Um das Nervensystem beruhigen zu können, muss man zunächst erst einmal verstehen, woher die innere Anspannung kommt. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte zur Beruhigung des autonomen Nervensystems.

Achtung: Die Tipps, um das Nervensystem zu beruhigen, basieren auf meiner persönlichen Sichtweise. Sie können für einige Lesende funktionieren, für andere nicht. Bei der Arbeit an sich selbst können bisher unbemerkte seelische Prozesse bei dir angestoßen werden, die im Rahmen eines allgemein gehaltenen Artikels nicht abgefangen werden können. Deshalb wird für das Lesen des Artikels und das Ausprobieren der Empfehlungen deine psychische Stabilität vorausgesetzt. Bei einem hohen Leidensdruck, starken Symptomen oder dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung ist eine psychotherapeutische Intervention allzeit vorzuziehen.

Nervensystem beruhigen: Woher kommt die Anspannung?

Negative stressvolle Erlebnisse, die man im Laufe seiner Entwicklung erfahren hat, können starke und langandauernde Effekte auf die Fähigkeit haben, mit der man zukünftig auf stressvolle Ereignisse reagiert. Die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA) ist das wichtigste Stressreaktionssystem im menschlichen Körper. Sie steht für die Verbindung zwischen dem wahrgenommenen Stress und unseren physiologischen Reaktionen auf diesen Stress.

The stressful conditions one experiences during development can have significant and long-reaching effects on their ability to react and cope with environmental, physical or mental disruptions to homeostasis. The hypothalamic-pituitary-adrenal axis (HPA) is the main stress response system. It is the neuroendocrine link between perceived stress and physiological reactions to stress (Breedlove and Watson, 2013).

zitiert nach Catherine J. Dunlavey, 2018, Journal of Undergraduate Neuroscience Education

Anzeichen für unruhige Nerven

Mann läuft an bemalter Mauer mit Gesicht und Sleepless-Schrift vorbei

Innere Anspannung geht oft mit einem höheren Stressempfinden und Schlaflosigkeit einher. © Transformer18 under cc

Welche Anzeichen können unter anderem in Zusammenhang mit einer höheren inneren Anspannung auftreten?

  • schneller in Alarmbereitschaft
  • bereits kleine Auslöser/Belastungen verursachen starkes Stresserleben
  • Anspannung ebbt nur langsam ab
  • erhöhte Wachsamkeit, Schreckhaftigkeit, erhöhte Ängstlichkeit, höhere Grundanspannung, Nervosität
  • katastrophisierendes Denken, Herzrasen und Panikanfälle
  • häufiger archaische Reaktionsmuster (Kampf, Flucht, Freeze-Modus beziehungsweise Vereisungszustand, Unterwerfung beziehungsweise Fawn-Modus), da man mehr Situationen als bedrohlich bewertet, weil man sich aufgrund seiner Vergangenheit entsprechend getriggert fühlt
  • insgesamt stärkere emotionale Reaktionen (Wut, Traurigkeit, Angst oder Verzweiflung)
  • manchmal im Wechsel mit emotionaler Taubheit und Niedergeschlagenheit
  • negativer Blick auf die Welt, höhere Sensitivität für Kritik oder Ablehnungsempfinden
  • Unkonzentriertheit, Wegdriften der Aufmerksamkeit, innere Flucht

Nervensystem beruhigen: Warum die Anspannung nicht zu dir gehört

Im Grunde gehören die innere Anspannung, deine Ängstlichkeit und Nervosität sowie allgemein deine starken Reaktionen auf Stress eigentlich gar nicht zu dir oder deiner Persönlichkeit. Sie sind lediglich Reaktionen von dir auf bedrohlich wahrgenommene Situationen, die zumeist auf bisher gemachten negativen Erfahrungen beruhen. Anders ausgedrückt: Manche Stressauslöser oder Situationen führen bei dir zu irrationalen Ängsten, Grübeln und Panik, weil du sie aufgrund der Erfahrungen aus deiner Vergangenheit als bedrohlich interpretierst. Hättest du andere Erfahrungen gemacht oder wärst du insgesamt unter anderen Rahmenbedingungen großgeworden, hättest du wahrscheinlich auch gar nicht mit starker innerer Unruhe zu kämpfen.

In dieser Sichtweise liegt der Schlüssel für dich, um dein Nervensystem zu beruhigen. Wirst du dir dessen bewusst, dass deine innere Unruhe lediglich eine Reaktion von dir ist, fühlst du dich diesen emotionalen Reaktionen gegenüber weniger ausgeliefert. Du kannst sie besser einordnen und so zukünftig besser mit ihnen umgehen. Bei Bedarf solltest du, wie oben bereits erwähnt, eine psychotherapeutische Behandlung zur Unterstützung wahrnehmen.

Tipps, um das Nervensystem zu beruhigen

Damit man sein Nervensystem beruhigen kann, gilt es, eine neue und ruhigere emotionale Baseline zu erlangen. Dafür können, nach meiner persönlichen Ansicht, zwei Aspekte hilfreich sein, bei denen du ansetzen kannst. Zum einen hilft es dir, zu erkennen, wann du in den Zustand der inneren Unruhe rutschst, um dich davon abzugrenzen. Zum anderen hilft es dir, insgesamt deinen Organismus in einen ruhigeren Grundzustand zu bringen, der dich allgemein gelassener fühlen lässt. Sowohl für das Erkennen als auch für das Fühlen sind verschiedene Ansatzpunkte hilfreich.

1. Ertappe dich, sobald du auf Alarm umschaltest

Beobachte dich selbst: Wann wirst du plötzlich innerlich unruhig, obwohl es der Situation nicht unbedingt angemessen ist und andere ruhiger bleiben würden? Wann schaltest du in den Zustand des inneren Alarms um? An manchen Tagen bist du vermutlich ängstlicher und fühlst dich schneller persönlich angegriffen, während du an anderen Tagen völlig gelassen mit Herausforderungen umgehen kannst. Worin liegen die Unterschiede bei beiden Tagen?

  • Bemerke, wann du auf etwas ängstlich und nervös reagierst. Schalte in den Modus des Verstandes und prüfe mit dem Blick einer erwachsenen Person, ob oder inwieweit du dich tatsächlich in einer Gefahr befindest. Meist sind die Ängste irrational und haben nichts mit der Realität zu tun. Mache dir bewusst, dass es keinen rationalen Grund für das Katastrophisieren gibt. Selbst wenn du zum Beispiel eine Prüfung verbockst, geht das Leben weiter. Es besteht keine Bedrohung für deine körperliche Unversehrtheit.
  • Lerne, dass Situationen, in denen du dich unruhig fühlst, vorbeigehen und das Leben normal weitergeht. Lasse Ängste, Grübeleien und negative Gefühle vorbeiziehen.
  • Halte die Grübelspirale nicht unnötig durch weitere Gedanken aufrecht. Lass los.

2. Verlängere die Spanne zwischen Reiz und Reaktion

Frau mit Kopfhörern im Ohr steht vor Telefonzellen und fährt sich durchs Haar

Um das Nervensystem zu beruhigen, kann man an verschiedenen Punkten ansetzen. © Jim Pennucci under cc

Impulsgeleitetes Handeln war und ist evolutionsbedingt überlebenswichtig. Befinden wir uns in einer bedrohlichen Situation, erlauben uns die schnellen Verhaltensimpulse ein Entfernen aus der Situation, ohne groß darüber nachzudenken.
Doch in nicht bedrohlichen Situationen ist ein impulsgeleitetes Handeln nicht erforderlich. Wie bereits erwähnt, können uns heute aufgrund vergangener Erfahrungen, die von uns als bedrohlich eingestuft wurden, jedoch irrationale Ängste vor einer Gefahr warnen, die faktisch eigentlich nicht vorhanden ist. In solchen Situationen machen wir uns die Lage schwerer durch impulsgeleitete Handlungen, anstatt dass wir mit einem überlegten Handeln vorgehen.
Klassische Beispiele wären, wenn wir überreagieren bei normalen Streitereien (Kampfmodus), bei denen niemand übergriffig(!) wird und tatsächlich keine Gefahr besteht. Oder eben wenn wir eine so starke Prüfungsangst haben, dass wir nicht mehr klar denken können beziehungsweise die Prüfung abbrechen (Fluchtmodus).

Verhaltensänderungen werden dadurch erreicht, indem man die Zeit zwischen der Wahrnehmung eines Reizes und der Reaktion verlängert. Reize können zum Beispiel external sein wie das Verhalten einer anderen Person. Sie können aber auch interozeptive Reize sein, Gefühle oder Signale wie Herzrasen, die wir in uns wahrnehmen.

Um ruhiger zu werden, solltest du in normalen Situationen nicht impulsgeleitet und emotional reagieren, sondern vielmehr warten, bis die emotionale Bewertung der Situation abgeschlossen ist. Betrachtet man Situationen mit dem Verstand, erscheinen sie oft viel weniger dramatisch als zuvor angenommen.

Indem du die Spanne zwischen Reiz und Reaktion verlängerst, verschaffst du dir mehr Handlungsspielraum, in der Form, wie du reagierst. Gewähre und erbitte dir Pausen, Bedenkzeit. Sage, dass du darauf keine Antwort weißt. Atme durch. So wirst du nicht nur in deinen Verhaltensantworten ruhiger, sondern du wirst auch innerlich ruhiger werden.

3. Yogapraxis und Meditation: Ruhige Baseline

Der Nutzen von achtsamkeitsbasierten Übungen auf die Psyche ist längst kein Geheimnis mehr. Studien zeigen, wie wirkungsvoll achtsamkeitsbasierte Interventionen wie beispielsweise Yoga und Meditation im therapeutischen Kontext unter anderem bei Angststörungen sein können.
Im Allgemeinen stärkt Sport die Psyche, das Selbstbewusstsein und Kontrollerleben.

  • Wähle eine Sportart, die passend für dich und alltagstauglich gut umsetzbar ist.
  • Yoga und Meditation etc. helfen dir, dich mit dir selbst zu verbinden. Dein Körper erhält das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Du startest gelassen und mit mehr innerem Abstand in den Tag und zoomst dich etwas aus deinem Leben heraus, weg von den Alltagssorgen. Diese erscheinen im Anschluss an eine Yogaeinheit oft kleiner, als man sie zuvor wahrgenommen hat.

Durch regelmäßige Sporteinheiten wie zum Beispiel Yoga bringst du auf Dauer mehr Ruhe in dein Leben und beruhigst auch dein Nervensystem.

4. Selbstfürsorge mit gesunder Ernährung

Eine gesunde Ernährung ist mehr als eine Floskel, sondern sie ist Bestandteil der Selbstfürsorge. Studien sprechen dafür, dass sich eine nährstoffreiche Ernährung positiv auf unsere seelische Gesundheit auswirken kann, so zum Beispiel bei Depressionen oder Ängsten.

Achtung: Sport oder Ernährung sind kein Ersatz für eine psychotherapeutische Intervention, sie sind lediglich als Ergänzung zu verstehen.

  • Eine gesunde Ernährung steigert deine Selbstwirksamkeit. Anhand der Mahlzeit wird dir bildhaft vor Augen geführt, dass du dir etwas wert bist und für dich Sorge trägst. Das wiederum macht dich selbstbewusster.
  • Comfort-Food-Tage dürfen natürlich für die Seele in einem angemessenen Rahmen sein.

5. Positive soziale Beziehungen stärken Nerven

Frau macht beim Yoga die Pose des herabschauenden Hundes

Yoga hilft dabei, das Nervensystem zu beruhigen. © Angelos Konstantinidis under cc

Negative soziale Beziehungen wirken schwächend und können deine Unruhe steigern, weil sie deinen Selbstwert untergraben. Menschen mit destruktiven Verhaltensweisen, zu denen man zum Beispiel im Rahmen einer Paarbeziehung Kontakt hat, halten dich emotional in Schach, lassen dich ängstlicher und wie angeknipst fühlen. Positive soziale Beziehungen wirken dagegen bestärkend. Sie unterstützen deine seelische Widerstandskraft. Deshalb ist ein respektvolles Miteinander entscheidend, um ruhiger zu werden.

  • Prüfe, wie du dich nach dem Kontakt mit einem anderen Menschen fühlst. Stark und selbstbewusst? Oder geschwächt, angefeindet und irgendwie beschmutzt? Das ist dein Anzeiger, für welche sozialen Kontakte du dich eher entscheiden solltest.
  • Welche Form von sozialen Beziehungen wir führen, entscheidet darüber, welches Bild wir von uns selbst durch unser Gegenüber vermittelt bekommen. Werden wir als starke Personen gefördert und mit Zuversicht unterfüttert auf unserem Weg? Oder werden wir als unsichere Menschen mit jeder Menge Unzulänglichkeiten dargestellt?

6. Seelische Aufarbeitung für ein ruhigeres Fundament

Um ruhiger zu werden, solltest du dir mit einer authentischen, aber wohlwollenden Haltung begegnen. Niemandem ist geholfen, wenn du dich für deine Ängste und Sorgen verurteilst. Menschen, die sich selbst beschämen und belügen, können nicht wachsen und nicht stärker werden.

  • Nimm dich mit allem an, was dich ausmacht, und akzeptiere, wer du bist. Du darfst da sein, so wie du bist.
  • Resümiere Ereignisse, Gedanken, Ängste, Schwächen, aber auch Positives in einem Tagebuch. Dadurch räumst du deinen Geist auf. Es spuken weniger Gedankenfetzen durch deinen Kopf und du wirst insgesamt ruhiger.
  • Manchmal sorgen negative Glaubenssätze aus der Kindheit dafür, dass wir bis heute verunsichert und innerlich unruhig sind. Enttarne diese Glaubenssätze. Es sind Schlussfolgerungen, die wir als Kinder gezogen haben, weil wir uns das Verhalten unserer Bezugspersonen nicht erklären konnten. Behandelte uns ein Elternteil herablassend, nahmen wir an, nicht gut genug zu sein. Negative Glaubenssätze sind fehlerhafte Annahmen von uns und der Welt. Wir können uns von ihnen lösen.

7. Gegebenenfalls Psychotherapie & Selbsthilfe

Um ruhiger zu werden, ist es wichtig, sich bei belastenden Problemen jemandem anzuvertrauen, zum Beispiel befreundeten Personen oder im Rahmen einer Psychotherapie oder Selbsthilfegruppe. Wer beispielsweise in einer destruktiven Partnerschaft feststeckt, der kann von einem Austausch mit Gleichgesinnten profitieren.
Indem du dich allgemein mit Menschen verbindest, die dich verstehen, erfährst du eine positive Stütze im Lebensalltag.

8. Nervensystem beruhigen: Routinen etablieren

Routinen schenken dir ein Gefühl von Sicherheit. Dank einer regelmäßigen Tagesstruktur, die Momente der Anstrengung im Wechsel mit Momenten der Entspannung vorsieht, kannst du dich zukünftig ruhiger durch das Leben manövrieren.
Es sind die kleinen Gewohnheiten, die dein Leben sukzessive ändern können und durch die du innerlich ruhiger werden kannst. Regelmäßige Yogaeinheiten und andere Aktivitäten der Selbstfürsorge tragen ebenso dazu bei wie Selbstreflexion und die Arbeit an deinen bisherigen Denk- und Verhaltensmustern. Es gleicht einer Arbeit, die du an mehreren Stellschrauben deines Systems vornimmst, damit sich dein Nervensystem beruhigen kann.