Banalisierungen und Oberflächlichkeit
Wie in unserem ersten Beitrag über Ich-Schwäche bereits ausgeführt, ist es mit der Oberflächlichkeit der Narzissten so eine Sache, denn sie können durchaus auch Spezialisten sein und Tiefe kann ihr selbsternanntes Programm werden. Doch von ihrem Spezialistentum, mit zuweilen guten bis hervorragenden Kenntnissen, schließen sie auf andere Bereiche kurz. Da der von ihnen favorisierte Bereich des Lebens ohnehin der in ihren Augen wichtigste ist, ist der Rest nicht sehr bedeutend und man braucht sich folgerichtig auch keine Mühe zu geben, ihn zu beherrschen. Denn das machen Narzissten nicht gerne, sich Mühe in Bereichen geben, die ihnen nicht leicht fallen. Was ihnen in den Schoß fällt und wozu sie talentiert sind, das bauen sie mit Lust aus, aber sich Bereiche zu erarbeiten, die nicht ihr Ding sind, ist nicht ihre Stärke. Denn dann währen sie ja wie jeder andere und das kränkt sie.
Das, was man wissen muss, können sie besonders gut und was sie nicht können, ist auch nicht wichtig im Leben, so ihre Einstellung. Deshalb erlauben sie sich auch über Bereiche zu urteilen, in die andere sich Jahre eingearbeitet haben und hier werden sie in der Tat oberflächlich, weil ihnen die Kompetenz fehlt. Da sie es aber nicht ertragen können, in diesem Bereich keine überragenden Kenntnisse zu haben, wird das Problem auf die ihnen eigene Art gelöst: entweder sie meinen, ein genialer Geist könne das fehlende Wissen kompensieren. Wofür andere Jahre brauchen, das macht man mal eben so. Oder der gesamte Bereich wird entwetet: Kann ja sein, dass ich mich da nicht so gut auskenne, das ist aber auch ein völlig unwichtiger Randbereich des Lebens, den niemand braucht. Indem sie sich im Detail dann eben nicht auskennen und es für überflüssig halten, sich sachkundig zu machen, können sie Risiken und Folgen oft nicht richtig einschätzen, was fatal ist, wenn sie in einer führenden Position arbeiten. Kompetente Berater könnten das kompensieren, aber Narzissten haben oft nicht die Fähigkeit, diese zu erkennen oder ihr Neid, den anderen dann als kompetent anerkennen zu müssen, steht ihnen im Weg.
Narzissten, die nicht die Fähigkeiten oder den Biss haben an die Spitze zu kommen, sind oft Stars im kleinen Kreis von Familie und Bekannten. Auch hier wollen sie natürlich auffallen und tun es je nach dem, wo ihre Stärken liegen. Möglich ist das auf dem Gebiet der Sexualität, auf dem ihre Fähigkeiten als Verführer ausgespielt werden können – zu typischen Verhaltensweisen und Verwicklungen siehe: Narzissmus in der Liebe –, aber auch eine Flut von besonderen und skurrilen Geschichten („Wenn ihr wüsstet, was mir schon wieder passiert ist“), bei denen man sich manchmal fragt, was wahr, was ausgeschmückt und was erfunden ist. Dies ist eine Variante, die manchmal auch in den Witzeerzähler übergeht, der zum Alleinunterhalter des ganzen Abends mutiert. Manchmal kann das durchaus angenehm und lustig sein, wenn es sich nicht stets wiederholt und jeden Wunsch nach anderen Gesprächen sabotiert, weil Anekdoten und Witze in Salve abgefeuert werden und der Moment nicht erkannt wird, an dem die Stimmung kippt und das Lachen gequälter wird. Derjenige, der jetzt der Star für einen Abend ist, verpasst diesen Moment nicht selten und dann wird es anstrengend. Hauptsache ich falle auf und bin wichtig, scheint die Phantasie zu sein, doch das ist es nicht nur. Ernsthaftigkeit und Tiefgang, die auch ihren Platz im Leben haben, werden so zuverlässig zerstört und beides können Narzissten oft nicht gut haben. Für sie muss das Leben leicht, lustvoll und unkompliziert sein und ihr Hang zur Oberflächlichkeit dient nicht selten der Idee, Probleme nicht zu beachten.
Es ist eine Frage von Talent und Neigung des Narzissten, womit er sich oder manchmal auch seine Kinder präsentiert. Ob man etwas bis zum Überdruss der anderen kaputt witzelt, eigene Gedichte rezitiert, andere Kreativleistungen präsentiert oder politische Visionen entwickelt, stets ist das Muster ähnlich: ein großes Kind will bewundert werden. Narzissten verpassen den Augenblick, an dem es an der Zeit wäre umzuschalten, weil die anderen anfangen sich zu langweilen. Sie bekommen das in der Regel nicht mit und es interessiert sie auch nicht besonders oder sie wissen nicht, was es stattdessen zu tun gäbe. Ein echtes Gespräch auf Augenhöhe ist nicht ihr Ding, weil es gleichwertige andere in ihrer Welt nicht geben kann. Narzissten interessieren sich nun mal wirklich nicht für andere Menschen und deren Geschichte, es sei denn diese sind außergewöhnlich. Dann können sie die Bekanntschaft mit diesen auf ihrem Konto verbuchen, entweder mit einem demonstrativen: „Rate mal, wen ich kenne?“, oder einem beiläufigen: „Kenn‘ ich, guter Freund von mir.“ Natürlich. Man kennt eben alle wichtigen und skurrilen Menschen. Hier ist die Verlängerung des Selbst recht offensichtlich. Man sonnt sich selbst im Glanz der anderen und kann natürlich mit jedem gut, wenigstens, wenn er ‚wichtig‘ ist oder instrumentalisiert seine Talente für diverse Formen der Selbstdarstellung.
Manipulation und Korruption
Neben einer phantasierten Position von Macht und Einfluss, die bei Narzissten nicht selten ist, gibt es auch reale Positionen der Macht und Gestaltungsmöglichkeiten, denen immer ein gewisse reale Asymmetrie zugrunde liegt. Die aktuelle #MeToo-Bewegung legte den Finger in die Wunde des Missbrauchs dieser asymmetrischen Konstellationen. Menschen mit viel Macht sind mitunter geneigt, diese zu missbrauchen und dabei ist es egal, als wie „normal“ diese Asymmetrie angesehen wird und dass man sich ihr zu unterwerfen hätte, es bleibt ein Missbrauch.
So wie Freud sich zu seiner Zeit nicht vorstellen konnte, wie weit realer Kindesmissbrauch zu seiner Zeit verbreitet war, so machen wir uns vermutlich kein Bild davon, wie verbreitet Missbrauch auf allen Ebenen auch heute noch ist. Alle Institutionen, die eine mehr oder minder eigene Welt darstellen, die der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist, begünstigen vermutlich diese Missbrauchsfälle. Etwa, wenn wir an Heime, bestimmte Schulen und Kirchen, aber auch Hilfsorganisationen denken, manchmal kommen diese Fälle sogar in Organisationen vor, die Opfer vor Missbrauch schützen sollen. Es ist nicht immer nur der sexuelle Missbrauch gemeint, sondern auch andere Arten der Manipulation und Korruption.
Hier wollen wir den Blick jedoch auf etwas anderes richte: Auf den echten Wohltäter, der sich für eine Sache engagiert, mit der er tief verbunden ist. Das kann ein Engagement für Tiere, Umwelt, Menschen in Not oder sonst etwas bedeuten. Ebenso für die nächsten Angehörigen und Freunde, die dann durchaus wohlmeinend verplant werden. Eltern kann man in den meisten Fällen unterstellen, dass sie es mit ihren eigenen Kindern gut meinen. Manchmal etwas zu gut, was wir im Falle der dauerlobenden Eltern, bei denen die Kinder nichts falsch machen können, bereits darstellten. Diese werden dann oft zu „Helicopter-Eltern“, die den Kindern alle vermeintlichen Hindernisse aus dem Weg räumen.
Andere Eltern verlangen von ihren Kindern durchaus Leistung, weil sie meinen, dass das zum Leben einfach dazu gehört und man die Kinder gut vorbereiten muss. Das nennt man Erziehung und es ist soweit völlig in Ordnung, weil Kinder in vielen Fragen noch nicht wissen können, was gut für sie ist. Ärztliche Untersuchungen, Zähne putzen und Hausaufgaben machen keinen Spaß und kaum ein Kind würde dies freiwillig machen. Dass die Eltern hier gegen die Launen, aber für das Wohl des Kindes entscheiden, ist richtig.
Doch irgendwann ist das Kind alt genug, um eine eigene Meinung, auch über seine Zukunft, zu haben, es kann auch etwas über seine Neigungen und Abneigungen wissen. Es dann noch sanft zu schubsen, ist irgendwann bedenklich, weil auch vernünftige Vorstellungen der Eltern nicht unbedingt dem entsprechen müssen, was das Kind will. Narzissten stört das nicht, weil ihre Kinder vor allem ihre Kinder sind und demzufolge auch gemäß ihrer Vorstellungen leben müssen, um die großartige Tradition fortzusetzen. Das Problem ist, dass der Übergang subtil ist. Es ist normal, das Beste für sein Kind zu wollen, ebenso, dass man versucht, ihm den Weg zu ebnen. Vielleicht auch noch ihm nahezubringen, warum es ein Vorteil ist, Papas Zahnarztpraxis zu übernehmen. Wo das Kind das nicht will, beginnt die Manipulation.
Narzissten sind es auch darüber hinaus gewohnt, alle in ein Netz einzubinden und zuweilen sehr kreativ darin, jedem seinen Platz zuzuweisen, damit das von ihnen errichtete System weiter läuft. Leider vergessen sie dabei oft zu fragen, ob andere überhaupt Lust dazu haben, diese Tätigkeit zu übernehmen. Wer am Ende oft am meisten von dem System profitiert, ist der Narzisst selbst.
In größeren Systemen, wie Firmen, wird das oft zu einem Geflecht der Günstlinge, der Korruption und Vetternwirtschaft. Narzissten lassen sich nicht nur selbst oft korrumpieren, sie fördern auf diese Art auch Korruption und schlechte Leistungen, weil sie diejenigen einsetzen, die ihnen nach dem Mund reden und nicht jene, die gute Arbeit machen, was Narzissten wegen ihrer Pathologie ohnehin nicht richtig einschätzen können. So wird dann auch manche Familie, Firma oder manch größeres Projekt zur Verlängerung des Selbst, hier in gut erkennbarer Weise.