In den ersten beiden Artikeln dieser Reihe zum Sozialmedialen Sittenverfall sprachen wir darüber, welch’ unfreundliche Ausmaße das »Meinung sagen« in den sozialen Netzwerken unter Umständen angenommen hat und wie Nörgeln sich auf die kognitive Verarbeitung in unserem Gehirn auswirken kann. Deutlich wird, wie wichtig konstruktive Kritik im fairen Umgang miteinander ist.
Sicher tippelt der gewohnte Nörgler nach den vorangegangenen zwei Artikeln nun schon ungeduldig mit dem Fuß. Das ist ja alles schön und gut, wird er sich sagen, aber wann kommen wir endlich zum Punkt? Jetzt, lieber Kritiker. Jetzt ist es endlich soweit. Holen wir aus der psychologischen Mottenkiste die Checkliste heraus, die uns aufzeigt, wie man konstruktive Kritik übt.

Meinung sagen, aber richtig!

Nachfolgend einige wichtige Punkte, die in Bezug auf eine konstruktive Kritik unabdingbar sind. Diese beziehen sich auf Aspekte der Empathie, aber auch auf die Wichtigkeit von Formulierungen sowie die innere Einstellung des Kritikgebers.

Konstruktive Kritik: Perspektivübernahme

  • Achte darauf, dass das Selbstwertgefühl deines Gegenübers intakt bleibt. Stichwort: Empathie
  • Verletze jemanden nicht mit Kritikpunkten, die sich nicht (oder nicht mehr) ändern lassen. (Beispiel: Aussehen versus Verhalten)
  • Stelle dein Ego nicht in den Vordergrund. Expertengehabe ist so Neunziger!
  • Überlege, ob der andere überhaupt (oder noch immer) deine Meinung wünscht. Falls nicht, siehe dritter Anstrich.
  • Zwei Statuen, streitend, auf der Straße

    Streithähne sind out. Besser Nachsicht und konstruktive Kritik. © Casey Hugelfink under cc

  • Überprüfe, ob der Zeitpunkt zur Kritik richtig gewählt ist. Ruhige Umgebung, anstatt von »Beschämen« in der Öffentlichkeit oder zu viele laute zusätzliche Reize. Die Umgebung sollte eine gewisse Sicherheit mit sich bringen.
  • Wir alle wollen uns nur wohlfühlen. Menschen, die mit ihrer Stimmung die Gruppe/das Gespräch dominieren wollen, zeigen eher persönliche Schwäche als Stärke.
  • Man sagt, wir seien die Krone der Schöpfung. Handle auch so. Übernimm Verantwortung für das Gespräch, deine Aussagen und den anderen. Verbundenheit rockt!

Konstruktive Kritik: Wörter sollten keine Waffen sein.

  • Wähle defensive beziehungsweise neutrale Worte anstatt einer Verbalattacke auf den anderen. Mit gegenseitigem Hochschaukeln und beiderseitig verletztem Stolz ist niemandem geholfen.
  • Beginne und ende bei deiner Aussage mit positivem Feedback. Halte es wie ein Therapeut: Entlasse den anderen niemals negativ aus der Situation. (Und damit ist nicht gemeint, dass man sein Gegenüber erst herunterputzt und dann wieder aufbaut!)
  • Beiß dir lieber einmal mehr auf die Zunge, ehe du etwas sagst. Ausgesprochene Worte können nicht zurückgenommen werden. Nicht Ausgesprochenes kann dagegen später noch gesagt werden, wenn es unter den Nägeln brennt.
  • Überlege vorab das Ziel deiner Aussage. Was soll diese bewirken? Orientiere dich daran und verstricke dich nicht in immer weitere Kritikpunkte, die dir einfallen. Damit ist niemandem geholfen. Außer dass dein Gegenüber denkt, er macht überhaupt nichts richtig.
  • Vermeide aggressive und verallgemeinernde Aussagen in Bezug auf die Person. Keine Anschuldigungen. »Du« und »immer« sind fehl am Platz.
  • Verwende »Ich«-Botschaften und bringe eigene Erfahrungen ein. Schließlich ist deine Wahrheit nicht unbedingt die richtige.
  • Bleibe sachlich.
  • Ziehe allgemein gültige Beispiele heran. (Beispiel: »Manchmal ist es doch …, wenn man …«, »Ich kenne das allgemein so, dass …«)
  • Präzisiere dein Feedback und bringe Verbesserungsvorschläge und Handlungsalternativen ein.
  • Gebe einen positiven Ausblick, mit der Betonung darauf, wie sehr das bereits bestehende gute Ergebnis durch die der Kritik nachfolgenden Änderungen profitieren könnte.
  • lächelndes Mädchen mit Hut

    Begleitet von einem freundlichen Lächeln lässt sich die ein oder andere konstruktive Kritik besser verkraften. © Flavio Lorenzo Sánchez under cc

  • Lege den Fokus auf die Fortschritte, die der andere schon gemacht hat. Auch in nachfolgenden Gesprächen. Und gebe diese detailreich wieder. Als Faustregel gilt: Lob sollte genauso spezifisch wiedergegeben werden wie zuvor angesprochene Kritikpunkte.

Sei ein guter Bote.

  • Wir wissen es nicht genau, aber vermutlich wird ein König einem selbstherrlichen, hämischen Boten beim Überbringen schlechter Nachrichten eher den Kopf abgeschlagen haben als einem, der Reue und Bedauern zeigte. Demzufolge: Beachte deine innere Einstellung beim Überbringen der Nachricht. Willst du dich über den anderen erheben? Deinen Frust abbauen? Oder tatsächlich helfen?
  • Verwende eine warme und ruhige Sprachintonation. Welchen Ton würdest du gerne hören, wenn man mit dir spricht?
  • Achte auf eine freundschaftliche und offene Körperhaltung.
    Halte angenehmen Augenkontakt.
  • Lächle, das sorgt bei dir und bei dem anderen für Wohlgefühl.
  • Prüfe zwischenzeitlich, was deine Worte mit der Mimik des anderen machen. Reagiere angemessen.
  • Bist du überhaupt der richtige Bote für diese Kritik? Bedenke die Konstellation, in welcher du zur betreffenden Person stehst. Kannst du überhaupt die Probleme des anderen nachvollziehen (zum Beispiel bei Übergewicht)? Passe gegebenenfalls deine Kritik daran an oder verzichte ganz darauf.
  • Ist deine Botschaft überhaupt von Bedeutung? Seien wir ehrlich, ein Großteil der Kritik ist völlig unnötig, weil es nun einmal unterschiedliche Meinungen und Ansichtsweisen gibt. Etwas anderes ist es, wenn man dich explizit danach fragt.
  • Bei aller Kunst zur konstruktiven Kritik: Manchmal ist es einfach besser, den anderen zur Selbstkritik zu ermuntern. (»Wie geht es dir denn mit der Gesamtsituation? Bist du zufrieden damit?«) Oftmals kommen die Lösungsvorschläge von ganz allein. An diesen kann man immer noch mit konstruktiver Kritik ansetzen.

Merke: Nörgeln ist schlecht für unser Gehirn. Konstruktive Kritik gibt einen positiven Ausblick, legt den Fokus auf die Stärken und Verbesserungen und achtet den Selbstwert der anderen Person. Destruktive Kritik ist eigentlich nur verletzend und oftmals eher unnötiges Ego-Gehabe.

Diese Ansatzpunkte für konstruktive Kritik mögen komplex erscheinen, aber auch dahingehend kann man sich ganz auf die Effizienz unseres Gehirns verlassen: Hat man mehrere Male bewusst darauf geachtet, wie man ausgewogenes Feedback gibt, kommt eine souveräne Meinungsäußerung irgendwann wie von selbst über die Lippen.