
… und hinter tausend Stäben eine Welt. © professeurfax under cc
Im Gefängnis der eigenen Erwartungen kann es eng und stickig werden, manchmal geht es bis zur Einzelhaft.
Auf der anderen Seite gibt es genau dort, zumindest nicht weit entfernt, auch ein verborgenes Tor in eine radikale Freiheit.
Wenn Erwartungen sich erfüllen
Erst mal ist es schön, wenn sich die eigenen Erwartungen erfüllen. Man erlebt sich dann in aller Regel als selbstwirksam und kompetent im Leben. Man hat sich etwas vorgenommen, dafür auch was getan und wenn dann eintritt, was man erhofft und erwartet ist das wunderbar. Ob man um die Liebe eines anderen Menschen wirbt, ob es um diverse andere Prüfungen, Abschlüsse und Bewerbungen geht oder dann einfach darum, dass das Leben im Großen und Ganzen so läuft, wie man es geplant hat.
Nichts daran ist falsch, da es bei diesem Thema, wie bei vielen anderen, ein breites mittleres Segment gibt, in etwa der Temperatur des Badewassers oder Salz im Essen vergleichbar. Wenn Salz gänzlich fehlt schmeckt fast alles fade. Ist das Badewasser eisig, geht der Genuss flöten. Wir alle wissen, dass man auf der anderen Seite Essen versalzen und das Badewasser überhitzen kann. Aber es gibt in beiden Bereichen eine Mitte, die unser Leben angenehmer macht.
So ist es auch bei den Erwartungen. Aber kann es überhaupt sein, dass es schlecht ist, wenn sie sich erfüllen? Kann das Badewasser überhaupt zu heiß werden, wenn doch eigentlich alles am Schnürchen läuft? Die Analogie mit dem Badewasser ist recht passend, weil es hier eben auch nicht einen von jetzt auf gleich Effekt gibt, sondern einen schleichenden.
Er ist uns von den Internetgiganten bekannt, die uns mit dem versorgen, was uns gemäß unseres von ihnen erstellten Profils interessieren müsste. Der Vorteil ist, man bekommt keine Werbung für Bohrmaschinen, wenn man damit rein gar nichts zu tun hat. Der Nachteil, der einstmals neue, weite Horizont des Internet verengt sich immer mehr, weil man immer mehr Maßgeschneiderte Informationen bekommt, die zum Kaufen animieren oder via Emotionen Klicks generieren soll.
So wird man zum Gefangenen der eigenen Blase und alles fühlt sich erst mal gut und richtig an, weil ja genau das passiert, was man erwartet, zumindest wenn man in den Spiegel des eigenen Profils blickt. Hier bekommt man serviert, was man, wie zu sehen und einzuschätzen hat und kann sich als kritischer Beobachter fühlen, wo man längst schon einem immer gleichen Strickmuster aufsitzt. Man wird es nicht sofort merken.
Wenn sich Langeweile und Intoleranz abwechseln
Wenn nicht nur das virtuelle, sondern auch das alltägliche Leben immer mehr den eigenen Erwartungen entspricht, können sich zwei Effekte einstellen und kombinieren. Zum einen Langeweile, wenn man meint, die Welt und seine Mitmenschen, in- und auswendig zu kennen. Davon kann man dann irgendwann genervt sein, wenn man das Empfinden hat, dass andere immer nur die gleichen hohlen Phrasen dreschen oder sich eingefahren und berechenbar verhalten.
Alles scheint so stereotyp und vorhersehbar: die Themen, die Meinungen dazu, die mehr oder weniger inszenierten Streits, die Witzchen, die gemacht werden, kennt man. Wusste man. Alles wirkt irgendwie so inauthentisch und oberflächlich. Wobei man psychologisch schon hier fragen kann, was einen denn eigentlich daran stört, dass es anderen damit offenbar gut geht. Die Frage nach der Projektion von eigenen Problemen und Spannungen.
Bei vielem meint man zu wissen, dass es sich um eine sinnleere Geschichte handelt. Den Flur putzen, weil Samstag ist und nicht, weil er dreckig ist. Das kann man falsch finden. Vielleicht arrangiert man sich um des lieben Friedens Willen, weil es hier eben immer schon so gemacht wurde, findet das aber eigentlich blöd.
Wenn Menschen von der Stadt aufs Land ziehen, findet man ähnliche Konstellationen. Manche ziehen dort hin und manchen der Landbevölkerung nach kurzer Zeit Vorschläge, was hier alles besser laufen könnte. Einerseits sind Routinen und Traditionen nicht allein schon deshalb richtig, weil man es immer schon so gemacht hat. Auf der anderen Seite kann genau das Menschen Orientierung geben. Wer das kritisiert, könnte sich fragen, ob er einen besseren Vorschlag hat und warum er meint, dass alle diesen Vorschlag besser finden sollten. Manches, was auf den ersten Blick besser erscheint, sieht dann nach einiger Zeit schon wieder anders aus.
Was macht mein Leben denn so viel reicher, dass ich meine Art zu leben jedem empfehlen würde? Wenn man oft gelangweilt und genervt wirkt, weil man alles schon kennt und weiß, warum sollten andere sich dann auch so fühlen? Überzeugender ist doch, dass jemand, der sehr in sich ruhend, glücklich, selbstsicher oder bestens organisiert wirkt, irgendwann genau darauf von anderen angesprochen wird. Weil er so wirkt, wie er wirkt. Wer anderen ins Wort fällt, ihnen hektisch die eigene Meinung aufdrängen will, von dem wendet man sich eher ab.
Wenn negative Erwartungen sich erfüllen
Erkennbar blöd ist es natürlich, wenn negative Erwartungen sich erfüllen. Dies deshalb, weil Erwartungen, die sich erfüllen, zu einer weiteren Verfestigung dieser Erwartungen führen. Man hat es ja gewusst, mindestens geahnt.
Die Psychologie weiß aber heute aus vielen Bereichen, dass unsere Erwartungen nicht nur dazu führen, dass wir selektiv wahrnehmen, sondern auch, dass wir Verhaltensweisen anderer Menschen unbewusst provozieren. Wenn diese sich dann uns gegenüber so verhalten, wie sie sich an sich nie verhalten, glauben wir selbst besonders gut zu wissen, wie diese Menschen wirklich sind. Im Grunde wissen wir aber nur, wie sie auch sein können und haben dabei unseren eigenen Anteil noch gar nicht eingepreist. Jenen, mit dem wir ihr Verhalten eventuell provoziert haben.
Man kann auch von negativen Erwartungen erfüllt sein, die nicht mit anderen Menschen zu tun haben, sondern die eigenen Gesundheit oder anonyme Systeme. Auch da kommt es oft zu den bekannten sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Es gibt sogar Berichte vom psychogenen Tod, durch eine Extremform des negativen Denkens, eine Art modernes Voodoo. Magisches Denken, wenngleich oft projiziert auf technische Gegenstände: Geheime Strahlen und High Tech Waffen, das Motiv ist jedoch alt, bezogen auf die kollektive oder individuelle Entwicklung. Es ist der Glaube an eine mächtige und verfolgende Instanz.
Ein Punkt vor dem wir öfter stehen. Einerseits haben Ereignisse, die scheinbar von außen kommen oft mehr mit uns und unseren Erwartungen zu tun, als wir glauben. Doch auf der anderen Seite ist dies keine simple Willensentscheidung, die man dann einfach mal eben lassen oder verändern kann. Wer 100%ige Garantien braucht, um den nächsten Schritt im Leben zu tun, wird diese niemals bekommen und wenn doch, sind sie falsch. Das kann man einsehen, wird sich mit 99,999% aber immer noch unsicher fühlen.

Herausfordernd einfach: Zen © Doctor Monochrome under cc
Die Frage, die man sich hier stellen müsste, lautet, warum ich denn meine, absolute Sicherheit zu brauchen. Da geht der Weg entlang, aber er ist nicht leicht, wenn man es gewohnt ist, alles rational abzufertigen, ohne die eigenen Prämissen wirklich infrage zu stellen. So hat man immer Recht mit der Annahme, dass das Leben mit einem Restrisiko behaftet ist, kann sich überlegen fühlen, weil es niemand schafft, die eigenen Zweifel restlos auszuräumen, aber der Erfolg heißt zugleich weiter das eigene Leben zu blockieren. Hier sitzt man im Gefängnis der eigenen Erwartungen, sogar noch unter verschärften Bedingungen.
Die andere Seite der Medaille
Aus den Ausführungen ergibt sich, dass es auch viel mit der eigenen Einstellung zu tun hat, wenn es wie am Schnürchen läuft. Aber erneut gilt, dass es keinen Hebel gibt, den man mal eben umlegen kann um eine positive Einstellung zu bekommen und sie sich anzutrainieren wirkt oft so gekünstelt, wie es ist.
Aber wenn man es will, kann man sich auf die Reise durch den Dschungel machen und es ist keinesfalls so, dass dies von vorn herein aussichtslos ist, es ist nur zäh und beschwerlich. Es klappt auch nur bedingt, die Reiseberichte jener aufmerksam zu lesen, die diesen Weg schon gegangen sind, auch wenn das spannend und inspirierend sein kann.
Es schön Vorbilder zu haben, aber letztlich ist es der eigene Weg, der gegangen werden will und die Botschaften weiser Menschen kann man so wenig einfach für sein Leben übernehmen, wie man seine Einstellungen mal eben ändern kann. Oft geht es aber gar nicht ums ändern, sondern erst mal darum, den eigenen Lebensweg zu verstehen. Warum bin ich, wie ich bin, warum habe ich bestimmte Einstellungen?
Dann erst lohnt es sich manchmal darüber nachzudenken, ob man nicht das eine oder andere ändern möchte. Wenn man sich selbst versteht, ist der Druck oft gar nicht mehr so groß. Wie tief man buddelt, bleibt einem selbst überlassen. Man kann lernen, die roten Linien immer besser zu sehen, die die Ereignisse des Lebensweges mit einander verbinden.
Doch mehr Erkenntnis heißt oft auch mehr Verantwortung und weniger Großartigkeit. Immerhin versteht man, warum andere sich so unbeholfen anstellen, wenn man es bei sich selbst erkennt. Sich selbst zu verzeihen bedeutet dann immer auch anderen zu verzeihen.
Der letzte Schritt?
Er hat das Potential uns aus dem Gefängnis der eigenen Erwartungen heraus zu holen und auch hier ist es spielend leicht die Erkenntnis zu formulieren, nur eben sehr schwer, sie wirklich anzunehmen. Letzten Endes haben wir eigentlich nichts wirklich in der Hand und es gibt auch niemanden, der uns retten will und wird. Aber das hören wir nicht so gerne. Diese Sicht bildet den Kern des Buddhismus, der im Grunde sagt, dass sich alles ständig wandelt und Leid dadurch entsteht, dass wir diesen Wandel nicht mitmachen, sondern gerne an dem festhalten möchten, was uns gut gefällt.
Natürlich wissen wir alle, dass das Leben ständig weiter geht und dabei immer wieder auch mal Haken schlägt und verästelte Nebenstraßen benutzt. Wenn man das wirklich verinnerlicht hat, könnte man sich entspannen. Aber es ist menschlich doch immer wieder Routinen einzuführen, schon weil diese uns Orientierung geben. Selbst wenn sich das 20 Tage oder Jahre später als vorschnell erweist, in dem Moment glaubt man daran und es entspannt, daran zu glauben.
Man kann sich schrittweise davon lösen zu sehr an diese Erklärungen und Orientierungen zu glauben. Doch die Botschaft, dass es nichts gibt, woran sich festzuhalten lohnt wird ergänzt durch die Gewissheit, dass dies auch nicht nötig ist und man immer einen Weg finden kann, auf neue Situationen zu reagieren. Es klingt so leicht, ist aber doch schwer in Leben zu übersetzen.
Offenbar kann man Gewohnheiten, Struktur und Kreativität aber sehr gut vereinen. Einstein soll die mehrere gleiche Anzugkombinationen besessen haben, damit er mit so etwas unwichtigem wie der Kleiderwahl keine Zeit verschwendete. Seine Kreativleistungen waren atemberaubend. Der Alltag während eines Zen Sesshins ist extrem strukturiert, aber auch hier, um in eine nie gekannte Freiheit (der Erleuchtung) zu gelangen. Eben jene, in der man jeden Moment frisch und klar erlebt, weil man nichts erwartet und erkennt, dass jeder Moment frisch und klar ist.
Geübt wird das unter anderem daran, dass man auf seine Atemzüge achtet. Etwas, was man schon abertausende Male getan hat, zumeist, ohne es überhaupt zu beachten. Je näher, je genauer man hinschaut, umso mehr kann man erleben, dass buchstäblich kein Atemzug wie der andere ist. Und wir sind hier nur beim Atmen. Jeder Moment ist frisch, klar und neu, wie beim ersten Mal. Wenn man sehr genau hinschaut und sich drauf einlässt. Dann gibt es auch keine Langeweile mehr. Dem steht viel im Weg, davon sollte hier die Rede sein. Das Gefängnis der eigenen Erwartungen, sagt uns, dass wir sicher wissen was kommt. Das ist uns wichtig. Aber es gibt Wege die hinaus führen.
Wenn man auch die negativen Erwartungen fallen lässt, ohne dabei idiotisch zu agieren, bekommt man Vertrauen zur Fähigkeit auf die Situationen eine Antwort zu haben.