Macht ist ein kompliziertes Thema. Wir möchten sie haben, trauen uns aber selten, sie offen einzufordern. Daraus entstehen mitunter skurrile Machtverstrickungen, die als solche auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen sind. Aber der Reihe nach.
Was ist Macht überhaupt? Nach einer klassischen Studie von John R.P. French Jr. und Robert Alan Dahl ist Macht „die Fähigkeit von Akteur A einen Akteur B zu einer Handlung zu bewegen, etwas zu tun, was Akteur A von ihm verlangt, abzüglich der Wahrscheinlichkeit, dass der Akteur B die von Akteur A gewollte Handlung auch ohne den Einfluss von Akteur A getan hätte.“[1]
Gemäß Max Weber ist Macht, „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“[2]
Breiter fasst die Sozialwissenschaft Macht, nämlich als „die Fähigkeit einer Person oder Interessengruppe, auf das Verhalten und Denken einzelner Personen, sozialer Gruppen oder Bevölkerungsteile einzuwirken.“[3]
Macht ist also der Einfluss, die Fähigkeit, das Verhalten oder Denken anderer zu steuern.
Es gibt viele offene Formen der Macht und vermutlich noch mehr versteckte.
Erscheinungsformen der Macht
Neben Kraft, Geschicklichkeit und physischer Attraktivität ist Wissen eine Form der Macht. Einmal das Wissen um besondere Zusammenhänge, sowie der Informationsvorsprung den man haben kann, wenn man etwas eher weiß, als andere. Zudem das Wissen oder die Fähigkeit etwas zu können, was andere nicht können. Doch der körperliche Machtvorsprung sinkt in einem Zeitalter der Maschinen, Informationen und Dienstleistungen. Es reicht, wenn ich das Geld habe, mir zu kaufen, was ich brauche. Oder über ein weitverzweigtes Netz von Beziehungen verfüge, so dass ich immer weiß, an wen ich mich wenden muss, wenn ich etwas mal nicht aus eigener Kraft und Geschicklichkeit lösen kann.
All das wird jedoch nutzlos, wenn ich nicht auch etwas anzubieten habe, was für andere attraktiv ist. Geld ist dabei eine neutrale und wandelbare Form, macht den Betreffenden aber auch austauschbar. Wenn ich über viel Geld verfüge, muss ich auf der Hut sein, dass der nächste nicht über noch mehr Geld verfügt und mich ausbootet. Firmen oder Fußballvereine, die Spezialisten und Spieler oder Machthaber, die Söldner engagieren, wissen ein Lied davon zu singen.
So bedeutet es einen Machtvorteil, wenn man über das Geld hinaus noch über andere Wege des Einflusses verfügt, über emotionale Bande. Aus Befragungen von Arbeitnehmern ist bekannt, dass ein Lob vom Chef, ein persönliche Anerkennung der Leistung die Arbeitnehmerzufriedenheit viel größer werden lässt, als eine Lohnerhöhung, während ein Ausbleiben von Lob eine Quelle der Frustration ist.
Macht als aktiv belohnende Form
Gleichzeitig ist die Macht zu Geben aber daran gekoppelt, dass man etwas zu vergeben hat. Lob, Anerkennung und Wertschätzung sind zentral daran gebunden, dass derjenige, der lobt die Leistung auch tatsächlich beurteilen kann. Die Doktorarbeit, die erfolgreiche Teilnahme beim Sportturnier, eine künstlerische Aufführung wird zutreffender gewürdigt, wenn ein Kenner die Leistung lobt, als jemand, der von der Sache nichts versteht. Zumindest ist Anteil nehmendes Interesse wichtig, das aufrichtig ist und nicht sofort als Show durchschaut wird. Nicht jeder ist Experte für Volleyball, Oboenspiel oder Mineralogie, weiß also die Güte einer Darbietung zu beurteilen.
Doch manche Gebiete wissen wir alle zu schätzen und zu beurteilen. Die Nachbarschaftshilfe, die unkompliziert helfende Hand. Der schnelle Rat, an wen man sich wenden kann, wo man dies und das bekommt, in guter Preis-/Leistungsrelation. Dass der Rat von Freunden Geld und Macht bedeutet, hat Facebookgründer Mark Zuckerberg klar erkannt und zum Konzept gemacht. Ein Quelle, die oft von Menschen genutzt wird, die allen in der Nachbarschaft und im Freundeskreis helfen und die sich so oft ihre Extraportion Lob und Anerkennung abholen.
Auch die Leistungen in Gesundheit und Pflege können wir halbwegs beurteilen, da wir sie häufig am eigenen Leib spüren. Für die Helfenden bedeutet es oft ein gutes Gefühl helfen zu können, denn zumindest die Pflege ist ein anstrengender und oft nicht angemessen bezahlter Beruf, bei dem die Dankbarkeit der Hilfebedürftigen viele der Mühen kompensiert. Hier haben wir Bereiche in denen die körperliche Fähigkeit etwas bedeutet, auch noch (oder wieder) in der heutigen Zeit mit ihrem demographischen Wandel.
Das ist eine Form der Macht, die aktiv gebende, belohnende, großzügige und anerkennende Form. Doch daraus, dass ich etwas geben kann, was ein anderer braucht, resultieren auch noch andere Formen der Macht.
Macht in der passiven Form
Wer geben kann, hat natürlich auch die Macht, sich zu versagen. Das, was jemand mehr oder weniger dringend braucht oder was ihn freuen würde, nicht zu geben. Dieses Spiel bekommt schnell eine sadistische Komponente, wenn der andere weiß, dass man könnte, es aber nicht tut. Streik, Liebes- oder Wissensentzug sind Schlagworte die einem dazu einfallen. Ein an sich grausames Spiel, wenn man weiß, dass der andere etwas weiß oder kann und es absichtlich nicht tut, gerade dann, wenn er es bisher immer getan hat.
Seinen Höhepunkt findet es in der Form des radikalen Kontaktabbruchs, wenn man jemanden buchstäblich nicht mehr beachtet. Man weiß, dass selbst bestraft und gedemütigt zu werden nicht als so verletzend und grausam empfunden wird, wie die Nichtbeachtung oder der Ausschluss, aus der Gemeinschaft. Der Mensch ist ein Beziehungswesen und der radikale Abbruch von Beziehungen ist die Höchststrafe. Aber Macht ist kein primitives Spiel, sondern ein hochgradig subtiles und am Ende fein verästeltes Gefüge aus aktiven und passiven, bewussten und unbewussten Formen.
So haben auch vordergründig harmlose Tätigkeiten, wie das Wissen durch Klatsch und Tratsch eine Machtkomponente, denn man erfährt so dies und das, weiß Bescheid, gehört dazu und kann bestimmte Informationen preisgeben oder zurückhalten.
Um die passive Form der Macht, das Versagen oder Ignorieren zu brechen, ist Gewalt eine wiederum aktive Form der Macht. Die Vergewaltigung, um erzwungenen Sex zu bekommen, wo man Liebe möchte. Folter, um an Wissen oder Informationen zu gelangen, die jemand nicht preisgibt. Stalking, um Aufmerksamkeit zu erzwingen oder Erpressung und Bedrohung, um eigenes Wissen gegen fremdes oder gegen Geld auszuspielen.