Couch mit orientalischen Teppichen

Hier begann alles: Freuds Couch © Robert Huffstutter under cc

Es gibt zwei grundsätzliche Arten von psychotherapeutischen Ansätzen, strukturierende auf der einen und aufdeckende, psychologische Deutungen benutzende, auf der anderen Seite.

Strukturierende Ansätze geben tendenziell Hinweise und Tipps für ein besseres Leben, sagen dem Patienten, der sich momentan in einer Phase befindet, in der er selbst keine Lösung findet, wie er es besser machen könnte.

Psychologische Deutungen setzen an anderer Stelle an. Im Grunde sind Deutungen eine alternative Geschichte, aber das muss etwas ausgeführt werden.

Der private Mythos

Wir alle gehen mit einem privaten Mythos durchs Leben, was nichts anderes heißt, als dass wir unserer Lebensgeschichte einen roten Faden verleihen, eine gewisse Konsistenz der Darstellung, die in der Regel etwas geschönt ist, aber das ist nicht weiter schlimm.

Solange der private Mythos die meisten Ereignisse des eigenen Lebens hinreichend gut erklärt, ist im Grunde alles in Ordnung: Der Mensch wird Probleme mit dem Leben haben, weil diese zum Leben gehören, aber keine größeren psychologischen Probleme.

Ist der Mythos allerdings zu grell gezeichnet, werden gravierende Teile des realen Lebens von ihm nicht mehr erklärt. Bestimmte Anteile fallen in der Darstellung der eigenen Lebensgeschichte unter den Tisch, oft solche, die mit kollektiv verdrängten oder familiär nicht erwünschten Bereichen im Clinch liegen. Kandidaten sind sexuelle Erregung, Wildheit, Unsauberkeit, Faulheit, Aggression, Unordnung, Trauer.

All diese Verhaltensweisen und Wünsche sind zutiefst menschlich, wenn sie in einem Leben scheinbar gar nicht vorkommen darf man – neben anderen Hinweisen – den Verdacht haben, dass sie verdrängt sind. Psychologische Deutungen bergen diese verdrängten Anteile.

Psychologische Deutungen als alternative Geschichten

Der Klient kommt sozusagen mit zwei Bausteinen zur Therapie: sein privater Mythos und seine Symptome. Beides passt oft nicht zusammen. Deutende Ansätze bieten nun alternative Erklärungen an, indem sie versuchen, die Botschaft der Symptome in eine neue, größere Geschichte einzuflechten.

Diese Geschichte wird weniger großartig und vielleicht ein bisschen schmutziger sein, aber sie hilft dem Klienten sich selbst besser zu verstehen, seine Selbstsicht und seine unbewussten Bereiche in einen größeren Zusammenhang zu integrieren. Mehr sind psychologische Deutungen eigentlich nicht, aber dieser Schritt ist schwer genug und er führt uns unmittelbar zur nächsten Frage, woher man denn die Gewissheit nehmen kann, dass diese Deutungen auch stimmen.

Wahrheit und psychologische Deutungen

Wahrheit ist ein heikler Begriff, von dem bis heute noch nicht geklärt ist, was er bedeutet, doch das hat die Philosophie zu klären. Die Wahrheit in der aufdeckenden Psychotherapie ist einfach die Abwesenheit von Widersprüchen in der eigenen Geschichte. Dahinter steht die Idee, dass Symptome nicht einfach nur ein dummer Zufall sind, sondern eine Bedeutung haben und uns damit auch etwas zu sagen haben. Man muss nur ihre Sprache entschlüsseln.

Hierbei geht es um die Gesamtheit der Symptome, nicht um den einen kleinen Versprecher. Es geht um Träume, Hemmungen, Fehlleistungen aller Art, Krankheitssymptome, die in bestimmten Situationen auftreten und eigene Phantasien. All das weist den Weg zum Unbewussten und so wie wir unsere bewusste Lebensgeschichte entlang eines roten Fadens erzählen, so erzählt uns unser Unbewusstes auch eine parallele Geschichte, aus dem Schattenreich der Psyche, bei der ebenfalls ein roter Faden immer mehr durchschimmert.

Liegen beide Geschichten vor, hat man die Möglichkeit sie zu einer großen und nun widerspruchsfreieren Erzählung zu vereinen. Der Klient hat nun seine Wahrheit ein Stück weit gefunden und kennt die typischen Fallen, in die er bisher immer tappte. Das heißt, ihm sind die Lebensbereiche bewusster, die er bisher aus seiner Lebensgeschichte ausblendete.

Was theoretisch einfach klingt, bedeutet in der Praxis oft einen langen und harten Kampf, in dem Widerstände gegen die Deutung und eine zwischenzeitliche Verwirrung an der Tagesordnung sind, da die eigene Lebensgeschichte umzuschreiben zwar wie eine Kleinigkeit klingt, aber keine Kleinigkeit ist.

Und so wirken psychologische Deutungen: Sie helfen uns unsere Lebensgeschichte anders zu erzählen, nicht großartiger, aber größer.