Die Verlängerung des Selbst ist ein Begriff, der mit dem narzisstischen Ich verbunden ist. Sowohl die Investition in andere Menschen als auch Projekte und Aktivitäten werden bei narzisstischen Menschen gerne als Verlängerung des eigenen Selbst gedeutet. Aber was macht den Unterschied zu einem normalen Ich aus? Wann macht man etwas ausschließlich oder überwiegend für sich und woran kann man erkennen, dass es für andere gemacht wird? Ab wann ist es überhaupt schlimm, etwas nur für sich zu tun?
Altruismus und Egoismus sind die extremen Enden eines fließenden Kontinuums, bei dem die Motive von Handlungen fließend ineinander übergehen. Es ist möglich, vollkommen egoistisch zu handeln, ebenfalls vollkommen altruistisch, oft sind beide Motive ein Stück weit vorhanden.
Altruismus kann man als den Wunsch definieren, das Wohlergehen eines Anderen zu vergrößern. Egoismus ist der Wunsch, das eigene Wohlergehen zu vergrößern.
Von Narzissten heißt es, dass sie Egoisten seien, was zwar stimmt, aber mitunter so gut kaschiert ist, dass man nicht direkt sieht, dass ihr Motiv Egoismus ist. Und zwar so, dass weder der Beobachter den Eindruck hat, hier sei Egoismus das Motiv, noch der Narzisst selbst, der ja oft nicht einmal weiß, dass er narzisstisch ist. Wie aber kommt man dann überhaupt auf die Idee? Das wollen wir nachzeichnen.
Die Eskalationsstufen des Narzissmus
Narzissmus kommt in verschiedenen Stufen vor, wie in Narzissmus und Paranoia dargestellt. Wenn wir feiner justieren, dann finden wir folgenden Stufen, bei denen der Narzissmus immer weiter fortschreitet:
1. Normaler oder gesunder Narzissmus
Er versetzt einen in die Lage, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und gemäß ihrer zu leben, zu wissen, was man will und mag und dies ein Stück weit umzusetzen. Narzissmus bedeutet hier einfach auch, sich Aufmerksamkeit zu schenken und etwas zu gönnen und das Leben ein Stück weit genießen zu können.
2. Narzissmus bei anderen Psychopathologien
Alle psychischen Erkrankungen oder Störungen längerer oder kürzerer Art gehen mit einem gewissen Grad an Narzissmus einher, ohne dass es sich dabei um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt. Das liegt einfach an dem erhöhten Grad der Selbstbeobachtung durch die Pathologie.
3. Leichte Formen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Pathologischer Narzissmus ist immer eine Form einer schweren Persönlichkeitsstörung. Diese gibt es in der Variante einer leichten Form der schweren Persönlichkeitsstörung und mehreren schwereren. Die leichte Form zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie gut auf klassische Psychoanalyse anspricht. Narzissten der leichten Form haben vergleichsweise wenig Aggressionen in ihrem Ich. Narzissmus ist immer aggressiv, aber er kann weniger oder mehr aggressiv sein.
Narzissten auf dieser Ebene der Pathologe wollen in erster Linie gemocht und bewundert werden. Sie wollen primär nett und beliebt sein und in einer Welt leben, in der es keine Probleme gibt.
4. Die normale narzisstische Persönlichkeitsstörung
Auch die Narzissten der narzisstischen Persönlichkeitsstörung wollen gemocht und bewundert werden, sie sind nur etwas schwerer zu behandeln und ihr Charakter ist von etwas mehr Aggressionen durchdrungen. Aggression muss nicht heißen, dass sie offen aggressiv sind, sondern hier sind auch und eher Formen wie Opportunismus, Korrumpierbarkeit, Unaufrichtigkeit und das Übersehen und Übergehen der Bedürfnisse anderer gemeint. Zuweilen können sie auch offen aggressiv und entwertend werden, gerade, wenn sie sich zurückgesetzt fühlen, ein Punkt, auf den sie empfindlich reagieren. Ansonsten haben sie oft eine Art, die auf den ersten Blick als „liebevoll“ durchgehen kann und doch Ausdruck von manipulierender Kontrolle ist.
Die Regeln für die normale Welt gelten nicht für sie. Kernberg sagt, dass es wichtig ist, bei Narzissten immer die Frage zu stellen, ob es irgendetwas in ihrem Verhalten gibt, was sie mit dem Gesetz in Konflikt bringen könnte. Häufig ist das der Fall.
5. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung mit antisozialen Zügen
Hier ist ein Wendepunkt, der mit dem Grad der Über-Ich-Pathologie zu tun hat. Das Verhalten zeigt hier Mischformen zwischen angepasstem Verhalten und immer stärkeren Elementen von Lügen, Stehlen und offenerem manipulativem Verhalten. Narzissten auf dieser Stufe haben ein Über-Ich, dessen zweite Schicht zum Teil zerstört ist und das heißt praktisch, dass sie zwar gemocht und geliebt werden wollen, aber auch drohen und gefürchtet werden wollen.
6. Das Syndrom des malignen Narzissmus
Den malignen Narzissmus haben wir in Die gefährlichste Krankheit der Welt ausführlicher dargestellt. Narzissmus, Paranoia, Sadismus und ich-syntone Aggression sind hier voll entwickelt. Sie möchten noch immer auch bewundert werden, doch die Fähigkeit, das annehmen und genießen zu können, ist von schwerer Paranoia überlagert, so dass es vorrangig nicht mehr darum geht, geliebt und bewundert zu werden, sondern vielmehr gefürchtet.
7. Die antisoziale Persönlichkeitsstörung
Sie markiert den Endpunkt der narzisstischen Entwicklung. Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung geht es nur um sich selbst, sie haben in sich keinerlei Wunsch mehr anderen gefallen zu wollen. Das heißt aber auf der anderen Seite nicht, dass sie nicht, da sie von keinerlei Regungen des Gewissens mehr gebremst werden, mitunter sogar extrem liebenswürdig und einsichtig daher kommen können, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Wenn sie nicht in der mächtigeren Position sind, versuchen sie andere dadurch zu manipulieren, dass sie ihnen genau das präsentieren, von dem sie glauben, dass die anderen es sehen oder hören wollen.
Nett und hilfsbereit
Im Zusammenhang mit der Verlängerung des Selbst geht es vor allem darum, jene Narzissten zu verstehen, die beliebt sein wollen. Im Grunde wollen sie niemandem etwas zuleide tun, sondern geliebt, anerkannt und gemocht werden. Also etwas sehr menschliches. Ihr Narzissmus bringt es aber mit sich, dass sie besonders viel Anerkennung und Aufmerksamkeit brauchen. Sie können es nicht ertragen, einfach einer von vielen zu sein, sondern sie müssen irgendwie aus der Masse der anderen herausragen, was dazu führt, dass sie oft anders auftreten, um ihrem Anspruch auf Besonderheit Ausdruck zu verleihen. Dabei kann es vorkommen, dass Narzissten sich sogar besonders aufopfern, etwa in wohltätigen und gemeinnützigen Projekten oder in dem sie meinen mehr zu leisten, als andere es tun. Entweder indem sie im Leben härter oder besser sind, als alle anderen, das sie oft als andauernden Wettkampf erleben.
Wolfgang Schmidbauer hat in seinem Buch „Hilflose Helfer“ diesen Typus dargestellt, dessen Besonderheitsanspruch darin besteht, am besten von allen zu wissen, was für einen anderen Menschen wirklich gut ist, was er am dringendsten braucht. Wenn man halbwegs einfühlsam ist, was Narzissten (und sogar Psychopathen) bis zu einem gewissen Grad durchaus sein können, macht man sich auf diese Art und Weise beliebt. Man geht ein wenig über die allgemeinen Grenzen hinaus, für Narzissten eine leichte Übung, ist ein wenig großzügiger und wirkt nicht so spießig wie andere, die sich an Regeln halten.
Das gleiche Motiv finden wir auf anderen Ebenen des privaten Miteinanders, etwa, wenn jemand über besondere handwerkliche oder technische Fähigkeiten verfügt und sich auf dieser Ebene als stets und gern hilfsbereiter Mensch präsentiert. Ist etwas kaputt, wird es geduldig repariert, oft sogar ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Daran ist erst mal nichts Narzisstisches oder Egoistisches zu sehen. Im Gegenteil, heißt es nicht sonst immer, dass der Narzisst sich nur für sich interessiert, immer nur um sich kreist? Wer anderen hilft, tut genau das Gegenteil, ist nicht kalt und herzlos, oder?
Vielleicht müssen wir unser Bild von Normalität und Pathologie auch noch einmal überdenken. Denn nicht nur jene Narzissten, die nett und beliebt sein wollen (also unter Punkt 3 und 4 fallen), sind hilfsbereiter als man eigentlich denkt, auch bei Psychopathen ist das so. Psychopathen sind Menschen mit einer weit fortgeschrittenen narzisstischen Störung, der Begriff selbst ist etwas unscharf, so dass man sagen kann, dass Psychopathen unter unsere obigen Punkte 5 bis 7 fallen. Wenn man sich den normalen Narzissten schon als Egoisten vorstellt, um wie viel mehr sollte das für Psychopathen gelten? Das erstaunliche Ergebnis einer Untersuchung ist, dass sogar Psychopathen hilfsbereit sind, noch erstaunlicher ist, dass sie in einigen Bereichen sogar hilfsbereiter als vermeintlich normale Menschen sind.
Wenn es sie nichts kostet, also auch keine emotionalen Mühen, denken sie sich: „Warum nicht?“ Kleine Gefälligkeiten werden mit erledigt, vielleicht mit dem Hintergedanken irgendwann mal davon profitieren zu können. Der Narzissmus, die Verlängerung des Selbst, muss also an einer anderen Stelle liegen, ist kein brutaler Egoismus, der jede Gefälligkeit verweigert. Gefällig auf ihre Art sind auch andere Spielarten des Narzissmus.
Der geduldige Welterklärer
Es heißt neuerdings, dass Narzissmus eher eine Krankheit der Männer als der Frauen sei. Inwieweit das gesichert ist, wird man sehen, fraglos gibt es typisch männlichen Narzissmus. Eine solche Attitüde ist der Welterklärer, der gerne erzählt und sich dabei, auch selbst, gerne reden hört. Da wird erklärt und doziert, wie die Welt wirklich funktioniert und wo die wichtigen Fäden zusammenlaufen. Wer ihm zuhört ist ihm egal, die Hauptsache ist, dass ihm jemand zuhört, da er überzeugt ist, stets etwas Bedeutendes zu sagen zu haben. Narzissten sind es gewohnt, auf die individuellen Besonderheiten ihres Gegenübers nicht einzugehen, da der Dialog nicht ihre Stärke ist, obwohl sie das oft selbst glauben. Andere fungieren für sie eher als bewundernde Stichwortgeber, damit sie zum nächsten, oft ausschweifenden Monolog ansetzen können. Bei den ersten Malen mag das noch faszinieren, zumal der Narzisst mit der von sich selbst überzeugten Wucht, wichtige Weisheiten zu verkünden, daherkommt, aber wenn man die immer ähnlichen Pointen und Versatzstücke kennt, stellt sich zunehmend das Gefühl der Langeweile ein. Das ist ein typisches diagnostisches Kriterium des Narzissmus, dass man sich über kurz oder lang bis zur Ermüdung langweilt.
Der Grund dafür ist, dass der Andere bei dem Gespräch, was meistens keines ist, nicht vorkommt. Ein Dialog lebt davon, dass beide Teilnehmer auf Augenhöhe miteinander reden und in der Regel interessiert auch die Meinung des Anderen. Den Narzissten aber nicht, ihn interessiert sein Monolog, dass irgendwer zuhört und beeindruckt bis begeistert ist. Nachfragen sind dabei durchaus erwünscht, wenn sie affirmativ sind: Wenn jemand sagt, er habe dies und das noch nicht so recht verstanden und nun um eine abermalige Erläuterung bittet. Das leistet der geduldige Welterklärer gerne, wieder und wieder, weil er in dieser asymmetrischen Konstellation die Autorität ist. Er kann sich im Bescheidwissen sonnen und auch eine milde Kritik, die sich sogleich dankend umstimmen lässt, ist erwünscht. Er kann dem Anderen dann erklären, dass und wo er sich irrt.
Echte Kritik, echte Alternativen auf Augenhöhe, eine Gegenmeinung, die man ernst nehmen muss, ist hingegen unerwünscht. Denn das würde heißen, eine gewisse Gleichberechtigung anerkennen zu müssen und das wollen und können Narzissten nicht. Die andere Variante des Narzissmus zeigt dies anschaulich. Es ist die Bewunderung des Narzissten für einen Menschen, den er selbst idealisiert. Alles, was der Andere sagt, wird kritiklos akzeptiert, alles ist von Interesse und eine Gegenmeinung des Narzissten gibt es nicht, das wäre eine Sünde, die Idealisierung könnte nicht aufrecht erhalten werden. Das Prinzip ist in beiden Fällen, dass nur eine Person im Raum ist, um die sich alles dreht, der Rest ist beliebiges, austauschbares Fußvolk, das sich freuen kann, diesen Moment der Offenbarung zu erleben.
Die Fähigkeit zur Idealisierung ist für das Verständnis der Verlängerung des Selbst interessant. Der Narzisst idealisiert jemanden oder er erwartet, dass man ihn idealisiert und in beiden Fällen liegt eine Asymmetrie vor, jene, die der Narzisst dauernd erlebt und die er sich als einzig vernünftiges Beziehungsmodell vorstellen kann. Er selbst als großer Geist, Weltversteher oder jemand, der zumindest ganz anders ist. Dazu ein paar idealisierte Menschen, zu denen er aufblickt und mit denen er sich oft identifiziert und ein großer Rest mehr oder weniger zweitklassiger Massenmenschen, das Fußvolk.
Idealisierung und Bewunderung
Mit dem von ihm idealisierten Menschen ist der Narzisst hingegen vollkommen verschmolzen und die andächtige Bewunderung, die er ihm zuteilwerden lässt, erwartet er auch von anderen. Vielleicht in Abstufungen, denn keiner kann ihn so gut erfassen, wie der Narzisst selbst, hier sind zwei geniale Brüder im Geiste gleichgeschaltet. Verweigert man dem vom Narzissten idealisierten anderen die Bewunderung, gibt es die Variante sich von ihm darüber aufklären zu lassen, warum der andere eindeutig den Gipfel des Erreichbaren repräsentiert und spätestens nun bewundert werden sollte. Analog dem geduldigen Welterklärer, bei dem man gerne ob des besseren Verständnisses nachfragen, aber nicht ernsthaft anderer Meinung sein darf. Der Andere, das bin eigentlich ich. Hier blitzt die Verlängerung des Selbst auf.
Dem angehimmelten Idol die Bewunderung zu verweigern, wäre deswegen wie eine Ohrfeige dem Narzissten gegenüber. Darauf kann er auf zwei Arten reagieren. Entweder es lässt ihn kalt, weil man zum entwerteten Teil der dummen Massen gehört, die ohnehin im tiefen Tal der Ahnungslosen wohnt oder man wird für vergleichsweise qualifiziert gehalten, dann bekommt man die oben erwähnte Chance zur Bewährung und erklärt, warum der Liebling des Narzissten von allen am besten ist. Dass es sich dabei zuweilen einfach auch um Gechmacksunterschiede handeln könnte zählt nicht, denn der Narzisst sieht sich als den Experten für echte Qualität und hat einen ausgeprägten Hang dazu, den Anderen so zu machen, wie er selbst ist. Und das heißt, auch das zu bewundern und abzulehnen, was man selbst idealisiert und entwertet.
Nicht selten ist es auch so, dass ein Narzisst in ein Thema tiefer eingetaucht ist und wenn dies der Fall ist, ist die Sache für ihn klar: Niemand beherrscht das Themengebiet so gut wie er oder, wenn er selbst nicht über die besten Fähigkeiten verfügt, so ist er der Überzeugung, dass doch niemand das Thema so tief durchdrungen hat, wie er. Sein Urteil hat Gewicht, vor allem duldet es keinen Widerspruch. Auch auf anderen Gebieten ist der Anspruch des Narzissten, übermäßig viel Ahnung zu haben, worauf diese beruht, braucht er nicht näher zu begründen, es ist einfach ein Naturrecht. Dass andere sich mit dem Thema vielleicht viel länger auseinandergesetzt haben, stört ihn nicht, schließlich verfügt er über besondere Kompetenzen, die das locker überbieten, wie wir auf der nächsten Seite erläutern.
Sind beim Narzissten auch noch echte Kompetenzen vorhanden, werden daraus nicht selten besondere Ansprüche abgleitet. So berichtete Kernberg von einem Patienten, der ein Kunstprofessor war. Eine seiner Eigenheiten, mit denen er mit dem Gesetz in Konflikt kommen konnte, war, dass er wertvolle Kunstbände aus einer öffentlichen Bibliothek stahl. Ihm war natürlich bewusst, dass dies verboten war, aber er war der Auffassung, dass die ganzen Leute, die die Bücher ansonsten ausliehen, ohnehin den Wert dieser Bände nicht würdigen konnten, was ihm aus seiner Sicht das moralische Recht gab, die Bücher zu stehlen, da er jemand war, der ihren Wert und Inhalt angemessen zu schätzen wusste.
Die Kunst, mindestens aber das wahre Verständnis derselben, das bin ich. Die Verlängerung des Selbst kann sich auf andere, idealisierte Menschen erstrecken, aber auch auf an sich überindividuelle Projekte: die Kunst, die Religion, die Wissenschaft, eine politische oder gesellschaftliche Idee, die er sehr wichtig nimmt. Keine Idee ist davor gefeit, von narzisstischen Menschen missbraucht und in den Dienst des eigenen Selbst gestellt zu werden.
Banalisierungen und Oberflächlichkeit
Wie in unserem ersten Beitrag über Ich-Schwäche bereits ausgeführt, ist es mit der Oberflächlichkeit der Narzissten so eine Sache, denn sie können durchaus auch Spezialisten sein und Tiefe kann ihr selbsternanntes Programm werden. Doch von ihrem Spezialistentum, mit zuweilen guten bis hervorragenden Kenntnissen, schließen sie auf andere Bereiche kurz. Da der von ihnen favorisierte Bereich des Lebens ohnehin der in ihren Augen wichtigste ist, ist der Rest nicht sehr bedeutend und man braucht sich folgerichtig auch keine Mühe zu geben, ihn zu beherrschen. Denn das machen Narzissten nicht gerne, sich Mühe in Bereichen geben, die ihnen nicht leicht fallen. Was ihnen in den Schoß fällt und wozu sie talentiert sind, das bauen sie mit Lust aus, aber sich Bereiche zu erarbeiten, die nicht ihr Ding sind, ist nicht ihre Stärke. Denn dann währen sie ja wie jeder andere und das kränkt sie.
Das, was man wissen muss, können sie besonders gut und was sie nicht können, ist auch nicht wichtig im Leben, so ihre Einstellung. Deshalb erlauben sie sich auch über Bereiche zu urteilen, in die andere sich Jahre eingearbeitet haben und hier werden sie in der Tat oberflächlich, weil ihnen die Kompetenz fehlt. Da sie es aber nicht ertragen können, in diesem Bereich keine überragenden Kenntnisse zu haben, wird das Problem auf die ihnen eigene Art gelöst: entweder sie meinen, ein genialer Geist könne das fehlende Wissen kompensieren. Wofür andere Jahre brauchen, das macht man mal eben so. Oder der gesamte Bereich wird entwetet: Kann ja sein, dass ich mich da nicht so gut auskenne, das ist aber auch ein völlig unwichtiger Randbereich des Lebens, den niemand braucht. Indem sie sich im Detail dann eben nicht auskennen und es für überflüssig halten, sich sachkundig zu machen, können sie Risiken und Folgen oft nicht richtig einschätzen, was fatal ist, wenn sie in einer führenden Position arbeiten. Kompetente Berater könnten das kompensieren, aber Narzissten haben oft nicht die Fähigkeit, diese zu erkennen oder ihr Neid, den anderen dann als kompetent anerkennen zu müssen, steht ihnen im Weg.
Narzissten, die nicht die Fähigkeiten oder den Biss haben an die Spitze zu kommen, sind oft Stars im kleinen Kreis von Familie und Bekannten. Auch hier wollen sie natürlich auffallen und tun es je nach dem, wo ihre Stärken liegen. Möglich ist das auf dem Gebiet der Sexualität, auf dem ihre Fähigkeiten als Verführer ausgespielt werden können – zu typischen Verhaltensweisen und Verwicklungen siehe: Narzissmus in der Liebe –, aber auch eine Flut von besonderen und skurrilen Geschichten („Wenn ihr wüsstet, was mir schon wieder passiert ist“), bei denen man sich manchmal fragt, was wahr, was ausgeschmückt und was erfunden ist. Dies ist eine Variante, die manchmal auch in den Witzeerzähler übergeht, der zum Alleinunterhalter des ganzen Abends mutiert. Manchmal kann das durchaus angenehm und lustig sein, wenn es sich nicht stets wiederholt und jeden Wunsch nach anderen Gesprächen sabotiert, weil Anekdoten und Witze in Salve abgefeuert werden und der Moment nicht erkannt wird, an dem die Stimmung kippt und das Lachen gequälter wird. Derjenige, der jetzt der Star für einen Abend ist, verpasst diesen Moment nicht selten und dann wird es anstrengend. Hauptsache ich falle auf und bin wichtig, scheint die Phantasie zu sein, doch das ist es nicht nur. Ernsthaftigkeit und Tiefgang, die auch ihren Platz im Leben haben, werden so zuverlässig zerstört und beides können Narzissten oft nicht gut haben. Für sie muss das Leben leicht, lustvoll und unkompliziert sein und ihr Hang zur Oberflächlichkeit dient nicht selten der Idee, Probleme nicht zu beachten.
Es ist eine Frage von Talent und Neigung des Narzissten, womit er sich oder manchmal auch seine Kinder präsentiert. Ob man etwas bis zum Überdruss der anderen kaputt witzelt, eigene Gedichte rezitiert, andere Kreativleistungen präsentiert oder politische Visionen entwickelt, stets ist das Muster ähnlich: ein großes Kind will bewundert werden. Narzissten verpassen den Augenblick, an dem es an der Zeit wäre umzuschalten, weil die anderen anfangen sich zu langweilen. Sie bekommen das in der Regel nicht mit und es interessiert sie auch nicht besonders oder sie wissen nicht, was es stattdessen zu tun gäbe. Ein echtes Gespräch auf Augenhöhe ist nicht ihr Ding, weil es gleichwertige andere in ihrer Welt nicht geben kann. Narzissten interessieren sich nun mal wirklich nicht für andere Menschen und deren Geschichte, es sei denn diese sind außergewöhnlich. Dann können sie die Bekanntschaft mit diesen auf ihrem Konto verbuchen, entweder mit einem demonstrativen: „Rate mal, wen ich kenne?“, oder einem beiläufigen: „Kenn‘ ich, guter Freund von mir.“ Natürlich. Man kennt eben alle wichtigen und skurrilen Menschen. Hier ist die Verlängerung des Selbst recht offensichtlich. Man sonnt sich selbst im Glanz der anderen und kann natürlich mit jedem gut, wenigstens, wenn er ‚wichtig‘ ist oder instrumentalisiert seine Talente für diverse Formen der Selbstdarstellung.
Manipulation und Korruption
Neben einer phantasierten Position von Macht und Einfluss, die bei Narzissten nicht selten ist, gibt es auch reale Positionen der Macht und Gestaltungsmöglichkeiten, denen immer ein gewisse reale Asymmetrie zugrunde liegt. Die aktuelle #MeToo-Bewegung legte den Finger in die Wunde des Missbrauchs dieser asymmetrischen Konstellationen. Menschen mit viel Macht sind mitunter geneigt, diese zu missbrauchen und dabei ist es egal, als wie „normal“ diese Asymmetrie angesehen wird und dass man sich ihr zu unterwerfen hätte, es bleibt ein Missbrauch.
So wie Freud sich zu seiner Zeit nicht vorstellen konnte, wie weit realer Kindesmissbrauch zu seiner Zeit verbreitet war, so machen wir uns vermutlich kein Bild davon, wie verbreitet Missbrauch auf allen Ebenen auch heute noch ist. Alle Institutionen, die eine mehr oder minder eigene Welt darstellen, die der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist, begünstigen vermutlich diese Missbrauchsfälle. Etwa, wenn wir an Heime, bestimmte Schulen und Kirchen, aber auch Hilfsorganisationen denken, manchmal kommen diese Fälle sogar in Organisationen vor, die Opfer vor Missbrauch schützen sollen. Es ist nicht immer nur der sexuelle Missbrauch gemeint, sondern auch andere Arten der Manipulation und Korruption.
Hier wollen wir den Blick jedoch auf etwas anderes richte: Auf den echten Wohltäter, der sich für eine Sache engagiert, mit der er tief verbunden ist. Das kann ein Engagement für Tiere, Umwelt, Menschen in Not oder sonst etwas bedeuten. Ebenso für die nächsten Angehörigen und Freunde, die dann durchaus wohlmeinend verplant werden. Eltern kann man in den meisten Fällen unterstellen, dass sie es mit ihren eigenen Kindern gut meinen. Manchmal etwas zu gut, was wir im Falle der dauerlobenden Eltern, bei denen die Kinder nichts falsch machen können, bereits darstellten. Diese werden dann oft zu „Helicopter-Eltern“, die den Kindern alle vermeintlichen Hindernisse aus dem Weg räumen.
Andere Eltern verlangen von ihren Kindern durchaus Leistung, weil sie meinen, dass das zum Leben einfach dazu gehört und man die Kinder gut vorbereiten muss. Das nennt man Erziehung und es ist soweit völlig in Ordnung, weil Kinder in vielen Fragen noch nicht wissen können, was gut für sie ist. Ärztliche Untersuchungen, Zähne putzen und Hausaufgaben machen keinen Spaß und kaum ein Kind würde dies freiwillig machen. Dass die Eltern hier gegen die Launen, aber für das Wohl des Kindes entscheiden, ist richtig.
Doch irgendwann ist das Kind alt genug, um eine eigene Meinung, auch über seine Zukunft, zu haben, es kann auch etwas über seine Neigungen und Abneigungen wissen. Es dann noch sanft zu schubsen, ist irgendwann bedenklich, weil auch vernünftige Vorstellungen der Eltern nicht unbedingt dem entsprechen müssen, was das Kind will. Narzissten stört das nicht, weil ihre Kinder vor allem ihre Kinder sind und demzufolge auch gemäß ihrer Vorstellungen leben müssen, um die großartige Tradition fortzusetzen. Das Problem ist, dass der Übergang subtil ist. Es ist normal, das Beste für sein Kind zu wollen, ebenso, dass man versucht, ihm den Weg zu ebnen. Vielleicht auch noch ihm nahezubringen, warum es ein Vorteil ist, Papas Zahnarztpraxis zu übernehmen. Wo das Kind das nicht will, beginnt die Manipulation.
Narzissten sind es auch darüber hinaus gewohnt, alle in ein Netz einzubinden und zuweilen sehr kreativ darin, jedem seinen Platz zuzuweisen, damit das von ihnen errichtete System weiter läuft. Leider vergessen sie dabei oft zu fragen, ob andere überhaupt Lust dazu haben, diese Tätigkeit zu übernehmen. Wer am Ende oft am meisten von dem System profitiert, ist der Narzisst selbst.
In größeren Systemen, wie Firmen, wird das oft zu einem Geflecht der Günstlinge, der Korruption und Vetternwirtschaft. Narzissten lassen sich nicht nur selbst oft korrumpieren, sie fördern auf diese Art auch Korruption und schlechte Leistungen, weil sie diejenigen einsetzen, die ihnen nach dem Mund reden und nicht jene, die gute Arbeit machen, was Narzissten wegen ihrer Pathologie ohnehin nicht richtig einschätzen können. So wird dann auch manche Familie, Firma oder manch größeres Projekt zur Verlängerung des Selbst, hier in gut erkennbarer Weise.
Gönnerhaftigkeit und Wohltäter
Schwieriger zu erkennen ist das Motiv der Verlängerung des Selbst, wenn sich jemand als gönnerhafter Wohltäter gibt. Nicht jeder Mäzen ist ein Narzisst, auf dieser Ebene wird häufig sogar immens viel an privater Unterstützung geleistet, was ausgesprochen wichtig sein kann. Besonders diffizil wird es dort, wo sich jemand für leidende oder hilfsbedürftige Menschen oder allgemein als sehr wertvoll angesehene Projekte einsetzt.
Hier können sich eigene narzisstische Neigungen besonders gut vor dem Hintergrund der allgemeinen Akzeptanz dessen, was man tut, verstecken. Wer für die gute Sache steht, darf sich in der eigenen Perspektive moralisch überlegen und als besserer Mensch fühlen, was manchmal zu einem aufgeblasenen Moralismus führt. Moralisten können ohnehin anstrengende Mitmenschen sein, wenn sie narzisstisch sind wird es noch um die eine oder andere Oktave höher. Versuchen wir den entscheidenden Punkt zu verstehen.
Es ist gut, wenn man Ideale hat und nach diesen handelt. Wasser zu predigen und Wein zu trinken, wäre wenig überzeugend. Es ist meistens auch folgerichtig, was Menschen mit hohem Ideal erzählen, akzeptiert man ihre Prämissen, ist das, was sie sagen, von innerer Logik. Das Problem beginnt in dem Moment, wo jemand entweder andere Prämissen hat, oder, was vielleicht sogar noch häufiger ist, ähnliche Prämissen anders gewichtet. Dann geht der Ärger los und hört auch so schnell nicht mehr auf, etwa wenn man anerkennt, dass etwas ein durchaus wichtiger Bereich des Lebens ist, nur man seine Wertigkeit vielleicht nicht ganz oben sieht. Dieser Einspruch ist nicht vorgesehen und bereits Freud hatte bemerkt, dass dort, wo man eigentlich weitgehend einer Meinung ist, Abweichungen besonders wenig toleriert werden.
Der Punkt ist, dass der Narzissmus hier unter dem Schild des eigenen Gutseins verborgen werden kann und man die narzisstische Wut, die eigentlich eine eigene Aggressionsproblematik ist, weil man es allgemein nicht ertragen kann, dass jemand anderer Meinung ist als man selbst, wunderbar auf den anderen projizieren kann. Er ist dann einfach jemand, der bei der anerkannt guten Sache nicht mitmachen will. Vordergründig geht es natürlich um das Thema, für was man sich einsetzt und darum, dass man das allerwichtigste Thema eben auch als solches zu akzeptieren hat. Es klingt dann so edel, ohne es zu sein.
Ein Tacken fieser wird es, wenn man die eigene gefühlte Überlegenheit heraushängen lässt. „Ach, wenn doch nur alle so wären wie ich, aber ich weiß, dass das nicht geht, darum bin ich ja besonders.“ Scheinbar wie nebenbei macht man alles perfekt und aus jeder glücklichen Fügung und Zufälligkeit des Lebens einen Ausweis eigener Überlegenheit. Man kauft bio, lebt ohnehin vegan, hat eine makellose Klimabilanz, ist Pazifist und in der Freizeit kümmert man sich um Obdachlose und Flüchtlinge. Nicht das irgendwas davon schlecht wäre, unschön ist es nur, wenn man andere damit düpiert, wie toll man doch selbst ist und wie zweitklassig die anderen. Dass es eher der Wunsch nach Entwertung der anderen ist, wird dabei selten bewusst, man muss es auch nicht konfrontieren, schließlich steht man ja für die anerkannt gute Sache. Inhaltlich ist diese austauschbar, man kann mit derselben Wut auch die kleinkarierten Öko-Spinner entwerten, die wegen einer bedrohten Blattlaus jeden Fortschritt sabotieren und auch ansonsten lieber zurück auf die Bäume gehören.
Natürlich sind gewisse Provokationen sinnvoll, wenn man etwas erreichen will und jeder hat seinen Stil ein berechtigtes Anliegen publik zu machen und durchaus auch an das Gewissen zu appellieren, nur sollte man andere dabei nicht erniedrigen. Einem armen Menschen, der eben über die Runden kommt, kann man schlecht vorhalten, er solle doch bitte ökologisch einwandfreie Ware kaufen und bei seinem Konsum auch mal an die Umwelt denken. Selbst wenn jemand anders könnte, man muss anderen zugestehen eine andere Meinung zu haben als die eigene. Dass dies sogar langfristig ein Gewinn sein könnte, ist etwas, was Narzissten als letzte einsehen. Für sie gibt es nur einen richtigen Weg: ihren.
Ich habe Menschen kennengelernt, die das Thema Gesundheit und bio engagiert gelebt haben, ein Thema was ich selbst als sinnvoll erachte und dem ich ideologisch eher zugeneigt bin. Erschrocken bin ich, als ich erlebte, mit welcher Kälte und Herzlosigkeit darauf reagiert wurde, dass ein Mensch schwer erkrankte. „Selbst Schuld, wenn man immer dieses ungesunde Zeug frisst“, war einer der mitleidlosen Kommentare. Schön, wenn man die Idee teilen möchte, dass mehr Menschen mit diesem oder jenem Thema etwas bewusster umgehen, doch es war traurig, diese Einstellung mitzubekommen. Fast konnte man eine gewisse Schadenfreude vermuten, vom altruistischen Wunsch das Wohl des anderen zu erhöhen war es in jedem Fall meilenweit entfernt. Das gilt natürlich nicht für die ganze Szene und soll abermals nur illustrieren, dass auch gute Ideen missbraucht werden können.
Selbstmitleid
Ist man erst einmal selbst überzeugt davon ein guter Mensch zu sein, dann verliert man manchmal etwas die Bodenhaftung. Wer sehr viel Geld hat, dem fällt es vergleichsweise leichter ein gutes Werk zu tun, als dem armen Schlucker. Dabei geht es dann nicht nur um nachhaltige Kleidung, sondern um Verdienste im größeren Stil. Dafür darf man sich auch loben lassen, nicht gut ist es, wenn man aus seiner Wohltätigkeit Rechte abzuleiten meint, die anderen nicht zustehen. Die Folge ist oft ein erstaunliches Maß an Kränkung und Selbstmitleid, wenn man nüchtern feststellt, dass das, was niemandem erlaubt ist, auch dem Großspender nicht erlaubt ist. Man ist doch schließlich kein Mensch wie jeder andere. Diese Einsicht kann man nicht ertragen und hat Argumente, wie das, dass man sich schließlich trotz aller Widrigkeiten hochgearbeitet hat, auch andere Zeiten kennt, was allerdings für sehr viele Menschen gilt. Oft reagieren Narzissten dann eingeschnappt und tragen vor: „Was tut man nicht alles und was ist der Dank?“
Gelingt es einem Narzissten, der hohe Ideale predigt, diese auch selbst zu leben und zu kolportieren, er sei privat ein ganz einfacher und bescheidener Mensch, ist er kurz vor der Heiligsprechung und seine Ideen und sein Leben sind nahezu eins geworden. Es ist auch hier das Gesamtpaket, das letztlich darüber entscheidet, wie ein Mensch rüberkommt, der engagiert lebt, auch das ist ja beileibe nichts, was schlecht wäre. Narzissten haben oft einen weihevollen, pathetischen und etwas selbstbesoffenen Zug an sich, der sich auf die Formel „Ach, was bin ich toll“ eindampfen lässt.
Ist das Motiv des Helfers nicht egal?
Damit zum letzten Punkt im Reigen. Wenn ein Mensch nun tatsächlich Gutes tut, ist es dann noch wichtig, welche Einstellung er dabei hat? Kommt es nicht eher drauf an, dass er etwas Gutes tut? Muss man da noch kleinkariert nachhaken, kann man nicht einfach dankbar sein und eventuell auch mal Fünfe gerade sein lassen?
Kommt drauf an, welche Ethik man zugrunde legt. Im Utilitarismus kann man der Meinung sein, das Motiv sei nicht wichtig, da hier eher die Tat, manchmal deren Konsequenzen zählt. In anderen Ausprägungen der Ethik ist es eher die Gesinnung oder Tugend, man könnte auch sagen die Einstellung, die zählt, wie wir es ganz am Anfang sahen. Geht es primär um mein Wohl oder um das des anderen?
In einem ersten Schritt ist diese Differenzierung vielleicht nicht wichtig, denn wer in einer akuten Notlage ist, dem wird es egal sein, aus welchem Motiv heraus er Hilfe bekommt, Hauptsache ihm wird geholfen. Doch nicht immer ist alles eine absolute Notlage und es müssen auch Strategien für längerfristige und übergeordnete Probleme gefunden werden. Wenn man den anderen gar nicht meint, wird das auf lange Sicht auf die eine oder andere Art und Weise problematisch, weil hier genau die Asymmetrie eingeführt wird, die am Ende so zerstörerisch ist, für Beziehungen nahezu aller Art. Darum ist es auch gefährlich, den großen Wurf zu versuchen, ohne andere zu fragen, ob das auch ihr großer Wurf ist. Denn was das derzeit wichtigste Problem ist, wird durchaus nicht von allen gleich beantwortet. Narzissten meinen, nur ihre Antwort sei die richtige, die Idee gleichberechtigter Stimmen ist für sie ein Affront.
Der Narzissmus ist insgesamt nicht schön, weil er mit einem recht hohen Grad an Leid verbunden ist, zunächst häufig für das nahe Umfeld, doch auch der Narzisst selbst lebt oft ein kompensatorisches Leben, ohne das zu wissen. Das mag am Anfang noch klappen. Doch ein zu hoher Grad an Narzissmus ist auch für die individuelle Psyche zersetzend und macht unglücklicher, als es oft scheint. Für Konzerne und Gesellschaften ist der Narzissmus ebenfalls ein oft unterschätztes Problem. Warum jemand tut, was er tut, sollte uns nicht kalt lassen. Die Verlängerung des Selbst zu leben ist nicht immer eine Katastrophe, aber die Motive des anderen zu kennen, kann manchmal helfen Katastrophen zu verhindern. In narzisstischen Zeiten ist eine gewisse Oberflächlichkeit Programm und wer nachfragt und sich vergewissert, gilt als Spielverderber. Fragen Sie trotzdem.