter des Kindes angemessene Form der Bearbeitung, irgendwie in Ansätzen zu verstehen und zu akzeptieren, was vorgefallen ist. Jedes Kind auf seine Art, auch das ist wichtig zu akzeptieren. Manche Kinder wollen in Ruhe träumen, andere wollen ihren Schmerz und ihre sonstigen Gefühle in Bildern oder beim Spielen ausdrücken. Neben Phasen der Ruhe oder des spielerischen Ausagierens in größtmöglicher Eigenverantwortung ist es wichtig, das Kind auch in eine neue Struktur und damit auch neue Aufgaben einzubinden. Das Leben des Kindes geht weiter und es muss im besten Sinne lernen auch ein normaler Teil der Welt zu werden, was bedeutet, auch eine psychische Struktur zu haben, vor deren Hintergrund die chaotischen Gefühle, die auftreten, wenn junge Eltern sterben, bearbeitet und sortiert werden können.
Es ist wichtig herauszufinden, wie das Verhältnis des Kindes zu den Eltern war, denn es kann sein, dass die Eltern das Kind sehr schlecht behandelt haben oder es kurz vor dem Tod einen großen Streit gab. Kinder neigen dann dazu, die Schuld für den Tod der Eltern, etwa, wenn sie aus Wut, Kränkung oder Enttäuschung Todeswünsche hatten, auf sich zu nehmen, weil sie glauben, dass der Wunsch, dass jemand sterben soll, auch konkrete Auswirkungen hat. Kinder in einer solchen Situation tragen diesen Schuldkomplex im schlimmsten Fall ein Leben lang mit sich herum. Auch für Misshandlungen seitens der Eltern übernehmen die Kinder oft Verantwortung, weil sie einerseits von ihren Eltern abhängig sind und mit der Situation klar kommen müssen, dass Menschen, denen sie vertrauen, sie misshandeln. Die Lösung der Kinder ist so gut wie immer, zu denken, dass es schon irgendwo berechtigt sein wird, dass man sie schlecht behandelt, dass sie irgendwiie böse Kinder sind. Diese Erklärung psychisch besser zu verarbeiten ist, als die Alternative, dass die Eltern, wahllos und willkürlich agieren.
Auch wenn diese Konstellation ein Sonderfall sein dürfte, sei er kurz erwähnt, weil die Auswirkungen gravierend sein können. Zunächst könnte man denken, dass das zu seltenen Situationen gehören könnte, in denen das Kind im Grunde froh sein kann, von einem Martyrium erlöst zu sein, doch gerade in diesen Konstellationen kann es geschehen, dass die Kinder sich schuldig dafür fühlen, dass ihre Eltern gestorben sind und das verschlimmert die ohnehin verfahrene psychische Situation noch einmal. Und in abgeschwächter Weise ist die kindliche Phantasie, die Eltern seien gestorben, weil man etwas falsch gemacht hat, bei jüngeren Kindern eher wahrscheinlich, als unwahrscheinlich.