Isi* möchte mir ihre Geschichte erzählen, darüber wie es ist, eine Borderlinerin zu sein, sich innerlich zerrissen zu fühlen, weil man ein Leben mit extremen Schwankungen führt. Die 22-Jährige ist vor einigen Monaten aus der Klinik mit der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung entlassen worden. Derzeit lebt sie in einer Wohngruppe und macht nun im Anschluss an ihren Klinikaufenthalt eine Therapie.
Borderline oder BPS, wie es oft abgekürzt wird, steht für eine Instabilität in den Gefühlen, im Selbstwert, aber auch in den sozialen Beziehungen und der eigenen Identität. Kennzeichnend für die Betroffenen ist eine Impulsivität im Gefühlserleben. Man sagt, dass Borderliner Gefühle bis zu neunmal stärker empfinden, als es normalerweise der Fall wäre. Selbstschädigendes Verhalten tritt sehr häufig auf, welches von körperlicher Selbstverletzung wie z. B. durch Schneiden bis hin zu Sucht- oder stark sexualisiertem Verhalten reichen kann.
Isi wünscht sich mehr Aufklärung über die Borderline-Störung, da die Häufigkeiten der Betroffenen steigen, deshalb möchte sie mir dieses Interview geben. Vorsichtshalber merke ich vorab an, dass dieses Interview Trigger für manche hinsichtlich etwaiger potenziell traumatischer Erlebnisse enthalten kann.
Leben mit Borderline: »Wie mein Gesicht danach aussieht, ist mir egal«
Isi, wie äußert sich die Borderline-Störung bei dir?
Es ist unmöglich, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Ich erlebe alles ganz extrem von Angst bis Freude, aber am schlimmsten auch Wut. Ich bin sofort gefühlsmäßig eskaliert und komme dann nicht raus. Erst wenn ich mich schneide oder meinen Kopf auf die Tischplatte anschlage, habe ich das Gefühl, aus dem Gefühlssturm rauszukommen. Mein Leben ist so hart anstrengend. Ich bin oft erschöpft vom Leben.
Könnte man sagen, du bist ein Spielball deiner Gefühle, wenn du innerlich eskalierst und diese extremen Schwankungen hast?
Ja, total. Ich eskaliere innerlich total. Weiß dann nicht mehr, wer ich bin. Ich kann mich so nicht mal einschätzen, aber wenn ich sauer werde, schreie ich rum und schlage auch andere. Dann fühle ich mich selbst nicht mehr.
Viele Betroffene äußern, dass die Selbstverletzungen zum Abbau der Anspannung im Inneren vorgenommen werden. Was spürst du, wenn du dich selbst verletzt?
Die Gefühle bekommen wieder mehr Raum. Sie können raus. Ich hatte Wunden am Arm so tief reingeschnitten, dass der Arm wie Brotscheiben aufklaffte. Wenn ich meinen Kopf auf die Tischplatte haue, dann ist mir vollkommen egal, wie mein Gesicht im Anschluss aussieht. Ich komme erst wieder zu mir, wenn ich die Schmerzen spüre oder mein Blut sehe.
Leben mit extremen Schwankungen: Borderline
Neben dieser übermächtigen Wut, wie äußern sich andere Gefühle bei dir?
Ich habe vor allem Angst. Ganz viel Angst vor dem Leben. Ich meine, andere arbeiten schon oder studieren, aber ich bekomme mein Leben nicht hin. Ich stehe nicht auf eigenen Beinen. Das lässt mich verzweifeln. Aber ich erlebe auch Freude und Unbeschwertheit ganz stark. Wenn ich glücklich bin und einen neuen Partner habe, dann bin ich schwer begeistert von dem. Das ändert sich aber schnell, sobald er mir wehtut. Oft merke ich auch eine totale Leere und Sinnlosigkeit. Was hat das Leben für einen Sinn? Diese Frage fühle ich in der Leere.
Ich kann mir vorstellen, dass dieses intensive Gefühlserleben dich erschöpft.
Ja, die Gefühle wechseln ganz oft, mal bin ich ganz oben, dann ganz unten. Das geht manchmal mehrmals am Tag. Ich habe es nicht unter Kontrolle. Dann wieder lähmt mich die Angst. Ich hasse, wenn ich mich jemandem beugen muss. Ich habe Probleme mit Enge und Kontrolle. Überall muss man sich einfügen. Ich kann nicht gut mit Druck umgehen. Ich bin ganz schnell überfordert. Und dann immer wieder die Stimmungsschwankungen bis zur kompletten Selbstaufgabe. Ich nehme mir vor, mich zu ändern, aber dann geht alles wieder von vorne los. Ich kann mir selbst nicht vertrauen. Aber jetzt will ich alles richtig angehen.
Wie stehst du insgesamt zu dir selbst?
Es genügt eine Ablehnung oder ein Blick von anderen Leuten, schon fühle ich mich wertlos. Ich glaube, ich sehe komisch aus oder rieche unangenehm. Deshalb schauen die anderen zu mir. Ich denke oft, ich halte das so nicht aus, immer wieder passiert mir Schlimmes, keiner will mich. Niemand will mich, ich bin nichts wert. Das ist mein Mindset.
Und wie steht es mit einer positiven Selbsteinschätzung, hast du die auch manchmal?
Ja. Irgendwas davon habe ich auch in mir drin. Sobald ich Zuspruch erhalte, fühle ich mich als Größte und Beste und Schönste. Ich denke, niemand ist klüger als ich oder ich bin hot. Sobald wieder Ablehnung kommt, gehts wieder abwärts mit mir. Ich bin der hässlichste und unfähigste Mensch auf dem Planeten.
»Wie ein Glaskasten, in dem Gefühle drin sind und ein Mädchen, das keiner will.«
Viele Borderliner sprechen davon, nicht zu wissen, wer sie wirklich sind. Teilweise erleben sie dissoziative Phänomene der inneren Abspaltung. Sie erleben keine Identität bei sich. Wie ist das bei dir? Nimmst du dich als Person, als Ganzes, wahr?
Nein. Ich nehme mich aufgelöst wahr. Wie ein Glaskasten, in dem Gefühle drin sind und ein Mädchen, das keiner will. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich weiß nur, dass ich falsch bin. In meinem Leben habe ich soviel Dreck gefressen. Immer wurde ich abgelehnt.
Ich tue immer so, als wäre ich jemand anderes. Weil ich weiß, dass ich komisch bin. Ich spiele allen was vor. Kannst du nachvollziehen, wie ich das meine?
Ist das so, als würde man in eine soziale Rolle schlüpfen? Eine, von der man glaubt, dass die anderen diese von einem erwarten? Und manchmal eine, die einem in einer bestimmten Situation Halt gibt?
Ja, stabil. Beides trifft zu. Ich habe einen Sender dafür, was andere hören wollen. Das nutze ich oft für mich.
Inwieweit?
Ich möchte simple verstanden werden. Manchmal lüge ich, um zu bekommen, was ich will. Damit ich nicht ausrasten muss.
»Mit dreizehn hatte ich meinen ersten Selbstmordversuch«
Um der emotionalen Eskalation vorzubeugen?
Ja.
Mich beeindruckt, dass du so reflektiert mit dir bist. Und das, obwohl du gerade mal 22 Jahre alt bist. Wie kommt das?
Ich bin seit meinem dreizehnten Lebensjahr in Therapie. Mit dreizehn hatte ich meinen ersten Selbstmordversuch.
Möchtest du darüber sprechen?
Nein.
Ich wollte einfach nicht mehr da sein. Ich habe alle möglichen Drogen genommen, die Konsequenzen waren mir egal.
Sind Drogen auch heute noch ein Thema?
Manchmal ja. Aber ich habe es unter Kontrolle. Ich bringe mich ständig in Schwierigkeiten und bin schon deshalb aus vielen Einrichtungen rausgeflogen. Ich bekomme es einfach nicht hin.
Dann hast du es also doch nicht so unter Kontrolle mit den Drogen?
Doch. Ich kann eine Woche lang koksen und dann nehme ich wieder monatelang nichts. Aber ich trinke zu viel. Ich bin nicht nur deswegen aus den Einrichtungen rausgeflogen, sondern weil es Stress mit den Betreuern gab. Das eine Mal habe ich einen Betreuer geschlagen. Das andere mal meinen damaligen Freund in den Bauch getreten. Ich habe die Männer geschlagen, weil ich mich hilflos fühlte.
*Name von der Redaktion geändert
Im nächsten Teil des Interviews spreche ich mit Isi über ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, denn auch diese sind bei Borderlinern neben der Empfindung des inneren Zerrissen seins und einem Leben mit extremen Schwankungen häufig ebenfalls durch ein beständiges Auf und Ab gekennzeichnet: Teil 2.
Wir verlinken hier mögliche Anlaufstellen, an die man sich bei einer Akut-Symptomatik wie suizidalen Gedanken oder für Beratung und andere therapeutische Angebote wenden kann.