Der Wunsch nach Kontrolle zeichnet sich manchmal durch übergroße Ordnung und Sortiererei aus. © Erich Ferdinand under cc

Der Wunsch nach Kontrolle gehört zum Menschen. Wir wollen die Ereignisse unserer Umgebung erstens, verstehen und zweitens, einen gewissen Einfluss auf sie ausüben können, dann fühlen wir uns wohl und sicher. Verstehen wir nicht, was passiert oder sind uns die Hände gebunden, fühlen wir uns oft unbehaglich, manche werden ärgerlich und aggressiv, andere ziehen sich still und verunsichert zurück.

Wann man beginnt, sich unwohl zu fühlen, ist individuell verschieden. Manchen gelingt es recht problemlos Dinge geschehen zu lassen und sie finden das spannend, andere haben größere Probleme mit dem Loslassen und mit Überraschungen.

Positive Kontrolle

Der Wunsch nach Kontrolle ist zunächst einmal nichts Schlechtes, in einer Vielzahl von Lebensbereichen sogar ausgesprochen wichtig. Um die tragischen Fälle von falsch amputierten Gliedmaßen zu minimieren, wird ein Patient im Krankenhaus zig mal kontrolliert, bis er dann sediert auf dem OP-Tisch liegt. OP-Material wird einzeln abgezählt, damit im Körper nichts vergessen wird. Bei solchen und anderen Ereignissen des Alltags sind wir über eine gute Kontrolle dankbar und allen Kontrollinstanzen ist gemeinsam, dass sie dann gut sind, wenn sie geräuscharm und reibungslos funktionieren, so dass man von ihnen möglichst wenig mitbekommt und sie unser Leben möglichst nicht beeinträchtigen.

Der Straßenverkehr wäre ein anderes Beispiel, bei dem, bei einer Einhaltung gewisser Regeln das Große und Ganze gut funktioniert und auch die Logistik der diversen Paketdienste ist maximal ausgefeilt, so dass ich jederzeit den Überblick über ‚meine Lieferung‘ haben kann. Vermutlich funktioniert das alles inzwischen sogar zu gut, so dass bei manchen fast täglich irgendwas ins Haus geliefert wird.

Aber so wie es Überwachungsstaaten gibt, in denen alles ausspioniert und verwertet wird, was nur eben geht, so gibt es auch Menschen, die von einer maximalen Kontrolle träumen.

Narzissmus und der Wunsch nach Kontrolle über andere

Narzissmus ist eng mit dem Wunsch nach Kontrolle verbunden, was vor allem tiefe Beziehungen sabotiert. Narzissmus begegnet uns dort, grob gesagt, in zwei Varianten, einer zwar egozentrischen, aber doch gutartigen, in der Narzissten beliebt sein und gemocht werden wollen und einer aggressiven bis bösartigen, auch wenn beide Formen in einander übergehen.

In der gutartigen Form ist der Narzisst umgeben von einer Aura der Uneigennützigkeit, die aber immer verknüpft ist, mit Symbiose- oder Verschmelzungsphantasien. Der andere soll so werden, wie man selbst ist. Das ist in der Liebe ein recht organischer Part, weil man sich durch die Liebe ohnehin extrem für einander interessiert. Narzisstische Beziehungen sind selten symmetrisch, insofern sucht man jemanden zum konstanten idealisieren, die andere, wohl häufigere Variante ist, dass man sich jemanden sucht, der einen selbst idealisiert und bewundert. Die Themen und Interessen des Narzissten sind in der Beziehung dann oft die wichtigen, die des anderen werden klein geredet, als das, was doch an sich jeder kann und leistet, der Part des Besonderen, manchmal auch unverstandenen Genies oder jedenfalls des großen Rätselhaften, den niemand versteht, weil er irgendwie ganz anders ist oder empfindet, hat der Narzisst, dessen Kontrollspiel oft damit beginnt, den anderen ebenfalls narzisstisch zu erhöhen. „Du bist der/die erste, der/die mich wirklich versteht. Was ich dir erzählt habe, habe ich noch niemandem erzählt.“ Damit ist man schon mal anders als die anderen und in einer exponierten Position, ebenfalls besonders. Das schmeichelt einem. Setzt allerdings schon wie Vorzeichen: Man ist toll, weil man den anderen so gut versteht und ihm nahe kommt.

Zugleich ist man nämlich davon abhängig diesen anderen Menschen besonders gut zu verstehen und wenn man das nicht (mehr) tut, ist man augenblicklich wie alle anderen und damit degradiert. Ein subtiles Spiel, oft auch von narzisstischen Menschen nicht bewusst gespielt. So zieht man den anderen langsam in die Welt der eigenen Interessen, was nicht schlimm wäre, würde man sich in ähnlicher Weise auch für die Welt des anderen interessieren. Bei Narzissten gelten in der Regel nur die eigenen Themen als die wirklich relevanten, die anderen dürfen den unwichtigen Rest machen, der eben auch gemacht werden muss, aber was wirklich zählt, sind die eigenen Interessen. Das bringen Narzissten, oft mit Charisma und Überzeugungskraft, dann gerne auch den auserwählten Anderen bei.

Da die eigenen Themen die wichtigen sind, wird der/die andere schrittweise herangeführt, gerade genug, um den Narzissten gebührend bewundern zu können. Oft tarnt sich die narzisstische Kontrolle auch als Sorge. Der andere weiß ja gar nicht, wo überall welche Gefahren lauern und davor muss man ihn schützen: „Ich will doch nur dein Bestes.“ Wie die Eltern früher, nur ist das eben Ausdruck von Asymmetrie, nicht von einer Beziehung auf Augenhöhe. Auch der Wunsch, man solle stets vollkommen ehrlich zueinander sein, den Narzissten oft entwaffnend offen vorleben, ist dem oft unbewussten Wunsch nach Kontrolle geschuldet. Auch die ehrlich empfundene Sorge um den anderen, der vielleicht wirklich Dinge tut, die gefährlich oder ungesund sind, kann narzisstisch sein, wenn die primäre Angst die ist, den Partner zu verlieren und man folglich alles tut, um ihn zu verändern. Das kann ein normal besorgter Hinweis sein, wenn jemand wirklich ungesund oder gefährlich lebt, aber irgendwann stellt sich die Grundsatzfrage, ob man es dem anderen zugestehen kann, eben so zu sein, wie er oder sie nun einmal ist und ob man nicht lernen sollte, mit den eigenen Ängsten und Sorgen umzugehen, statt den anderen, gemäß der eigenen Bedürfnisse, zu ‚optimieren‘.

Die dritte Variante der narzisstischen Partnerwahl ist die eher kühle Auswahl nach sozialem Status, also eine Anpassung an das, was von den Kreisen, in denen ich mich bewege, erwartet wird. Die attraktive Frau an seiner Seite, zum vorzeigen. Ein vierte, das perfekte Paar, siehe dazu vertiefend: Narzissmus in der Liebe.

Subtile und aggressive Kontrolle

Der Wunsch nach Kontrolle wird beim Fortschreiten der narzisstischen Pathologie in der Regel stärker. Man will jederzeit und immer wissen, was der/die Andere macht, wo er/sie ist und am besten auch, wenn genau der/die Andere denkt und empfindet. In geringem Umfang ist es normal, sich nach einer Party spielerisch abzusichern, ob die Beziehungswelt noch in Ordnung ist, aber, es kann sein, dass jede Begegnung eifersüchtig beäugt wird.

Die Kontrollstrategie besteht oft darin, dass dem in in der Asymmetrie unterlegenen Partner ständig erklärt wird, wie minderwertig er ist und dass er froh sein kann, dass sich jemand – der Narzisst – gefunden hat, der es, aus Güte und Wohltätigkeit mit ihm aushält und sich um ihn kümmert. Dass gerade auch Narzissten ihre Partner brauchen, kann von ihnen nicht konfrontiert werden. Sie sind es, die den anderen oft noch mehr brauchen, als dieser sie und der dankbar sein müsste, dass der andere es mit einem anstrengenden Kontrollfreak aushält.

Stets wird jedoch dem Anderen suggeriert, es würde niemanden geben, der sich mit ihm einlassen würde und dann und wann gibt es auch Momente, in denen Narzissten umschalten und betont liebenswürdig sein können und ihren vermeintlich wahren Kern zeigen. Auch das kettet den oder die andere an den narzisstischen Menschen, das Wissen, wie er oder sie mal war und auch sein kann. Daran hält man fest und ernährt sich davon, wohingegen die Gegenwart oft weniger schön ist.

Narzissten erwecken oft den Anschein, sich dem anderen auszuliefern. Zum einen, durch ihre radikale Forderung nach Ehrlichkeit, die sie oft vorleben, weil sie ihren eigenen Wunsch nach Kontrolle nicht kennen oder nicht richtig einordnen können und einen Hang zu verletzender Offenheit (in der es als Wahrheit verstanden wird, dem Anderen zu sagen, wie minderwertig er ist), zum anderen durch Geschichten von früher, als sie mal sehr enttäuscht wurden. Damals hatte man sich anvertraut und geöffnet, aber das eigene Vertrauen wurde schwer enttäuscht. Das gibt es und das kennen viele Menschen, aber es kann auch die Ouvertüre zu der Oper „Wag‘ es ja nicht, mich ebenfalls zu enttäuschen“ sein. Natürlich hat man Verständnis für so eine Erfahrung, aber mit der Drohung, man verhalte sich genau, wie der oder die anderen damals, kann man gerade einen verständnisvollen Partner gefügig machen, denn man will den Anderen ja nicht verletzen.

Mit der Zeit kann dies aber auch ein Druckmittel werden, das jeden Widerspruch im Keim erstickt und in Formen der emotionalen Erpressung übergehen oder mit diesen kombiniert werden kann.

Eine weitere narzisstische Variante ist, dass mit der geglückten Eroberung, manchmal auch mit einem anderen Ereignis, wie der Hochzeit, das Interesse am anderen auf Null sinkt, was vom Partner, der nur noch missachtet oder offen beleidigt, schlecht behandelt oder komplett ignoriert wird, wie ein unausgesetzter Alptraum vorkommt, die Hintergründe ebenfalls in Narzissmus in der Liebe.

In einer fortgeschrittenen Eskalationsstufen der Pathologie geht es um immer mehr Lust an der Kontrolle um ihrer selbst willen. Das Ziel ist, den anderen demütigen und quälen zu können und mit ihm tun und lassen zu können, was man will. Einfach, weil man es kann.

Der paranoide Wunsch nach Kontrolle

Narzissmus und Paranoia sind die ergänzenden Aspekte der Psyche, die im Gesunden beginnen und sich im hoch Pathologischen vereinen. Beim Narzissmus finden wir eine gewisse unbewusst lustvolle Komponente der Kontrolle, bei der paranoiden Einstellung ist die Lustkomponente eher reduziert, hier regieren Misstrauen und Argwohn. Den Partner will man kontrollieren, weil man überzeugt ist, ihn besser zu kennen, als er sich selbst und genau weiß, was er wirklich tut oder vor hat.

Das Resultat sind oft regelrechte Verhöre und wenn diese nach Jahren so weit führen, dass der Partner die Nase voll hat und geht, kann der paranoide Mensch immer sagen: „Ich hab’s doch von Anfang an gewusst.“ Dass sein konstantes Misstrauen, gegenüber dem Partner, der nichts richtig machen kann, bei diesem zu massiven Frustrationen führt, hat der Paranoiker nicht auf dem Schirm, denn er hat schon oft erlebt, dass er am Ende des Tages recht hatte.

Dass er sich zum einen, selektiv nur heraussucht, was in sein Weltbild passt und zum anderen durch sein Verhalten erst das auslöst, von dem er denkt, es sei immer schon da gewesen, passt nicht zu seinem geschlossenen Weltbild, in dem der Triumph es von Anfang an besser gewusst zu haben, offenbar höher rangiert, als die Aussicht ein glückliches Leben zu führen. Menschen aus der paranoiden Gruppe misslingt das oft, wobei viele an sich schon wollen, aber es eben nicht hinbekommen, Vertrauen aktiv vorzuschießen. Die Befürchtung dann erst recht an der Nase herum geführt zu werden, dominiert über die Chance auf unbeschwertere Zeiten.