Die Konzepte von Karma und Psyche passen ausgezeichnet zusammen, nur irgendwie beide nicht mehr in unsere Zeit und der Karmabegriff nicht einmal (außer in bestimmten, kleinen Kreisen) in unsere Kultur. Zumindest auf den ersten Blick. Wenn wir versuchen, die Begriffe Karma und Psyche näher zu bestimmen, können wir feststellen, dass je nach Definition sich Karma eigenartigerweise sogar aus dem Naturalismus, dem Weltbild hinter den Naturwissenschaften, ableiten lässt. Aber der Reihe nach.
Karma
Karma heißt wörtlich Tat. Eine Tat, die Folgen hat, karmische Folgen. Der Begriff stammt aus dem indischen Kulturbereich in dem sich drei religiöse Strömungen entwickelten (und vermutlich wurden noch mehr davon beeinflusst), der Hinduismus, der Buddhismus und der Jainismus. Das zeigt bereits, dass der Karmabegriff von Anfang an vielschichtig war und so ist es bis heute geblieben. Die hinduistische Vorstellung von Karma impliziert einen bleibenden und den Tod überdauernden Persönlichkeitskern, der von Leben zu Leben, über die Lehre der Wiedergeburt oder Reinkarnation weiter gegeben wird. Dieser Begriff eines festen Kerns, ist unserer Vorstellung von Seele nahe verwandt.
Die buddhistische Vorstellung von Karma ist in weiten Teilen anders. Der Buddhismus lehnt das Konzept des Ich, sowie auch das einer Seele in letzter Konsequenz ab. Kein fester Kern, nichts was überdauert, mindestens nichts Persönliches. Was bleint ist ein Bündel vorläufiger Eigenschaften, die sogenannten Skandhas, die wir als aktuelle Verdichtungen, Bündelungen wahrnehmen und denen wir, nach buddhistischer Lehre fälscherlicherweise, das Attribut ein Ich zu bilden, zuschreiben. Das neue Leben, an das man auch hier glaubt, ist eine eher unpersönliche Summe aus Ergebnissen und Versäumnissen vorheriger Inkarnationen, aber in der Regel nicht mit der Vorstellung verbunden, dass ich weiter existiere, geht es dem Buddhismus doch gerade darum, dieses Ich, oder mindestens die Anhaftung an das Ich als leiderzeugende Illusion zu entlarven. Und manche buddhistische Traditionen, wie Zen, lassen die Frage nach der Wiedergeburt offen und weisen sie, als in letzter Konsequenz irrelevant zurück.
Psyche
Psyche bedeutet in etwa Seele oder Windhauch, bezeichnet etwas Leichtes, Ungreifbares und ist in dieser Form immer mehr kritisiert worden. Nach unserer heutigen, vom Naturalismus geprägten Überzeugung, ist die Seele nichts, was man ernsthaft postulieren kann und auch die Psyche gilt eher als Sammelbegriff für das Erleben und Verarbeiten von Eindrücken, als „Ort“ des Denkens und Fühlens. Wir gehen nicht davon aus, dass eine Seele oder Psyche ohne Körper existiert, mit Ausnahme einiger weniger Forscher. Unsere Vorstellung vom der Psyche gleicht heute eher dem Buddhismus, einer Summe von Leidenschaften, die mal mehr, mal weniger in der Vordergrund treten, als der Idee einer fixen Seele. Nur, dass nach dem Tod eben alles aus ist, nichts bleibt von uns, außer vielleicht einer diffusen Vorstellungen von Energie, aber diese Energie bildet nichts ab, was einem Ich oder Wesenskern auch nur entfernt gleicht, sondern zerfällt in 1000 Fäden.
Starres Karma
Die Vorstellungen vom Karma sind verschieden. Eine ist die von Karma als etwas Starrem, Definitiven, Determinierten. Kurz gesagt, geht es dabei um die Überzeugung, dass alles im Leben haarklein vorherbestimmt ist. Was immer passiert, jede Begegnung die stattfindet, ob man versehentlich ein Glas umstößt, alles steht vorher schon fest, nichts ist an diesen Abläufen zu ändern. Das klingt weit weg und ist uns doch halbwegs nahe, wie wir gleich sehen werden.
Der große indische Weise Sri Ramana Maharshi ist auch der Auffassung, dass es bestimmte tradierte Leidenschaften (Vasanas) gäbe, die in einigen Fällen so stark sind, dass, auch wenn man – beispielsweise bei einer Geschäftseröffnung – nach menschlichem Ermessen alles richtig macht, man nicht auf die Füße kommt, wenn man sozusagen karmische Altlasten hat.[1] Doch da auch Ramana Maharshi davon ausgeht, dass das Ich letztlich nur eine Illusion ist, die man überwinden kann und sollte, ist das nicht weiter schlimm. Der Karmabegriff von Ramana Maharshi ist dem entsprechend auch noch halbwegs starr und es gibt noch andere Vertreter eines starren Karmabegriffs.
Dynamisches Karma
Fast noch weiter verbreitet bei uns ist allerdings ein dynamischer Karmabegriff. Reizvoll daran ist, dass er die Möglichkeit bietet, mit seinem Karma und der Welt zu kommunizieren. Manche Antroposophen haben eine solchen Karmabegriff. Tendenziell sehen sie Karma als ein ganz großes Schwungrad des Lebens, doch man kann den Karmabegriff auch viele enger fassen. Der Diplom-Psychologe und Esoteriker Thorwald Dethlefsen hat diesen Karmabegriff vertreten und gesagt, dass Karma keine unabhängige Größe sei, die irgendwie über dem Leben schwebt, sondern dass Karma aufs Engste mit den alltäglichen Leben verbunden ist und schlicht und ergreifend alles Karma erzeugt.[2] Jede große Entscheidung und jede kleine ebenfalls. Der Karmabegriff ist hier hochdynamisch und meint im Grunde nur, dass alles in eine unablässige Folge und Ursachen und Wirkungen eingebunden ist.
Jedoch mit dem Unterschied, dass wenn einem bestimmte Zusammenhänge klar geworden sind, sie nicht mehr erlebt und gelebt zu werden brauchen. Das Karma passt sich hier also unseren Erkenntnissen an und reagiert nicht nur auf unsere Taten. Ein sehr reizvoller Karmabegriff, wenn man sich auf ihn einlassen kann. Das allerdings ist schwer, weil wir der Überzeugung sind, Konzepte wie Karma seien im Zuge modischer Strömungen aus dem Osten importiert, hätten daher für uns keinerlei kulturelle Relevanz und seien darüber hinaus auch noch bloßer Glaube und damit schlicht falsch. Dem gehen wir jetzt nach.
Naturalistisches Karma
Es gibt eine Vorstellung, die ich naturalistisches Karma nenne. Der Naturalismus vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die Naturgesetze überall wirken, es nichts „Übernatürliches“ gibt (was nicht irgendwann im Rahmen der Naturgesetzlichkeit erklärt werden könnte), dass letztlich alles durch eine Interaktion physikalischer Teilchen/Energie beschrieben werden könnte und dass das Größere aus dem Kleineren entsteht. Gleich wie man inhaltlich dazu steht (hier eine Kritik), so muss man doch akzeptieren, dass diese Vorstellungen unsere naturwissenschaftlich geprägte Weltsicht dominiert.
Doch auch diese zerfällt in (mindestens) zwei Lager, die sich ein interessantes Tauziehen leisten. Die eine Fraktion ist der Auffassung unser Universum sei ein „realistisches“ Universum. Realistisch ist hier ein Fachbegriff aus der Physik und bedeutet, dass durch die Naturgesetze (oder die sich aus dem Gegebenen manifestierenden natürlichen Abläufe, Kräfte und Interaktionen) tatsächlich jedes kleinste Teilchen, sein Ort und seine Eigenschaften im Universum determiniert ist.
Die andere Fraktion hält es für falsch, das wir in einem derart eng determinierten Universum leben und sieht es abhängig von einigen mehr oder minder zufälligen Entscheidungen, die man dann über statistische Annäherungen einfangen kann, wie zum Beispiel beim Zerfall atomarer Kerne bei radioaktiven Elementen. Man kann ihre Halbwertzeit exakt berechnen, aber nicht, welcher Kern der nächste ist, der eine Neutron abgibt. In der Sprache der Physik geht hier um die Auseinandersetzung zwischen mathematisch-stringtheoretischen Ansätzen und empirisch-quantenmechanischen Ansätzen. In diesen Diskussionen wird kräftig das Unterste und Oberste durchgepflügt eine interessante Darstellung, der gegenwärtigen Diskussion ist hier zu finden.
Mindestens der mathematisch-stringtheoretische Ansatz würde damit exakt dem entsprechen, was wir starres Karma genannt haben, jede kleinste Regung des Lebens stünde von Beginn des Universums an fest und wir hätten den Karmabegriff mitten im Herzen unserer naturwissenschaftlichen Denkweise.
Der Frage ob Freiheit dann noch möglich oder gegeben wäre, sind wir in dieser psymag.de Serie nachgegangen.
Westliche Vorstellungen von Karma und Psyche
Doch es gibt weiterhin Unterschiede. Die Naturalisten sind nicht der Auffassung, dass es eine Art Wesenskern gibt, der nach dem Tod weitergegeben wird oder auch nur werden könnte. Im indischen Denken ist das, wie wir sahen, zum Teil der Fall, zum Teil ist die Karmavorstellung aber unpersönlich.[3]
Das sehen manche Karmaanhänger im Westen anders. Im Westen verbinden wir manchmal mit Karma und Wiedergeburt die Vorstellung, dass es einen Schleichweg gibt und mit dem Tod irgendwie doch nicht alles aus ist. Karma und Wiedergeburt als Tröstungsidee. Zum Glück lebe ich weiter, eine in nicht wenigen Fällen narzisstische Interpretation, bei der man oft die Killerfrage scheut, wie das denn technisch gehen soll. Selbst dann, wenn man die reduzierende Lesart, dass irgendwie alles im Gehirn stattfindet ablehnt, muss man erklären, wie Informationen über den persönlichen Tod hinaus überleben können. Das ist durchaus möglich, auch ohne dass man Spukkräfte in Anspruch nehmen muss, wir gehen weiter unten (im nächsten Artikel der Reihe) darauf ein.
Bei Licht betrachtet steht es um den Begriff „Psyche“ aber nicht viel besser. Letztlich gebietet der naturalistische Glaube, dass auch die Psyche nicht als irgendwie eigenständige Essenz vom Körper getrennt umher schwebt oder ihn belebt. Vitalismus und Teleologie sind ziemlich out. Und doch ist es so, dass wir in vielen Fällen von reduktionistischen Ansätzen, die davon ausgehen, dass die Psyche letztlich nur Körpergeschehen ist und daher auch am besten darüber zu erklären sei, nichts tiefgreifend Neues erfahren.
So sind wir immer noch in der Situation, dass eine den Körper und seinen (Hirn-)Stoffwechsel betonende Lesart (Neurologie, Psychiatrie) und ausdifferenzierte Konzepte der Psychologie etwas zusammenhanglos nebeneinander stehen. Beide haben ihre Berechtigung und Überschneidungen, doch sie sind noch nicht in einem größeren Konzept oder eine Theorie integriert. Karma und Psyche bieten uns andere Ansatzpunkte an, um hinzuschauen.
Östliche Vorstellungen des Karma
Offiziell sieht man im Osten Karma anders. Hier möchte man aus dem Rad der Wiedergeburten aussteigen und das höchste Ziel ist demnach nicht eine Dauerexistenz durch eine Kette von Reinkarnationen, sondern das Ende derselben. Doch inoffiziell oder in volkstümlicher Interpretation, schielt man darauf, dass es doch zu einer besseren Wiedergeburt kommt oder zu einem guten Leben Hier und Jetzt. Was in einem tiefsten Sinne die Essenz des Buddhismus und die Auflösung der karmischen Bindungen bedeutet. Auch dazu demnächst mehr.
In den allermeisten Fällen ist der Sinn des Karma wohl die Veredlung des Menschen und seiner Psyche. Sei es, dass man die Menschen damit erziehen kann und damit ein Belohnungs- und Bestrafunsgssystem für den volkstümlichen Glauben hat oder sei es, dass man die Idee für tiefe Reflexionen und Meditationen nutzt.
Quellen:
- [1] Ramana Maharshi, Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala, Lotos; Auflage: 3 (2. Mai 2006)
- [2] Thorwald Dethlefsen, Altes Weltbild contra neues Weltild (Audio Vortrag), Aurinia Verlag
- [3] Vertiefend und sehr empfehlenswert: Wilhelm Halbfass, Karma und Wiedergeburt im indischen Denken, Hugendubel (März 2000)