
Die andere Seite des Narzissmus: eine Lust an der Anpassung an Konventionen und Klischees. © Pedro Ribeiro Simões under cc
Manchmal mag das so sein und man ist im Nachhinein froh, wenn einem jemand die Augen geöffnet hat, doch andere snd mit ihrem bieder wirkenden Leben wirklich zufrieden oder, eine weitere Variante, sind einfach nicht der Typ der ständig kämpft, bis ein Ziel erreicht ist. Die neue Freiheit ist dann eher anstrengend und verwirrend, die negative Pointe der Geschichte.
Wenn des Vaters Stimme keine dominante, sondern eine von vielen ist und die Erzieherinnen in Grunde alles können, was Mutter auch kann, ist die Sonderstellung der Eltern gebrochen. Das scheint der eigentliche Wirkmechanismus zu sein, den es zu verstehen gilt. Der Chor der Stimmen bedeutet eben auch eine Vielzahl der Ansichten, Meinungen, Wertvorstellungen, aber auch Alltagsraktiken. Das elterliche Monopol zu erweitern, ist gut, wenn man später mit dem Vater kämpft und seine Alldominanz infrage stellt. Der Ödipuskomplex soll ja überwunden werden, man muss dafür gegen die Eltern rebellieren, den Vater in sich und seine dominierenden Wertvorstellungen, töten.
Wenn dieser Kampf nun ausfällt, stellt sich die Frage, wie es mit der Ich-Stärke aussieht. Dieser Kampf stärkt das Ich, man muss sagen, was man will und gerne anders hätte. Hat das Kind hingegen keine privilegierten Werte und Orientierung mitbekommen, kann ein Resultat sein, dass man sich eben überall anpasst, weil immer und überall anderes richtig ist. Das führt ironischerweise dazu, dass man sich besonders gut anpassen kann und nun unbewusst lebt, was man bewusst nicht wollte. Sind die Kinder intelligent, dann passen sie sich nicht nur an, sondern können überdies lernen, andere Menschen gut zu verstehen, wenn man sich in ihre Situation versetzt und die Welt durch ihre Augen sieht. Eine Fähigkeit zur Empathie, die gut und wertvoll ist, allerdings fehlt manchmal die andere Seite, nämlich ein fester Standpunkt, der einen selbstsicher sagen lässt, wo die Grenzen sind, was geht und was nicht geht. Das hat man nie gelernt, wenn alles eine Meinung unter anderen war.
Dass dies keinesfalls graue Theorie ist, zeigten psychologische Untersuchungen an abwesenden Vätern der Nachkriegsgeneration. Entweder waren sie in Kriegsgefangenschaft, die auch noch in die Zeit nach dem Kriegsende hineinreichen konnte, starben im Krieg oder waren so traumatisiert, dass sie ihre Rolle in der Familie nicht mehr spielen konnten. Der Kampf mit dem Vater fiel also aus, doch das Resultat war nicht, dass ein lastender Druck von den Kindern genommen wurde und diese sich nun frei und kreativ entfalten konnten, sondern der Effekt war das, was man in den 1980ern als das „Zeitalter des Narzissmus“ diagnostizierte.
Wenn Werte zu stark relativiert werden, passt man sich dem an, was gesellschaftlich dominiert, das ist Geld, soziales Ansehen und Anerkennung in irgendeiner Form. Die sozialpsychologische Dynamik dahinter ist, dass Eltern, die selbst schon nicht mehr gegen ihre Eltern kämpfen mussten, dieses Muster auch nicht an ihre Kinder weiter geben. Die Familie wird immer mehr zum Team, Mutter wird später zur besten Freundin, Vater zum Ratgeber in anderen Lebensbereichen. Wir gehen später auf einzelne Ausprägungen ein. Ist nun unsere kapitalistische Wirtschaftsform verursachend für den Wegfall des Ödipuskomplexes, sind es die Veränderungen im Zuge der 68er Revolution, oder ist es gar der Wegfall des Ödipuskomplexes, der eine Anlehnung an den Kapitalismus und das Geld als letzten Wert überhaupt erst ermöglicht? (Den psychologischen Mechanismus dieser narzisstischen Anpassung stellen wir im zweiten Teil genauer vor.)
Das Internet und soziale Medien
Die sozialen Medien bedienen das Prinzip Narzissmus ebenfalls, durch drei Effekte:
Die optimale Plattform für die Selbstdarstellung
Wer früher merkwürdige oder wirre Ideen hatte bekam das von seiner Umwelt gespiegelt, wurde oft einfach ignoriert und seine Wirkung war regional begrenzt. Heute bastelt man sich seine Website, seinen Blog oder hat diverse Social Media Accounts und hat eine viel größere Reichweite. Damit das gelingt, muss man auffallen und im Internet heißt das in aller Regel immer zugespitzter und krasser zu werden. Nicht die Qualität interessiert, sondern möglichst viele Follower oder Freude zu haben, Aufmerksamkeit ist die digitale Währung und die bekommt man nur, wenn man was zu bieten hat. Als Mann muss man tendenziell extreme Aktionen starten oder Ansichten haben, Hauptsache man setzt sich ab, die Konkurrenz schläft auch hier nicht. Frauen bekommen Aufmerksamkeit, wenn sie entweder eine sehr normale Projektionsfläche sind, oder hübsch und sexy und dies auch zeigen, vorwiegend durch Nacktheit bis zur Pornographie, ein Trend, der auch bei Männern zunimmt. Die Regression kommt hier durch eine Trivialisierung von Beziehungen zustande, Masse statt Klasse und einem für den Narzissmus typischen Hang zum Exhibitionismus.
Wie bei allem hat diese Entwicklung Licht und Schatten, man findet tatsächlich für nahezu alle Themen Partner in der digitalen Welt, nur ist eben das Interesse an Primitiverem stets größer als an Anspruchsvollem.
Die Echokammer des Gewohnten
Der Idee der Echokammer ist unlängst revidiert worden, da die Personalisierung, bei den großen Suchmaschinen wohl nicht so groß ist, wie angenommen. Zudem wird gesagt, die Meinung des anderen sei nur einen Mausklick weit weg. Doch man kann das Konstrukt der Echokammer weiter fassen, dann gehört nicht nur Genehmes im Sinne der Bestätigung eigenen Meinung dazu, sondern auch der gelegentliche Ausflug ins Lager des „Feindes“ um sich zu bestätigen, dass die Welt wirklich so ist, wie man denkt. Die eigenen Feindbilder machen einen wichtigen Teil eigenen Weltsicht aus. Die Welt erscheint dort wirklich so schlecht, wie befürchtet, deshalb bleibt man bei dem was man hat. Diese Verfestigung eines simplen Freund/Feind-Schemas ist ein typisch narzisstisches Element.
Die digitale Nabelschnur
Eine andere Funktion des Internet ist die, dass da dauernd jemand ist, man hat immer Ablenkung und Kontakt. Dieser Kontakt beruhigt, kann allerdings auch tiefere Empfindungen und Reflexionen verhindern, weil eben irgendwo immer was los ist und alle paar Minuten eine neue Nachricht kommt, die im Grunde nicht wichtig ist, sondern einfach nur zeigt, dass da jemand ist. Zugleich wird aber auch trainiert, dass noch die banalsten Dinge des Alltags von potentiell weltweitem Interesse sind und es Wert sind mitgeteilt zu werden. Was man gerade isst, wo man sich gerade mit wem befindet. Die permanenten Unterbrechungen des Alltags sind ebenfalls problematisch, weil sie unsere Aufmerksamkeit fragmentieren.
Das Prinzip Narzissmus und seine tiefenpsychologischen Zusammenhänge
Das Prinzip Narzissmus ist eine Abwehr gegen die Idee, dass es tiefe Beziehungen gibt, die auf Augenhöhe funktionieren und bei denen man sich wechselseitig wertschätzt.
Es ist ein unbewusstes Prinzip, das heißt, jemand in dem dieses Prinzip Narzissmus aktiv ist, weiß nicht, dass er da etwas abwehrt und auch nicht was. Die bewusst erlebbare Seite und damit die tiefe Überzeugung ist, dass Beziehungen immer asymmetrisch sind, eine Machtkonstellation sind und einer der beiden dominiert und der andere folgt.
Viele wissen aus eigenem Erleben, dass es aufrichtige und wertschätzende Beziehungen gibt, aber Narzissten denken, dass dies ein Trick und selbst ein Machtspiel sei, von Menschen, die raffiniert genug sind, um die Gefühle anderer zu manipulieren und ihnen gleichzeitig das Gefühl zu geben, sie würden genau das nicht tun und authentisch sein. Diejenigen, die glauben, dass man sich wechselseitig ernst nimmt und wertschätzt, sind nach Ansicht der Narzissten entweder naiv oder haben nicht den Mut sich oder anderen einzugestehen, wie es in Wirklichkeit ist. Der Narzisst selbst glaubt, er sei einer der wenigen, der frei von Illusionen ist. Dementsprechend werden alle Versuche einem Narzissten klar zu machen, dass es Wertschätzung und Symmetrie in Beziehungen tatsächlich gibt, von ihm sabotiert, weil er aufgrund seiner Überzeugung (die besagt, dass das nicht sein kann) glauben muss, man wolle ihn hinters Licht führen oder manipulieren. Er reagiert darauf wütend oder mit kühler Entwertung und spöttischer Herablassung und hält andere auf Distanz.
Die unbewusste Abwehr erklärt auch die beiden, dem Narzissmus zugeschriebenen scheinbar konträren Verhaltensweisen, die zum einen darin bestehen, selbst großartig und mächtig zu sein und auf die Welt hinabzublicken und auf der anderen Seite sich opportunistisch seichten Konventionen zu unterwerfen. Das wird dadurch ermöglicht, in dem man einen tatsächlich mächtigen anderen idealisiert und ihm dadurch die Gefährlichkeit nimmt, weil man ja nun, durch die anpassende Idealisierung, genau das will, was der mächtige andere will. Die andere Variante ist, dass der mächtige andere genau die gleichen Ziele zu haben scheint, die man selbst hat. Oder man passt sich bewusst nur „zum Schein“ an, wobei man natürlich „weiß“, dass das ganze Szenario nur eine Spielerei ist oder verweigert sogleich jede Gefolgschaft, weil man meint die wahren Mächtigen säßen an anderer Stelle, und manchmal phantasiert, man sei einer von ihnen.