Was sind gestörte Objektbeziehungen?

Eine Statue zur Erinnerung an den Terror. © Les Haines under cc

Gestörte Objektbeziehungen erkennt man daran, dass eine Beziehung zu anderen Menschen, aus Sicht jener die gestörte Objektbeziehungen verinnerlicht haben, so gut wie nie und schon gar nicht dauerhaft auf Augenhöhe stattfinden können. Es gibt in ihrer Welt immer einen, der einen anderen dominiert und wenn er es jetzt gerade nicht tut, es zumindest doch jederzeit tun könnte, wenn er es denn, aus willkürlicher Lust und Laune machen will. Mindestens gibt es wertvolle und bedeutende Menschen und wertlose, unbedeutende. Menschen haben auch keine anderen echten Wünsche, als anderen zu zeigen, dass sie ihnen überlegen oder wichtiger sind.

Das kann in diversen Formen auftreten, von der Muskel- oder die Feuerkraft, über rhetorische, intellektuelle und finanzielle Fähigkeiten, Skrupellosigkeit oder dadurch dass man die richtigen Leute kennt, die besten Anwälte hat oder dergleichen und so gut wie alles was man tut, ist dem Wunsch geschuldet, andere immer wieder zu dominieren und ihnen zu zeigen, wie klein und unbedeutend sie sind. Mindestens aber dadurch, dass man sich einfach wichtiger fühlt und meint, man verdiene es ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

Woran erkennt man gestörte Objektbeziehungen?

Daran, dass diese Muster gesucht und gelebt werden. Entweder man sucht sich Partner, die weit unter einem stehen, so dass in der Partnerschaft eine Asymmetrie von Anfang an besteht und erzählt dem anderen wie froh er sein kann, dass sich wenigstens einer mit ihm abgibt. Der allgemeine Modus im Umgang mit anderen ist Idealisierung und Entwertung, es gibt nur Idioten und Genies, Nichtsnutze und Helden. Zu den einen schaut man auf, die anderen werden missachtet.

Wenn manche Menschen über die wahren Motive anderer phantasieren „wenn wir doch mal ehrlich sind“ und es im Leben dann doch nur darum geht Macht, Geld oder Einfluss anzuhäufen und alle anderen Motive als vorgeschoben, inauthentisch oder bestenfalls naiv und lächerlich angesehen werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand solche Muster verinnerlicht hat, auch dann, wenn er sagt, er selbst sei die zwar anders, aber die Welt wäre nun einmal so, da brauche man sich nichts vorzumachen, die Macht dominiere immer über die Wahrheit oder das Argument.

Wodurch entstehen gestörte Objektbeziehungen?

Am häufigsten dadurch, dass man diese Muster, in der frühen Kindheit, am eigenen Leib erleben und/oder mit ansehen musste. Ferner dadurch, dass man in jungen Jahren über längere Zeit schwere Schmerzen erleiden musste, bei denen auch ein besorgtes Umfeld nicht helfen konnte. Die an sich gute und helfende Instanz wird als schwach und unzureichend erlebt, die Aggression dominiert über die Liebe und Sorge. Eine weiterer Grund sind Störungen der Hirnphysiologie, besonders der Affektverarbeitung, die eine Impulskontrolle erschwert oder verunmöglicht.

Schauen wir kurz auf den Kontrast, also darauf, was, in wenigen Skizzen, gesunde Objektbeziehungen charakterisiert:

Stabile Beziehungen auf Augenhöhe

Beide Partner respektieren einander und werden als prinzipiell gleichwertig und -berechtigt erlebt, auch und gerade dann, wenn der eine auf anderen Gebieten seine Stärken und Schwächen hat, als der andere. Man akzeptiert, dass der andere ein Mensch ist, der eigene Wünsche, Ziele, Gedanken, Gefühle und Träume hat und bei allen Gemeinsamkeiten immer auch haben wird. Der andere ist gerade dadurch interessant und muss nicht zu jemandem umfunktioniert werden, der genauso ist, wie ich.

Die Fähigkeit Ambivalenzen zu tolerieren

Das Tor zur Menschlichkeit wird diese Fähigkeit auch genannt. Kurz und gut, man sieht sich und manche anderen zunächst in einen idealisierten Licht. Andere Menschen, die man bewundert, sind Helden, man selbst in der eigenen Wahrnehmung wenigsten ein grundguter Mensch (oder, wenn man schlecht behandelt wurde, erlebt man sich als wertlos und nichtswürdig), doch mit der Zeit erkennt und akzeptiert man, dass unsere Absichten und Motive nicht immer lupenrein und blütenweiß sind, sondern die Grundspannung von Liebe und Aggression stets erhalten bleibt. Dadurch entstehen Abstufungen, Zwischentöne und Buntheit. Wenn wir diese Ambivalenz bei uns erkennen und annehmen können, ohne uns dafür zu verurteilen, können wir sie perspektivisch auch bei anderen akzeptieren und tolerieren.

Ein konstruktiver Umgang mit Kritik

Ein wichtiger Punkt, der heute oft fehlt. Kritik anzunehmen, das heißt offen zu prüfen, ob an ihr etwas dran ist und dies dann gegebenenfalls zu bedenken, ist ein reifer Umgang mit Kritik. Allerdings ist Kritik heute oft radikal entwertend und schießt über das Ziel – nämlich das Thema, hier und jetzt – hinaus und zielt oft auf die ganze Person, für die es ‚dann ja mal wieder typisch sein soll, dass …‘, wie man heute oft lesen und hören kann.

Daher ist es gleichermaßen wichtig konstruktiv zu kritisieren (und das kann ruhig hart sein, aber hart ist nicht beleidigend, sondern gut und scharf argumentiert), statt destruktiv alles schlecht zu finden, besonders den Menschen, den man kritisiert. Wird man selbst kritisiert, gilt es zu unterscheiden, ob diese Kritik auf das gerichtet ist, was man sagt, oder auf mich als ganzen Menschen. Erstere Kritik sollte man annehmen und versuchen, sich zu rechtfertigen oder die eigene Position zu begründen, die Kritik ad hominem, kann man links liegen lassen.

Ein Puzzle

Menschen mit gestörten Objektbeziehungen neigen dazu Argumente langweilig zu finden und Themen generell zu personalisieren, zu emotionalisieren, zu dramatisieren und wenn man selbst betroffen ist, zu katastrophisieren. Chronische Aggressionen sind Teil ihres Charakters und lassen sie ruhigere Fahrwasser zunächst langweilig und unaufrichtig empfinden, da sie glauben, genau zu wissen, was der andere beabsichtigt und das ist stets etwas anderes, als das, was er sagt. Denn das ist nur vorgeschoben, wie Menschen wirklich ticken, das weiß man sehr gut. Die projektive Identifikation.

Wer anders ist, gibt dies in den Augen von diesen ich-schwachen Menschen (denn gestörte Objektbeziehungen dauerhaft erleben zu müssen, führt zur Ich-Schwäche) nur vor, oder ist bestenfalls lieb und naiv, aber ein Schaf, ein weltfremder Trottel. Die Grundstimmung ist ein chronisches Misstrauen und chronische Aggression. Zum Hass geronnene Wut, die insofern verständlich ist, als man ja ‚weiß‘ (zu wissen glaubt), wie die anderen ticken, man kennt es nicht anders, hat es immer so erlebt. Und wenn die anderen meinen, es sei anders, wird man nur noch wütender, darüber wie dämlich und naiv die Menschen sein können. Entweder erlebt man sie dann als kollektiv verführt oder dummes Pack, mit dem man machen kann, was man will.

Können Sie sich vorstellen, dass das die Grundstimmung ist, die gleichermaßen schwere Persönlichkeitsstörungen charakterisieren, aber gleichzeitig auch einige dieser Menschen dazu befähigen können zum Terroristen zu werden? Krank oder Terrorist? Das sind falsche Fragen, viele, vermutlich die Überzahl der Terroristen, sind psychisch krank. Es spricht zumindest mehr dafür als dagegen.

Wir haben es mit einem Puzzle zu tun, bei dem schon die psychologische Seite des ganzen Themas komplex ist. Seine Bestandteile lauten:

Schwere Persönlichkeitsstörungen, Ich-Schwäche, Identitätsdiffusion, gestörte Objektbeziehungen, Spitzenaffekte und Massenregressionen, Idealisierung und Entwertung.

Man kann das alles nicht schnell man eben ordnen und darstellen, weil der Leser dafür über ein gewisses Vorwissen verfügen muss und das erschließt sich dadurch, dass man sich die Zusammenhänge wieder und wieder klar macht, sich einfühlt, sich neue Sichtweisen ergeben, das ist ein Prozess der Jahre dauert, wenn man so lange durchhält. Um aber eine grobe Orientierung zu geben:

Objektbeziehungen sind oder werden dann gestört, wenn sie zu häufig dem Einfluss von Spitzenaffekten ausgesetzt sind. Was zu häufig ist, kann man nicht generell sagen, weil dies vom Temperament des Kindes abhängt, das genetisch bestimmt ist. Zu häufige Spitzenaffekte zerstören Objektbeziehungen in der Weise, dass die Aggression chronisch über die Liebe dominiert, das heißt, das verinnerlichte Bild von anderen als aggressiv und nicht liebend und umsorgend erlebt wird.

Wenn dies der Fall ist, entsteht eine unspezifische Ich-Schwäche, die sich im psychologischen Test (einem strukturellen Interview) als Identitätsdiffusion manifestiert. Das Vorliegen der Identitätsdiffusion gilt als beweisend für eine schwere Persönlichkeitsstörung, in der andere, unter anderem fortwährend idealisiert und entwertet werden. Die Einfachheit des Weltbildes, die Schlichtheit der Lösungen, die Unfähigkeit zur Komplexität, zur Toleranz von Ambivalenzen ist hier signifikant und markiert weitere Bausteine.

Diese Einfachheit, das auffallende schwarzweiß oder gut/böse Denken, ist typisch für schwere Persönlichkeitsstörungen, schlichte messianische, totalitäre oder faschistische Weltbilder aber zugleich (und überlappend) auch für Massenregressionen. Es ist in meinen Augen nicht schwer zu erkennen, dass all diese Zutaten, die Pathologien markieren ebenfalls begünstigend für das Weltbild von Terroristen sind.

Hass, Idealisierung und Entwertung, Undifferenziertheit und rigide Lösungen, ewiger Kampf, Entscheidungsschlacht, ein Unwillen und eine Unfähigkeit sich in Ordnungen komplexerer Art einzufügen, das sind auch brauchbare Zutaten für Terror.

Alles ganz einfach? Rübe runter, Schwanz ab, alle für immer wegsperren?

Wer das verstanden hat, kann auch verstehen, weshalb Schnellschüsse als Lösungen nicht funktionieren: Sie bedienen das, was sie zu bekämpfen vorgeben. Die selbstsichere Schlichtheit mit der man auf komplexe Sachverhalte einfache Antworten gibt, lebt von eben jenem Geist, der alles in ein Freund/Feind, gut/böse Schema unterteilt. Diese Sicht ist bereits selbst Ausdruck jener moralischen und intellektuellen Regression oder jener schweren Persönlichkeitsstörungen, die ein Nährboden für den Fundamentalismus bis zum Terror selbst sind.

Doch auch dabei darf man nicht übervereinfachen. Viele Terroristen werden psychisch krank sein, hauptsächlich werden sie vermutlich unter schweren Persönlichkeitsstörungen leiden, etwas ähnliches hatten wir bei Intensivtätern und dem erweiterten Suizid angenommen und nicht selten gefunden, auch die inneren Faktoren der gefährlichsten Krankheiten weisen in diese Richtung.

Wer exzessiv reagiert bedient das Geschäft des Terrors, der eine asymmetrische Kampfform darstellt, die sich unterlegen weiß und daher die Strategie der permanenten Verunsicherung wählt: Die Botschaft soll sein, dass sie jederzeit und überall zuschlagen können, was nicht stimmt, da der Staat nachrüstet und sich auf den Terror einstellt. Was man nicht schützen kann, sind weiche Ziele, die daher bevorzugt gewählt werden. Terroristen spekulieren darauf, dass sie die Bevölkerung nachhaltig verunsichern können, die erstaunliche Macht der Normalität liegt darin, dass wir darauf auch als Gesellschaft eine Antwort haben, indem wir einfach stur weiter machen. Terror lebt von der Angst, nicht vom tatsächlichen Schaden.

Das Weltbild des Terrors ist der Kampf von gut gegen böse, wobei Terroristen sich so gut wie immer als die eigentlichen Guten sehen und ihr Ziel ist es, dieses Mem des Kampfes von Gut gegen Böse zu verbreiten. Man kann Terroristen ruhig böse finden, die Antwort auf sie sollte jedoch aus dem Grunde mit Augenmaß erfolgen, weil Terroristen gerne die Idee verbreiten, die anderen seien doch auch nicht besser, würde das gleiche tun, wie sie selbst und dies nur geschickter tarnen. Eine Kritik, die sich totalitäre Staaten mitunter gefallen lassen müssen, die selbst die Tendenz haben, jene, die sie kritisieren zu Terroristen zu deklarieren, weshalb man die Frage nach Terrorist oder Freiheitskämpfer nicht immer auflösen kann. Aber nicht alle Staaten sind totalitäre Staaten.

Falsche Fragen und falsches Aufatmen: Ach so, nur ein psychisch Kranker

Wenn falsche Fragen gestellt werden ist, kommt es zu beruhigenden Antworten, die nicht beruhigen können: ‚Ach so, nur ein psychisch Kranker. Ein Einzeltäter, ein Selbstradikalisierer, ein Psychopath.‘ Es folgt das große Aufatmen, also alles halb so wild? Beruhigen kann vordergründig, dass kein Neztzwerk, keine Terrororganisation dahinter vermutet wird, aber wo ist denn der Unterschied? Es geht doch darum, dass nicht noch mehr kommen, aber ob da nun eine Organisation mit 200 Mitgliedern ist oder sich 200 Leute selbst radikalisieren, das macht keinen großen Unterschied. Zumal die Übergänge fließend sind und Terrororganisationen gerne Anschlägen für sich reklamieren, weil dies die Suggestion ihrer dunklen Allmacht nährt.

Die Selbstsprenger und Amokschützen, welchem Schlachtruf sich auch folgen, mögen (bewusst) verwirrte, emotional heißgelaufene und endfrustrierte Einzelne sein, die Drahtzieher des Terrors sind in aller Regel eiskalte Machtstrategen, die nicht mit heißen Herzen, sondern kühl kalkulierend, hocheffizient und auf ihrem Gebiet mitunter geniale und gewiefte Lenker sind, manchmal hochintelligent. In Terror, Folter und Sadismus: Wenn normale Menschen grausam werden stellten sagten wir:

„Jan İlhan Kızılhan ist Orientalist und Psychiater und hat sich vor allem intensiv mit den Terroristen und ihren Opfern auseinander gesetzt und dabei beide Seiten interviewt. Anders als man denken sollte, findet man hinter den monströsen Taten keine Monster. Vielmehr sind auch hier viele Terroristen geradezu erschreckend normal.“[2]

Kann man sich gesunde Mörder vorstellen? Auch Kızılhan fiel das schwer und er fragte nach:

„“Wie können Sie Kinder umbringen, Sie haben doch selbst Kinder?“, fragte der Psychiater und die Antwort ging stets in die Richtung, dass die Getöteten in der Augen ihrer Mörder keine Menschen mehr waren.[11] Das ist es, was eine faschistische Ideologie vermag, in Menschen und Menschen zweiter, dritter Wahl oder gar Unmenschen zu unterscheiden.“[3]

Idealisierung und eine Entwertung, die bis zur Dehumanisierung fortgeschritten ist. Das ist hochgradig regressiv oder pathologisch, denn es entspricht einem totalitären, grausamen Weltbild. Ob sich nun ein stabiles Wertesystem nie bilden konnte, wegen früh verzerrter Objektbeziehungen oder ob es sich um eine Regression in einer Gruppe handelt, ist dabei egal. Und bedenken wir, nicht jeder schließt sich jeder Gruppe an und bleibt dann dabei, auch wenn diese kriminell wird. Auch das gibt es, markiert aber eher Ausnahmefälle, man würde erwarten, dass sich jemand der zufällig in merkwürdige Kreise geraten ist, irgendwann distanziert.

Sicher kann man sich vorstellen, dass jemand, der im Straßenverkehr einen anderen erschießt, diesen in dem Moment nicht als Mensch sieht, sondern als Aggressor, vielleicht schon als den 20. Aggressor heute, aber von Feinden umzingelt zu sein und die ganze Welt abartig zu finden ist keine gesunde Haltung, sondern ein misanthropisches, grundsätzlich entwertendes Weltbild, in dem Aggression über Liebe dominiert. Dennoch kann man sich vorstellen, wie eine Kette von unglücklichen Umständen einen Menschen maximal stresst, ängstigt, demütigt und kränkt, so dass dieser irgendwann durchdreht. Je nach Ereigniskette und Umständen wird man das nachvollziehen können. Aber es gibt auch andere Handlungsoptionen, als unter Stress jemanden zu erschießen. Und wenn jemand schon die Nase voll hat, wenn er aufsteht und bereits bei den Nachrichten am Morgen genug hat von der ganzen Welt hat, muss man sich fragen, warum Alltagsereignisse die von dem einen als völlig normal bewertet werden, andere intensiv hassen lässt.