Diagnosen und Kategorisierungen in der Psychotherapie, sowie die sich in ihrem Schlepptau befindlichen Begriffe, stehen immer in einem theoretischen Kontext, der den Hintergrund bildet. Nun ist Psychologie nicht automatisch Psychotherapie, obwohl mehr als die Hälfte der Psychologen therapeutisch arbeitet. Doch auch in dem Segment der Psychotherapie gibt es nicht die eine Theorie, die alles erklärt, sondern nach wie vor einen Wettstreit der Theorien und der mit ihnen zusammenhängenden Begriffe und Kategorisierungen.
Eindrucksvoll habe ich das oftmals erlebt, wenn ich irgendein Standardwerk der Psychologie gelesen habe, das recht umfänglich alle Entwicklungen und Fehlentwicklungen aus einer bestimmten Perspektive betrachtete und im nächsten Standardwerk die Ansätze, Autoren und Theorien des vorherigen Buches mit keinem einzigen Wort erwähnt wurden. Buchstäblich nichts schien sich hier zu überschneiden und beides sollte doch Psychologie und oft Psychotherapie sein.
Die Vielfalt der Psychologie ist gleichzeitig ihr Fluch und ihr Segen und die Breite wird in der Wikipedia schön auf den Punkt gebracht:
„Die Psychologie ist eine erfahrungsbasierte Wissenschaft. Sie beschreibt und erklärt menschliches Erleben und Verhalten, deren Entwicklung im Laufe des Lebens sowie alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Ursachen oder Bedingungen. Da mittels Empirie jedoch nicht alle psychologischen Phänomene erfasst werden können, ist auch auf die Bedeutung der geisteswissenschaftlichen Psychologie zu verweisen.“[1]
So ist es in der Tat. In diesem Einführungsartikel wird das breite Aufgabenspektrum der Psychologie dargestellt, darüber hinaus gibt es innerhalb der Psychotherapie weitere Bereiche und zudem beschäftigen sich auch andere Disziplinen mit dem was Psyche, Denken, Fühlen, Bewusstsein, Verhalten und so weiter eigentlich ist, denken wir an die Bereiche der Philosophie des Geistes, die Ethik, die Forschung über künstliche Intelligenz, Neurobiologie und die Primatenforschung, um nur ein paar zu nennen.
Die Diagnose
Eine Diagnose ist für den Arzt oder Therapeuten auf der einen Seite wichtig um zu wissen, was mit einem Patienten los ist, für den Patienten kann die Geschichte allerdings ganz anders wirken. Für Ärzte und Therapeuten ist Diagnosen zu stellen das tägliche Geschäft, für Patienten oft eine Gratwanderung, nicht selten zwischen Himmel und Hölle. Nun bringt es wenig, so zu tun, als sei eine schwere Erkrankung, die immer auch ein psychischer Schock ist, einfach nicht vorhanden, um den Patienten nicht zu verunsichern. Die Diagnose steht vor der Therapie und man kann gravierende Therapien wie Chemotherapien, operative Eingriffe oder schwere Medikationen nicht rechtfertigen, wenn man keine halbwegs solide Diagnose hat.
Der Patient, eine Rolle, die wir fast alle irgendwann auch mal kennenlernen, ist jedoch kein Profi und gerade schwere Diagnosen und Kategorisierungen können wie ein inneres Erdbeben wirken. Von jetzt auf gleich fühlt man sich aus seinem normalen Leben, seiner alltäglichen Rolle gerissen und manchmal reduziert auf seine Erkrankung, eben noch ein Mensch, jetzt ein Kranker oder gar ein Fall.
Psychische Erkrankungen spielen hier noch mal eine besondere Rolle, da sich Menschen mit einer psychologischen Diagnose oft in besonderer Weise stigmatisiert fühlen. Es gibt einen fließenden Übergang von Normalität zu leichter Pathologie, die uns vermutlich alle mehr oder minder im Leben befällt, ohne dass wir sie groß bemerken müssen, zu mittleren Formen der Pathologie und dann zu schweren, eine Unterteilung in vier Bereiche, die man aber auch anders treffen könnte, da sie lediglich unserer Erkenntnis dienen. Obwohl es diese kontinuierlichen Übergangsformen gibt, haben wir in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer häufig ein anderes Bild. Da ist man psychisch entweder gesund und soll sich nicht so anstellen, oder krank und das ist dann fast etwas wie Wahnsinn, mit entsprechenden Hemmungen, wie man „so jemandem“ denn nun begegnen soll.
Betroffene, Selbsthilfegruppen und Therapeuten wissen es in der Regel besser, aber dennoch sollte man nicht so tun, als sei dieses öffentliche Bild nicht existent. Entsprechend, auch weil man die Ansichten der Gesellschaft immer ein Stück weit selbst verinnerlicht hat, fühlt man sich in doppelter Weise betroffen, wenn man eine psychologische Diagnose bekommt. Menschen reagieren verschieden. Für die einen ist ihre Diagnose ein Segen. Das betrifft vor allem jene, die das Gefühl haben, dass auf körperlicher oder psychischer Ebene irgendwas mit ihnen nicht stimmt, die sich mitunter sogar schwer beeinträchtigt fühlen, bei denen der Arzt aber nichts findet. Irgendwann, nicht selten nach Jahren, endlich eine Diagnose zu bekommen, heißt etwas mehr oder minder Greifbares in den Händen zu halten und nicht selten auch, endlich ernst genommen zu werden.
Für andere ist es genau das Gegenteil. Vom eigenen Empfinden her ist man derselbe Mensch wie gestern, fühlt sich mehr oder weniger normal und dann kommt die Diagnose, die alles verändert, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Gefühle der Scham, eines Stigma und Verwirrung sind nur einige der möglichen Reaktionen auf eine psychologische Diagnose.