Das Prinzip Narzissmus: Ursachen

zwei Büros von außen, schwarzweiß

Eine effektive Bürokratie fördert das sadistische Potential des Narzissmus. © Jim Penucci under cc

Neben dem klassischen Weg einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, deren Ursachen in der frühen Kindheit liegen, hier speziell wenn man chronischer Aggression und Spitzenaffekten ausgesetzt ist, oder in falscher Weise idealisiert und überbehütet wird, gibt es andere Pfade, auf denen man zum Prinzip Narzissmus gelangt. Da sind zuerst Massenregressionen zu nennen, in denen durch gesellschaftliche Stressoren regressive Bewegungen, hin zu Lösungsansätzen vergangener, einfacherer Entwicklungsstufen ins an sich differenziertere Spiel kommen.

„Zahlreiche Faktoren, ob einzeln oder in Verbindung miteinander wirksamen, können den Wechsel einer herrschenden gesellschaftlichen oder politischen Ideologie in Richtung eines paranoiden Fundamentalismus beschleunigen, insbesondere in einer Kultur in der es eine große Bereitschaft für Rassismus und kriegerische religiöse Auseinandersetzungen gibt. Zu diesen Faktoren gehören schwere gesellschaftliche Traumata, wie z.B. die Niederlage in einem Krieg oder der Verlust nationaler Territorien, wirtschaftliche Krisen, die Bedrohung durch feindliche Gruppierungen im Innern oder durch äußere Feinde, die Zugehörigkeit zu einer sozial benachteiligten oder unterdrückten Klasse. All diese Bedingungen können die Regression der Gruppe zu einem gewalttätigen Mob oder einer Massenbewegung machen.

Zusammenfassend können wir festhalten: Zu den vielen verschiedenen Faktoren, die die massive Regression einer Bevölkerungsgruppe auslösen können und gesellschaftlich sanktionierte Gewalt sowie den Zusammenbruch aller bislang gültigen Moralvorstellungen und zivilisierten menschlichen Umgangsformen nach sich ziehen, gehören

  • unverarbeitete soziale Traumata,
  • fundamentalistische Ideologien,
  • primitive, insbesondere maligne narzisstische Führung,
  • eine effiziente, rigide Bürokratie sowie
  • die durch eine Finanzkrise oder gesellschaftliche Revolution hervorgerufene Auflösung herkömmlicher gesellschaftlicher Strukturen und der damit verbundenen Aufgabensysteme.

Bracher (1982) hat dargelegt, dass staatliche Kontrolle der Wirtschaft, der Streitkräfte und insbesondere der Medien, die Machtübernahme durch eine totalitäre Führung zusätzlich fördert.“[1]

Regressionen können außerdem durch Massenmedien verstärkt werden. Entgegen dem was man meinen könnte, kann man auch dann einer Masse angehören, wenn man alleine zu Hause vorm Fernseher sitzt, wie auch in Massenpsychologie erläutert.

Das Prinzip Narzissmus: Verstärker und Wechselwirkungen

Eine andere und spannende Frage ist, inwieweit unser kapitalistisches Wirtschaftssystem ursächlich mit einer Entwicklung des Prinzips Narzissmus verbunden ist, da es größere Überschneidungen zwischen dem gibt was man einerseits als Narzissmus aber andererseits als Dekadenz bezeichnen kann. Zudem greifen die Ursachen hier ineinander.

„Horkheimer, Adorno und Lasch führen das Auftauchen des Narzissmus als dominanten Charakterzug und die Ausweitung Narzisstischer Persönlichkeitsstörungen als vorherrschende Psychopathologie auf den Zusammenbruch väterlicher Autorität und die Verwässerung mütterlicher Fürsorge im Zuge veränderter familiärer Strukturen und ökonomischer Produktionsprozesse zurück. Die Übernahme elterlicher Funktionen durch Medien, Schule und Sozialeinrichtungen haben zu einer Verwässerung elterlicher Autorität und zur Beeinträchtigung der Fähigkeit von Kindern geführt, starke psychische Identifizierungen mit ihren Eltern auszubilden. Autorität und Autonomie des Vaters werden mehr und mehr durch die Trivialisierung seiner Rolle im Produktionsprozess unterminiert, während Effektivität und Fürsorge der Mutter durch die zunehmende Professionalisierung von Kindererziehung und den Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung ihrer Rolle als Trägerin dieser Qualitäten (d.h. Liebe, Zärtlichkeit, Gegenseitigkeit) infrage gestellt werden – Qualitäten, die einer Reduzierung des Menschen auf ein bloßes Anhängsel von Produktionsprozessen entgegenstehen.“[2]

Väterliche Autorität und mütterliche Fürsorge werden delegiert an andere, von denen es heißt, dass sie die Eltern mindestens gleichwertig ersetzen können. Genau diese Konstellation machen Horkheimer, Adorno und Lasch aber für das Anwachsen narzisstischer Störungen verantwortlich oder wenigstens für das, was ich das Prinzip Narzissmus nenne. Dieses Aufweichen der Familie lässt professionelle Erzieherinnen und Massenmedien, Peergroup und dergleichen annähernd gleichberechtigt an die Stelle der Eltern treten, die dann natürlich mehr Zeit für ihre Arbeit haben.

Dort gilt es nun erfolgreich zu sein, seinen Mann zu stehen und inzwischen auch als Frau erfolgreich zu sein. „Nur“ Mutter zu sein, wirkt dann oft wie etwas für Frauen, die ein wenig altbacken oder gar für das Berufsleben ungeeignet sind, wie eine Art Makel. Die Erfolgsfrau vereint spielend beides. In einer Gegenbewegung versucht man dann das Muttersein offensiver zu leben, aber Kinder sind ein Karrierekiller und vor allem zum Kostenfaktor geworden und sich immer mehr über beruflichen Erfolg zu definieren ist inzwischen auch bei den Frauen angekommen. Die Gleichberechtigung aller Stimmen ist vielleicht etwas, das Erwachsene verarbeiten können, Kinder jedoch noch nicht. Was passieren kann, wenn die Dominanz einer Stimme, die uns um Ödipuskomplex begegnet einfach ausfällt, haben wie in Warum wir den Ödipuskomplex brauchen und Narzissmus in der Gesellschaft ausgeführt.

Der schwierige Schritt dabei ist, zu begreifen, dass wir eine bestimmte Struktur leben müssen, um sie dann später zu überwinden und hinter uns zu lassen. Der nachvollziehbare Gedanke ist, dass man sich den Schritt dann doch gleich schenken kann, doch entwicklungspsychologisch gesehen, kann man das nicht.

Anpassung und Gehorsam

Die umkämpfte Stufe ist dabei die von Gehorsam und Anpassung. Beides ist uns nicht sympathisch und löst Bedenken aus. Die Sorge ist, dass derjenige, der Gehorsam und Anpassung verinnerlicht, später ein stromlinienförmiger Opportunist, ohne Rückgrat und eigene Meinung wird und das sind Charakterzüge, die wir nicht schätzen.

Im Rahmen einer ödipalen Entwicklung lernt man allerdings, dass der Vater immer recht hat, egal ob er Recht hat und die Mutter ein guter, fürsorglicher Mensch ist, die mich immer lieben wird, egal, was ich tue. Im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklungen wurden diese Rollenbilder als verkürzte und fragwürdige Stereotypen betrachtet. Frauen haben bewiesen, dass sie „ihren Mann“ stehen können, Männer lernen fürsorglich zu sein und im Haushalt mitzuhelfen. Sie haben keineswegs immer Recht, schon gar nicht aus Prinzip, vieles wird heute partnerschaftlicher gehandhabt, da der Mann nicht mehr unbedingt der alleinige Versorger ist und oft auch nicht gebildeter.

Die eigentliche Frage ist, ob wir mit dieser neuen Entwicklung unterm Strich mehr gewinnen oder verlieren. Angestoßen wurde sie in der gesellschaftlichen Revolution, die in den späten 1960ern begann. Schritt um Schritt wurden hier mehr Freiräume für Frauen erkämpft, auch die sexuelle Freiheit war ein Thema und die Idee, dass Herkunft, Geschlecht und sexuelle Orientierung kein Kriterium mehr sein sollte, durch das Menschen benachteiligt würden. Ideen von Tradition, Werten, Gehorsam und Anpassung galten als antiquiert bis reaktionär. Freiheit war größtenteils die von Beschränkungen, man wollte den konventionellen Mief endlich hinter sich lassen und argwöhnte, dass gerade Gehorsam und Anpassung die Eltern dazu verleitet hätte, in Zeiten der Nazidiktatur blind und kritiklos mitzumarschieren.

Kaum jemand würde die 68er Revolution heute als schlecht oder falsch bezeichnen, sie wird alles in allem als segensreich angesehen und viele profitieren heute ganz selbstverständlich von ihren Errungenschaften, oft ohne zu wissen, dass andere dafür kämpften und dies noch nicht lange her ist. Auf der anderen Seite gingen Selbstverständlichkeiten nach und nach verloren. Alles konnte, musste aber auch neu ausgehandelt werden und irgendwann – für die einen früher und die anderen später, für manche gar nicht – wurde es zu viel: die Freiheit als Möglichkeit wurde zum Zwang endlich alle Fesseln abzulegen und wenn man sich gar nicht als sonderlich unfrei empfand, so kam oft jemand, der einem erklärte, dass läge nur daran, dass man bereits so unfrei und angepasst sei, dass man seine eigenen Bedürfnisse schon gar nicht mehr spürt.