Ein geringes Selbstbewusstsein kann viele Bereiche des Lebens beeinflussen, allen voran ständige Selbstzweifel im Alltag, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen, dem eigenen Körper, aber auch die Angst, in sozialen Situationen nicht bestehen zu können, etwa bei Dates, dem Reden vor Publikum oder bei Prüfungen – diese Bewertungs- beziehungsweise Versagensangst kann selbst in intimen Situationen zu Hemmungen führen und sich in sexuellen Dysfunktionen äußern. Gründe genug, das Konzept der Schüchternheit aus psychologischer Sicht genauer zu betrachten. Was sagen Studien dazu? Und welche Rolle spielen die Medien dabei?

Body Image: Mind the gap?

Frau vor Plakat mit Models

Modelmaße sind der Wunschtraum vieler junger Frauen. © Johnny Silvercloud under cc

Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und ein geringes Selbstbewusstsein gehen einher miteinander, wie Studien zeigen (vgl. z.B. Pop, 2016). Doch trifft diese Unsicherheit Frauen und Männer gleichermaßen? Vor allem bei Frauen werden jegliche Körperzonen nach Maßen beurteilt. Demzufolge könnten sie diesem Druck stärker unterliegen.

Tatsächlich fanden Furnham et al. (2002), dass eher bei heranwachsenden Mädchen körperliche Unzufriedenheit in Zusammenhang mit einem geringen Selbstwert stand. Bei den Jungen hatte die Unzufriedenheit mit dem Körper keinen Einfluss auf den Selbstwert. Auch unternahmen die Mädchen mehr hinsichtlich ihrer Gewichtsüberwachung, so zum Beispiel kontrolliertes Essverhalten.

Andere Studien kamen jedoch zu anderen Ergebnissen. Paxton et al. (2006) konnten in einer Langzeitstudie zeigen, dass ein negatives Bild vom eigenen Aussehen/Körper bei heranwachsenden Jungen und Mädchen später zu einem geringeren Selbstwertgefühl und sogar zu stärkerer depressiver Verstimmtheit führt (allerdings vollzog sich diese Entwicklung geschlechtsabhängig zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Adoleszenz). Darüber hinaus fanden Olivardia et al. (2004) bei jungen Männern den Zusammenhang zwischen einer stärkeren Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper (u.a. weniger wahrgenommene Muskeln) und einer höheren Wahrscheinlichkeit für pathologisches Essverhalten sowie den stärkeren Gebrauch leistungssteigernder Substanzen.

Womöglich existiert diesbezüglich ein normativer Wandel, der inzwischen auch Jungen beziehungsweise Männer den Wunsch nach Annäherung an bestimmte Ideale verspüren lässt.

Einfluss der Medien auf körperliche Unzufriedenheit

Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass den Medien und den darin gezeigten Körperidealen eine gesonderte Rolle in Bezug auf das negative Body-Image bei Männern und Frauen zukommt (Derenne et al., 2006; Fernandez & Pritchard, 2012; Grabe et al., 2008). So scheint es offenbar einen Zusammenhang zwischen dem medialen Einfluss und dem Wunsch, dünner zu werden, zu geben, wie die Ergebnisse der Studie von Fernandez und Pritchard (2012) vermuten lassen. Ebenso bestätigte sich auch in dieser Studie die Relation zwischen einem geringen Selbstwert und dem genannten Streben nach körperlicher Vervollkommnung. Das Bestreben, dünner zu werden, war sowohl bei Männern als auch bei Frauen begründet in medialen Idealen als stärkste Prädiktoren. An zweiter Stelle stand bei den Frauen der soziale Druck, wohingegen bei den Männern eher die Verinnerlichung der Medienideale zugrundelag.
Betont wird seitens der Forscher die Notwendigkeit einer Stärkung des Selbstbewusstseins bereits im Kindes- und Jugendalter, um eine Distanzierung von Medienidealen zu bewirken.

Doch nicht nur körperliche Unzufriedenheit und ein geringes Selbstbewusstsein stehen in Verbindung miteinander. Ein verminderter Selbstwert hat ebenfalls Auswirkungen auf das soziale Leben.

Schüchternheit in sozialen Situationen: Versagensangst

Mädchen mit Hanteln

Wohlfühlen, sozialer Druck oder Erreichung medialer Körperideale? Die Motive für Sport sind oftmals nicht auseinanderzuhalten. © Richard foster under cc

Soziale Situationen können Schüchterne ins Schwitzen bringen, zum Beispiel dann, wenn man zwischen attraktiven, erfolgreichen, wortgewandten, charmanten und sexuell „erfahrenen“ (Medien-)Idealen und der eigenen Person eine Diskrepanz verspürt – mit der Angst, nicht genügen zu können. Kann man sich im alltäglichen Leben als Schüchterner noch weitestgehend durchmogeln, stößt man an seine Grenzen in Prüfungssituationen oder wenn man zum Beispiel ein Referat halten soll. Bei manchen gleicht die Angst vor negativer Bewertung gar einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Aufgrund der Aufregung schneidet man dann tatsächlich schlechter ab oder tritt die Prüfung erst gar nicht an, zum Beispiel weil bereits die Vorbereitungen in enorme Angst gipfelten.

Versagensangst = Prüfungsangst

In einer Metaanalyse fand Hembree (1988), dass Prüfungsangst die Wahrscheinlichkeit für eine schlechtere Performanz erhöht, dass diese außerdem in Zusammenhang steht mit geringem Selbstbewusstsein, der Angst vor negativen Bewertungen im Allgemeinen, defensivem Verhalten sowie anderen Formen von Ängsten. Hoffnungsvoll stimmt, dass therapeutische Behandlungsansätze zur Reduzierung von Prüfungsangst existieren und erfolgreich sind. Darüber hinaus scheint eine Verbesserung der Testleistungen mit einer Verminderung der Prüfungsangst einherzugehen.

Die Bewertung von sich selbst, damit verbundene Ängste und die tatsächlich erreichten Leistungen scheinen demnach entscheidend zusammenzuhängen – und bieten eine Chance auf die Durchbrechung des Teufelskreises, wenn man (therapeutisch) an der richtigen Stelle ansetzt.

Neben Prüfungssituationen gibt es einen weiteren Bereich, der Menschen, die ein geringes Selbstbewusstsein haben, in eine Bewertungssituation bringt, bedenkt man vor allem die mediale freizügige Darstellung von hochstilisierten sexuellen Aktivitäten.

Guter Sex? Und was, wenn nicht?

Er sieht sie, sie sieht ihn. Er spricht sie an. Ein Date. Ein Kuss. Die Überblendung zu einer leidenschaftlichen Szene im Bett, nach welcher am nächsten Morgen ein zufrieden dreinblickendes Paar erwacht, mit der inneren Gewissheit, den besten Sex des Lebens gehabt zu haben. Für die meisten eine Utopie. Für Schüchterne umso mehr. An der Tagesordnung sind viel mehr ungeschickte Gesten, Stottern, Rotwerden, das Verstecken der körperlichen Schwachstellen (sollte es zum Austausch von Intimitäten kommen) sowie beständiges Hinterfragen, ob das, was man gerade macht, auch wirklich gut ankommt. „Sich fallen zu lassen“ beim Sex ist für Schüchterne ein Problem.

Selbstwert und Körperbild scheinen das „sexuelle Funktionieren“ zu beeinflussen (Wiederman, 2012). Studien zeigen, dass sowohl Frauen als auch Männer Probleme beim Sex haben, wenn sie währenddessen Selbstzweifel bezüglich ihrer physischen Erscheinung verspüren. Mangelndes Empfinden von Leidenschaft, Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu erlangen, Erektionsstörungen usw. könnten mögliche Folgen sein. Ein damit verbundenes eventuelles Vermeiden intimer Situationen würde zu weniger sexuellen Kontakten und demzufolge auch zu weniger Erfahrungen und stärkerer Unsicherheit führen – ein weiterer Teufelskreis, wenn man so will.

Vor allem bei Männern können sexuelle Dysfunktionen erhebliche Einschnitte mit sich bringen, wird ihre „Potenz“ doch gemeinhin an der Fähigkeit gemessen, eine Erektion zu bekommen (und zu erhalten). Vielleicht hilft es, zu wissen, dass diese Problematik über vier Millionen Männer in Deutschland betrifft. Ein erheblicher Anteil der Ursachen erektiler Dysfunktionen sind psychischer Natur.

Erektile Dysfunktion Ursachen

Erektile Dysfunktion betrifft ca. 4 Millionen Männer in Deutschland – Quelle

Insgesamt wird klar, dass das Leben von Personen, die ein geringes Selbstbewusstsein haben, durchaus beeinträchtigt ist, sei es zum Beispiel das beständige Hinterfragen der eigenen Person im Vergleich mit anderen, die Bewertungsangst in beruflichen Situationen, sei es in der Partnerschaft, angefangen von sexueller Performanzangst bis hin zu Eifersucht, Zweifeln an der Echtheit der Liebe des anderen, Kontrollieren des Partners sowie der gänzlichen Beanspruchung des anderen für sich selbst. Je nach Ausmaß und individuellem Leidensdruck kann therapeutische Hilfe für Schüchterne von Vorteil sein. Ein Online-Selbsthilfetraining zur Stärkung eines geringen Selbstbewusstseins findet sich zum Beispiel hier: AOK-Programm „be yourself“.

Quellen