Wie echt ist das alles?

Reisen nach Innen können zum Teil objektiviert werden, hier mit einem Hautwiderstandsmessgerät © Carsten Börger
Die Frage, ob etwas wirksam ist, steht auf dem einen Blatt, aber philosophisch ist daraus noch nicht abzuleiten, dass das, was wirkt, auch wahr ist. Das einfachste Beispiel liegt darin, dass man einen Menschen auch durch Lügen stark beeinflussen kann. So ist die erste Frage die, nach der Wahrheit, danach, wie echt das denn alles ist.
Wir alle sind auf eine bestimmte Art kulturell geprägt und vermutlich ist es recht normal die eigene Prägung nicht als solche zu betrachten und damit weniger als Möglichkeit, sondern als Wahrheit, die eben so ist. Etwas eher als Wahrheit, denn als Möglichkeit zu sehen, ist psychologisch sinnvoll, weil es eine größere Sicherheit und Stabilität bedeutet – irgendwelche Erklärungen und seien sie noch so simpel, sind besser als keine Erklärungen – und so gibt es einiges, von dem eine durchaus gebildete Mehrheit überzeugt ist. Nur, ist das, was psychologisch sinnvoll ist, nicht zwingend wahr.
Diese gebildete Schicht findet sich im Allgemeinen im Weltbild des Naturalismus wieder. Der Naturalismus ist in aller Regel ein reduzierender Ansatz, der auf einen Physikalismus zurück geht. Die physikalistische Postion besagt, dass letztlich alles auf physikalische Prozesse zurückzuführen ist. Es gibt hier allerlei Feinheiten, denen wir uns an dieser Stelle nicht widmen können.
Zu dieser Position gibt es neuerdings eine Gegenposition, die sich Neuer Realismus nennt und die besagt, dass man einfach nicht sagen könne, dass alles letztlich physikalisch sei, etwa, wenn man von logischen oder mathematischen Größen ausgeht, aber auch Normen und Werten wird abgesprochen in letzter Konsequenz auf Physik zurückführbar zu sein. Der Neue Realismus in der Version des jungen deutschen Philosophieprofessors Markus Gabriel will ontologisch sein (sagen, wie es ist) aber nicht metaphysisch. Gabriel meint damit, dass es nicht eine große metaphysische Erzählung gibt, die alle Bereiche des Weltgeschehens umfasst, weder logische, noch physikalische oder sonstige Erklärungen. Statt dessen vertritt er einen ontologischen (wie es ist) und erkenntnistheoretischen (wie es zu erklären ist) Pluralismus. Es gibt, laut Gabriel, nicht die Welt als ein Ganzes und nicht als physikalisches Ganzes der Naturwissenschaften und sagt: „Will man die Frage nach „Existenz“ vorurteilsfrei oder neutral angehen, ist es deshalb ratsam nicht schon von Vorannahmen darüber auszugehen, was man für wirklich hält.“[3] So sieht er, was wiederum für uns interessant ist, es als sein „zentrales Anliegen“ an, „Weltbilder prinzipiell aus den Angeln zu heben“.[4] Damit meint er solche, die vorgeben, die Welt als ein Ganzes zu beschreiben.
Der Neue Realismus und die Weltbild-Methode
Nun habe ich meine Methode zur Hilfe bei chronischen Schmerzen zwar Weltbild-Methode genannt, meine im Kern aber etwas sehr ähnliches wie Markus Gabriel, nämlich, dass sich die Wirksamkeit von Überzeugungen und damit auch von Placeboeffekt und Noceboeffekt, von psychosomatischen Zusammenhängen und natürlich außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen und deren Einordnung, stark nach dem zugrunde liegenden Weltbild richtet, das seinerseits auch mit der psychischen Entwicklung korreliert. Kurz gesagt: Überzeugt zu sein ist immer eine gravierender Faktor (zum Guten oder Schlechten), aber nicht jeder ist von demselben überzeugt, ein Pluralismus der Weltbilder auch hier.
Die Paradoxie der Wirksamkeit
Gerade wenn es um den Aspekt der Wirksamkeit geht finden wir nämlich eine eigenartige und bislang kaum erklärte Paradoxie. Wir wissen, dass Tabletten wirken und versuchen das pharmakologische Wirkprinzip zu erklären, etwa, dass dieser Rezeptor blockiert oder jene Substanz freigesetzt wird. Wir wissen aber auch, dass es bedeutsame nichtpharmakologische Effekte gibt, Placeboeffekte und psychologische Effekte, die auf Deutungen beruhen.
„Allgemein weisen Ergebnisse aus experimentellen Schmerzuntersuchungen und Studien zu Parkinson darauf hin, dass Prozesse wie Schmerz und motorische Kontrolle hauptsächlich durch die Erwartungen des Patienten verändert werden. Im Gegensatz dazu scheinen biochemische Prozesse, wie zum Beispiel die Freisetzung von Hormonen oder Immunfunktionen, vor allem durch Konditionierung beeinflusst zu sein. Außerdem konnte für andere autonome Funktionen, zum Beispiel im gastrointestinalen System, gezeigt werden, dass diese sowohl von Konditionierung als auch von Erwartung moduliert werden.
Trotz intensiver Forschung stehen noch einige Fragen zum Beitrag der beiden Effekte offen und es bedarf noch weiterer, vertiefender Forschung zu diesem Thema.“[6]
Aber was ist die Natur, vor allem von Erwartungen? Warum erwartet A das, was B nicht erwartet und was sind Erwartungen physikalisch oder neurobiologisch? Neurobiologisch hat man ähnliche biochemische Abläufe bei Erwartungen der Wirksamkeit von Placebo-Medikamenten gefunden wie bei „echten“ Medikamenten.[7]
Die entscheidende philosophische Frage zur Echtheit oder Wahrheit all dieser Effekte ist im Grunde die, ob man ihre Wirksamkeit im Rahmen eines naturalistischen Ansatzes erklären kann. Und erklären heißt mehr, als eine Ähnlichkeit neurologischer Zustände festzustellen, denn eine solche Erklärung wäre zirkulär. A ist überzeugt, weil die Hirnregionen, die bei Überzeugungen aktiv sind, bei ihm aktiv sind. Das ist eine Korrelation, erklärt aber nichts. Ist das was da fehlt aus der Welt der Biochemie oder Physik heraus zu erklären? Markus Gabriel zweifelt daran, denn um bestimmte Hinweise anzuerkennen, zum Beispiel, dass neuronale Aktivitäten eine Erklärung sein könnten, ist die Akzeptanz bestimmter Prämissen nötig, die man nicht akzeptieren muss.
Es sind die außergewöhnliche Bewusstseinszustände, die immer wieder Fragen aufwerfen. Manche können wir in Ansätzen erklären, manche mögen Zufälle sein (falls es echte Zufälle gibt), manche sind momentan, im Rahmen naturalistischer Modelle, unerklärlich. Doch so außergewöhnlich sie sein mögen, sie treten eben immer wieder auf, bei vielen Menschen mehrfach und sie werden immer besser dokumentiert.
Wenn per definitionem wirkungslose Substanzen wirken, wenn man im Rahmen außergewöhnlicher Bewusstseinszustände auch auf die Resultate der Erlebnisse schaut, dann wurde der Ruf nach einem anderen Erklärungsansatz zwar schon früher laut, aber heute kommt er zusätzlich aus anderen Ecken, aus der Psychologie und aus der Philosophie selbst.
Eine andere Frage betrifft die ethische Seite und die schwierige Frage, ob wir all das tun dürfen, was eventuell hilft, auch dann, wenn es nicht dem entspricht, was man für wahr halten würde. Eine ethische durchaus brisante Frage, die aber eng mit der Frage zusammenhängt, was wahr ist und in diesem Feld ist aktuell Bewegung, in der Weise, dass einige meinen, es gäbe Bereiche je eigener Wahrheiten für die Anhänger bestimmter Einstellungen und Weltbilder.