Frauen trinken anders als Männer. Ihre Motive für Alkoholkonsum sind geschlechtsspezifisch verschiedener Natur. Das offenbart zumindest die bisherige Genderforschung zur Drogenabhängigkeit bei Männern und Frauen. Die klinisch etablierte Einteilung der Trinkertypen scheint demnach auf die Gruppe der Frauen nicht zur Gänze zuzutreffen.
Frauen trinken anders. Aber wie?
Obwohl sich Frauen und Männer in Beziehungen bezüglich ihres Trinkverhaltens annähern (Frauen in Beziehungen trinken mehr als Single-Frauen; Männer in Beziehungen trinken weniger als Single-Männer), existieren deutliche Unterschiede darin, wie und warum Frauen und Männer trinken.
Gebildete Frauen: Höherer Status, mehr Drinks
Das klassische Bild der Businessfrau, die sich nach der Arbeit eine Flasche Wein aufmacht, scheint sich zu bestätigen. Wie die Gesundheitsberichterstattung des Robert-Koch-Instituts zeigt, tritt beim weiblichen Geschlecht mit höherem sozioökonomischen Status eine höhere Wahrscheinlichkeit für Risikokonsum auf. In dem Zusammenhang geht bei Frauen mehr Alkoholkonsum mit einem höheren Bildungsniveau einher. Bei Männern finden sich nicht diese Differenzierungen nach sozialem Status und Bildungsniveau.
Gemutmaßt wird seitens des RKI, dass sich Frauen in oberen sozialen Gefilden weniger an ursprünglichen Rollenbildern orientieren, die mehr Sitte und Zurückhaltung für das weibliche Geschlecht predigen. Andererseits wären auch der Leistungsdruck, das berufliche »Sich beweisen müssen in der Männerdomäne« sowie daraus resultierende Ängste und Stress mögliche Ursachen für den vermehrten Alkoholkonsum.
Die andere Seite: Emotionsarbeit und Frust
Prof. Dr. Irmgard Vogt beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Suchtverhalten bei Frauen. Ihre Forschungszusammenfassungen bringen wichtige Motive zum Trinkverhalten der Frauen ans Licht. Gemäß Prof. Vogt arbeiten in Deutschland 52 % der Frauen in Berufen wie Krankenschwester, Altenpflegerin, Verkäuferin, Sekretärin, Erzieherin etc. Berufe, welche wenig Anerkennung, Lohn und Aufstiegschancen versprechen, dafür aber enorme Anstrengung und Frust. Die sogenannte Emotionsarbeit gilt in der Arbeits- und Organisationspsychologie als psychisch anspruchsvolle Arbeit aus den vorgenannten Gründen. Die Entwicklung psychosomatischer Erkrankungen sowie eine mögliche Kompensation mit Drogen in wie auch immer gearteter Form liegt nahe.
Die Psyche der Frau ertränkt in Alkohol
Ein weiterer Ansatzpunkt für das spezifische Suchtverhalten der Frauen ist die Psyche der Frau. Von Hause aus mit Kindererziehung und Haushalt betraut, muss die Frau, selbst wenn sie dem Alkoholkonsum frönt, trotz allem noch funktionieren. Per se wird also bei den meisten Frauen, bei denen eine Abhängigkeit vorliegt, auch ein gewisses Funktionsniveau im Alltag erhalten bleiben. So kommt es, dass viele Frauen, ungeachtet ihrer Sucht, in geordneten Verhältnissen leben. Oftmals trinken sie heimlich.
Weitere psychologische Motive zum Trinkverhalten bei Frauen: Der häufig niedrige Selbstwert bei Frauen, Schwierigkeiten mit dem Partner sowie das sozial genormte Gefühl, selbst schuld an allen Konflikten zu sein, scheinen typisch dafür, warum es bei Frauen zu vermehrtem Alkoholkonsum kommt. Der Teufelskreis beginnt, denn in Bezug auf den erhöhten Alkoholkonsum fühlen sie sich ebenfalls schuldig, was zu einer Verstärkung der Spirale führt. Psychosomatische Erkrankungen bei Frauen können, wie bereits erwähnt, zudem mit riskantem Alkoholkonsum einhergehen.
Laut Professorin Vogt gibt es zunehmend sogenannte »Späteinsteigerinnen«. Frauen um die Sechzig, die den beruflichen und gesellschaftlichen »Ausstieg« sowie das »Nicht gebraucht werden« und die Einsamkeit mit Alkohol zu kompensieren versuchen.
Ich bin schuld, wenn er mich schlägt …
Existiert eine emotional abhängige Partnerschaft (wahrscheinlich basierend auf einer schwierigen Kindheit), in welcher der Mann ebenfalls alkoholabhängig ist, fühlen die Frauen sich häufig verantwortlich für das Verhalten ihres Partners, so gewalttätig es auch sein mag. Die Schuld für das Verhalten des Partners schreiben sie sich selbst zu. Manche Frauen flüchten sich dann parallel dazu in den Alkohol. Zum einen als Trostspender. Zum anderen, weil sie dieses Eheleben in ihre Selbstidentität aufgenommen haben. Sie fügen sich quasi in diese Rolle.
Wenn die Trinkerin zur Identität wird
Gerade Frauen mit schwieriger Kindheit, eventueller Missbrauchserfahrung, bleiben bereits in der Pubertät in diesen Identitätsfacetten haften. Sie attribuieren internal und begeben sich in das in der Kindheit vermittelte schädigende Selbstbild. Bereits in jungen Jahren beginnen sie mit dem Trinken von Alkohol, nutzen diesen genauso wie sexuelle Reize zur Kontaktaufnahme, eben weil sie beides in die Selbstidentität aufgenommen haben. Ängste und Einsamkeit stehen dem gegenüber und werden ihrerseits ertränkt.
Trinkrausch: Angesagt auch bei weiblichen Jugendlichen
Mit der zunehmenden Wandlung des Rollenbildes der Frau wandelt sich vor allem bei jungen Frauen auch ihr Trinkverhalten. Selbstbewusst wollen sie genauso viel Spaß haben wie ihre männlichen Altersgenossen. Dazu zählt für sie auch der Partyspaß nebst Alkohol. Viel Alkohol. Denn das Trinken bis zum Rausch scheint heutzutage wesentlich selbstverständlicher für junge Frauen zu sein als früher.
Prävention und Intervention: Anpassung auf Frauen nötig
Frauen trinken anders als Männer. Warum sie zur Droge Alkohol greifen, hat in vielen Aspekten andere Ansätze als bei Männern. Auch der Umgang mit verschreibungspflichtigen, psychoaktiven Medikamenten (vor dem Hintergrund psychosomatischer Erkrankungen bei Frauen etc.) sowie der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft müssen verstärkt in Klinik, Beratung und Forschung Berücksichtigung finden. Um dem geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Umgang mit Alkohol gerecht zu werden, müssen Interventionsstrategien separat für Frauen und Männer in den Fokus der Suchtprävention und -therapie gerückt werden. Ansätze, denen wir für Männer – und für Frauen – im nächsten Teil unserer Artikelserie nachgehen werden.