menschliche Silhouetten vor Mauer

Manche Gruppen haben sich von der Gesellschaft losgesagt. © Linda Rain 714 under cc

Systeme, die rein auf Macht im Sinne des Rechts des Stärkeren beruhen, geraten in eine Todesspirale und fallen irgendwann in sich zusammen.

Danach sieht es zunächst nicht aus, doch die innere Logik des Systems bringt dies mit sich. Diese Entwicklung will ich aufzeigen.

Wodurch werden Macht-Systeme überhaupt attraktiv?

Macht ist zunächst einmal eine neutrale Größe. Definiert wie folgt:

Macht ist die Fähigkeit, Einfluss auf das Verhalten, Empfinden oder Denken anderer zu nehmen und es zu steuern.

Nun kann man fragen, warum der Einzelne überhaupt ein Interesse daran haben sollte, sich steuern zu lassen. Gerade in unserer Zeit reagieren viele Menschen hoch allergisch auf Regeln jeder Art und sind oft bereit schon aus Prinzip gegen diese zu verstoßen. Wieso also, sollte man sich steuern lassen?

Die Antwort ist, dass es zu einer geschickten Form der Machtausübung gehört, den anderen genau das nicht spüren zu lassen, dass er gesteuert oder beeinflusst wird. Das kann man lernen, intuitiv beherrschen oder beides.

Die Attraktivität für den der folgt kommt klar daher, dass das eigene Ich maximal aufgepumpt wird. Oft ein schwaches Ich, wobei man hier die psychologische Ich-Schwäche von der alltäglichen Vorstellung von Ich-Schwäche und Ich-Stärke unterscheiden muss. Psychologische Ich-Schwäche ist wesentlich durch die Unfähigkeit charakterisiert ein zusammenhängendes, einheitliches und widerspruchsfreies Bild von sich selbst und anderen Personen, die eine wichtige Rolle im eigenen Leben spielen, darzustellen. Knapper: Die Unfähigkeit ein kohärentes Bild von sich und wichtigen anderen beschreiben zu können.

Diese Ich-Schwäche kann in mehreren Formen auftreten, die wir hier ausführlich dargestellt haben. Als sehr unsicheres Ich, aber in der Kompensation eben auch als über die Maßen selbstbewusst wirkendes, manchmal charismatisches Ich mit einer geheimnisvollen bis dämonischen Aura. Manchmal ein Bild des harten Mannes, mit dem man sich besser nicht anlegt. Doch zuweilen sind das auch sehr entspannte und nette Menschen, weil sie wissen, dass sie im Zweifel in einer Auseinandersetzung die Gewinner sein werden. Das können psychologisch betrachtet ich-schwache Menschen sein, die aus einer alltäglichen Sicht sehr ich-stark wirken und es ist wichtig, diesen Unterschied zu beachten.

Jedes Ich fühlt sich in manchen Situationen stolz und gebauchpinselt, oft fehlt es uns im Alltag aber an Anerkennung. Wir tun unsere Pflicht und niemand dankt es uns. Nicht nur das, nicht wenige Gruppen fühlen sich heute aus der Gesellschaft ausgegrenzt, obwohl sie alles richtig machen. Diese Menschen sind oft nachvollziehbar frustriert und gut ansprechbar für Ideen, in denen sogar das, was als persönlicher Nachteil erscheint, in einen Vorteil, in ein Markenzeichen der Auserwähltheit uminterpretiert wird. Tenor: Nicht mir dir stimmt etwas, nicht mit der Gesellschaft ist etwas nicht in Ordnung. So hatte man das bislang noch nie gehört und es ist nachvollziehbar, dass so eine Lesart begeistern kann.

Kleine Macht-Systeme

So eine Gemeinschaft, die das eigene Ego aufpeppt, kann klein sein. Manchmal schart sie sich um einen charismatischen Anführer und jeder der Mitgliedern der Gemeinschaft weiß genau, wie es ist, sich so zu fühlen, wie der Neuling. Es ist ein irgendwie blindes Verstehen, das Gefühl eines nach Hause Kommens, obwohl man sich nie zuvor begegnet ist. So etwas hat man vielleicht noch nie zuvor, mindestens aber sehr lange Zeit nicht mehr erlebt.

Die kleine Gemeinschaft zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie oder ihre Einstellung von der Gesellschaft abgelehnt oder ignoriert wird, sie grenzt sich auch ihrerseits von der Gesellschaft und deren Regeln ab. Wir wollen hier solche Gruppen betrachten, die sich explizit gegen die Gesellschaft aufstellen und deren Regeln missachtet. Im wesentlichen sind das Gruppen, die sich als stärker und mächtiger als die Gesellschaft erleben. Aus dieser Sicht wird die Gesellschaft als schwach, feige und dekadent erlebt, man selbst erlebt sich als stark und überlegen und sieht daher nicht ein, sich den Regeln der Schwäche zu unterwerfen.

Damit sagt man der Gesellschaft entweder explizit den Kampf an oder errichtet eine Art Parallelgesellschaft. Im Falle kleiner Macht-Systeme sind das oft kriminelle oder subkulturelle Banden. Da diese Banden wissen, dass sie vom Staat beobachtet und verfolgt werden und dies erheblichen Stress auslösen kann, braucht man etwas auf der Haben-Seite, das diesen Stress ausgleicht.

In der Regel sind das drei Elemente: Erstens, wird dafür gesorgt, dass neue Mitglieder sich in einer Art Initiationsritus beweisen müssen. Man kann nicht nur einfach dabei sein, man muss auch etwas dafür leisten. Durchbricht man mit dieser Leistung den gesetzlichen erlaubten Rahmen, hängt man automatisch mit drin und kann sich ab da nicht mehr so einfach überlegen, doch wieder auszusteigen. Dem äußeren Druck wird also einer von innen entgegen gesetzt. Aber das ist noch kein Lohn. Der besteht, zweitens, darin, dass das Ich konstant groß gehalten wird. Wir sind besonders, darum lehnen die anderen uns ja ab, weil sie es in Wahrheit wissen und uns beneiden. Die wären auch gerne wie wir, sind aber einfach nicht hart, gerissen, mutig und intelligent genug, das macht uns ja gerade besonders. Dieser Mythos kursiert auf die eine oder andere Art, muss aber, drittens, durch Praktiken bestätigt werden. Die kann durch Rituale, aber auch gemeinsame Aktionen, wie Straftaten gefestigt werden, die dem Einzelnen das Gefühl geben Teil einer Schicksalsgemeinschaft zu sein. Der Geschichte der Besonderheit wird also ein bestätigendes Erleben, ein Gefühl hinzugefügt und das lässt die Geschichte plausibel erscheinen. Das kann eine sehr starke sich selbst erhaltende Dynamik entwickeln.

Zerstört werden kann diese Dynamik, indem die Gruppe, der Anführer oder wesentliche Teile eines Tages doch gefangen genommen werden, was dem Gefühl der Überlegenheit erst einmal den Zahn zieht. Es muss aber nicht sein, dass dieses Gefühl bei allen Mitgliedern verlischt, zumal das Gefühl chronischer Überlegenheit oft Teil des Charakters derselben ist.

Große Macht-Systeme und charismatische Führer

Große Macht-Systeme sind zum Teil um eine charismatische Führerfigur herum gruppiert und dann in gewisser Weise auch von dieser abhängig. Menschen die Führungspositionen drängen, sind oft, wenn auch vielleicht nicht zwingend narzisstisch, denn sie wollen immerhin die Anführer sein. Oft ist ihr Kommunikationsstil der, einer unbekümmerten Vereinfachung. ‚Endlich sagt mal einer, wie es wirklich ist.‘

Wir wissen immer mehr von der Welt und ihren Zusammenhängen, der Typus des Universalgelehrten ist seit vielleicht 200 Jahren nicht mehr existent, weil einfach niemand mehr die feinen Verzweigungen unseres Wissens überblicken kann. Heute ist es meistens so, dass man innerhalb eines Fachbereichs schon kein Generalist mehr sein kann, sondern sich spezialisieren muss. Innerhalb der Biologie muss der geniale Genetiker von vergleichender Verhaltensforschung nicht zwingend etwas wissen und umgekehrt.

Eine Welt, deren Zusammenhänge man zum größten Teil nicht mehr versteht, muss übersetzt werden. Im Falle von Massenregressionen geschieht dies nach einem immer ähnlichen Muster, eben dem der klischeehaften Vereinfachung, in dem komplexe Analysen sogar verdächtig und lauwarm erscheinen, Tenor der regressiven Interpretation ist die Reduktion komplexer Zusammenhänge auf simple Wahrheiten und Botschaften, von denen behauptet wird, sie seien ganz einfach so und nun müsse man sich entscheiden, ob man dafür oder dagegen ist.

Diese simple Strukturierung hilft bei der Orientierung, es gibt auf einmal wieder klare Kategorien von gut und böse, richtig und falsch, alles ist wieder ganz einfach. Die Welt soll wieder eine an sich gute werden, in der man ruhig schlafen kann, mit der Garantie, dass auch nichts Schlimmes passiert, wenn man sich ‚richtig‘ verhält. In Macht-Systemen, die sich auf das Recht des Stärkeren berufen, ist diese Regression der ersten Stufe jedoch nicht ausreichend.

Wo die erste Stufe noch darum kreist eine heile Kinderwelt zu errichten, mit dem primären Motiv des Anführers geliebt zu werden, wird in der nächsten Stufe Paranoia und Aggression beigemengt. Der Wunsch geliebt zu werden verwandelt sich in den Wunsch gefürchtet zu werden. In Gruppen, die sich das Recht des Stärkeren auf die Fahnen geschrieben haben, ist es gut, als jemand zu gelten, mit dem man sich besser nicht anlegt und dieser Ruf muss von Zeit zu Zeit gefestigt werden, damit man nicht als Maulheld dasteht. Es müssen also immer wieder mal Exempel statuiert werden, damit klar ist, wer der uneingeschränkte Herrscher ist und dass er eben noch gerissener, härter und skrupelloser ist, als alle anderen.

Schachfiguren auf ungewöhnlichem Brett

Das Spiel der Macht nimmt manchmal merkwürdige Formen an. © fdecomite under cc

Da selbst der beste Kämpfer und gerissenste Akteur von einer überschaubaren kleinen Gruppe besiegt werden kann, muss er sicherstellen, dass es nicht zum Aufstand gegen ihn kommt. Dafür ist die Forderung nach absoluter Loyalität ist ein wichtiges Element. Ein schwieriges Gleichgewicht, wenn wir uns vor Augen halten, dass wir uns in einem Klima des generellen, wechselseitigen Misstrauens befinden. Wir sind nicht mehr in der Welt der weitgehend gutartigen narzisstischen Regression, in der sich am Ende des Tages alle lieb haben, sondern im Klima der paranoiden Regression, in dem sich alle misstrauisch beäugen und auf ihre Stunde warten. Um besser dazustehen, denn das ist allen klar: Geschenkt wird einem nichts, man muss sich seine Postion erkämpfen und sie verteidigen.

Das ist stressig und begünstigt sind in diesem Fall Charaktere, die diesen Stress gut verarbeiten können oder gar nicht empfinden. Das ist ein Teil der Todesspirale, sie zieht psychopathische Charaktere an. Psychopathen sind in aller Regel nicht für große Ideen zu begeistern. Wenn sie im Rahmen irgendeiner Ideologie mitmachen, dann nur und solange sie darin einen eigenen Vorteil sehen. Da ihnen Werte egal sind, können sie jederzeit zu jeder beliebigen Überzeugung umswitchen und sei sie auch der von eben diametral entgegengesetzt. Psychopathen spielen so gut wie immer nur auf eigene Rechnung. Das Problem für den charismatische Führer ist, dass Psychopathie und Loyalität einander weitgehend ausschließen.

Loyalität

Loyalität geht über reinen Eigennutz hinaus. Mit ausschließlichem Blick auf den eigenen Aufstieg kann es zwar von Vorteil sein zwischenzeitliche Koalitionen, vor allem zu hierarchisch übergeordneten oder einflussreichen Personen einzugehen, aber eben nur so lange, wie diese vor den eigenen hierarchischen Aufstieg nützlich sind. Danach kann man sie fallen lassen oder muss sie sogar aus dem Weg räumen, weil sie den eigenen Aufstieg behindern. Das ist das Gegenteil von Loyalität.

Für hierarchisch Höhergestellte und insbesondere Anführer in einem Macht-System ist es daher von Interesse ein Netz von Abhängigkeiten knüpfen, möglichst asymmetrischer Natur, so dass man nicht mehr verliert, wenn ein anderer wegbricht, als dieser verlieren würde. In größeren Organisationen bedeutet das, dass man kleinere Machtballungen innerhalb des Systems ausbalancieren muss. Man kann bestimmte Mitglieder ins Vertrauen ziehen, aber nie total, während man anders herum dafür sorgen muss, dass diese Mitglieder sich einem vollständig anvertrauen. Etwa durch die Aussicht auf einen aussichtsreichen Posten in der Zukunft.

Das heißt, Kontrolle rückt an die Stelle von Vertrauen. Wenn man seinen Untergebenen vorspielt ihnen zu vertrauen, gleichzeitig aber Loyalität, die ein gewisses Vertrauen voraussetzt, fordert, muss man logischerweise denken, dass die anderen nicht wirklich loyal sind, sondern dies nur spielen. Das klappt genau dann am besten, wenn man selbst ganz authentisch der Ansicht ist, dass Menschen einander nicht vertrauen und sich wechselseitig nur belauern, bis sie die Position des anderen, auf die sie immer gewartet haben, einnehmen.

Es kann sein, dass man auch als Anführer der Meinung ist, dass die Loyalität der anderen nur gespielt ist und es wäre dann gut, sie in dem Glauben zu lassen, man meine, sie sei echt. In manchen Fällen kann man auch echtes Vertrauen finden, wenn man jemanden schon sehr lange kennt. Doch im Zuge einer fortschreitenden Regression der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur werden Aggression, Paranoia und Sadismus immer größer. Man lässt die anderen also im Unklaren darüber, was man wirklich von ihnen denkt und so installiert man in der Psyche der anderen nach und nach das, was man selbst erlebt: alles hat einen doppelten Boden, man sollte niemandem Vertrauen, es gilt stets kontrolliert und wachsam zu sein.

Das hört sich stressig an, kann bei einer entsprechenden Charakterdisposition aber durchaus auch ein Lustgewinn sein. Wir erinnern uns, gefürchtet zu werden ist an die Stelle des Wunsches getreten geliebt zu werden. In anderen Angst auszulösen ist daher Teil der Versicherung der Loyalität. Der Andere muss die Aussicht auf Machtgewinn und Aufstieg haben, aber genügend verunsichert sein um zu wissen, dass er nicht, ohne erhebliche Konsequenzen, inklusive Folter und Tod, vor seiner erlaubten Zeit agieren kann.

Für den Anführer ist es gut, mächtigere Untergebene wissen zu lassen, dass es weitere mächtige Untergebene mit einem starken Drang nach oben gibt, so dass eine interne Konkurrenzsituation entsteht. Zudem sollte der Anführer den aufstrebenden Akteuren dass Gefühl geben, ihnen etwas mehr zu vertrauen und sie mehr in die Planung einzubeziehen, als die anderen aufstrebenden Akteure, so dass die interne Konkurrenz hoch gehalten werden. Gleichzeitig muss die ganzen Organisation natürlich auch effektiv und handlungsfähig bleiben.

Der Charakter der Mitglieder

Mitglieder in kleinen Macht-Systemen haben in aller Regeln einen narzisstischen bis psychopathischen Charakter. Es spricht viel dafür, dass Psychopathie die Eskalationsform des Narzissmus ist.

Narzissmus beginnt im Normalen und erstreckt sich weiter ins Pathologische. Bei den leichten Formen des Narzissmus möchte der Betroffene vor allem geliebt werden, die aggressive Seite betrifft vornehmlich Entwertungen und oberflächliche Einstellungen, die es einem erlauben über die Bedürfnisse anderer hinwegzugehen, in dem man sie einfach nicht wahrnimmt oder sich nicht dafür interessiert.

Wenn Narzissten nicht bekommen, was sie wollen, sind die beleidigt und können auch schon mal manipulativ werden, sie können lügen, sind oft korrumpierbar und erzählen alternative Geschichten, die sie vermutlich zum Teil selbst glauben, weil sie das zur Aufrechterhaltung ihrer grandiose Fassade brauchen.

Bei zunehmender Eskalation der narzisstischen Persönlichkeitsstörung verblasst vor allem das Gewissen, das innere Wertesystem. Lügen, Stehlen und manipulative Aggressionsbereitschaft nehmen zu, stets verbunden mit dem Gefühl seine Sonderstellung verdient zu haben, manchmal, weil die anderen sowieso nicht einschätzen können, was sie da in den Händen halten, man selbst aber schon, manchmal, weil man einfach derjenige ist, der kühn genug ist zuzugreifen, verbunden mit der Einstellung, dass die anderen das auch gerne tun würden, nur eben nicht mutig oder gerissen genug sind.

Mit dem Eintritt in den Bereich der mit dem Begriff Psychopath popularisiert wurde, finden wir technisch gesehen einfach eine weitere Eskalation der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. In diese wird immer mehr Aggressionsbereitschaft eingebaut, eine Aggression, die bewusst ist und mit der man ausgesöhnt ist, zudem wird der Grad an Paranoia immer größer – weil man automatisch denkt, die anderen seien so, wie man selbst ist: stets auf den eigenen Vorteil aus – zugleich wird der Grad an charakterologischem Sadismus immer größer. Der dominante Wunsch geliebt zu werden wird mehr und mehr von der Lust daran gefürchtet zu werden abgelöst.

Wir müssen verstehen, dass Psychopathen keine einheitlichen Verhaltensweisen haben, sondern zum einen Individuen mit eigener Lebens- und oftmals Leidensgeschichte sind und es im Spektrum der Psychopathie ebenfalls Abstufungen in Eskalations- oder Schweregrade gibt. Wir gehen gleich näher darauf ein.

In kleinen Macht-Systemen wird die Mehrheit der Mitglieder narzisstisch bis psychopathisch sein, der Anführer besonders krass, brutal, tollkühn, geschickt und furchteinflößend sein, so dass er seine Anerkennung daraus bezieht, Erster unter Gleichen zu sein. Ein großes organisatorisches Talent ist nicht notwendig.

Große Macht-Systeme können riesig sein, mitunter ganze Staaten mit einer totalitären oder tyrannischen Struktur, aber es können auch international agierende mehr oder weniger kriminelle oder subkulturelle Organisationen sein. Die Fähigkeit des Anführers ist hier mehr organisatorischer Natur und bei riesigen Organisationen werden viele Mitglieder keine harten Psychopathen sein, schon weil es davon gar nicht so viele gibt, sondern normale Narzissten, die opportunistisch genug sind, ihren Vorteil zu sehen und sich zu sagen: ‚Gemacht wird es ohnehin, ob ich es mache oder nicht, spielt keine Rolle, also kann ich es auch machen.‘ Man fühlt sich nicht moralisch verantwortlich, weil man das System ja nicht erschaffen hat, man macht nur mit. Man tut nur seine Pflicht. Was sollte man als Einzelner auch ausrichten?

Diese Menschen sind manchmal willige Helfer, manchmal werden sie als Kanonenfutter eingesetzt. Manche Macht-Systeme vertreten eine bestimmte Ideologie, die sadistische Perfektionsansprüche oder messianische Ideale verbreitet und den Mitgliedern eine Sonderrolle in der Welt zuschreibt, die sie daher auch oft von allen üblichen Regeln der Gesellschaft oder der Staaten zu entbinden scheint. Die Macht, Allgegenwart und Unerschrockenheit dieser Systeme wirkt auf viele Menschen faszinierend, eine Parallelwelt mit scheinbar ganz anderen Regeln. Novizen werden einerseits oft warten gelassen, brauchen einen Fürsprecher und müssen sich bewähren, diese Hürde wirkt reizvoll, besonders, auf der anderen Seite werden sie in der Bewährungsphase schnell verwickelt, so dass ein Rückzug erschwert wird.

Psychopathen richtig verstehen

Loch mit Kreisen von Rundbögen

Die Todesspirale führt immer tiefer abwärts. © Derek Jensen under cc

Die Führung von Macht-Systemen, in denen das Recht des Stärkeren gilt, wird oft von psychopathischen Charakteren besetzt. Nun hört, liest und sieht man in letzter Zeit viel über den vermeintlichen Charakter von Psychopathen, weil diese einen dankbaren Stoff für Krimiserien und Thriller abgeben. Darin sind Psychopathen zum einen oft wilde, kaum zu bändigende Menschen, die keinerlei gesellschaftliche Regeln akzeptieren, zum anderen oft kühle Strategen der Macht, die gerissen irgendein unschuldiges Opfer ins Verderben stürzen. Beide Varianten gibt es, aber noch viel mehr.

Psychopathen können zum einen eher introvertiert oder extravertiert sein, die introvertierten sind naturgemäß eher unauffällig und kommen durch chronisches Lügen, Stehlen und Betrügen mit der Gesellschaft in Konflikt. Im Großen und Ganzen wollen beide Varianten ihre Ruhe haben, sind aber sehr zielgerichtet und hemmungslos, wenn sie etwas erreichen wollen. Dabei geht es ihnen nicht zwingend darum, anderen zu schaden, viel mehr wollen sie einfach ihr Ziel erreichen und wer ihnen dabei im Weg steht, bekommt Probleme.

Wenn sie zufrieden sind können Psychopathen nette bis charmante und kooperative Menschen sein. Oft sehr entspannt, weil sie wissen, dass sie im Zweifel bekommen, was sie wollen, denn sie nehmen es sich einfach. In sozialen Experimenten waren Psychopathen in einigen Bereichen hilfsbereiter als ’normale Menschen‘. Sie wollen nicht um jeden Preis andere schädigen, sondern einfach nur ihr Ziel erreichen. Gleichzeitig quält sie oft Langeweile, die sie mit Drogen oder irgendeiner Art von Spielen und Reizen zu überwinden suchen. Das können Sex, Computerspiele oder auch Psychospielchen sein, in denen es oft um eine Mischung aus Unterhaltung und Lust an der eigenen Macht geht.

Es gibt Psychopathen, die als Anwälte oder Chirurgen Karriere machen, auch andere hochfunktionale Psychopathen, die beschließen, dass sie nicht toxisch, also keine Gefahr für andere werden wollen. Hier betrachten wir jedoch jene, die sich als Outlaws in die beschriebenen Macht-Systeme einbringen.

Werden die unteren Ränge auch oft mit normalen Narzissten besetzt, die opportunistisch sind, ohne sadistisch sein zu müssen, so sind den Psychopathen die oberen Rängen vorbehalten. Sie zeichnet unter anderem ein charakterologischer Sadismus aus, zudem müssen uns vor allem die spezifischen Eigenarten ins Bewusstsein rufen, die man haben muss um eine große, transnationale Organisation oder einen Staat zu leiten.

Es sind dies die Komponenten die dem malignen Narzissmus entsprechen: das Vollbild einer narzisstischen, sowie einer paranoiden Persönlichkeitsstörung, ergänzt um ich-syntone Aggression und Sadismus. Solche Menschen haben ein übersteigertes Größenselbst, aber sie sind, da paranoid, gleichzeitig extrem misstrauisch.

Die Empathie der Psychopathen

Es wird oft behauptet, Psychopathen fehle es an Empathie, doch auch hier muss man genauer hinschauen. Psychopathen müssen empathisch sein, denn um jemanden effektiv quälen und beherrschen zu können, muss man dessen schwache Punkte kennen. Psychopathen haben einen extrem guten Blick für genau diese schwachen Punkte. Diese müssen sie reizen und den anderen im Unklaren lassen, ob sie kräftig Salz in diese Wunde streuen. Man lässt den anderen wissen, dass man weiß, was ihm richtig weh tut, am besten, was ihn in den Wahnsinn treiben würde, man signalisiert aber, dass man vorerst nicht die Absicht hat, diese Karte zu spielen.

Da Psychopathen nicht wirklich glauben, dass andere aus freien Stücken loyal sind, zwingen sie andere zur Loyalität. Sie könnten die Karte ja jederzeit spielen. Das erfordert ein hohes Maß an psychologischem und organisatorischem Geschick, denn man muss die Kräfte ständig ausbalancieren, die anderen bei der Stange halten, einerseits zusehen, dass sie nicht größenwahnsinnig werden und die Aufstand proben, aber eben auch nicht so frustriert sind, dass sie illoyal werden und sich andere Gefährten suchen.

Das unterscheidet Menschen mit malignem Narzissmus von solchen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung. Auch wenn hier die Definitionen uneinheitlich werden, so kann man doch die Struktur, jenseits der etwas unterschiedlichen Terminologie verstehen. Im Grunde sind antisoziale Persönlichkeiten die ungehemmtesten Menschen, jedenfalls, wenn sie extravertiert sind. Es fehlt ihnen aber eine spezifische Fähigkeit, die maligne Narzissten noch haben, die zur Organisation großer Gruppen. Die Fähigkeit zu irgendeiner Art der Kooperation, sei es zur Ganovenehre ist in antisozialen Persönlichkeiten erloschen, sie spielen ausschließlich auf eigene Rechnung, sind oft Meister darin, anderen genau das zu erzählen, was sie hören wollen, um daraus einen eigenen Vorteil abzuleiten.

Dabei sind sie von keinerlei Gewissensbissen gebremst, das heißt, sie lügen und manipulieren ohne jedes Problem, aber weil sie so sind, können sie sich nicht vorstellen, dass es in anderen Menschen die Fähigkeit gibt, ein echtes Interesse an einem anderen Menschen zu haben. Sie halten das für einen Trick oder für eine Schwäche und können daher nicht verstehen, dass dies in anderen Menschen wirklich so ist. Das begrenzt ihre Fähigkeit langfristig zu planen und zu organisieren, weil sie die Reste echter Loyalität und die Fülle der Motive anderer nicht auf dem Schirm haben. Ein kleiner, aber signifikanter Unterschied.

Maligne Narzissten können noch in minimaler Weise nicht ausbeuterische Beziehungen eingehen, antisoziale Persönlichkeiten können es nicht mehr, da ist auch der definierende Unterschied. Maligne Narzissten kennen echte Loyalität noch und können diese einplanen. Sie sind misstrauisch, manipulieren auch jene, die sie protegieren, sagen ihnen, dass ihre Stunde kommen wird, aber sie haben einen Sinn dafür, dass sie von engen Vertrauten nicht ans Messer geliefert werden, wenn sie die Macht in kleinen Portionen übergeben. Vermutlich ist Loyalität auch deshalb der alles entscheidende Werte, sie darf nicht gefährdet und enttäuscht werden, ist das der Fall ist die Strafe drakonisch, oft Folter und Tod durch Hinrichtung.

Die Todesspirale

Warum sind solche Macht-Systeme am Ende des Tages instabil? In diesen Systemen, vor allem an ihrer Spitze, gibt es durch die Natur des Systems (das Recht des Stärkeren) ein Auswahlverfahren für besonders geeignete Kandidaten, die sich in einem solchen Umfeld hinreichend wohl fühlen. Natürlich können einfache Mitglieder durch Druck und Erpressung, aber auch das das Ich pushende Auserwähltheitsgefühl bei der Stange gehalten werden, aber sie kommen nicht für höhere Ränge infrage.

Dafür muss man hinreichend skrupellos sein, sich in einem Umfeld ständiger Manipulation und in dem Ausbalancieren von Machtpositionen wohl und zu Hause fühlen. Man muss eine nötiges organisatorisches Geschick und damit die nötige Intelligenz hierfür haben. Das trifft auf intelligente Menschen mit malignem Narzissmus zu oder auch Narzissten, mit hoher Aggression und Paranoia, aber noch etwas oberhalb der Ebene des malignen Narzissmus, man könnte sagen, mildere Psychopathen. An die Spitze solcher Organisationen zu gelangen kann aber auch für antisoziale Persönlichkeiten anziehend sein, die ihre Defizite selbst ja nicht kennen, sondern zutiefst überzeugt davon sind, im Zweifel alles und jeden manipulieren zu können. Da sie versierte Lügner, vollkommen skrupellos und angstfrei sind können sie in der Hierarchie der hier besprochenen Macht-Systeme aufsteigen und schrecken dabei auch vor Angriffen auf respektierte Mitglieder innerhalb des Macht-Systems nicht zurück, da ihnen tatsächlich jede Loyalität fremd ist.

Menschen mit antisozialer Persönlichkeit können auch in Systemen, die auf dem Recht des Stärkeren basieren schwer kontrolliert werden. Die Tendenz zur eigenen Selbstüberschätzung ist allen Mitgliedern der höheren Ebene eigen, so dass man sich vorstellen kann, dass die Führung denkt, sie könne antisoziale Charaktere doch kontrollieren. Das ist oft ein Irrtum und so kommt es in solchen Macht-Systemen die der organsisierten Kriminalität zuzurechnen sind immer wieder zu Morden auch an ranghohen Mitgliedern. Manchmal kommt es zur erbitterten Kämpfen um Gebiete oder blutigen Feindschaften zwischen Organisationen, die in einen Jahre langen Krieg münden können, bevor es wieder irgendeinen Anführer gibt, der es schafft die Fehden zu schlichten und die Kräfte auszubalancieren.

Wenn Staaten totalitär oder tyrannisch regiert werden, gibt es dort in der Regel oft mehrere Geheimdienste, die einander wechselseitig kontrollieren. Von Zeit zu Zeit werden mächtige Mitglieder dieser Dienste ausgetauscht oder getötet oder ganze Gruppen der Geheimdienste eliminiert, bevor sie zu einflussreich werden und eigene Machtansprüche stellen.

Für die Existenz von Macht-Systemen ist ein mächtiger, charismatischer Alleinherrscher vermutlich wichtig, wobei es andere Ansätze gibt, die auf Familienfolgen, Blutverwandtschaft oder lockere Netzwerke im Namen einer geteilten Idee setzen. Bei Letzteren könnte die Idee im Laufe der Zeit verwässern und die Organisation so an Attraktivität und Einfluss verlieren. Dies passiert auch, wenn ein charismatischer Führer abtritt. Besonders einflussreich dürften Macht-Systeme werden, denen es gelingt legale und illegale Strukturen zu verbinden oder sogar die weltweiten Regeln neu zu bestimmen.

Eine alle überraschende Skrupellosigkeit kann sich zunächst auszahlen, allerdings verliert sich der Effekt, wenn es zu einer weltweiten Regression in Richtung des Rechts des Stärkeren kommt. Aggressives Verhalten ist ein Vorteil, wenn die Gruppe gemischt ist. Aggressive Akteure inmitten aggressiver Akteure verlieren ihren Vorteil und haben schon spieltheoretisch keinen Erfolg. Das Resultat wäre der gemeinsame Untergang der aggressiven Akteure. In der Lust am Untergang wird in pervertierter Weise die Sehnsucht nach Einheit und Verschmelzung deutlich, hier im regressiven Sinne einer zusammen sterbenden Schicksalsgemeinschaft. In dem Moment wo das klar ist, können auch alternative Wege gefunden werden, aber im Zuge der Todesspirale können auch erhebliche Verwüstungen angerichtet werden.