Einfach leben bedeutet für Neo-Minimalisten der größtmögliche und gewollte Verzicht auf Konsum, wie Teil 1 dieser Artikelserie deutlich macht.
Folgt man dem Modell von Kollmuss und Agyeman (2002) zum umweltbewussten Verhalten, könnte Aufklärung über die Auswirkungen von Konsum als einer der bedeutendsten Ausgangspunkte für die Entscheidung, einfach und reduziert zu leben, betrachtet werden.
Einfach leben: Von der Erkenntnis zum Verzicht
Sieht man in medialen Beiträgen Meeresbewohner durch Wogen von Plastikmüll schwimmen, Hühner mit entzündetem Anus in kleinen Käfigen eingepfercht und Menschen, welche durch eine stark fett- und zuckerhaltige Ernährung, Stress und Bewegungsmangel sogenannten zivilisationsbedingten Erkrankungen erliegen, schafft dies Problembewusstsein, Ängste und die emotionale Bereitschaft zur Änderung – um einfach zu leben.
Zudem triggert, über Wissenschaft und deren Ergebnisse nachzudenken, moralisches Verhalten, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Psychologen Ma-Kellams und Blascovich (2013) herausgefunden hat. Hinzu kommen Vorbilder, die verzichten, wie zum Beispiel Professor „Barfuß“, mit richtigem Namen Lieberman, von der Harvard Universität, der zum Wohle der Fußgesundheit seinen Weg zum Arbeitsplatz auf nackten Sohlen bestreitet.
Problembewusstsein führt zur Änderung von Gewohnheiten
Die mediale populärwissenschaftliche Aufklärung scheint demnach Früchte zu tragen. Mehr und mehr wird dem Einzelnen klar: Je mehr er isst, trinkt und besitzt, je bequemer und weniger beweglich sich sein Leben gestaltet, desto mehr schadet er sich, den anderen und der Welt, in der er lebt. Meldungen über drohende Krisen und kippende Staatshaushalte sorgen zudem für die Angst vor dem Fall – denn wer viel besitzt, kann viel verlieren.
In Zeiten von allseitiger Verfügbarkeit und Superlativismus, in denen alle paar Wochen das „neue weltbeste Handy“ auf den Markt geworfen wird, besinnt man sich auf das für einen wirklich Wichtige und auf das Nötigste. Gewohnheiten beginnen sich zu ändern. Man arbeitet weniger und lebt dafür mehr. Man lernt mit Reduziertem zurechtzukommen, „entschleunigt“ das Leben, fühlt sich freier – für eine bessere Orientierung in der bröckelnden heilen Welt.
Einfach leben durch externe Begünstigungen
Verschiedene Geschäftsmodelle erleichtern den Umschwung zum Neo-Minimalisten. So bieten zum Beispiel möblierte Wohnungen ein schnell beziehbares Dach über dem Kopf oder Car-Sharing die Möglichkeit zur relativ barrierefreien, kostengünstigen Nutzung von Fahrzeugen, ohne sie selbst zu besitzen.
Im Zuge des persönlichen Wertewandels können sich auch familiäre Gewohnheiten dahingehend ändern, dass man wieder einfacher lebt. So kommt nur sonntags der vielgerühmte (und dann auch etwas teurere Bio-) Braten auf den Tisch und nur samstags ist Naschtag, eine nordische Ersinnung, um Karies und Zahnteufeltum den Kampf anzusagen. Hierzulande noch weit davon entfernt, hat sich dieser Brauch unter anderem in Schweden etabliert und so gibt es dort seitens der Händler am „godisdag“ spezielle Naschangebote, die Kinder vor schwere Entscheidungen stellen.
Verzicht ist „in“ und Verzicht ist gesund. Aus allem könnte weit mehr als ein neuer Chic erwachsen. Man fährt nicht mit einem 30-Liter-Auto vor den Biomarkt, um ein ökologisch korrekt aufgezogenes Hühnchen zu kaufen – man läuft. Man ist verantwortungsbewusst, nachhaltig, lebensorientiert und geht weiter als alle anderen – oftmals auch zu Lasten des eigenen gesellschaftlichen Status.
Einfach leben bedeutet für den Neo-Minimalisten nicht nur das Aufgeben konsumorientierter Gewohnheiten, sondern es kann auch Auswirkungen auf die eigene Identität haben und dadurch mehr als nur ein weiterer gesellschaftlicher Trend sein, wie in Teil 3 hier auf psymag.de zu lesen ist.
Quellen:
- Kollmuss, A. & Agyeman, J. (2002). Mind the Gap: Why do people act environmentally and what are the barriers to pro-environmental behavior?, Environmental Education Research, 8(3), 239-260.
- Ma-Kellams, C. & Blascovich, J. (2013). Does „Science“ Make You Moral? The Effects of Priming Science on Moral Judgments and Behavior. PLoS ONE 8(3): e57989.