Mythen und Module

Moorlandschaften haben ihren ganz eigenen Charme. © Colin.C.James under cc

Wir brauchen also neue Mythen und Module. Sie können Mythen auch Narrative oder Erzählungen nennen, es sollte darum gehen, dass wir ein gemeinsames Ziel haben, das unsere Bevölkerung verbindet, hinter dem wir stehen und worüber wir diskutieren können, wenigstens ein bisschen. Klima und Umwelt sind offenbar angekommen, dass dies mit Wohlstand kombiniert werden muss wird immer klarer. Wird es das Klima sein, oder gelingt eine Umwelt und Wohlstand Erzählung? Oder wird das Glück noch mit eingewoben? Es bietet sich an, da es sich offensichtlich ergänzt.

Module klingen etwas technischer und sind es im Grunde auch. Dahinter steckt die Idee, dass durchaus weltanschaulich sehr unterschiedliche Kreise, aus ebenfalls unterschiedlichen Gründen, für eine bestimmte Zeit ähnliche oder gleiche Ziele verfolgen können. Ob man den Wald aus Heimatverbundheit, ökologischem Bewusstsein, als Naherholungsgebiet oder Wirtschaftsfaktor schützen möchte, ist eigentlich egal.

Module haben den Vorteil, dass man nationale und internationale Koalitionen für viele weitere Themengebiete knüpfen kann. In Neue Realitäten haben wir vorgestellt was demnächst kommen wird und auch da lassen sich diverse Kräfte und Motive im besten Fall kombinieren. Und es schadet ja nichts, wenn man sich für Cybersicherheit und Privatsphäre zusätzlich einsetzt, während andere sich vornehmlich um das Klima und den Wohlstand kümmern.

Noch einmal sei gesagt, dass kaum eines der Themen wirklich neu ist. Ich lese gerade erneut Rüdiger Dahlkes Buch Woran krankt die Welt? Moderne Mythen gefährden unsere Zukunft, das vor 20 Jahren geschrieben wurde und hoch aktuell ist. Beim Blick ins Buch kann man erkennen, dass sich die Themen von damals zu heute gar nicht groß verändert haben, was leider heißt, dass sich in den letzten 20 Jahren auch nicht viel getan hat.

Wen muss man ansprechen und mitnehmen?

Am besten alle, aber es sprechen nicht alle die gleiche Sprache. Der Soziologe Andreas Reckwitz und der Philosoph Jürgen Habermas sind nur zwei prominente Stimmen, die dem Mythos deutlich mehr Rationalität zuschreiben als es gemeinhin getan wird. Mythen bieten Möglichkeiten zur Ausprägung von Rollen bis zum Helden, für die einen. Zu Argumenten, Grafiken und Statistiken finde andere einen besseren Zugang, auch hier besteht keine Not, beides gegeneinander auszuspielen.

Wer zum integralen Bewusstsein durchdringt, kann diese Aufgabe sogar als Herausforderung schätzen und nicht nur die vielen Problembereiche, sondern auch die vielen Lösungsmöglichkeiten kombinieren.

Das oben angesprochene hin und her Geschiebe der Verantwortung kann man insofern durchbrechen, als man alle in ihrer Sprache anspricht. Aber weniger, wie die manchmal peinlichen Versuche einer Werbeagentur, sondern im Rahmen der Erkenntnis, dass Menschen ihre Welt unterschiedlich erleben. Das betrifft nicht nur Phänomene wie Jugendsprache oder Soziolekt, sondern es geht mehr darum, welche Themen, von welcher Gruppe, als wichtig und eher unwichtig angesehen werden und wie diese interpretiert und verarbeitet werden.

Nicht nur zwischen den je nach Art der Unterscheidung sechs oder zehn oft horizontalen Aufteilungen der Gesellschaft, die wir in Der Mainstream: Gehasst und gesucht dargestellt haben, gibt es Unterschiede. Nicht nur in der Bildung und sozialen Klassen unterscheiden sich die Menschen, auch wie sie Welt erleben und verarbeiten ist mitunter sehr stark abweichend, so sehr, dass es zwischen diesen Erlebenswelten kaum einen Austausch gibt und dieser auch schwer möglich ist, da die dominanten Themen sehr verschieden sind.

Auch in einem Gastartikel der Zeit heißt es:

„Drei Trends zeichneten sich in der deutschen Gesellschaft schon vor Corona ab: Soziale und ökonomische Ungleichheiten führen, erstens, dazu, dass Teile der Gesellschaft von demokratischen Entscheidungen ausgeschlossen sind oder sich aus dem politischen Leben verabschiedet haben. Zweitens führen diese zu einem zunehmenden Ungerechtigkeitsempfinden und mangelndem Vertrauen in Zusammenhalt und Demokratie. Drittens kommt bei zentralen Fragen wie dem Klimawandel und der dazugehörigen Transformation der Wirtschaft, der Digitalisierung und Fragen der Integration noch eine fehlende Zuversicht in die Zukunftskompetenz und Problemlösungsfähigkeit der Politik hinzu.

Diese Entwicklungen beschleunigen die Fragmentierung der Gesellschaft in Gruppen mit unterschiedlichen Einstellungen, zwischen denen der Austausch mitunter komplett zum Erliegen gekommen ist.

[…]

Die Debattenkultur in den sozialen Medien beschleunigt diese Entwicklung: Die verschiedenen Gruppen sind nicht mehr über einheitliche Informationsformate erreichbar. Das gemeinsame Gespräch über Wetten, dass…? am Vorabend oder die Tagesschau, das es früher gab, findet nicht mehr statt. Und es ist aktuell nicht absehbar, ob und über welche Formate es künftig solche gesamtgesellschaftlich akzeptierten „Lagerfeuer“-Diskussionen geben wird.“[2]

Um die Module zu koppeln ist es also notwendig, gemeinsame Ziele aus dem unterschiedlichen Welterleben und den Bedeutungsschwerpunkten heraus zu arbeiten, statt weiter Fragen zu diskutieren, ob denn eher der Einzelne oder die Gesellschaft, die Politik, ein Land oder nicht doch ein anderes oder am besten die ganze Welt gleichzeitig zuständig sind und den ersten Schritt tun sollten.

Es ist kein gutes Argument sich hinzustellen, die Arme zu verschränken und trotzig zu fragen, warum ausgerechnet man selbst anfangen sollte, wo einem doch spontan ein Dutzend anderer einfallen, die es erst mal machen sollten. Dirk Gratzel geht voran und er will andere mitnehmen und wendet sich auf der greenzero.me Website auch an Führungskräfte, die mehrere Hebel in der Hand haben.

Die im Buch dargestellten Resultate sind sehr erfreulich, er stößt nahezu überall auf offene Ohren und Türen, sein Anliegen wird immer mindestens ernst genommen und es kommt mit einigen Unternehmen zu ernsthaften Gesprächen, die zu Ergebnissen werden, die deutlich mehr als PR-Gag oder Greenwashing sind.

Der wichtigste Punkt: Bewusstsein

Überraschend waren für mich in den letzten Jahren zwei Punkte. Zum einen, dass nahezu alle, die sich mit Themen der Entwicklung auch in der äußeren Welt beschäftigt haben, zu dem Schluss gekommen sind, dass das Bewusstsein der zentrale Punkt ist, wenn es wirklich weiter gehen soll. Doch auf der anderen Seite gilt wohl gerade auch für das Bewusstsein und die Vorstellungen darüber, in besonderem Maße, dass darunter sehr viel Verschiedenes verstanden wird.

Darum ist es vielleicht genauso wichtig, eine Art Disclaimer zu schreiben:

Was Bewusstsein nicht heißt

Bewusstsein und seine Entwicklung oder Veränderung bedeutet nicht, so ein bisschen vor sich hin zu denken, ab und über die Welt und das Leben zu sinnieren, aber ansonsten alles so weiter laufen zu lassen, wie zuvor.

Bewusstseinsveränderungen sind mindestens bei denen, die darauf gekommen sind, dass dies ein wichtiger Punkt ist, die tiefgreifendsten Veränderungen, die überhaupt statt finden können. In der Psychotherapie kennt man zwei konträre Ansätze. Tiefenpsychologische oder psychodynamische Ansätze setzten darauf, dass eine Veränderung des Bewusstseins, also ein aufgedeckter und integrierter Schattenbereich, ein bearbeitetes Trauma, eine tiefe Einsicht in die eigene Beziehungsstruktur natürlich auch zu Verhaltensänderungen führt. Man überlässt es nur dem Einzelnen, wie diese genau aussehen. Es sollte klar sein, dass jemand, der sich aus einem Abhängigkeitsverhältnis heraus entwickelt, nicht fragen kann, was genau er denn jetzt anders machen soll.

Die andere Richtung, die Verhaltenstherapie, setzt, wie der Name sagt, direkt beim Verhalten des Menschen an, versucht dies zu ändern und geht davon aus, dass wenn man etwas anders macht als zuvor, sich auch die Einstellungen und das Bewusstsein mit der Zeit ändern werden.

Diejenigen, die auf einen Bewusstseinswandel setzten, sind explizit oder intuitiv näher bei der ersten Fraktion, gehen also davon aus, dass ein Bewusstseinswandel zwingend auch eine Verhaltensänderung nach sich zieht und sehen Bewusstsein daher als den wichtigsten Punkt an. Auch Dirk Gratzel, Matthias Finkbeiner, Nikolay Minkov und Christian Cub, das Greenzero Team setzen diesen Punkt auf der Website an die erste Stelle. Das Buch sollten Sie lesen, weil es gut, reflektierend, mit einem guten Schuss Ironie und in keiner Weise moralisierend geschrieben ist, dabei aber informativ und sehr inspirierend. Der vielleicht wichtigste Punkt für mich war, dass der Autor trotz allem Mensch geblieben ist und auch gar nicht erst versucht es anders darzustellen, neben der weiteren Kleinigkeit, dass das Thema eben fundamental wichtig für unser aller Zukunft ist.

Bewusstseinswandel oder -entwicklung heißt aber auch, dass man seine Zeit nicht mit alten Grabenkämpfen zu vergeuden braucht. Man muss andere nicht komplett auf seine Seite ziehen, wenn es um zwischenzeitliche gemeinsame Ziele geht. Damit kann man anfangen, auch wenn es in anderen Fragen keine gemeinsame ideologische Basis gibt. Dazu zählt auch, dass man sich nicht darüber streiten muss, ob man nun Bäume pflanzt oder sein Bewusstsein verändert, sondern sieht, dass beides für sich einen Wert hat, weil wir eigenständige denkende und handelnde Individuen brauchen (die, weil sie eigenständige Ideen einbringen, gerade deshalb oft sehr teamfähig sind) und Bäume, natürliche Gärten, Moor- und Sumpflandschaften. Wenn Sie es schaffen, das Thema Glück und Zufriedenheit mit einzuweben, um so besser, denn auch das hängt eng mit den genannten zusammen und wenn der Egoist fragt, warum er sich ändern sollte, ist eine Antwort, dass auch er glücklich bleiben oder werden will.

Ob wir neue Mythen und Großerzählungen finden, wird sich zeigen, aber die Kombination von Umwelt und Wohlstand scheint ein recht transnationales Anliegen zu sein oder zu werden. Das Ziel eine lebenswerte Zukunft zu kreieren nützt uns allen und wenn es auch über Umwelt und Wohlstand hinaus geht, so sind beide doch unverzichtbare Bausteine.

Quellen