Naturalistisches Karma
Es gibt eine Vorstellung, die ich naturalistisches Karma nenne. Der Naturalismus vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die Naturgesetze überall wirken, es nichts „Übernatürliches“ gibt (was nicht irgendwann im Rahmen der Naturgesetzlichkeit erklärt werden könnte), dass letztlich alles durch eine Interaktion physikalischer Teilchen/Energie beschrieben werden könnte und dass das Größere aus dem Kleineren entsteht. Gleich wie man inhaltlich dazu steht (hier eine Kritik), so muss man doch akzeptieren, dass diese Vorstellungen unsere naturwissenschaftlich geprägte Weltsicht dominiert.
Doch auch diese zerfällt in (mindestens) zwei Lager, die sich ein interessantes Tauziehen leisten. Die eine Fraktion ist der Auffassung unser Universum sei ein „realistisches“ Universum. Realistisch ist hier ein Fachbegriff aus der Physik und bedeutet, dass durch die Naturgesetze (oder die sich aus dem Gegebenen manifestierenden natürlichen Abläufe, Kräfte und Interaktionen) tatsächlich jedes kleinste Teilchen, sein Ort und seine Eigenschaften im Universum determiniert ist.
Die andere Fraktion hält es für falsch, das wir in einem derart eng determinierten Universum leben und sieht es abhängig von einigen mehr oder minder zufälligen Entscheidungen, die man dann über statistische Annäherungen einfangen kann, wie zum Beispiel beim Zerfall atomarer Kerne bei radioaktiven Elementen. Man kann ihre Halbwertzeit exakt berechnen, aber nicht, welcher Kern der nächste ist, der eine Neutron abgibt. In der Sprache der Physik geht hier um die Auseinandersetzung zwischen mathematisch-stringtheoretischen Ansätzen und empirisch-quantenmechanischen Ansätzen. In diesen Diskussionen wird kräftig das Unterste und Oberste durchgepflügt eine interessante Darstellung, der gegenwärtigen Diskussion ist hier zu finden.
Mindestens der mathematisch-stringtheoretische Ansatz würde damit exakt dem entsprechen, was wir starres Karma genannt haben, jede kleinste Regung des Lebens stünde von Beginn des Universums an fest und wir hätten den Karmabegriff mitten im Herzen unserer naturwissenschaftlichen Denkweise.
Der Frage ob Freiheit dann noch möglich oder gegeben wäre, sind wir in dieser psymag.de Serie nachgegangen.
Westliche Vorstellungen von Karma und Psyche
Doch es gibt weiterhin Unterschiede. Die Naturalisten sind nicht der Auffassung, dass es eine Art Wesenskern gibt, der nach dem Tod weitergegeben wird oder auch nur werden könnte. Im indischen Denken ist das, wie wir sahen, zum Teil der Fall, zum Teil ist die Karmavorstellung aber unpersönlich.[3]
Das sehen manche Karmaanhänger im Westen anders. Im Westen verbinden wir manchmal mit Karma und Wiedergeburt die Vorstellung, dass es einen Schleichweg gibt und mit dem Tod irgendwie doch nicht alles aus ist. Karma und Wiedergeburt als Tröstungsidee. Zum Glück lebe ich weiter, eine in nicht wenigen Fällen narzisstische Interpretation, bei der man oft die Killerfrage scheut, wie das denn technisch gehen soll. Selbst dann, wenn man die reduzierende Lesart, dass irgendwie alles im Gehirn stattfindet ablehnt, muss man erklären, wie Informationen über den persönlichen Tod hinaus überleben können. Das ist durchaus möglich, auch ohne dass man Spukkräfte in Anspruch nehmen muss, wir gehen weiter unten (im nächsten Artikel der Reihe) darauf ein.
Bei Licht betrachtet steht es um den Begriff „Psyche“ aber nicht viel besser. Letztlich gebietet der naturalistische Glaube, dass auch die Psyche nicht als irgendwie eigenständige Essenz vom Körper getrennt umher schwebt oder ihn belebt. Vitalismus und Teleologie sind ziemlich out. Und doch ist es so, dass wir in vielen Fällen von reduktionistischen Ansätzen, die davon ausgehen, dass die Psyche letztlich nur Körpergeschehen ist und daher auch am besten darüber zu erklären sei, nichts tiefgreifend Neues erfahren.
So sind wir immer noch in der Situation, dass eine den Körper und seinen (Hirn-)Stoffwechsel betonende Lesart (Neurologie, Psychiatrie) und ausdifferenzierte Konzepte der Psychologie etwas zusammenhanglos nebeneinander stehen. Beide haben ihre Berechtigung und Überschneidungen, doch sie sind noch nicht in einem größeren Konzept oder eine Theorie integriert. Karma und Psyche bieten uns andere Ansatzpunkte an, um hinzuschauen.
Östliche Vorstellungen des Karma
Offiziell sieht man im Osten Karma anders. Hier möchte man aus dem Rad der Wiedergeburten aussteigen und das höchste Ziel ist demnach nicht eine Dauerexistenz durch eine Kette von Reinkarnationen, sondern das Ende derselben. Doch inoffiziell oder in volkstümlicher Interpretation, schielt man darauf, dass es doch zu einer besseren Wiedergeburt kommt oder zu einem guten Leben Hier und Jetzt. Was in einem tiefsten Sinne die Essenz des Buddhismus und die Auflösung der karmischen Bindungen bedeutet. Auch dazu demnächst mehr.
In den allermeisten Fällen ist der Sinn des Karma wohl die Veredlung des Menschen und seiner Psyche. Sei es, dass man die Menschen damit erziehen kann und damit ein Belohnungs- und Bestrafunsgssystem für den volkstümlichen Glauben hat oder sei es, dass man die Idee für tiefe Reflexionen und Meditationen nutzt.
Quellen:
- [1] Ramana Maharshi, Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala, Lotos; Auflage: 3 (2. Mai 2006)
- [2] Thorwald Dethlefsen, Altes Weltbild contra neues Weltild (Audio Vortrag), Aurinia Verlag
- [3] Vertiefend und sehr empfehlenswert: Wilhelm Halbfass, Karma und Wiedergeburt im indischen Denken, Hugendubel (März 2000)