Arbeit, Gesundheit und Liebe gehören zu den wichtigsten Bestandteilen menschlichen Lebens und scheinen in der heutigen Gesellschaft oftmals konträr zueinander zu stehen. Berufliche und persönliche Selbstverwirklichung und Perfektionierung lassen häufig weniger Kapazitäten für Gefühle und Partnerschaft zu. Sexbots gegen die Einsamkeit erscheinen praktikabel und wären folglich ein durchaus realistisches Szenario.
Ich-Zentrierung und Flexibilität als Ideale?
In seinem Buch „Generation beziehungsunfähig“ beklagt der Autor und Kolumnist Michael Nast die Ich-Zentrierung einer ganzen Generation und die damit zusammenhängende Beziehungsunfähigkeit der Menschen (Nast, 2016). Flexibilität gilt offenbar als Ideal, sowohl in der Arbeit als auch im Leben (Pham, 2016). Wer heute in Köln arbeitet, könnte schon morgen in Singapur sein – so ihm dieser Ortswechsel einen Vorteil im beruflichen und persönlichen Lebenslauf verschaffen würde.
In einer Zeit, in der viele Menschen ihr Leben und ihr Aussehen zur Perfektion hochstilisieren und in sozialen Medien darstellen, als würden sie allein dadurch ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle spüren und erleben können, scheint ein wohliges Heim mit Familie ein Stolperstein für Weiterentwicklung zu sein. Man trennt sich von unverbindlichen, unliebsamen Beziehungen, um möglichst wenig Belastung im Leben zu erfahren, denn der Beruf und die körperliche und geistige Fithaltung scheinen für viele ausreichende Verbindlichkeiten zu sein.
Haben die Angst vor Verletzungen und schmerzliche Erfahrungen in jungen Jahren dazu geführt, dass man sich ausschließlich auf sich besinnt und verlässt? Neufeld und Maté (2006), ihres Zeichens klinischer Psychologe und Arzt, sprechen von einem Zusammenhang zwischen früher Fremdbetreuung in Kindertagesstätten und späterer Bindungsunfähigkeit. Gleichaltrigenorientierung, so Neufeld, habe dazu geführt, dass Kinder ihre Werte, ihre Identität von der Peergroup beziehen anstatt von ihren Eltern, dass sie abstumpfen, um den Trennungsschmerz von ihren Bezugspersonen auszublenden und sich zu schützen. Sexualisiertes und aggressives Verhalten seien die Folgen davon, dass sie sich zu früh und ohne entsprechende Festigung durch die Eltern innerhalb von Gleichaltrigen zurechtfinden müssten. Statt zu erfahren, wie sichere Bindungen innerhalb einer Familie gelebt werden, würden sie sich als allein gelassen und „abgeschoben“ empfinden. Bindungsunfähigkeit und Selbstschutz könnten daraus resultieren.
Eine Folge dieser Abgestumpftheit – dieses Schutzmechanismus – könnte eine zunehmende Ich-Zentrierung sein. Immer weiter vorangetrieben scheint es sich dazu zu potenzieren, dass Sexualität, so bekommt man bei Nast (2016) den Eindruck, nur noch als Mittel zum Zweck der Ich-zentrierten Befriedigung diene und weniger zum Gründen einer Familie.
Heirat und lebenslange Treue als veraltete Konzepte?
Betrachtet man die nähere Zukunft, könnten Sexualität und Familiengründung bald normübergreifend voneinander getrennt gelebt werden. Folgt man den Prognosen mancher Wissenschaftler, haben wir in einigen Jahren Sex mit humanoiden Robotern und lassen uns Kinder „nach Maß“ fertigen – nicht unbedingt unter Beteiligung männlicher und weiblicher Körper.
Die Ansätze gegen ein Fortdauern lebenslanger Beziehungen lassen sich bereits heute erkennen. Nicht zwingend steht die Aufrechterhaltung des Miteinanders im Vordergrund und das persönliche Glück sollte nicht nachstehen, nur weil man Kinder hat. Die lebenslange Ehe zwischen zwei Menschen und die Liebe, wie wir sie romantisieren, wären dann nur noch Konzepte einer vergangenen Zeit.
Einige andere Wissenschaftler halten dagegen und begründen, dass man schon in der Antike wesentlich offener und pragmatischer mit der Sexualität umgegangen und die christliche Ehe eine eher eigennützige Erfindung sei (Harper, 2016). Es sei völlig selbstverständlich gewesen, Freudenhäuser zu besuchen sowie Lustsklaven und -sklavinnen zu haben.
Dennoch: Wären Liebesfilme so erfolgreich, wenn wir uns im Stillen nicht nach ewiger Verbundenheit sehnen würden? Auf dem Sterbebett zumindest scheinen einige Menschen das von ihnen erwartete und beruflich fokussierte Leben zu bereuen (Ware, 2013). Familie und Freunde rücken dort mehr in den Mittelpunkt.
Letztlich ist es wohl eine individuelle Entscheidung – die Schwierigkeit in der heutigen Zeit besteht darin, eine individuelle ehrliche Antwort darauf in sich selbst zu finden, fernab von vorgelebten Stereotypien und Selbstdarstellungen.
Sexbots gegen die Einsamkeit: Roboter für menschliche Wärme?
Dass Menschen Empathien für Roboter empfinden können, mit ihnen mitfühlen können, haben Studien bereits gezeigt (Wrobel, 2013). Zeigt man Probanden ein Video, in welchem ein kleiner Roboter gequält wird, zeigen sich beim Menschen negative Emotionen sowie eine körperlich messbare deutliche Angst/Aufregung. Demnach scheint es durchaus möglich, dass menschliche Gefühle für Roboter entstehen könnten. Gegen die Einsamkeit wären folglich nicht nur reine Sexbots möglich, sondern humanoide Roboter als Beziehungspartner denkbar.
Mit der serienmäßigen Produktion werden die Bauteile für Roboter wahrscheinlich immer günstiger, sodass ein jeder sich einen maßgeschneiderten Partner mit dem perfekten Körper und Geist nach Hause holen könne (zitiert nach Zwinzscher, 2016):
„Sie werden sich an Geschichten erinnern, die wir ihnen erzählt haben. Sie werden all das können, was wir uns von unserem geliebten Haustier wünschen.“
Humanoide Roboter als lebenslange Partner?
Wissenschaftliche Prognosen gehen sogar soweit, dass im Jahr 2050 sexuelle Interaktionen zwischen Menschen und Robotern häufiger sein könnten als zwischen zwei Menschen (Horton, 2015). Auch Liebe und Hochzeiten mit humanoiden Robotern seien dann nicht mehr ungewöhnlich (Levy, 2008). Bedingungslose, ewig währende, treue Liebe wäre garantiert.
In der Natur der Sache liegt, dass das, was am häufigsten passiert, zur sozialen Norm wird. Könnte also eine neue soziale Prägung auf Roboter entstehen? Vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass vermutlich Kinder von humanoiden Robotern, als Kindermädchen fungierend, aufgezogen werden könnten. Dann wären Roboter von frühester Kindheit an vertraut und eine Prägung darauf möglich. Klingt unglaublich? Sicher ja, aber auch diesbezüglich sehen wir die Ansätze schon heute.
Bereits heute haben Computer bei Jugendlichen hinsichtlich ihrer Sozialität einen deutlichen Stellenwert. Viele Jugendliche (und Erwachsene) ziehen sich in Social Media zurück, versprechen sich von Pornos sexuelle Befriedigung, haben ein verzerrtes Bild von Intimität und verlassen immer seltener für soziale Begegnungen das Haus (vgl. auch psymag.de-Artikel zur Porno-Sucht). Titulierungen wie „Generation Porno“ haben sich etabliert. Von Laptops, Sexdolls und Vibratoren in den Betten hin zu humanoiden Robotern, also Sexbots gegen die Einsamkeit, scheint es kein allzu großer Schritt zu sein (Pylypchuk, 2014). Die erste wissenschaftliche Konferenz, welche Liebe und Sex zu humanoiden Robotern und deren gesellschaftliche Auswirkungen zum Thema hat, hat bereits stattgefunden (HCC12, 2016).
Ob und wie lange sich Sexbots gegen die Einsamkeit etablieren könnten und menschliche Partner durch humanoide ersetzt werden könnten, wird sich zukünftig zeigen. Die Jahrmillionen alte Prägung auf andere Menschen wird sich vermutlich so schnell nicht abkömmlich machen lassen, schließlich geben andere Menschen und das Leben in einer sozialen Gruppe dem Einzelnen mehr Sicherheit. Verliebtheit ist auch ein komplexer biologischer Prozess (unter anderem basierend auf Pheromonen, genetischen Passungen), der von den Fertigern humanoider Roboter kopiert werden müsste. Zwischenmenschliche Liebe lässt sich also wohl auch in Zukunft nicht vollständig ausschließen.
Vielleicht werden wir zu noch stärkeren Individualisten mit Sexbots gegen die Einsamkeit in einer menschlichen Gemeinschaft, die ihr kreatives Potential weiter vorantreibt. Und vielleicht würde nach einiger Zeit wieder ein menschlicher Partner, der Reibungspunkte, Konfliktpotential und auch negative Gefühle mit sich bringt, zum neuen Beziehungsideal werden.