Schmerzen beim Sex sind nicht zwangsläufig körperlichen Ursprungs. Auch psychische Ursachen können dafür verantwortlich sein. Gerade Personen mit weiblichem biologischen Geschlecht berichten häufiger davon, kein Wohlgenuss beim Sex zu empfinden oder sich „nicht fallenlassen zu können“. Damit verbunden sind oft körperliche Beschwerden. Auch bei Personen mit biologisch männlichem Geschlecht können Schmerzen beim Sex vorkommen. Wenn du von dieser Problematik betroffen bist, sind die nachfolgenden Punkte vielleicht hilfreich für dich.
Schmerzen beim Sex: Verschiedene psychische Gründe
Wurden körperliche Ursachen für die Schmerzen beim Sex ausgeschlossen, kann der Blick in die Psyche womöglich zur Abklärung der Ursachen beitragen. Verschiedene seelische Gründe für die sexuellen Beschwerden sind denkbar.
Nicht immer muss eine Traumatisierung als Grund für die Schmerzen beim Sex vorliegen. Dennoch können emotionaler Missbrauch in der Kindheit und andere Missbrauchsformen die Symptome bedingen. Deshalb stellen wir zunächst heraus, wie eine frühere Traumatisierung zu einer problematischen und schmerzvollen Sexualität führen kann, ehe wir weitere denkbare psychische Gründe für die körperlichen Beschwerden benennen.
Schmerzen beim Sex durch Traumatisierung
Traumatische Erfahrungen in der Vergangenheit, vor allem in der Kindheit, können zu einer problematischen Sexualität beitragen. Das bedeutet nicht automatisch, dass es zu einem sexuellen Missbrauch oder körperlicher Gewalt gekommen sein muss. Auch bei emotionaler Gewalt kommt es zu Grenzübertritten und der Missachtung der missbrauchten Person. Letztendlich beinhalten alle Missbrauchsformen in der Regel auch emotionalen beziehungsweise psychischen Missbrauch. So wie jegliche Form des Missbrauchs in der Kindheit hat allgemein auch emotionaler Missbrauch in der Kindheit tiefgreifende Auswirkungen auf das spätere Leben. Dazu gehört fallweise ebenso die eingeschränkte Möglichkeit, als erwachsene Person eine positive und schmerzfreie Sexualität zu erfahren.
Die Verbindung von früheren Traumatisierungen und Schmerzen bei intimen Kontakten im Erwachsenenleben ist auf verschiedene Zusammenhänge zurückzuführen.
Höhere Körperwahrnehmung, niedrigere Schmerzschwelle
Emotionaler Missbrauch geht allgemein mit einer höheren inneren Anspannung einher. Das autonome Nervensystem befindet sich ob der seelischen Verletzungen, Ängste und den Gefühlen von Hilflosigkeit und Verzweiflung in einem ständigen Alarmzustand. Das kann aufgrund der beständigen Anspannung zu einer stärkeren Körperwahrnehmung und einer niedrigeren Schmerzschwelle führen. Man ist wachsamer und auch nervöser. Bei sexuellen Kontakten, welche gemeinhin Entspannung und Vertrauen benötigen, kann es durch diese erhöhte Anspannung dann zu Schmerzen kommen.
Untermauert wird dieser Sachverhalt unter anderem durch eine Studie von Dr. Rebecca Brown von der Universität Ulm und ihrem Forschungsteam. Je mehr Formen von Vernachlässigung und Misshandlung die Studienteilnehmenden in der Kindheit erleben mussten, umso höher war der angegebene Schmerz bei chronischen Schmerzerkrankungen wie beispielsweise Kopf- oder Rückenschmerzen.
Die schlimmsten Spuren hinterließ der seelische Missbrauch. … Die geschlechtsspezifische Betrachtung ergab, dass bei Frauen jede Art der schlechten Behandlung in der Kindheit Einfluss auf spätere Schmerzerkrankungen hatte, während Männer entsprechende Spätfolgen nur nach sexuellem Missbrauch und körperlichen Misshandlungen entwickelten. … Fazit: Negative Kindheitserfahrungen wie körperliche und seelische Misshandlung, sexueller Missbrauch in der Familie oder Mobbing durch Altersgenossen scheinen langfristige Effekte auf das Schmerzempfinden zu haben.
zitiert nach Starostzik, C. (2019). Schmerz als Zeugnis einer schweren Kindheit. Schmerzmedizin, 35 (13). Verfügbar unter: Springer Link
Auftretende Schuld- und Schamgefühle
Ein Teil von emotionalem Missbrauch ist Manipulation, Herabsetzung und Beschämung sowie das Triggern von Schuldgefühlen. Kinder internalisieren diese negativen Zuschreibungen. Sie verinnerlichen diese in Bezug auf ihre Persönlichkeit und ihr Selbstbild. Das so negativ verzerrte Selbstbild bringt Selbstabwertung, innere Konflikte und Blockaden mit sich. Jenes wiederum kann sich in Abneigung, Scham und körperlichen Beschwerden manifestieren. Gerade in intimen Situationen wird man mit diesen dann besonders konfrontiert.
Kein Vertrauen und bedrohliche Nähe
Wurde das Vertrauen in der Kindheit von nahestehenden Bezugspersonen missbraucht, fällt es schwer, dieses später zu anderen Menschen aufzubauen. Durch die körperliche Nähe zu einer anderen Person macht man sich verletzlich und liefert sich ein Stück weit dieser aus. Kannst du jedoch kein wirkliches Vertrauen entwickeln, wird diese „Auslieferung“ und Verletzlichkeit schnell als bedrohlich empfunden. Instinktiv wechselt dein Körper in eine Abwehrhaltung. Das kann mit muskulären Verkrampfungen, vor allem im Beckenbereich, einhergehen.
Flashbacks und intrusive Gedanken
Im Rahmen früherer Missbrauchserfahrungen kann es zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder anderen psychischen Erkrankungen kommen. Flashbacks oder intrusive Gedanken werden mitunter durch die intime Situation ausgelöst. Auch das führt selbstredend zu Verspannungen, einer Abwehrhaltung und Schmerzen beim Sex.
Weitere seelische Ursachen für schmerzhafte Sexualkontakte
Neben der Traumatisierung sind weitere seelische Ursachen für die Schmerzen beim Sex denkbar, die unter Umständen auch mit negativen, stressvollen Erfahrungen bis hin zu Traumatisierungen in der Kindheit in Zusammenhang stehen können. Zu diesen weiteren möglichen Ursachen gehören:
Angst, Unsicherheit und Stress
Manchmal führen Stress, eine vorübergehende innere Anspannung, Unsicherheiten oder soziale Ängste dazu, dass Betroffene sich nicht beim Sex entspannen können. Dementsprechend können Schmerzen beim Sex auftreten. Auch kann es vorkommen, dass du vielleicht noch gar nicht soweit bist, um mit dem anderen Menschen Sex zu haben. Möglicherweise kennt ihr euch noch nicht so lange und du fühlst dich mit deinem Gegenüber noch nicht ausreichend vertraut. Auch kann die Angst, einen anderen Menschen zu verlieren, zu der stärkeren Verspannung beitragen.
Vielleicht sorgen aber auch die Anspannung im Alltag und der vermehrte Stress dafür, dass du dich aktuell nicht vollständig auf das sexuelle Beisammensein einlassen kannst. Einige Personen neigen dann dazu, „es schnell hinter sich bringen zu wollen“. Auch darauf reagiert der Körper dann mit einer höheren Anspannung und verringerten Libido. Im Grunde kann sich aus allen Fällen, bei denen du mehr für den anderen Menschen mit ihm schläfst als für dich selbst, eine körperliche Anspannung entwickeln.
Erwartungsdruck und Perfektionismus
Beim Sex kann ein gewisser Erwartungsdruck entstehen. Eventuell glaubt man, besonders aufregend, locker oder experimentell sein zu müssen, und setzt sich damit unter Druck. Gerade Personen, die im alltäglichen Leben hohe Ansprüche an sich selbst stellen oder die sich tief im Inneren als nicht liebenswert empfinden beziehungsweise sich nicht angenommen fühlen, neigen ebenfalls zu Perfektionismus beim Sex. Sie glauben, wenn sie besonders gefällig im Bett sind, werden sie in den Augen der anderen Person als „wertiger“ empfunden.
Beziehungsprobleme
Selbst wenn die Psyche verdrängt, die sexuellen Missempfindungen im körperlichen Bereich lassen sich nicht beeinflussen. Deshalb können hinter den Schmerzen beim Sex auch Beziehungsprobleme stehen. Treten Konflikte in der Partnerschaft auf oder besteht durch beispielsweise Seitensprünge ein mangelndes Vertrauen zum Gegenüber, wirkt sich das negativ auf das körperliche Empfinden aus. Ein weiterer möglicher Grund kann sein, dass du dich nicht ausreichend respektiert von deinem Beziehungsmenschen fühlst. Direkte Abwertungen oder subtile Herabsetzungen machen wortwörtlich keine Lust auf mehr.
Depressionen oder andere Erkrankungen
Auf psychische Erkrankungen sind wir zuvor bereits in Verbindung mit Traumatisierungen eingegangen. Dennoch seien diese hier noch einmal separat als Punkt aufgeführt, um noch weitere Zusammenhänge dahingehend zu benennen.
Bei depressiven oder anderen seelischen Erkrankungen kann der Körper mit psychosomatischen Beschwerden reagieren. Der Einsatz von Psychopharmaka kann zudem die Libido vermindern. Damit zusammenhängend kann es zu Scheidentrockenheit oder anderen sexuellen Dysfunktionen kommen.
Sexuelle Unlust gehört zu den häufigsten Symptomen bei depressiven Erkrankungen. Mögliche Veränderungen im Neurotransmitter- und Hormonhaushalt wirken sich allgemein auf das emotionale Erleben aus. Dazu zählt auch das sexuelle Empfinden.
Darüber hinaus zeigen sich bei einem Großteil der Betroffenen die seelischen Erkrankungen auch in Bezug auf eine veränderte Nähe zu ihrem Beziehungsmenschen. Sie ziehen sich zurück, seelische Lasten brechen auf und es bleibt weniger Energie und Kapazität für das Miteinander.
Negative Assoziationen mit Sex
Vergangene Erfahrungen können zu einer negativen Assoziation mit Sex beitragen. Diese ist nicht immer bewusst. Möglicherweise waren vergangene Sexualkontakte nicht einfühlsam genug. Oder du wurdest vielleicht auch so erzogen, dass Sex etwas Schmutziges ist. Nun bist du gehemmt, weil du unbewusst assoziierst, beim Sex etwas Verbotenes zu tun.
Schmerzen beim Sex können zahlreiche seelische Ursachen haben. Indem Betroffene diesen auf den Grund gehen und eine Aufarbeitung ihrer seelischen Belastungen vornehmen, gegebenenfalls im Rahmen einer psychotherapeutischen Intervention, können sie sich zunehmend einer positiven Sexualität annähern. Weiterer Druck, weil man glaubt, „sexuell funktionieren zu müssen“, ist jedoch fehl am Platze. Die seelische Auseinandersetzung mit sich selbst benötigt Zeit und einen liebevollen und verständnisvollen Umgang mit sich.