Um Neo-Minimalismus als neuen Trend zu verstehen, erscheint es wichtig, den Ist-Zustand zu betrachten: Ein Haus, zwei Autos, ein bis zwei Fernseher, ein Tablet, ein Toaster, eine Saftpresse, Stabmixer, Dampfgarer, Spülmaschine, Schleuder, Sportschuhe, Businessschuhe, bequeme Schuhe und Pumps – variierend nach Farbe und Form, passend zu Handtaschen und dem zu erwartenden Bodenbelag. Das heißt es wohl, wenn man es geschafft hat. Wenn man sich alles (!) leisten kann.
Was Generationen vorher als erstrebenswert erachteten und sich bis in die heutige Zeit als Lebensziel trägt, wird nunmehr hinterfragt: Denn keine Bewegung ohne Gegenbewegung.
Neo-Minimalismus: Weniger ist mehr
Schon immer gab es Menschen, die der flächenmäßig ausartenden Wohnraumbeschaffung zur Anhäufung immer weiterer Güter nicht folgen wollten. Man bezeichnete sie als Eigenbrödler, Aussteiger und lächelte matt. Sie wohnten in Wagenburgen, Einraumwohnungen, Kommunen, aßen nur das Nötigste – zumeist vegetarisch – und besaßen kaum mehr als die Kleider an ihrem Leib. Was jahrelang als abgedreht galt, wird zunehmend zum Trend.
Es nennt sich Downshifting, Neo-Minimalismus oder „simplify your life“ und meint: nachhaltig, einfach und bewusst zu leben – zu hinterfragen, welche Dinge man tatsächlich braucht. Verzicht als neues Lebensgefühl übermannt die von Überfluss gesättigte Gesellschaft, denn weniger ist oft mehr und häufig können nur aus Seltenem Genuss und Wertschätzung wachsen.
Doch wer nun glaubt, alle Vertreter dieser Bewegung sitzen an trüben Wassertonnen, pellen einsam ihren Leinsamen und schürfen barfuß im Sand, der irrt: Der Neo-Minimalist als solcher kann technologisch gut ausgerüstet sein. Tablet, Smartphone, PadFone oder Fablet – und der Minimalist wird zum Millionär, zum Herrscher über Millionen von Bytes. Neben einem T-Shirt, zwei Unterhosen und einer Zahnbürste bleibt ihm vor allem eins: Musikdateien, E-Books, Online-Zeitschriften und jederzeit Zugang zu einem Wissenspool, der nahezu unbegrenzt ist. Diese Minimalistengattung investiert ihr Geld lieber in Urlaubsreisen als in Besitz, setzt auf Flexibilität statt Stagnation. Sie ist viel unterwegs und braucht nur eine Handvoll Dinge, die in einen Rucksack passen.
In diesem Lichte erscheint der Neo-Minimalist als hedonistischer Snob. Aber man täte ihm unrecht, bliebe es bei der Betrachtung. Denn Neo-Minimalismus hat viele Facetten – von radikalem Verzicht bis zur Einschränkung in nur einigen Lebensbereichen – und ist letztendlich, egal in welcher Form, hauptsächlich eine Abrechnung mit der Konsumkultur.
Doch was bringt Menschen dazu zu verzichten, freiwillig, nicht notgedrungen? Welche Motivation verbirgt sich dahinter, wenn man „Gutes“ tut zu Lasten der eigenen Annehmlichkeit?
Neo-Minimalismus und umweltbewusstes Verhalten
Kollmuss und Agyeman (2002), Wissenschaftler an der Tufts Universität in der Nähe von Boston (USA), postulieren in ihrem Modell für umweltbewusstes Verhalten ein Zusammenspiel aus externalen und internalen Faktoren. Soziokulturelle Bedingungen, politische und infrastrukturelle Gegebenheiten, welche Möglichkeiten für umweltbewusstes Verhalten schaffen, sind dabei ebenso entscheidend wie persönliche Eigenschaften, Wertesysteme und das ökologische Bewusstsein, erwachsen aus umweltbezogenem Wissen und Verantwortungsgefühl.
Wie dieses Zusammenspiel der Faktoren im Einzelnen aussehen kann, zeigt Teil 2 dieser Artikelserie zum Neo-Minimalismus.
Quelle:
- Kollmuss, A. & Agyeman, J. (2002). Mind the Gap: Why do people act environmentally and what are the barriers to pro-environmental behavior?, Environmental Education Research, 8(3), 239-260.