Was für ein Jahr!
Spulen Sie mal zurück. Hätte Ihnen kurz vor Weihnachten letzten Jahres jemand erzählt, dass das komische Virusdings in China, von dem man vielleicht in einer Randnotiz gehört hat, dazu führen wird, dass hier in wenigen Monaten das gesamte öffentliche Leben runtergefahren wird, dass wir über Inzidenzzahlen, Lockdown und Masken reden werden und und dass bis zum Jahresende 2020 etwa 1,8 Millionen Menschen an oder mit (muss man heute sagen, plus Dunkelziffer, sollte man im Hinterkopf behalten) Covid-19 gestorben sein werden. Dass ganze Wirtschaftsbereiche, die Kultur, Gastronomie, Reisebranche und viele Menschen, die sich mit guten Ideen etabliert haben um ihre wirtschaftliche Existenz bangen müssen oder sie verlieren. Dass die CDU noch mal zu einem Höhenflug ansetzt und ihn dann langsam wieder verspielt. Dass Virologen zu den gefragtesten Köpfen des Landes werden. Dass das Thema sogar die US-Präsidentenwahl überstrahlt, was hätten Sie gedacht? An das Thema als solches muss man nicht erinnern, es ist dauerpräsent.
Zu dem Jahr gehört auch, dass die vorher schon deutlich spürbaren Polarisierungen weiter zugenommen haben. Egal wo man bei dem Thema selbst steht, wird man immer Menschen kennen, die einem gehörig auf die Nerven gehen und die liegen oft ziemlich blank. Entweder man ist von den Verharmlosern extrem gereizt, die scheinbar immer noch nicht begriffen haben, was los ist oder von den überängstlichen Mitbürgen, die die mühsam errungene Freiheit völlig preisgeben, ohne zu ahnen, was sie da tun. Die meisten werden sich jedoch in der Mitte dieser Positionen zuordnen, sind von dem Streit genervt und fragen sich, warum man das Thema nicht einfach ganz sachlich angehen kann.
Machen wir das Beste daraus und versuchen wir uns und andere zu verstehen und so gut es geht mit Nachsicht zu behandeln.
Momentan immer müde? Wieso auch nicht? – Der Corona-Blues
Sie haben eigentlich viel weniger zu tun als üblich, fühlen sich aber dennoch am Ende des Tages total erschöpft? Andererseits sind Sie müde, schlafen aber schlecht? So geht es derzeit vielen Menschen und die sind nicht etwa überempfindlich. Seien Sie nachsichtig mit sich. Stress und Ärger sind überall präsent. Die Rolle der Medien ist eine andere als vor Jahrzehnten und sie versorgen uns, von früh bis spät, mit Nachrichten über Infiziertenzahlen, Virologenstreits und Tote. Man ist voll der Sorge um die eigene wirtschaftliche Existenz und jene der Mitmenschen lässt einen in der Regel nicht kalt. Da hat sich der Sohn über Jahre, mit Fleiß und Verzicht sein eigenes Unternehmen aufgebaut, das so eben angelaufen ist und schon ist alles wieder vorbei. Kein gutes Gefühl. Die kluge Tochter ist so eben aufgestiegen und nun ist unklar, ob die Firma überhaupt weiter machen kann.
Es gibt die Sorge um alte und kranke Angehörige und ihr nacktes Überleben. Da sind Streits mit anderen, oft auch mit der eigenen Familie. Die ungewohnte Enge mit durchaus geliebten Menschen, kann zu ungeahnten Spannungen führen. Übliche Wege diese Spannungen abzubauen sind aber oft verbaut. Der schöne Ausflug, mal ins Kino, einfach Essen gehen oder Shoppen mit der Freundin. Der Gang ins Fitness-Studio oder zum Sport. Der normale Alltag ist ohnehin schon eine logistische Großtat, in den letzten Jahren ist das nicht besser geworden, aber kaum eine der üblichen Entlastungen ist mehr so richtig unkompliziert zu praktizieren. Da kann man schon mal erschöpft sein.
Ein Recht auf Verdrängung
Eine gar nicht so schlechte Idee ist die Verdrängung. Eigentlich ist Verdrängung als Begriff nicht ganz passend, weil er keine bewusste Wahl beschreibt, sondern einen unbewussten Mechanismus. Wenn wir ein Auge zudrücken ist gemeint, dass man ein belastendes Thema einfach mal für Stunden aus dem Alltag aussperrt, indem man beschließt nicht drüber zu reden, sich medial nicht ständig berieseln lässt und sich mit etwas anderem beschäftigt.
Das wird oft als der Rückzug ins Private etwas negativ betrachtet, wenn man jedoch keine privaten Räume und Interessen mehr hat, ist das noch viel negativer. In Was wirklich zählt versuchten wir die Prioritäten etwas zurecht zu rücken, in Coronazeiten gilt das umso mehr. Wir alle kennen Menschen, die diesen Rückzug ins eigene Private institutionalisiert haben, oft die eigenen Eltern oder (Ur-)Großeltern, ja nach dem, wie alt man ist.
Sie leben nicht selten in ihrer eigenen Welt, was man als liebenswerte Schrulligkeit ansehen kann, wenn man emotional etwas entfernt geparkt hat, was man aber auch als nervtötend empfinden kann, wenn man engen Kontakt hat und Sorgen, um die Gesundheit der Betroffenen. Alte Menschen haben nach wie vor andere Prioritäten. Es muss genau diese Kaffeesahne sein und keine andere. Geht nicht. Die Tagesroutine darf nicht unterbrochen werden. Am ehesten bringen Fremde eine leichte Kursänderung zustande, die eigene Familie beißt auf Granit.
Alterstarrsinn? Zwänge? Beginnende Demenz? Vielleicht. Sie leben aber auch in ihrer eigenen Welt und das ist gar nicht schlecht, weil der Kokon des Gewohnten einen psychischen Schutz bildet. Nicht immer und ausschließlich, aber viele Alte können ganz gut in ihre Welt eintauchen. Das müssen jene, die deren Leben regeln wollen oder müssen im Hinterkopf haben und man kann sogar ein Stück weit davon lernen. Es ist gut diese eigene Welt zu haben. Wie sieht Ihre aus? Haben Sie eine?
Leugnen als Angstvermeidung
Ich kenne, wie Sie auch, einige Menschen die Coronaleugner sind, mindestens aber Coronaskeptiker. Die das alles für übertrieben halten, falsche Prioritäten gesetzt sehen oder die politische Intrige wittern. Verleugnung ist die intensivierte Form der Verdrängung. Auf der einen Seite können einem diese Menschen schwer auf die Nerven gehen, auf der anderen Seite hilft es manchmal, sich klar zu machen, dass auch sie in einer Notlage sein können.
Menschen, die verleugnen haben oft große Angst und da es sich nicht gut anfühlt große Angst zu haben, wird diese oft ausgeblendet und es werden Ersatzschauplätze aufgemacht, weil der Grundkonflikt nicht aufzulösen ist. So kommt es zu mancherlei Stilblüten, da ist der eine, der Covid-19 für völlig harmlos hält und lang und breit erklären kann, warum es harmlos ist, die Zahlen alle für gefälscht hält, aber sich gleichzeitig als einer der ersten impfen lassen möchte. Auf diesen doch etwas herben Widerspruch hingewiesen, ist die Antwort: Damit endlich das dumme Gequatsche (über die Gefährlichkeit) aufhört.
Da ist die andere, die bei jeder Kartoffel, die nicht ökologisch vollwertig ist, denkt, dass das Essen lebensgefährlich ist und ihr Leben auch ansonsten unter die Prämisse Sicherheit vor allen potentiellen Gefahren stellt, aber von einer durchaus gefährlichen Pandemie kaum Gefahren ausgehen sieht.
Man kann vielleicht die Spannungen verstehen, die in diesen Menschen herrschen müssen und aus der Position der Ohnmacht und Angst kommt man sehr gut heraus, wenn das eigentliche Problem keines mehr ist, ein anderes dafür zu einem gemacht wird. Dies gilt auch unabhängig davon, wer inhaltlich recht hat.
Covidioten sind oft keine Idioten
So ist die Rede von den Covidioten unglücklich, da es sich eben längst nicht in allen Fällen um Idioten handelt. Es können sogar sehr intelligente Menschen dabei sein. Es bringt aber auch nichts zu sagen, dass diese Menschen vielleicht intelligent aber doch irgendwie gestört sein müssen, weil das wieder nur eine Distanz zwischen das Selbst und den anderen bringt. Ein bisschen Selbstschutz vor der Angst, ein bisschen intellektuelle Überheblichkeit – man glaubt nicht die Märchen, die alle glauben – und das gute Gefühl auch moralisch besser zu sein – man ist wirklich an der Wahrheit interessiert, im Gegensatz zu den anderen – wer würde das nicht gerne für sich beanspruchen?
Die Vertreter von Verschwörungstheorien[link] haben eine strukturelle Nähe zur paranoiden Gruppe, was aber nicht zwingend pathologisch gemeint ist, sondern in dem Sinne beschreibend, dass es ein immer wieder neues (Un-)Gleichgewicht zwischen narzisstischer und paranoider Einstellung gibt. Das Schwergewicht liegt bei ihnen meistens auf dem Pol, der grundsätzlich misstrauisch ist. Dass man sich damit ein wenig besser fühlen kann, ist etwas was wir gelegentlich alle anstreben. Wer gar nicht anders kann, als so zu agieren, den sollte man wenigstens verstehen, allerdings braucht man sich und andere von ihnen auch nicht in Gefahr bringen zu lassen.
Hat man diese Sichtweise einmal eingenommen, ist es schwer sie wieder abzulegen, da sie recht selbstverstärkend ist. Es ist sehr sexy etwas abseits zu stehen und es besser zu wissen als die etwas dumme Herde. Jeder Beweis der nun ‚anderen Seite‘ wird als Rechtfertigung der eigenen Position interpretiert und mit den unschlagbaren Argumenten versehen, dass man sich ja nicht erklären müsste, wenn man richtig liegen würde, andererseits, dass es doch seltsam wäre, dass man sich nicht erklärt, wenn man doch meint, richtig zu liegen. Mit anderen Worten: Was immer ‚die andere Seite‘ tut, sie kann nichts richtig machen, außer bedingungslos ihren Irrtum einzugestehen.