Höhepunkte der Aggression
Innerhalb des Spektrums von Aggression gibt es eine breite Mitte und extreme Ränder, zwischen Aggression und Menschenlichkeit: diejenigen, die sehr aggressiv und diejenigen, die sehr friedlich und menschlich sind. Die extrem Aggressiven haben eine psychische Gemeinsamkeit, die Unfähigkeit nichtausbedeutende Beziehungen einzugehen. Hohe Aggression hat dabei vermutlich mehr als eine Wurzel und was wir uns anschauen müssen ist zum einen die horizontale Sicht: die Stufen der persönlichen Entwicklung, vor allem bezogen auf die Fähigkeit Beziehungen einzugehen und zum anderen, die vertikale Sicht: das Temperament, das genetisch fixiert ist.
Wir sehen, dass die Fähigkeit zur Kooperation, zu Beziehungen und Bindungen hier eng mit Aggression und ihrer Regulation zu tun hat. Bindungen und Beziehungen können verschiedene Grade an Intensität, Komplexität oder Tiefe einnehmen. Die äußerste Form der Aggression auf der vertikalen Ebene hierarchischer Entwicklung finden wir bei der antisozialen Persönlichkeitststörung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass es keine Fähigkeit zu einer irgendwie gearteten nichtausbeutenden Beziehung gibt. Das heißt, man geht Beziehungen nur ein, wenn und weil man einen Gewinn davon hat. Fällt der erhoffte Gewinn weg, lässt man den anderen ohne Skrupel fallen. Die Formel ist einfach: Bringt mir eine Beziehung etwas, lohnt sich eine Investition – jetzt oder etwas später – und ist sie mit keinerlei oder nur geringen Anstrengungen verbunden, dann gehe ich sie ein; bringt mit eine Beziehung jetzt oder in Zukunft nichts, oder sind die Kosten zu hoch, gehe ich sie nicht ein.
Ein Stück weit funktioniert jede Beziehung auch so, aber nicht nur so. Schon in der evolutionären Frühphase der Kooperation, half man demjenigen, der jetzt gerade nicht kann, weil er vielleicht verletzt ist, über die Durststrecke hinweg, teilte mit ihm und sorgte sich um ihn, wenn vielleicht noch vorrangig, weil er im gesunden Zustand ein guter Jäger oder starker Kämpfer ist. Doch die Sorge um den anderen ist eben auch schon dabei. Das ist der Keim, der sich in immer feineren und faireren Ausbuchstabierungen dessen, was sozialer Nutzen ist, zu einem soliden Stamm verfestigt, aus dem menschlichen Regungen von Bereuen, Verzeihen und dem Wunsch nach Wiedergutmachung zu Ästen in voller Blüte sprießen. Die schönsten Blüten im Verhältnis von Aggression und Menschlichkeit sind vielleicht die selbstlosen Opfer, die Menschen für einander bringen, von der ehrenamtlichen Hilfe, bis zum Leben Heiliger.
Aggression in aktiver und passiver Form
Ein hoher Grad an Aggression ist jedoch längst nicht immer primitiv. Hohe Aggression, das ist nicht zwingend bei einem muskelbepackten, schwer behaarten Kerl zu finden, der eine Keule trägt und Grunzlaute ausstößt.
Emotionale Erpressung, Lügen, Stehlen, Betrügen und Intrigieren, alle in chronischer Form, sind die stillen Formen der antisozialen Persönlichkeit, die in radialer Weise nur ihren Vorteil im Sinn hat, von keinerlei Schuldgefühl oder Gewissen gebremst.
Eine Spur der sozialen Verwüstung zieht sich durch das Leben dieser Menschen, die oft zu verblüffend gerissenen Spielarten neigen. Menschen, die lügen, verraten sich oft, weil sie doch noch irgendwo wissen, dass sie lügen und dies an sich nicht okay ist. Sie schauen weg, erröten vielleicht, starren einem, um das zu kompensieren besonders tief in die Augen, oft merkt man es. Bei Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung ist das anders. Für sie ist das Lügen Alltag und nichts, worüber sie sich auch nur insgeheim sorgen. Sie schauen nur, ob die Lüge ihnen eine Vorteil bringt und das ist alles, was sie interessiert und so erzählen sie jedem das, von dem sie glauben, dass der andere es hören will, um den nützlichen Anderen auszubeuten und sich Vorteile zu verschaffen.
Doch nicht allein das eigene Wohlergehen ist der Antrieb antisozialer Persönlichkeiten, durchaus auch die Lust andere zu zerstören. Das kann auch still geschehen, indem man andere gezielt durch Lügen, gerichtliche Klagen und dergleichen schädigt oder ihnen zeigt, wie machtlos, unnütz und ohnmächtig sie sind. Ob die Aggression eher aktiv oder passiv gelebt wird, ist eine Frage des Temperaments.
Die aktive Form der antisozialen Persönlichkeitsstörung ist eine der erschreckendsten Vorkommnisse im Bereich der Aggression einzelner Menschen. Hier finden wir Serienmörder und -vergewaltiger, teilweise mit bestialischen Taten, einer Lust an der Grausamkeit und der Herrschaft über das Leben und den Tod anderer Menschen. Terror, Amok, Selbstmordattentate und erweiterter Suizid können vorkommen, doch vermutlich haben die meisten dieser Täter eine etwas höhere Persönlichkeitsstruktur, die dem Syndrom des malignen Narzissmus entspricht und die vielleicht gefährlichste Krankheit der Welt darstellt.