Blatt an Verästelung

Trainiert man eine bestimmte Sichtweise, sieht man immer feinere Verästelungen. © Torsten Behrens under cc

Dass ich mal für den Slogan ‚Sei hart‘ plädieren würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen.

Psychologie ist gewöhnlich ummantelt von einer Aura des Verständnisses. Zurecht! Es geht erst mal darum, jemanden zu verstehen. Das ist und bleibt auch so, es ist gut, wichtig und richtig.

Wenn man das gut kann, stellt man fest, dass man sehr viele Menschen, man kann fast sagen, so gut wie jeden verstehen kann. Verstehen heißt dabei in die Welt des anderen ein Stück weit mitzugehen und nachzuempfinden, warum er oder sie so ist, wie er oder sie eben ist. Empathie. In den höheren Stufen der Empathie versteht man dann auch, wo jemand seine Grenzen hat und warum er diese zur Zeit oder generell nicht überwinden kann.

Fortgeschrittene Empathie heißt nicht, alles zu entschuldigen. Es gibt Grenzen, die man respektieren muss, wenn man mit anderen zusammen leben will, wenn man drauf pfeift, regiert das Recht des Stärkeren und das heißt Aufrüstung, zwischen den Nationen und auch um privaten Umfeld. Man geht davon aus, dass Streits eskalieren können, weil der andere Kraft- und Kampfsport macht, in Gruppen auftritt, bewaffnet ist, manchmal alles zusammen. Ein verrückter Trend, in den USA sieht man, wohin er führ. Ein Klima der Gewalt ist aber nichts, in dem man gerne leben möchte, sofern man nicht zu jenen gehört, die sich in so einer Umgebung wohl fühlen.

Wo mehr Härte nichts bringt oder gefährlich ist

Sei hart ist keine Allzweckformel. Es ist nicht der neue Hype oder garantierte Weg, sondern einfach ein oft vernachlässigter Baustein. Er ist gefährlich bei depressiven Menschen. ‚Ach komm, stell‘ dich nicht so an‘, ist ein schlechter Rat, denn viele depressive Menschen reißen sich seit (zu) langer Zeit sehr stark zusammen und müssen manchmal riesige Energien aufbringen, um das zu leisten, was anderen scheinbar leicht von der Hand geht. Sie verdammen sich oft selbst und geben alles, fühlen irgendwann gar nichts mehr und brauchen therapeutische Hilfe, dann kann man auch hier viel erreichen.

Es ist ebenfalls kein guter Rat bei Menschen, die diese Härte bereits leben, sich ganz darüber definieren und deren Alltag ein permanentes Trainingsprogramm für den erwarteten Ernstfall ist. Diese Menschen legen großen Wert darauf niemanden zu brauchen, sie sind Selbstoptimierer, Prepper, Do it yourself Anhänger und ihr Leben ist nicht selten ein Training in mentaler und körperlicher Härte. Muskel- und Ausdauertraining, Survivalqualitäten, Disziplin, perfekte Ernährung und nur die Zügel nicht locker lassen, die Konkurrenz schläft nicht.

Der Rat ist natürlich auch Quatsch bei Psychopathen, die sind hart und können sich in aller Regel ein Leben ohne Härte nicht vorstellen, alle Forderungen nach Liebe, Sanftheit, Verletzlichkeit kommen ihnen schwach und lächerlich vor. Die Sichtweise von Vertretern eines etwas einseitigen Empathieverständnisses, dass alle Menschen sich ja in Wirklichkeit nur nach Liebe sehnen, ist seltsam unempathisch, es verkennt die Befriedigung, die manche Menschen daraus ziehen, stark, mächtig und überlegen zu sein. Doch darum soll es jetzt nicht gehen, denn die Ich-Schwäche treibt viele Blüten.

50 Jahre narzisstisches Trainingslager

Bis heute tobt der Streit darum, ob der Narzissmus nun dramatisch zugenommen hat, nur stärker beachtet wird, bessere Ausdrucksmöglichkeiten hat oder überhaupt nicht zugenommen hat. Bevor man die narzisstische Persönlichkeitsstörung dann demnächst offiziell abschafft, können wir hier noch mal auf die Sahne hauen.

Man kann die letzten Jahrzehnte auch als Trainingslager für Narzissmus sehen. Menschen haben gelernt immer sensibler zu werden, was an sich gut und richtig ist, aber häufig sind sie vor allem sensibel bis hypersensibel in eigener Sache und im Kontrast dazu hart und schmerzfrei gegenüber anderen. Weil das Leben kompliziert und vielgestaltig ist, wird nicht jeder Narzissmus als sofort zu erkennender Egoismus gelebt, sondern manchmal macht man sich mit dem gemein, was man für eine gute Sache hält, setzt sich für andere(s) ein und meint doch nur sich, die Verlängerung des Selbst.

Ein Thema der 68er war sogenannte Randgruppen mehr in der Fokus zu rücken. Wenn man diesen Blick schärft, liegt es in der Natur der Tätigkeit, dass man immer mehr Unrecht erkennt. Durch die Einwanderungsgeschichte kamen zudem neue Gruppen dazu, die unter Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus litten. Ansonsten galt es die Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen durchzusetzen und das Thema Sexualität allgemein zu liberalisieren. Unterm Strich ist das ganz gut gelungen, wir alle profitieren davon, doch es gibt noch immer Bereiche, in denen nachgebessert werden muss, bei subtileren Arten des Rassismus, im Umgang mit diversen und queeren Menschen, bei sexuellen Übergriffen aus Machtpositionen heraus.

Mit der höheren Sensibilität wuchs zum Teil auch die Bereitschaft sich beleidigt zu fühlen. Auch das ist nachvollziehbar. Wer in dritter Generation in Deutschland lebt, ist nicht immer begeistert davon als jemand behandelt zu werden, der ‚eigentlich‘ aus der Türkei, Marokko, dem Iran oder einem anderen Land kommt. Die Spannungen die es mit dem politischen Islam gegeben hat, führten dazu, dass man sich hier wechselseitig noch stärker beäugte.

Die Wurzel war zu einem Teil die Begeisterung mit der man in der deutschen Mittelschicht die Idee aufnahm ein Opfer des Lebens zu sein. Tenor: Was hätte alles aus mir werden können, wenn die anderen nicht alles vermasselt hätten. Diese Menschen sind zu einem Teil inzwischen Eltern, Modell Helicopter, die ihr Projekt Wunderkind von Anfang an managen oder Rasenmäher-Eltern, die versuchen jedes Hindernis, das der kommenden Nobelpreisträgerin im Weg stehen könnte, schon im Frühfeld zu eliminieren. Menschen, die nur in Watte gepackt werden, werden tendenziell keine netten Menschen.

Es ist Narzissmus, wenn man maximale Ansprüche an andere hat und selbst beleidigt ist, wenn die Umwelt sich nicht ausreichend bemüht, bei allem was man selbst sagt und tut Milde walten zu lassen und wohlmeinend zu erkennen, dass der Ansatz mindestens gut gemeint war, wenn nicht gar eine andersartige, aber gerade darum eben als solche ausgezeichnete Genieleistung. Hier wird von anderen jene aktive Mühe gefordert sich für mich zu interessieren, die ich selbst gegenüber anderen nicht aufbringe.

Sei hart, aber kein Psychopath

Im skizzierten Problem steckt im Grunde schon die Lösung. Die Selbstansprüche müssten ein wenig hochgehen, die an andere zurück geschraubt werden. Härte heißt psychologisch auch Resilienz, Widerstandskraft. Die Kraft mit Krisen umzugehen, an ihnen sogar im besten Fall zu wachsen. Dadurch, dass nicht alles glatt läuft, man auch mal verliert, an Aufgaben scheitert und dies dennoch nicht das Ende der Welt ist.

Gerade wenn man wieder über Wasser schwimmt kann man merken, was man alles überstehen kann und auch, zu was man in der Lage ist. Selbstwirksamkeit, ein anderer Begriff aus der gerade modernen Psychotherapie, auch das hat Aspekte der Härte. Anders gesagt, das Leben ist nicht immer nur schön und durch manches muss man einfach durch: kann man aber auch. Peter Scholl-Latour, ein weithin bekannter Journalist, der in der Fremdenlegion war und die Krisengebiete der Welt besuchte, wunderte sich schon vor vielen Jahren darüber, dass die Menschen immer empfindlicher wurden, nun kam er sicher vom anderen Ende des Spektrums her, hatte aber eine sehr lange Phase der Beobachtung.

Psychopathen sind hart gegen sich und andere, sie sind bereit sich, vor allem aber andere zu schädigen. Niederlagen darf es in ihrem Leben nicht geben, eher würden sie alles und auch sich selbst zerstören. Das kann und soll nicht der Weg sein. Selbstwirksamkeit heißt an sich zu entdecken, dass man mit schwierigen Situationen umgehen und sie meistern kann. Das kann man aber nur, wenn man mit dem was man als schwierig empfindet auch mal ab und zu konfrontiert wird. Wenn man das merkt, entwickelt sich nach und nach ein realistisches, kein großartig narzisstisches Selbstvertrauen, was obendrein echt ist, nicht kompensatorisch.

Funktionieren zu können ist gut, aber es ist nicht immer alles. Aber es ist eben ein Vorteil, wenn man weiß, dass man einen Weg finden wird, wenn es schwierig wird. Psychopathen verfügen über mentale Härte, Angstfreiheit und die Fähigkeit sich zu fokussieren, sehr wünschenswert, aber der Preis ist zu hoch. Für die anderen Menschen, aber man darf auch begründete Zweifel daran haben, dass ein Leben als Psychopath schön ist. Es gibt zwar keine Hemmungen in die Vollen zu gehen, aber das Spektrum der Welt, an dem Psychopathen teilhaben können, ist begrenzt. Dass Vertrauen, Reue, Schuld und der Wunsch nach Wiedergutmachung real und positive Bausteine des Lebens sind, ist weit entfernt. Theoretisch erreichbar, in der Praxis wäre das ein langer Weg.

Es gibt andere Wege sich die positiven Seiten der Psychopathen zu erschließen, über Meditation. Aber es reicht eben nicht zu sagen, okay, mach ich jetzt mal drei Wochen, dann muss er Erfolg da sein. Da hilft ein weiterer Aspekt der Härte: am Ball zu bleiben. Schnell begeistert zu sein und dann, wenn das Strohfeuer verloschen ist, wieder aufzuhören, das ist leicht. Am Ball zu bleiben, durch Höhen und Tiefen zu gehen, sich nicht frustrieren zu lassen, weiter zu machen, wieder neu anzufangen und immer ein wenig tiefer zu graben, das ist es. Ausdauer.

Von der Magie zur Wortmagie

Ballerina dreht Pirouette

Pirouetten können sehr anmutig sein. Bei fundamentalen Werten hält sich die Anmut des Kreiselns allerdings in Grenzen. © Peter Tully under cc

Magie ist out, ist – wenn man sich überhaupt ernsthaft damit beschäftigt – was für Spinner, meint man. Magie aber nicht. Natürlich würde man auch als seltsam deklariert, wenn man Magie ernst nehmen würde, aber der Trend unter Linken, Feministinnen und Antirassismus-Aktivisten ist bestimmte Wörter zu bannen oder auf den Index zu setzen. Sprache ist zu gendern, es gibt das N-Wort, das Z-Wort, so was nimmt man nicht in den Mund, es sei denn man ist Provokateur oder extrem gedankenlos.

Es ist nicht nur die Kunstpause bei Politiker:innen, es entstehen eigene Begriffe, Denkfiguren und Strukturen auch jene Machtstrukturen, die man vorgeblich dekonstruieren möchte. Wenn weißen Menschen (obwohl es ja keine Rassen geben soll) erklärt wird, sie könnten nur Rassisten sein, dann ist das mindestens ein doppelter Rassismus im Namen des Antirassismus. Aber zwischen queer, woke, cis-gegendert, kultureller Aneignung, PoC, toxischer Sprache/Männlichkeit und Whataboutism spannt sich ein eigener Kosmos auf, von Sichtweisen, Einstellungen, oft auch Denk- und Sprechverboten, bei denen man meint, dass, wenn Begriffe nicht mehr verwendet werden, so auch nicht mehr gedacht wird. Das ist Magie. Was man ausspricht, ist real, spricht man es nicht aus, existiert es auch nicht mehr.

Gegen diese Denkfiguren gibt es verschiedene Einwände. Wer behauptet, dass weiße Menschen ihre mitunter wirklich rassistischen Einstellungen nicht aufarbeiten können, weil sie in ihrer Rolle gefangen sind, leugnet ebenso wie bei der Einstellung, nur Homosexuelle könnten homosexuelle Menschen und nur behinderte Menschen könnten andere Behinderte wirklich verstehen, die grundlegende Fähigkeit zur Empathie. Wer denkt, am Gebrauch von Begriffen klebte automatisch eine ganze Ideologie, hat Quine und/oder Wittgenstein nie gelesen oder nicht verstanden.

Ein echtes Schmankerl ist aber der Whataboutism. Man hörte davon oft in politisch sich links verstehenden Kontexten. Whataboutism heißt grob gesagt, auf eine Kritik nicht zu einzugehen und statt dessen: „Aber du“ oder etwas in der Art zu sagen. Man äußert sich also nicht zum angeprangerten angeblichen oder tatsächlichen Fehlverhalten, sondern wenn etwa Männer pauschal als aggressiv kritisiert werden und ein Mann darauf auf ein aggressives Verhalten von Frauen hinweist, heißt es, das sei Whataboutism: Lenkt nicht ab, sondern stellt euch endlich der Kritik ist die Botschaft … gewesen.

Inzwischen hat sich das Rad der versuchten Deutungshoheit weiter gedreht. Putins Angriffskrieg wird von vielen Menschen als Angriffskrieg gesehen, manche sehen das anders, insbesondere politisch sehr rechte und sehr linke Menschen. Teils aus unterschiedlichen, teils aus sich überlappenden Gründen. In der Linken ist der Begriff des Whataboutism nun nicht mehr attraktiv. Wenn man über Putins Krieg reden möchte, gehört es zum Spiel auf die NATO, den Westen und seine Doppelmoral hinzuweisen. Den Punkt kann man machen, wenn man sich aber vorher mit Händen und Füßen gegen den Whataboutism gewehrt hat, ist das einfach die Doppelmoral, die man anderen unterstellen möchte. Man will einfach die Deutungshoheit haben, koste es, was es wolle und sei es die eigene Aufrichtigkeit.

So wird aus dem Selbstwiderspruch eine Selbstdekonstruktion. Die immer feineren Verästelungen der laut eingeforderten Rücksichtnahme brechen ab, wenn der Feind meines Lieblingsfeindes aktiv wird. Wer es nicht schon beim dreifach diskriminierenden Narrativ der alten, weißen Männer gemerkt hat, der kann hier die nächste komplette Kehrtwende in kurzer Zeit hinlegen, manche schaffen das so oft, dass man glauben kann, sie hätten einen Brummkreisel unter ihren Vorfahren.

Mit Rechten reden – Härte im Diskurs

Mit dem anderen ernsthaft zu reden, heißt ihn einerseits zu kritisieren und andererseits seine besten Argumente stark zu machen – wenn und weil man den anderen ernst nimmt. Auch dort, wo jemand vielleicht unglücklich formuliert, geht es nicht darum ihn auszugrenzen, sondern zu schauen, was er eigentlich meinen könnte. Gerade auch bei jenen, deren Einstellung einem nicht passt, so wächst man, alles andere ist nur das Echo in der eigenen Blase.

Rechte geben sich in der Regel keine größere Mühe konstruktiv oder sensibel zu wirken, iht Diskursverhalten ist voll von Häme, Schadenfreude und Gewaltphantasien. Gerade wenn es gegen die eigenen Feinbilder geht und davon haben Ganzrechte in der Regel genug. Aber da ist noch eine andere Seite, die Rechten immer wieder unterstellt wird: Dass sie übermäßig auf Kameradschaft, Chorgeist, eine besonders intensive Form von Treue und Loyalität wert legen. Eine Treue, die sich gerade dann beweist, wenn alle anderen abhauen, in Ausnahmesituationen, wenn man zur Schicksalsgemeinschaft wird, werden muss. Da beweist sich, wer ein echter Kerl ist und nur die Härtesten bleiben übrig.

Ich weiß nicht, ob es Lust an der Unterwürfigkeit, am stumpfen Dienen und Gehorchen in dem Ausmaß gibt, in dem es, vor allem Deutschen, aber auch rechten Gruppierungen immer wieder unterstellt wird, mir scheint das eher ein sekundäres Motiv zu sein, primär ist der Wunsch nach Gemeinschaft, nach Verschmelzung in und mit der Gemeinschaft. Oft ein regressiver Wunsch, aber ein kaum gewürdigtes und ungeheuer wichtiges Motiv. In extremen Regressionen wenn man eine Schicksalsgemeinschaft wird, dominiert nicht mehr Angst, sondern ein Einheitsgefühl, eines der Verschmelzung. Das ist vielleicht das stärkste und am wenigsten beachtete Gefühl … und wir sollten es bergen und nicht verhöhnen, denn wir brauchen es alle. Es gibt noch andere Wege um dorthin zu gelangen.

Der andere Punkt ist die das Ich aufwertende Freude, Teil einer besonderen Gemeinschaft zu sein, in der man eben füreinander da ist. Die Familie könnte es sein, aber oft genug ist sie es nicht. Die Gesellschaft sollte füreinander einstehen, das empfinden viele anders. Da sind extremistische Gruppierungen attraktiv, die sich fast immer darüber definieren, den Mainstream, das Konventionelle abzulehnen, statt dessen meint man selbst bessere, edlere, wahrere Ziele zu verfolgen. Dafür wird man von der Gesellschaft abgelehnt, was aber intern als Auszeichnung verstanden wird, so kommt es zur wohlbekannten, aber schlecht verstandenen Mischung zwischen elitärem Bewusstsein und einer Opferidentität, weil man ja ausgegrenzt wird. In der Linken ist man tendenziell freiwillig Opfer, das narzisstisch Elitäre zieht hinterher. Die Rechte betont oft die Überlegenheit und der eigene Opferstatus kommt im Schlepptau.

Der Wunsch nach stabilen Beziehungen, nach Kameradschaft ist als Wunsch absolut nachvollziehbar, ebenso wie der Wunsch noch etwas anderes zu haben, als nur im Alltag zu funktionieren: die Verschmelzung. Wo rechte Positionen in Menschenverachtung und Niedertracht übergehen, muss man sie zurückweisen. Wo man Motive, wie die dargestellten, auch wenn sie schlecht vorgetragen werden, bergen und fruchtbar für den Diskurs machen kann, sollte man das tun. Es gibt gute Gründe für Verlässlichkeit, die man auch Solidarität nennen kann und für die Integration von Praktiken der Außeralltäglichkeit in unsere Lebenswirklichkeit zu plädieren – als die andere Seite des Alltags.

Sei hart – Der Eintritt ist nicht frei

Manche religiöse Gemeinschaften, Logen, Männerbünde aber auch kriminelle und subkulturelle Organisationen, knüpfen an die Mitgliedschaft in ihnen bestimmte Bedingungen, oft sind es Initiationsriten, die andere zu Mitgliedern der Gemeinschaft machen. Für Organisationen die die Gesellschaft verachten, besteht der Vorteil darin, dass jemand, der selbst eine kriminelle Handlung als Mutprobe oder Initiation bestehen musste, nun gebunden ist, er kann nicht einfach wieder gehen.

Aber das ist nicht alles, gleichzeitig gibt es allen ein gutes Gefühl, wenn jemand bereit ist für die Gemeinschaft Opfer zu bringen, man sieht, dass man sich ein Stück weit auf einander verlassen kann. Ist die Treue wechselseitig, sind fortan alle aus der Gemeinschaft auch für den Neuling da und man kann auch ein Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen. Ab da kann man sich in der Regel hocharbeiten. Man muss sich noch mehr bewähren, das muss nicht immer ein kriminelles Milieu sein, auch das Militär, der Sport und Firmen kennen diesen Weg nach oben, ebenso religiöse Gemeinschaften, Sekten und Logen. Je geheimer und elitärer sie sind, umso reizvoller wirken sie auf viele Menschen. Organisationen in denen der Eintritt frei ist und in denen jeder gleich ist, sind nicht so attraktiv.

Man hört manchmal Hierarchie, Härte und sich etwas erkämpfen zu müssen, sei typisches Konkurrenzdenken oder auch männliches Denken. Weibliches Denken sei weniger ausgrenzend. Blenden wir die Frage wie viel Klischee da drin steckt mal aus. Momentan scheinen mir die männlichen und weiblichen Anteile in unserer Gesellschaft ziemlich unglücklich zusammengeschraubt zu sein.

Kinder, die erst mal bedingungslose Liebe brauchen, müssen sich diese zu oft durch Leistung erkämpfen, was fatal ist. Menschen, die als Einwanderer seit einigen Generationen mit uns leben und längst unser ‚Wir‘ sind, werden misstrauisch beäugt, wenn der Name zu fremd oder die Haut zu dunkel ist. Das ist tatsächlich lupenreiner Rassismus. Zur gleichen Zeit überschwemmen Helicoptereltern ihre Kinder mit Lob, egal was sie tun, werden von einigen bei Migranten Einstellungen toleriert oder gefeiert, die bei uns ein ‚No go‘ sind, wenigstens sollte man unendliches Verständnis aufbringen und rhetorische Figuren, die man eben noch scharf kritisierte – der Whataboutism – werden nun durchgewunken, weil die Ideologie über die intellektuelle Redlichkeit dominiert.

Reset

Bergwanderung vier Menschen

Härte und Ausdauer können uns verdienten Stolz und eine bessere Aussicht ermöglichen. © Freddie Ablazed under cc

Auf den ersten Blick scheint die Lage in vielen Aspekten völlig hoffnungslos und verfahren. ‚Coronaleugner‘ gegen ‚Schlafschaf‘, ‚Putinversteher‘ gegen ‚Ach ja, der Wertewesten‘, übertriebene Härte bis zur Häme und Menschenverachtung gegen bedingungslose Liebe und eingefordertes Verständnis und wenn es nichts bringt, war man eben nicht verständnisvoll genug.

Auf den zweiten Blick braucht man nur anzuerkennen, dass wir beide Bausteine brauchen und dann ist vieles gar nicht mehr so schwer. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern sollte man geschenkt bekommen, man sollte sie sich nicht erarbeiten müssen. Wo man es muss, ist der Nährboden für Narzissmus bereitet. Die Liebe unter Partnern ist zu einem Teil bedingungslos, da man sich eben verliebt und auch nicht so genau weiß, warum nun ausgerechnet der oder die, zu einem anderen Teil muss die Liebe aber auch beantwortet und gepflegt werden.

Dem anderen, ob im Alltag oder Diskurs sollten wir auf der Basis eines grundsätzlichen Vertrauens als Vorschuss begegnen, ohne naiv zu sein. Wird das Vertrauen enttäuscht, kann und sollte man es, nach Klärungsversuchen, entziehen, will man sich nicht selbst verleugnen.

Auf der Basis der grundlegenden Liebe zu Kindern und Partnern und des Vertrauens gegenüber Fremden und Ferneren kann und sollte man Forderungen an andere stellen. Wir sollten uns gegenseitig etwas zutrauen und zumuten und den anderen Angebote machen und Wünsche äußern, sowie auf ihre Angebote und Wünsche hören. Praktikable Lösungen findet man fast immer, wenn man es will. Den Fähigeren kommt mehr Verantwortung zu, die grundlegenden Rechte müssen allen zukommen, damit die Gesellschaft fair ist. Wenn viele motiviert werden können mitzumachen, kann man das Verhalten derer, die könnten, aber nicht wollen sanktionieren. Dafür muss man die, die wollen, aber nicht können, nicht unausgesetzt diskriminieren, der bürokratische Sadismus ist eine Unsitte und zerstört unsere Gesellschaft.

Alltagstauglichkeit am Beispiel der Ängste

Wir sollten die künstliche und schlecht begründete Trennung von Individuum und Gesellschaft reduzieren. Konkret heißt das, dass wir auf der Basis von Vertrauen und Solidarität auch etwas verlangen dürfen. Engagement, so dass Gesellschaft ein Spiel auf Wechselseitigkeit ist oder gute Gründe, warum man seinen Teil nicht beitragen kann oder will. Ängste und Depressionen, die beiden häufigsten psychischen Erkrankungen bei uns, können ein Grund sein, dass jemand nicht kann und verzweifelt ist.

Menschen mit Ängsten und Depressionen brauchen zunächst erst mal unsere Solidarität, nicht unser Misstrauen, dass da einer auf Psyche macht. Fragen Sie mal jemanden mit einer Spinnenphobie, auf was der alles verzichtet und wie der Alltag wirklich aussieht. Mit einer sozialen Phobie sind Sommerurlaub, Kino oder Restaurantbesuch oft kein Spaß, sondern ein Martyrium. Von Panikattacken aus dem Nichts und generalisierter Angst ganz zu schweigen.

Und doch brauchen diese Menschen, neben diversen Arten der Unterstützung und Therapie auch Erfolge, damit das Selbstbewusstsein wieder (oder erstmalig) wachsen kann. Sie dürfen nicht als Opfer ihrer Gene, Eltern oder der kalten Leistungsgesellschaft festgeschrieben werden. Hilfe zur Selbsthilfe ist das was hilft, auch weil man bei Ängsten durch manches einfach durch muss. Da ist es gut zu wissen, dass man durch kommt. Nicht nur zu einem Leben, was sich so gerade noch irgendwie ertragen lässt, sondern zu einem neuen, sinnerfüllten, lebenswerten und zufriedenen Leben. Mentale Härte ist ein Punkt dabei, er hat nichts mit Abstumpfung zu tun. Menschen mit Angst sind in der Regel überempfindlich gegen viele Eindrücke.

Sei hart ist bei echten Angstpatienten deshalb kein schlecher Rat, weil die Ängste oder die Angstbereitschaft mit dem Alter weniger und schwächer werden. Der Höhepunkt liegt statistisch bei 37 Jahren. Aber man findet in der Zeit seine Routinen und Wege und die Angst lässt wohl auch biologisch nach. Menschen mit 80 bis 90 sind oft vollkommen angstfrei.

Man muss aber gar nicht so lange warten, sondern kann auch selber etwas tun. Nämlich sein Leben umschreiben, inklusive seiner Ängste. Ängste können einem peinlich sein, dann schämt man sich zusätzlich zur Angst noch, wenn man immer weniger hinbekommt, wird man oft noch depressiv und wenn man dann noch im falschen Moment liest, das seien die Gene oder das Gehirn, ist man völlig bedient. Diese fatalistischen Aussagen sind zu einem hohen Maße dummes Zeug. Sie entlasten manche Menschen, die dann das Gefühl haben, sie könnten nichts dazu und wenn das so ist, ist es gut. Aber sie belasten anderen, die sich von der Biologie festgenagelt fühlen.

Alle ‚Ja, aber ich bin doch wirklich ein Loser‘ Skripte können von uns umgeschrieben werden und das ist kein Betrug an der Realität. Es ist eine Komponente eines selbstbestimmten Umgangs mit dem Leben in Angst eine Kraftquelle zu sehen, für die man sich nicht schämen muss. Sei hart, grab‘ tiefer, mach‘ weiter, es gibt viele Wege da raus.

Von der Wortmagie zur Magie

Magie sollte out sein, sie ist es leider nicht. Hilfe zur Selbsthilfe, das kann man auch als liebevolle Härte bezeichnen. Man stellt dem anderen nicht den Stuhl vor die Tür, sondern traut ihm zu, eigene Schritte zu gehen. Später größere, ganz wie man mag und kann. Die Autonomie zu vergrößern heißt nicht, dass man unsolidarisch ist.

Wissen, wollen, wagen und schweigen sind magische Grundkomponenten, die den antiken vier Temperamenten zugeordnet sind. Man soll sie ausgleichen. Es gibt magische Lehrbücher, ein ebenso abgefahren-verrücktes, wie grundsolides Buch ist Der Weg zum wahren Adepten von Franz Bardon. Das richtig abgefahrene Zeug kommt im zweiten Teil des Buches über zehn Stufen. Doch es beginnt mit Stufe 1 und der häufig wiederholten Ermahnung weder zu hasten, noch zu springen. Natürlich hält sich niemand daran, dann fällt man auf die Nase und kann man wieder von vorne beginnen. Innenschau, Ausgleich der Temperamente, Disziplin. Doofe Sachen, die man freiwillig nie tun würde, hier tut man sie. Vielleicht getrieben von Größenwahn, Machtgelüsten, letzter Hoffnung oder was auch immer. Still sitzen, Visualisieren, Atemkontrolle, immer wieder. Körperübungen, solche für die Gefühlsebene und den Geist.

Ein ungeheuer dichtes Buch, nichts für drei Wochen oder Monate, sondern Jahre, Jahrzehnte oder viele Leben, sagen einige. Verrückt eben. Aber auf den ersten Stufen eben auch solide, stabilisierend und eine Fusion von Disziplin, Sinn, Ausgleich und der Möglichkeit Ansprüche an andere zurück zu schrauben und sich selbst in die Pflicht zu nehmen.

Wir müssen alle Stufen der Entwicklung integrieren, wenigstens ihre positiven Seiten. Die negativen kennen wir zur Genüge. Regression, Narzissmus und Paranoia in der Gesellschaft, in diversen Ausprägungen. Überall Kampf um die Deutungshoheit im Diskurs, alles scheint erlaubt, sogar Krieg in Europa ist wieder möglich. Vieles zerfällt und der Pluralismus, der nur einen Teil der Fragmente integrieren will, ist so unzureichend, wie ein harter Egotrip es auch ist. Viele der endgültig überwunden geglaubten Strukturen sind magischer oder mythischer Natur und wir müssen erkennen, dass wir diese Aspekte nicht bekämpfen dürfen, sondern einbetten müssen. Je schneller wir das begreifen, umso besser.