Nachdem wir im ersten Teil dieser Artikelserie näher beleuchtet haben, worüber innerhalb einer Familie oder in der Partnerschaft häufig an den Festtagen gestritten wird, sollen nun die Hintergründe näher beleuchtet werden. Warum streiten wir ausgerechnet so viel in der besinnlichsten Zeit des Jahres?
Konflikte und Vergangenheitsbewältigung: Warum streiten wir?
Ressourcen waren schon immer knapp und deswegen umso begehrter. Unabhängig davon, ob es sich um Bodenschätze oder Trinkwasser handelt. In unserer heutigen Gesellschaft haben wir zwar genügend zu essen und zu trinken für alle, dennoch sind es andere Ressourcen, die nur einigen vorbehalten sind beziehungsweise nur zu geringen Anteilen vorhanden sind. Gute Jobs, zum Beispiel. Zeit. Und Liebe. Der hektische Alltag hat uns im Griff. Zwischenmenschliche Beziehungen kommen dabei zu kurz. Und um ebenjene geht es. Der Partner, der die wenige Zeit lieber seinem Hobby widmet, anstatt mit der Freundin abzuhängen. Geschwister, die bereits als Kinder um die Aufmerksamkeit des Vaters konkurriert haben, der nur selten zu Hause war. Das Miteinander ringen um Anerkennung durchsetzt nicht nur unser gesellschaftliches Beisammensein und die Arbeitswelt, es kann auch dyadische zwischenmenschliche Beziehungen strapazieren.
Zeitmangel und Stress zermürben unser Ich
Nicht bestehen zu können, den Kürzeren bei Rivalitäten zu ziehen, keine Anerkennung zu finden, kann sehr zermürbend sein. Auf der Suche nach unserem Platz im systemischen Gefüge einer Familie sowie in der Gesellschaft, läuft man Gefahr, seinen Seelenfrieden aus den Augen zu verlieren. Wir bemerken Enttäuschungen, Verletzungen, wissen aber nicht, wie mit ihnen umzugehen ist, und drängen sie beiseite. Oftmals nisten sich dann im Herzen unausgefochtene Kämpfe ein, mit uns selbst, mit dem vorgestellten Anderen, mit der Gesellschaft. Doch wir haben keine Zeit diesen inneren Zerwürfnissen Aufmerksamkeit zu schenken, weil wir damit beschäftigt sind, im Alltag zu überleben.
An Weihnachten kehrt Ruhe ein. Ein Grund dafür, warum Streiten an Weihnachten so häufig vorkommt. Man ist mit sich und den anderen – und seinen Zweifeln – allein. Unterschwellige Konflikte brechen dann auf. Zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern etc. Schließlich kommen an Weihnachten mehrere Generationen an einem Tisch zusammen. Und da man sich sonst im Alltag kaum begegnet und aus dem Weg gehen kann, wird das Aufeinanderhocken an Weihnachten zur besonderen Gefahr für die friedlichen Festtage.
Der Drang, sich an Weihnachten zusammenzureißen, tut sein Übriges. Dem aufgebauten Druck hält der Haussegen nicht stand. Wer zu hohe Erwartungen hat, kann nur enttäuscht werden, und es genügt ein Blick, um den häuslichen Frieden kippen zu lassen. Zudem fällt der organisatorische Druck von einem ab. Man ist ausgelaugt, weil die Tage vor Weihnachten bereits stressig waren. Aber manchmal ist weniger einfach mehr.
Überraschende Zweisamkeit: Warum streiten Paare an Weihnachten?
Im Alltag sehen sich viele Paare nur wenige Stunden. Individualität ist gewünscht in der heutigen Zeit und so kommen Rücksichtnahme und Aufeinander einlassen häufig zu kurz. Das macht sich bemerkbar.
An den freien Tagen zum Frohen Feste dagegen sind Partner an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen zusammen. Natürlich kommen dann die Probleme auf den Tisch, genauso wie Ängste, unausgesprochene Gefühle etc. Schließlich hat man nun endlich Zeit, ohne dass einer gleich zur Arbeit muss. Diese neu aufgetanen Reibungspunkte können allerdings auch sehr heilsam sein.
Konflikte meistern: Tipps für ein friedvolles Weihnachten
Tipps, die man beherzigen sollte, wenn man an Weihnachten nicht (so arg) streiten möchte, sind zwar naheliegend jedoch schwierig umzusetzen:
- Zeit für Zweisamkeit ohne Weihnachtsrummel nehmen: Obwohl Weihnachten ist, ein paar Stunden zu zweit einplanen. So können anstehende Probleme in Ruhe besprochen werden, ohne dass man die Blicke der Familie im Nacken hat.
- Freiheit für die Gäste: So wie man sich selbst ein paar Freiräume zugesteht, sollte man auch nicht empfindlich reagieren, wenn Gäste sich mal einen Moment eine Auszeit nehmen, um beispielsweise spazieren zu gehen. Dann können sich alle wieder entspannter begegnen.
- Was das Organisatorische betrifft, so genügen rechtzeitige Absprachen. Was verabreden wir für dieses Jahr? Welche Reihenfolge der Besuche im nächsten Jahr? Welche Weihnachtswünsche hat man? In welchem finanziellen Rahmen sollten sich die Weihnachtsgeschenke belaufen? Was wenig romantisch klingt, beugt Missverständnissen an Weihnachten vor. Denn nichts ist weniger romantisch als ein Streit über Nichtigkeiten zu Weihnachten.
- Prüfen, was dahinter steckt. Warum regt der andere sich dermaßen über das politische Geschehen auf? Wieso stichelt die Schwiegermutter in Bezug auf den leicht angebrannten Weihnachtsbraten so sehr? Oftmals geht es gar nicht um das mangelhafte Festmahl als solches. Wenn die Schwiegermutter stresst, sollte man sich fragen, welche Motive tatsächlich hinter ihrem Verhalten stecken. Schnell wird dann eventuell klar, dass die Angst vor Einsamkeit und Zurückweisung so manchen Streit heraufbeschwören kann.
- Gegebenenfalls heikle Themen meiden. Und das am besten vorab kundtun, wenn es einem besonders wichtig ist. Themen zu Politik und Gesellschaft haben nicht zwingend etwas an der Weihnachtstafel verloren. Stattdessen wäre Zeit für die Kinder oder um sich gemeinsamen Erinnerungen hinzugeben.
- Sachlichkeit lautet die Devise: Wenn es zum Eklat an Weihnachten kommen sollte, können Verhaltensweisen den Fortgang des Streits beeinflussen. Retourkutschen oder das Verraten von Vertraulichkeiten schaukeln den Streit nur hoch. Stattdessen sollte man sich um Sachlichkeit bemühen, keine verallgemeinernden Vorwürfe anbringen und lieber Ich-Botschaften geltend machen („Mir kommt es so vor …“, „Ich bin verletzt …“, anstatt: „Du machst das immer so.“ oder „Du hast mich tief enttäuscht.“)
- Funktion von Streit: Streit hat auch immer eine bereinigende Komponente. Wie nach einem Gewitter ist die Luft klarer nach einem Streit. Also manchmal muss es eben auch sein, der Unmut muss raus, obwohl Weihnachten ist. Der Trick ist: Baut man sich vorab keinen zu hohen Druck auf, weil man keine Angst vor einem Weihnachtsstreit hat, kann man bei etwaigen Eskalationen zum Feste ingesamt ruhiger reagieren. Manchmal muss man Konflikte auch einfach ertragen können – eine Fähigkeit, die Vielen in unserer Harmonie, Werbe- und Perfektion betonten Welt abhanden gekommen ist.
Warum streiten wir? Diese Frage ist demnach nicht mehr entscheidend. Selbst wenn es an Weihnachten ist. Wichtig ist, den Streit zur rechten Zeit zu beenden, auch wenn die Stimmung erst einmal am Boden ist. Unangenehme Emotionen auszuhalten, ist ebenfalls etwas, dass wir wieder erlernen sollten. Doch nach einem Streit finden die meisten Familien wieder in Liebe zueinander. In diesem Sinne wünschen wir ein (einigermaßen) besinnliches Fest!