Dauernde Anspannung und Hochspannung sind die Begleiter im Leben einer ganzen Reihe von Menschen. Typisch für Anspannung und Hochspannung, die mit der Persönlichkeit verbunden sind, ist, dass diverse Arten der Entlastung nur sehr kurzfristig Entspannung bringen, wenn überhaupt.
Es ist schwer sich vorzustellen, was Menschen empfinden, die dauernde Anspannung und Hochspannung erleben. Das normale Leben würden die meisten Menschen als einen Wechsel von Anspannung und Entspannung beschreiben und das ist durchaus richtig. Aber wir kennen auch aus unserem Alltag Situationen, die anders sind. Wichtige Prüfungen. Das Warten auf eine bedeutende ärztliche Diagnose. Die Ungewissheit, wenn sich das Kind nicht meldet, das sich eigentlich melden sollte. Die Entscheidung, ob man weiter angestellt bleibt, oder nicht. Die Frage, ob ich auch geliebt werde, wenn ich verliebt bin. Situationen, in denen man entweder sehr auf sich allein gestellt ist oder in denen man sogar das Gefühl hat anderen stark ausgeliefert zu sein.
Im normalen Leben sind das Sondersituationen, doch für einige Menschen ist genau das ihr Alltag. Jeden Tag das Gefühl einer Prüfung, nur eben ohne Prüfung. Es geht um alles und das die ganze Zeit, jeden Tag. „Komm‘ erst mal runter, atme mal durch und trink‘ mal ’nen Tee“, das sind gut gemeinte und in den meisten Fällen auch hilfreiche Tipps, hier jedoch nicht. Auch die oft mit der Hochspannung verbundenen Wutausbrüche oder Akte der Selbstverletzung helfen nicht.
Das Phänomen hatte verschiedene Namen: Choleriker, Borderliner, explosive Persönlichkeit sind einige, heute manchmal histrionisch oder emotional instabil genannt, mal mit Depressionen kombiniert, mal ohne. Längst hat man herausgefunden, dass der Wutausbruch, das angeblich reinigende Gewitter, nichts bringt. Er entlastet den Choleriker nicht, der weiter auf Drehzahlen ist und sich über all die Idioten in seiner Welt aufregen muss. Das hinterlässt Trümmerhaufen in der Mitwelt und schadet der Gesundheit des Dauererregten. Es wird wenig gereinigt, viel mehr sind es Entladungen, die auf dauernde Anspannung und Hochspannung verweisen.
Nur ist der Hinweis, dass es sich um eine Entlastung handelt, die keine ist, eine Information ohne Nährwert. Man liest ja nicht den Hinweis und denkt: „Ach, das schadet mir und anderen? Na dann stell‘ ich das doch mal ab.“ Denn … es geht ja nicht. Man muss ja, man ist getrieben und kommt aus der Dauerschleife nicht raus. Dabei geht es dem Choleriker tatsächlich noch halbwegs gut, wenn es jener Typ ist, der bei anderen die Fehler sucht und findet, viel öfter geht die Hochspannung von einem Gefühl maximaler Verunsicherung aus. Das mag beim Choleriker auch der Fall sein, aber er hat seinen Weg gefunden, der Wutausbruch ist Soforthilfe und Symptom. Die kurze Abfuhr, aber dennoch, bleibt der Blutdruck hoch, die Emotionen brodeln weiter, weil man sich ja wirklich darüber aufregt, wie unfähig die anderen doch sind. Den Weg von der Palme runter findet man nicht, man sitzt oben und tobt.
Und doch ist die Spannung bei anderen verunsicherten Menschen oft noch viel größer. Sie können nicht so leicht aus sich heraus, weil sie die Nähe zu anderen durchaus suchen und brauchen, sich aber gleichzeitig von ihr extrem schnell eingeengt und überfordert fühlen. Am besten wäre es, wenn da jemand ist der nichts fordert, sondern immer einfach nur da ist. Da man irgendwie weiß, dass das für den anderen auch nicht okay ist, fühlt man sich gleich wieder schlecht und unter Spannung, die der andere durch seine bloße Anwesenheit, auch ohne Forderung auslöst. Was ist das nun?
Es ist nicht wichtig genau zu wissen, was man hat. Das ist, obwohl man es anders denken könnte, die nächste Information ohne Nährwert. Die genaue Diagnose braucht man selbst nicht, oft nicht einmal ein Therapeut. Es reicht zu wissen, welche Organisationsebene der Psyche vorherrscht, weil das was hilft in den Fällen einer gleichen Organisationsebene stets sehr ähnlich ist.
Wie fühlen sich dauernde Anspannung und Hochspannung an?
Überfordernd und verwirrend, das steht wohl an erster Stelle. Unendlich viele Eindrücke prasseln auf einen ein. Anspannung ist primär ein psychisches Empfinden, was sich dann auch im, mit oder über den Körper ausdrückt. Da wir aber keinen Körper haben, der irgendwo da drinnen eine Psyche hat und irgendwo in der sitzen dann wir – unser Selbst oder Ich –, sondern wir immer als Psyche die Welt erleben, ist diese Anspannung kein reines Körperphänomen, sondern etwas, was wir ganz direkt spüren. Wir können nicht so ohne weiteres unsere Psyche entspannen, weit und offen machen, aber den Anteil den unser Körper übernimmt verändern.
Anspannung und Angst gehen fließend in einander über. Die Muskeln spannen sich an, der Atem wird flach und gepresst, wir bekommen kalte Hände und Füße, werden fahrig und hektisch, vielleicht zittrig, das Herz schlägt schneller. Man ist gestresst, schwitzt. Eine Situation die man gerne schnell wieder beenden möchte, nur weiß man eben nicht wie, da es in Fällen von Hochspannung kaum einen Ort oder eine Situation gibt, in der man nicht gestresst ist. Zu den körperlichen Symptomen kommen dann noch katastrophisierende Gedanken und weitere unangenehme Emotionen. Eine oft schwer aufzulösende Mischung aus Angst und Wut, Frustration und Schuld, dem Wunsch zu fliehen und Hoffnungslosigkeit. Alles ist besser, als in dieser inneren Hölle gefangen zu bleiben und so kommt es zum explosiven Ausbruch, zur lang anhaltenden Wut, zur physischen Zerstörung der Umgebung, zur Suche nach Streit, zur Selbstverletzung und oft nur um die Spannungen etwas und wenigstens für einen Moment abzubauen, aber das zerschlagene Porzellan macht die Sache nicht besser. Man weiß es, kann es aber dennoch nicht ändern, fühlt sich gleichzeitig mies und missverstanden.
Alles ist zu viel, immer ist man am Anschlag. Nicht jeder Reiz überfordert, aber es kann schnell gehen, dass man an der Grenze ist. Die Grenze um die dann getanzt wird, ist die Ich-Grenze und nie ist man sich seines Ichs so sicher. Das quält.
Ursachen
Es ist eine Kombination verschiedenster Ursachen, die hier wirkt. Da ist zum einen das Temperament, das genetisch fixiert ist. Die einen Babys sind ruhig, die anderen reagieren auf alle Reize, noch vor aller Erziehung. Für die dauernde Anspannung und Hochspannung ist Grenze für die Schwelle bis man reagiert, niedrig und die Dauer und Intensität mit der man auf Umweltreize reagiert, hoch.
Das nächste Element ist die Qualität der Objektbeziehungen. Vielleicht der gewaltigste Aspekt. Objektbeziehungen sind Beziehungen zu den Menschen, die wir vor allem in früher Kindheit erlebt haben, also entweder die Eltern oder jene Menschen, bei denen wir groß geworden sind. Die Qualität der Objektbeziehungen hängt davon ab, wie wir diese Beziehung erleben und das ist natürlich eng damit verbunden, wie wir tatsächlich behandelt werden, wenn es auch nicht völlig kongruent ist. Objektbeziehungen sind dann stabil, wenn sie emotional einigermaßen moderat und vor allem verlässlich sind. Verlässlich in der Weise, dass die Werte, Ansichten, Richtigkeiten, Sanktionen und Reaktionen die gestern galten auch heute noch gelten. Natürlich angepasst an das Alter und die Reife des Kindes.
Schlecht sind Spitzenaffekte, bei denen das Kind mit Affekten (negativen, aber auch positiven) geradezu überschüttet wird. Wenn das Kind weiß, dass die Eltern da sind und eingreifen, wenn es drauf ankommt, fühlen sie sich sicher und geborgen und können ihre Welt erkunden und erweitern. Sind die Objektbeziehungen nicht verlässlich, ist die Welt ein Ort, den man nicht einschätzen kann, weil sich das Fundament dieser Welt ständig verändert, also im Grunde nicht vorhanden ist. Man weiß nicht, was man von anderen halten soll, wem man vertrauen kann und wen nicht und bleibt lange Zeit stark unsicher in dieser Hinsicht. War die Kindheit sogar traumatisch oder von schweren chronischen Aggressionen durchzogen, verschlimmert sich die Ausgangslage. Diese Objektbeziehungen sind erst einmal das Muster für das Erleben aller weiteren Beziehungen im Leben.
Schließlich trifft noch der Alltag auf die Mischung von Temperament und Objektbeziehungen. Aber auch die Art und Weise wie man mit dem Alltag und seinen Herausforderungen umgeht ist zum großen Teil sozial erlernt. Das reicht weniger tief als die Objektbeziehungen ist aber auch ein Aspekt, den man erst mal bemerken und verstehen muss, um ihn ändern zu können. Das innere Kind geht diesem Aspekt nach.
Es gibt weitere Faktoren, aber das sind sicher die einflussreichsten und wenn das eigene Zuhause ein unsicherer Ort und man eine niedrige Reizschwelle hat, ist man schnell in dem Bereich, in dem einen dauernde Anspannung und Hochspannung begleiten.