
Verdrängte Inhalte sind wie abgeschnitten. Wir meinen, nichts mit ihnen zu tun zu haben. © Kevin Doncaster under cc
Verdrängung und Vergessen spielen als Mittel der Psychohygiene und der Ökonomie des Lernens und Behaltens eine ähnliche Rolle, wenn auch vor einem unterschiedlichen emotionalen Hintergrund.
Die Verdrängung ist sicher der berühmteste psychische Abwehrmechanismus. Jeder kennt den Begriff und weiß so ungefähr etwas damit anzufangen. Dass man es nur ungefähr weiß, eint die Normalbevölkerung mit den Psychologen, die den Begriff ebenfalls uneinheitlich verwenden. Manche lehnen das Konzept und den Begriff ab, andere verteidigen ihn, wieder andere stehen ihm neutral gegenüber.
Doch auch die Verdrängung selbst, wenn man den Begriff akzeptiert, macht es einem nicht leicht, da man nicht genau weiß, wo sie genau beginnt und wo wir es mit normalem Vergessen oder bewussten Bewältungsstrategien zu tun haben. Denn das unterscheidet die Verdrängung von aktiver Bewältigung, die in der Psychologie auch Coping oder Coping-Strategien genannt werden: die Verdrängung ist ein unbewusster Modus. Man entschließt sich also nicht, etwas zu verdrängen, es passiert einem, auch ohne, dass man es will. Das rückt die Verdrängung in die Nähe des Vergessens, denn das will man in aller Regel auch nicht und auch das passiert einem. Doch hier gibt es ebenfalls einen Unterschied. Vergessen tun wir Dinge, ohne dass ein psychischer Konflikt dahinter steht, bei der Verdrängung ist es anders und erst das macht aus ihr einen unbewussten Abwehrmechanismus.
Verdrängung und Vergessen sind normal
Der Abwehrmechanismus der Verdrängung ist aber längst noch nicht pathologisch, sondern ähnlich wie bei einem anderen bekannten Abwehrmechanismus, der Projektion, die in normaler oder pathologischer Form auftreten kann, finden wir hier zwei Formen, oder besser gesagt: wie bei der Projektion gibt es hier einen fließenden Übergang zwischen einer gesunden Form der Verdrängung, bei der es sogar gut ist, wenn wir sie haben, und einer immer mehr ins Pathologische hineinrutschenden Variante, die irgendwann schadet.
Verdrängung ist nicht per se schlecht, sondern normal. Genau wie das Vergessen hilft sie uns unseren Speicher wieder zu leeren. Allgemein geht man davon aus, dass wir auf zwei Arten lernen: Durch etwas, was einen hohen emotionalen Wert hat und etwas, was oft wiederholt wird. Der emotionale Wert oder die emotionale Besetzung kann positiv oder negativ sein. Wenn ein Lehrer oder Professor von seinem Fach ehrlich begeistert ist, ist das der beste Garant dafür, dass seine Schüler oder Studenten sich auch für den Stoff interessieren und den Inhalt behalten. Die negative Variante gibt es auch, wenn hochbelastende bis traumatische Ereignisse erinnert werden, was bei Spitzenaffekten der Fall ist. Hat etwas keinen emotionalen Gehalt oder wiederholen wir es nicht, ist es oft schnell wieder vergessen, bis auch extrem wenige Ausnahmen bei Menschen, die nicht vergessen können.
Bei der Verdrängung ist es anders. Verdrängt wird etwas, weil es einen emotionalen Gehalt hat, also einem Triebwunsch entspricht, doch zugleich muss noch etwas dazukommen, der Wunsch muss auch vom Ich oder Über-Ich (oder Gewissen) abgelehnt werden. Affekte und Triebe wollen immer sofort umgesetzt werden. Wenn wir jemanden sehen, der etwas Köstliches zu essen hat, wir einem sexuell verlockenden Reiz ausgesetzt sind oder uns über jemanden ärgern, will ein Teil von uns unverzüglich reagieren. Doch sozial ist das in den meisten Fällen nicht erwünscht und unpassend. Es wird von uns verlangt, unsere Triebwünsche aufzuschieben und unsere Affekte zu kontrollieren. Wer was kann und tut, wird als Lohn von der Gesellschaft geschützt, er gilt in der Regel als einer von uns, während wir mit Menschen, die zur Impulskontrolle nicht fähig sind, oft unnachsichtig umgehen. Für Freud ist dieser konflikthafte Deal, Triebwunsch gegen Schutz und Anerkennung, der Grund für „Das Unbehagen in der Kultur„.
An sich ist die Verdrängung gut. Ständig haben wir mit einer Flut von Reizen, Verlockungen und Ärgernissen zu tun, auf die wir gar nicht alle reagieren können. Umso besser, wenn wir es auch nicht müssen, weil uns Unbewusste Mechanismen dafür sorgen, dass vieles erst gar nicht emotional an uns heran kommt, oder wie durch einen Nebel. Wir haben dann nicht nur das Gefühl, dass uns etwas nicht so sehr juckt, es ist auch so. Dadurch leben wir alle ein Stück weit in unserer Welt, mit etwas Distanz zur Außenwelt, ohne dass dies zu eng, selbstbezogen oder gar autistisch wäre. Dieser Kokon sichert unsere Möglichkeit in der Welt zum funktionieren. Wenn Aufmerksamkeit von uns verlangt wird oder wir neugierig sind, können wir uns öffnen und uns auch emotional zuwenden. Doch manchmal ist dieses Gleichgewicht auch gestört. Man kann zu offen sein, oder zu verschlossen, im Fall einer Verdrängung ist man zu verschlossen.
Woran erkennt man pathologische Verdrängungen?
Man merkt dann nicht, dass man zu viel verdrängt, was daran liegt, dass man schon nicht merkt, dass man überhaupt verdrängt. Der Mechanismus läuft ja unbewusst ab. Was man aber bemerken kann, sind neurotische Symptome, wie manche Zwänge oder Ängste, aber auch durch Träume, Versprecher oder Fehlleistungen bricht sich das zu sehr Verdrängte dann Bahn. Zu sehr verdrängt bedeutet, dass der gesellschaftlich notwendige Aufschub der Triebe gar kein Aufschub mehr ist, sondern die Triebbefriedigung ganz ausfällt. Das betrifft klassischerweise vor allem Menschen, die stark reglementiert leben und in der Kindheit vor allem dafür gelobt wurden, dass sie ihre Triebe unterdrückten. Es sagt natürlich niemand: „Ach, wie schön Du Deine Triebe unterdrückst“, sondern das sind Kinder, die dafür gelobt werden, wie brav, sauber, leise und ordentlich sie sind. Auch hier gibt es kein Schwarz oder Weiß, Kinder, die wie kleine Könige, Prinzessinnen oder Genies behandelt und für alles was sie tun gelobt werden, sind auch nicht gut dabei.
Werden Triebe jedoch nur noch unterdrückt, ist die Sache damit nicht erledigt, sondern die Triebe, das Es, das Unbewusste fordert sein Recht und kommt dann in oft reichlich merkwürdiger Form ans Tageslicht. Der Betroffene selbst kann oft nichts damit anfangen und weiß auch nicht, was auf einmal mit ihm los ist. Möglicherweise ist es auch die Umgebung, die eher etwas merkt als der Betroffene. Klassischerweise sind Menschen, die etwas verdrängen, von ihren Gefühlen abgeschnitten. Meist nicht von der Gesamtheit der Gefühle, aber von einige Teilbereichen, oft jenen, die eine sexuelle Konnotation haben oder auf andere Weise mit Wildheit, Maßlosigkeit oder Gier assoziiert sind.
Es ist nicht so, dass neurotische Menschen ihre Triebe mühsam niederringen müssen, sie haben eher das Gefühl, dass sie hier einfach kein Bedürfnis haben oder wenn, dann erfüllt man vielleicht seine Pflicht, ohne große Lust. Es kann aber zum Beispiel sein, dass Menschen, die Körperkontakt und Sex vermeiden, dann immer wieder zum Arzt rennen, sich an allem möglichen Stellen untersuchen lassen, sich vielleicht merkwürdig gerne Spritzen geben lassen oder sonst einen Weg zur Grenzverletzung und zum, dann ja medizinisch notwendigen, Körperkontakt suchen.
Wenn man sich doch dabei ertappt, merkwürdige oder gar „versaute“ Gedanken zu haben, ist es vielleicht besonders wichtig, durch Putzen oder Aufräumen die Ordnung und Sauberkeit wieder herzustellen. Therapeuten kommen in der Regel recht schnell darauf, wo der Schuh drückt, nur wird die Deutung oft nicht angenommen. Wenn man jemandem sagt, er hätte ein sexuelles Verlangen, wenn er 30 Jahre trainiert hat davon gerade nichts zu merken, dann wirkt so eine Deutung auf den Betreffenden erst mal absurd.
Verdrängung und Verleugnung
Sind bei der Verdrängung bestimmte Bereiche in ihrer Gesamtheit gehemmt, so nimmt dies bei der Verleugnung eine etwas andere Gestalt an. Die Verleugnung ist eine regressive und damit schwerere Form der Verdrängung, bei der jedoch der kognitive Anteil in aller Regel bewusst ist, aber die emotionale Relevanz verleugnet wird. So kann jemand über eine nahen Menschen, der eben noch annähernd als Engel beschrieben wurde, relativ übergangslos wie von einem Teufel berichten, ohne dass dieser harte Bruch, auf den der Betreffende hingewiesen wird, etwas am jetzigen Urteil ändern könnte. Die Emotionen von eben sind im Licht der jetzigen wie weggewischt. Was fehlt, ist die ausgleichende Mitte, das Gefühl für das sowohl als auch und die Fähigkeit, diese Ambivalenz zu ertragen. Auch in anderen Lebensbereichen kann es sein, dass das, was jemand durchmacht, überhaupt nicht zu dem passt, was er normalerweise fühlen müsste. Fehlende Sorge um eine eigene schwere Erkrankung, vermeintliche Liebe zu einem Partner, der chronisch fremdgeht und so weiter.