Gesellschaftliche Formen der Höhepunkte der Aggression
Kriminelle Banden und Organisationen, Terrororganisationen und bezahlte Söldnertruppen sind vermutlich der bevorzugte Lebensraum von Menschen mit der aktiven, extravertierten Variante antisozialer Persönlichkeit, malignen Narzissten oder Narzissten, mit antisozialen Zügen.
Die antisoziale Persönlichkeit ist dabei vermutlich auch für kriminelle und terroristische Organisationen ein Problem, da sie sich nirgends und keinem höheren Ziel, außer der privaten Lust unterordnen. Auf der einen Seite sind sie zwar angstfrei, tollkühn und brandgefährlich, auf der anderen erstreckt sich ihre Gefährlichkeit aber nicht nur auf den Feind da draußen, sondern macht auch vor den oft straffen Hierarchien im Innern nicht halt. Völlig skrupellos würden sie bei passender Gelegenheit auch den eigenen Chef ermorden, statt im Ehre und Respekt zu erweisen, die oft ohnehin nur vorgeschoben und Legende sind.
So wäre Krieg als Lebensmodell schon eher denkbar, doch auch in bezahlten Söldnertruppen kommt es auf Kooperationsfähigkeit an. Diese Form der unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaft hat jedoch auf einige Menschen auch ihren Reiz. Hitler war im ersten Weltkrieg Soldat mit Auszeichnung und fand den Gedanken, dass es um alles oder nichts geht offenbar verlockend. Mehr Nähe zu anderen, also komplexere Beziehungen, waren seine Sache offenbar nicht.
Gulags und Konzentrationslager sind die großen Höhepunkte der Aggression im 20. Jahrhundert. Es steht zu vermuten, dass der Geist, der in der Lage wahr die großen Grauen diese Zeit zu vollbringen nicht neu war, allerdings kam ein neues Element hinzu, dass der systematischen und geradezu industriellen Dehumanisierung.
Aggression ist gar nicht leicht auszudrücken. Mit dem Gefühl der Empörung oder Kränkung, Wut oder Hass, dem Zorn oder der Rache wird es leichter. Man hat dabei stets das Gefühl im Recht zu sein und macht den anderen dadurch etwas kleiner. Ich habe das Recht dazu, der andere nicht. Die Symmetrie ist gebrochen. Im andauernden Hass wird der andere entwertet, oft zu etwas, was nicht mehr Mensch ist: Ein Schwein, eine Ratte, ein Monster, ein dummes Arschloch, Un- oder Untermensch, jedenfalls keiner von uns.
Der nächste Schritt ist die komplette Dehumanisierung des anderen, der nur noch zu einem Es zu einem Gegenstand wird, wie wir in Das innere Erleben – Die Ursachen der gefährlichsten Krankheiten für den Einzeltäter darstellten. Hier geht es nicht einmal mehr und blindes Wüten aufwallender Gefühle.
In den sowjetischen und deutschen Konzentrationslagern ist der Mensch dann auf ein logistisches Problem zusammengeschrumpft, das man lösen musste. Weiter kann man einen Menschen, der vielleicht mal Nachbar war, nicht auf Distanz halten. Dass es um Menschen ging, mit Gefühlen und Gesichtern, die vermisst wurden und die einfach leben wollten, geriet längst nicht mehr ins Bewusstsein. Und das darf es wohl auch nicht, wenn man so ein Arbeits- und Vernichtungslager aufrecht erhalten will, sei es als Planer, Leiter oder Aufseher. Man will nicht erinnert werden, dass der andere ein Mensch ist, das muss man abspalten. Die Spaltung von Gefühl und Kognition ist dafür wohl eine Voraussetzung, überraschend ist, dass der Grad an Pathologie nicht einmal sehr gravierend sein musste um in Konzentrationslagern arbeiten zu können.
Ausgeprägte Massenregressionen
Der Dynamik der Aggressionen, wie sie bei Massenregressionen auftreten, kann man sich kaum entziehen. Massenregressionen sind oft ein Wechselspiel von einer Masse, die sich dadurch auszeichnet, dass sie unorganisiert ist und einem gestörten Anführer der in einem verschieden starken Maße narzisstisch ist, von gesund bis schwer gestört. Experimente mit Gruppen haben wiederholt gezeigt, dass, selbst die zivilisiertesten Menschen, lässt man sie allein und ohne Aufgabe und Ziel, in kürzester Zeit schaurig regredieren. Das bedeutet, es kommt eine Klima von Angst und paranoidem Misstrauen auf, das immer latent anwesend sind, wo sich viele Menschen vereinen.
Die Aufgaben eines guten Anführers ist es, Ziele zu setzen und das Klima von Misstrauen und Angst zu minimieren:
„Der Konsens-Führer besitzt unter optimalen Bedingungen einen gesunden Narzissmus, der es ihm ermöglicht mit der Gruppe zu arbeiten, Feedback auszulösen und zu tolerieren, narzisstische Gratifikationen im gemeinsamen Entscheidungsprozess zu finden und aus seiner Gruppe ein funktionales Aufgabensystem zu machen.“[2]
Doch dann gibt es eine Regression erster Stufe:
„Ein Konsens-Führer kann sich jedoch in einen narzisstischen Führer des Typs „guter Junge“ verwandeln, der Konflikte und schmerzvolle Entscheidungen zu vermeiden sucht, dessen Führungsfunktion in allzu hohem Maße politisiert und opportunistisch wird und der schließlich das System korrumpiert.“[3]
Aus Angst vor Entscheidungen, aus Angst unbeliebt zu werden. Dieser Typ des Narzissten wird gerne von allem gemocht. Doch die Regression der Masse kann weiter fortschreiten, wenn das Ich des Führers schwerer gestört ist und der Narzissmus mit Aggressionen und Paranoia durchsetzt ist.
„In ähnlicher Weise kann die Selbstbehauptung dem charismatischen Führer in der Ausübung seiner Führerfunktion Stabilität verleihen. Auf der negativen Seite jedoch ist zu verbuchen, dass sie zu einer exzessiven Idealisierung durch seine Mitarbeiter führen kann, die sich ihm unterwerfen, Angst vor ihren eigenen Rebellionswünschen haben und diese Ansgt paranoid auf ihn projizieren. So kann die Selbstbehauptung die paranoide Dimension der Führung verstärken und eine autoritäre Regression in der Organisation herbeiführen. Was tatsächlich zählt, ist die grundlegende Beschaffenheit des narzissteischen und paranoiden Gleichgewichts. Spezifische Führungsstile schützen die Organisation nicht zwangsläufig vor Regression.“[4]
Es handelt sich bei dem regressiven Tanz um ein Wechselspiel zwischen Führung und Masse. Der Grad der Pathologie des Führers ist der eine Part, wen die Masse oder Gesellschaft zum Anführer wählt, die andere Seite. Wie erwähnt, die Regression der Gruppe oder Masse hat nichts mit dem Grad ihrer Bildung oder sonstigen moralischen Integrität zu tun. In angespannten Situationen wählt die Masse einen mittelmäßigen, narzisstischen Führer, der das Klima der Angst mit Plattitüden und Klischees besänftigt. Ist das Klima der Gesellschaft jedoch insgesamt gespannter, aufgrund sozialer Spannungen, Wirtschaftskrisen, verlorener Kriege, anderer kollektiver Demütigungen oder sonstiger Verwerfungen wird der charismatische Führer aus dem letzten Zitat gewählt. Dieser greift die Stimmung der Gruppe oder Masse auf, klinkt sich in sie ein – technisch gesehen verschmelzen die Über-Iche – und das ist ein oft nicht erkannter Punkt.
Man versucht Hitler gerne einerseits zu dämonisieren, so als habe er im Alleingang die Welt überfallen oder ihn lächerlich zu machen, ein grölender Fatzke, mit kurioser Sprechweise und Gestikulation, der längst keinen mehr hinterm Ofen hervorlockt. Beides ist zu einfach. Hilter war gewiss ein Intellektueller, selbst mit dem Bürgertum hat er eher gefremdelt. Aber er konnte reden, sich in Rage reden, so dass er 2 bis 3 Kilo Gewicht verlor und die gedemütigte Bevölkerung so packen: Versailler Verträge, Rüstungsverbot, Weltwirtschaftskrise, verlorener erste Weltkrieg, da kam schon einiges zusammen. Was Hitler machte, war kein Trick. Er selbst wusste genau, was Demütigung ist. Vom brutalen Vater immer wieder verprügelt und einmal fast tot geschlagen, vergötterte er die Mutter. Eine hochinteressante Dokumentation: hier. Er wusste was Spaltung, Demütigung und Verherrlichung, Paranoia und Größenwahn sind, beides war tief in ihm angelegt. Beides ergänzte sich in jener Zeit, der Rest ist bekannt.
Saubere oder chirurgische Kriege?
Heute sei das alles anders, so heißt es. Wir haben unsere Lektion gelernt. Großtötungen im Stile blinder Terrorbombardierungen, wie sie im zweiten Weltkrieg üblich waren, weichen zunehmend dem smarten Krieg. Sauber bis chirurgisch soll er sein, suggeriert wird, dass die Zivilbevölkerung nicht leidet. Man trifft seine Ziele heute viel präzisier, doch da der Gegner menschliche Schutzschilde verwendet sind zivile Opfer leider nicht immer zu vermeiden. Kollateralschäden, heißen diese dann, eine Art des technisierenden Umgangs, der schon fast wieder an die entmenschlichende Denkweise der logistischen Probleme erinnert. Vielleicht ist es nicht so gemeint, doch die Weltgemeinschaft rutscht schleichend wieder in eine Situation in der sie Zeuge wird, wie mit Bomben ganze Städte dem Erdboden gleich gemacht werden hier Aleppo, dort Mossul. Sauber ist daran nichts mehr.
Wie wir mit Aggressionen umgehen können, um eine Gleichgewicht zwischen Aggression und Menschlichkeit herzustellen, dazu mehr in der nächste Folge der Reihe.
Quellen:
- [1] Ian Morris, Krieg: Wozu er gut ist, Campus 2013, S. 357
- [2] Otto F. Kernberg, Ideologie Konflikt und Führung, Klett-Cotta 2000, S. 137
- [3] Otto F. Kernberg, Ideologie Konflikt und Führung, Klett-Cotta 2000, S. 137
- [4] Otto F. Kernberg, Ideologie Konflikt und Führung, Klett-Cotta 2000, S. 137