Zukunftsängste sind gegenwärtig weit verbreitet. Galten sie früher als eher diffus, so sind sie heute wesentlich greifbarer.
Dabei gibt es in unserer ausdifferenzierten Welt ein breites Angebot an Ereignissen, vor denen man sich fürchten kann. Inzwischen ist für jede Altersstufe etwas dabei. Die Jugend sorgt sich um den Klimawandel, die Alten mussten bis vor kurzem noch Angst vor Coronaviren haben (und das Thema ist noch nicht ausgestanden). Doch inzwischen ist auch für die mittleren Altersklassen genug im Angebot. Das Thema Migration macht vielen Menschen Sorgen, die Finanzierung der Renten in den nächsten Jahren ist sehr wackelig, das Medizinsystem und insbesondere das Segment der Pflege fährt gerade mit Ansage vor die Wand, man kann sich um politische Spannungen sorgen und manches mehr.
Es gibt eine selten berücksichtigte Unterscheidung zwischen Angst und Furcht. Furcht ist auf ein konkretes Objekt gerichtet. Man kann sich vor Tunnels, Hunden, Spinnen, Fahrstühlen oder der Höhe fürchten, Angst bleibt diffus. Das macht sie nicht besser, weil sie sogar eine Art Lebensbegleiter werden kann, worunter die Lebensqualität in vielen Fällen entsetzlich leidet.
Zukunftsängste sind irgendwo dazwischen. Man hat in der Regel noch keine Erfahrungen mit der Situation gemacht, ob Altersarmut oder Klimawandel, aber die Möglichkeit ist nicht irreal, dass man damit demnächst konfrontiert wird. Man weiß nicht, was kommt, das weiß man im Grunde zwar an keinem Tag des Lebens, aber wir haben unsere Routinen, mit deren Hilfe wir uns das erfolgreich einreden können. Doch durch die Komplexität der Welt beginnen diese Routinen zu bröckeln.
Die Rahmenbedingungen
Unser Alltag ist in nicht wenigen Fällen schon eine logistische Großtat[link] und erfordert nicht selten ein Maß an hoher organisatorischer Kompetenz. Dazu kommt, dass viele Lebenserleichterungen das Leben de facto schwieriger gemacht haben. Vieles, was Zeitersparnis bringen sollte und könnte, kostet oft zusätzliche Zeit.
Ohne Zweifel ist das Internet die letzte große technische Innovation mit einer erheblichen Auswirkung auf unseren Alltag, mit allerlei wunderbaren Möglichkeiten, aber dass es unser Leben nur einfacher oder nur besser gemacht hat, kann man nicht behaupten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen im Zuge der industriellen Revolution technische Neuerungen Fahrt auf und veränderten das Leben der Menschen radikal. Man brauchte Gott nicht mehr, sondern immer mehr Menschen in Europa konnten ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Für Arbeit, Nahrung, Mobilität war zunehmend gesorgt. Züge, Autos, Flugzeuge, die dazu gehörige Infrastruktur von Straßen, Schienen und nicht zu vergessen das aufkommende Telekommunikationsnetz sorgten für neue Lebens- und Arbeitsweisen. Doch so gravierend die Veränderungen auch waren, es war keineswegs das gelobte Land, was sich da präsentierte.
Brutal lange Arbeitszeiten und lausige Bedingungen in Fabriken und Bergwerken, inklusive der Arbeit von Frauen und Kindern, sorgten für eine mittlere Lebenserwartung von etwa 38 Jahren, noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Gegen Ende des Jahrhunderts und um die Wende zum 20. änderte sich das, durch organisierten Arbeitskampf um bessere Bedingungen und da immer mehr Arbeit und technische Neuerungen nun auch eine neue Logistik im Schlepptau hatte, kamen neue Berufe auf, wie Büroangestellte.
Ungefähr ab da bedeuteten wissenschaftliche, technische und soziale Neuerungen einen ungemeinen Fortschritt an Lebensqualität, die sich in einer dramatischen Veränderung der Lebenserwartung niederschlugen, die sich in 150 Jahren ungefähr verdoppelte. Die Waschmaschine war vielleicht noch die letzte gute Erfindung, die einer breiten Masse von Frauen das Leben erleichterte und tatsächlich Zeit und Mühen ersparten. Bereits der Fernseher dürfte deutlich ambivalenter sein, das Internet wurde bereits erwähnt.
Was ist heute anders?
Es sind jedoch nicht nur die Umwelt oder Technik, die anders geworden sind, ganz wesentlich ist die innere Einstellung. Nach dem zweiten Weltkrieg kam das Wirtschaftswunder, das bis zum Beginn der 1970er einen ungeheuren Fortschrittsoptimismus beförderte, der auch danach nur dosiert abebbte. Aber in vielen kleinen und größeren Schritten ist er abgeebbt und heute finden wir oft das Gegenteil: ausgeprägte Zukunftsängste, binnen 25 – 50 Jahren, je nachdem an welcher Stelle beim Einzelnn ein komisches Gefühl einsetzte.
Wir finden heute eine ungeheuer ausdifferenzierte Welt vor, in der neben der Vielfalt an technischen Möglichkeiten noch eine Vielfalt an Weltanschauungen kommt, dazu werden einige Grundpfeiler unserer Alltagsorientierungen gerade infrage gestellt, wir haben also Veränderungen auf mehreren Ebenen. Sie begleiten unser Menschsein durch die gesamte Geschichte, die reichlich abrupte Brüche kennt, aber vielleicht kommen sie heute etwas zu schnell.
Komplexer Alltag, viele verschiedene Weltbilder und eine recht große Anzahl an realen Problemen, das kann schon ein Nährboden für Zukunftsängste sein. Klima und Corona, darunter leiden besonders die Jungen, vor der Altersarmut haben sie natürlich weniger Sorge und alte, ungeimpfte ältere Menschen hatten mitunter Angst um ihr Leben. Viele Mittelalte haben reale Ängste um ihre finanzielle Zukunft, wenn sie sich gerade eine berufliche Existenz aufgebaut haben, die nun in Teilen oder vollkommen zerstört ist.
Doch es ist noch etwas anders geworden, innerlich. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zeit der Jugend, die Adoleszenz erheblich ausgeweitet, mitunter bis weit über das 30 Lebensjahr hinaus. Junge Menschen wohnen länger zu Hause, sind später berufstätig, Heirat und Kinder kommen in der Regel jenseits der 30 (1970 war die Hälfte der 24-Jährigen verheiratet) und auch die Identität ist kaum entwickelt. Auch das hat viele Ursachen, innere und äußere. Der komplexe Alltag bietet sehr viele, oft zu viele Möglichkeiten und trifft auf eine Weigerung, sich festzulegen. Aus innerer und äußerer Überforderung, oft will man eigentlich nur spielen und im Zweifel irgendwie alles mitnehmen.
Dass wir zunehmend eine Kinderkultur werden darauf wird schon seit längerer Zeit hingewiesen. Man will alle Möglichkeiten haben, aber auch die Freiheit, sie nicht zu nutzen. Es macht mehr Spaß zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren, wenn man weiß, dass man auch noch ein Auto in der Garage hat. Wir haben heute oft, was wir uns wünschten und können damit nicht umgehen, kommen damit nicht klar. Zu viele Optionen, zu viele Gedanken. Zu viel Katastrophisieren, weil man denkt, dass man sich in dem vielfältigen Angebot richtig entscheiden muss, nur um dann doch nicht zufrieden zu sein, weil es noch so viel andere und anderes gibt und man Angst hat, man könne etwas verpasst haben, weil man sich falsch entschieden hat.
So schiebt man die Entscheidungen auf, bei denen man früher oft gar keine Wahl hatte. Es ist eine seltsame, aber vermutlich richtige Erfahrung, dass zu viele Freiheiten uns nicht glücklicher und stressfreier machen. Festlegungen machen glücklich, für etwas zu sein, sich entschieden zu haben, davon berichten alle, die wirklich für etwas brennen.