Verbote für wen?

zwei Frauen reden auf Bordstein sitzend

Wir wissen nicht, worüber sie gerade reden, aber sie hören sich zu. Pedro Ribeiro Simões under cc

Man kann auch daran denken, beides parallel zu versuchen. Bei Verboten denkt man in einen gewissen Automatismus sofort an Verbote für den Normalbürger, dem all das dann als erzwungener Verzicht erscheint. Wenn gesagt wird: „Wir wollen doch alle mitnehmen, nicht nur die, die es sich leisten können“, gibt man sich zwar einen moralischen Anstrich, dass die Verbote aber die eine oder andere Sorte Normalbürger treffen wird, die dann noch gegen einander ausgespielt werden – und sich ausspielen lassen – ist damit bereits vorausgesetzt. Die Biobonzen, deren Vergehen ist, gesundes, unvergiftetes Essen zu kaufen gegen die Prekären, die niveaulos immer nur Fleisch und Billigessen wollen. Sich geusnd zu ernähren und dabei auch auf die Umwelt Rücksicht zu nehmen ist aber kein Vergehen und arm zu sein, erst recht nicht. Es wird jedoch suggeriert, als könne es nur diese oder jene treffen. Verbote könnten jedoch zur Abwechslung auch mal Großkonzerne und Spekulanten treffen. Man ahnt, dass für diese in vielen Fällen Sonderregelungen erlassen werden, je mächtiger der Konzern, desto eher. Etwas anderes scheint kaum denkbar, ist es aber durchaus.

Statt dessen wollen aber auch viele Normalbürger ihresgleichen erziehen. Wer nicht auf Argumente hört, den will man bestrafen. Aber was, wenn die anderen dasselbe wollen und einen nicht nur mit ihren Argumenten belästigen, sondern mir diese demnächst auch noch vorschreiben wollen? Was unerhört scheint, geht der anderen Seite ja auch nicht besser. Soviel Empathie kann man aufbringen.

Wenn man sich vom anderen berühren lässt, geht man mit gutem Beispiel voran. Eine Garantie, dass der andere das ebenfalls tut, gibt es noch immer nicht, aber die Wahrscheinlichkeit ist zumindest nicht gesunken. Zusammen kann man ja neue Wege gehen, erkunden. Einer davon könnte dies betreffen:

Neue Vorstellungen von Wert

Vielleicht müssen wir uns weniger von alten Lebensweisen als vielmehr von Denkgewohnheiten verabschieden. Eine davon ist in einem reflektierten Sinne die Frage zu überwinden: Wie ist es denn nun richtig? Wer gibt uns die Garantie, a) dass es klappt, b) dass es so schlimm ist c) dass nicht anderes schlimmer ist?

Niemand, aber wichtiger ist es den Anspruch aufzugeben, dass es in allen Fällen eine richtige Antwort gibt und gleich jemand – der Experte – um die Ecke kommt, der sie uns mitteilt. Die Wahrheit, die richtige Lösung. Aber das heißt wiederum nicht, dass wir uns dumm und tot stellen können und rein gar nichts wissen. Wir sind bescheidener geworden, was absolute Wahrheiten und deren Verkündungen angeht, gerade weil wir mehr wissen.

Wir können neue Werte suchen und finden, wenn uns klar wird, dass auch wir verantwortlich sind und das heißt zugleich freier und mächtiger, als wir dachten. Die Währung unserer Zeit ist längst nicht mehr nur Geld, sondern auch Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit alleine macht auch nicht zwingend glücklich. Sie ist uns ein Bedürfnis, dem einen mehr, der anderen weniger. In funktionalisierten Zeiten, in denen alles professioneller und kälter abläuft, ist eine Begegnung an Wert gestiegen. Zeit, die man mit dem anderer verbringt. Wenn das Interesse des anderen echt ist und Zeit nicht nur absitzt, sind Begegnungen Quellen des Glücks. Sie können auch Frust und Stress bedeuten, wenn man sich nichts zu sagen hat.

Aber man wird es nicht aus der Welt schaffen können, dass viele fragen, was sie denn, ganz persönlich davon haben.

Zufriedenheit ist ein gutes Argument

Es sind nicht unbedingt Zahlen und Statistiken die uns anmachen, eher gute Erzählungen und authentische Berichte. Menschen haben Angst vor Veränderungen, gerade wenn es solche sind, die Verzicht daher kommen. Es ist aber mehr als Schönfärberei, dass so mancher Verzicht ein Gewinn ist. Viele treiben jede Menge Aufwand, um etwas zu verlieren, etwa Körpergewicht.

Mit schlechter Laune und einer gewissen Tapferkeit machen sich gerade Frauen, alle Frühjahre wieder, auf in den Kampf gegen überflüssige Pfunde, um dann oft in den Jojo-Effekt zu stolpern, wenn man es sich endlich wieder erlaubt, nach Herzenslust zu essen. Eine echte Veränderung ist auch hier nie ein kurzer Hype, sondern bedeutet immer lebenslänglich. Das ist auf anderen Gebieten auch so und gilt vielen als der Inbegriff des Verzichts. Zugespitzt in Sprüchen, dass alles was Spaß macht verboten ist und alles was nicht verboten ist, keinen Spaß macht.

Wobei diese Verbote ja keine sind, sondern eher ein Aufzeigen der Konsequenzen. Wenn du nicht weiter zunehmen willst, dann musst du was ändern. Dann verbeißt man sich alles was lecker ist und macht obendrein Sport, zu dem man keine Lust hat, weil man ihn auch nicht macht, weil man Spaß an der Bewegung hat, sondern funktional, um abzunehmen. Das tut man dann vielleicht um einen neuen Partner zu finden, weil man denkt, nur magersüchtige Frauen kämen gut an, was allerdings weniger die Meinung der Männer ist, als der Frauenzeitschriften.

Eingespannt in 100 ‚Aber so ist es doch‘-Suggestion lebt man schon längst nicht mehr sein Leben. Die gute Erzählung muss keine Kitschgeschichte sein, bei der dann alle Suggestionen doch noch erfüllt werden, weil man beim Sport den Traumprinzen kennen lernte und nun zusammen Biogemüse isst, sondern sich die Frage stellt, wie man denn wirklich leben will. Was für Männer nicht weniger gilt.

Wie viel ist eine Begegnung wert?

Was für ein Leben will ich wirklich führen? Was interessiert mich? Gehen wir mal nicht von den Unabänderlichkeiten aus, sondern vom dem, was wir wollen. Machen wir aus der flachen eine mittlere und aus der eine tiefe Beschäftigung mit dem Thema und fangen von der Seite an, die uns wirklich innerlich berührt. Lassen wir uns nicht sagen, was alles nicht geht, sondern hören lieber auf die, die darauf nie gehört haben. Das müssen keine klassischen Heldengeschichten sein, im Gegenteil sind viele aus der Not und der Krise geboren. Krisen sind aber – zumindest dann im Rückblick – oft wichtige und entscheidende Wendepunkte im Leben.

Fängt man nicht bei den übrig gebliebenen Resten an und versucht krampfhaft zu verteidigen, was einem des Leben noch nicht genommen hat, sondern bei dem, was man eigentlich bei tieferer Betrachtung vom Leben erwartet – es werden selten die nächsten 80 Paar Schuhe oder 5000 Likes sein – dann kann man die Geschichte des Lebens von einer prinzipiell anderen Seite aufziehen.

Im Leben, im ganz normalen Alltag, muss man auch häufig sehr viele Aspekte unter einen Hut bekommen. Diese Erfahrungen kann man mitnehmen und auf jene Bereiche ausdehnen, die uns gegenwärtig als Probleme der nahen oder mittleren Zukunft begegnen. Bei der Frage Verbote oder Bewusstseinswandel mögen die Verbote attraktiver erscheinen, weil sie schnell erzwingen können, wofür man bei einer Bewusstseinsveränderung scheinbar lange braucht. Auf der anderen Seiten hat der Bewusstseinswandel einen entscheidenden Vorteil.

Wer wirklich zu einer anderen Auffassung gekommen ist, wer etwa sein Leben nicht aus dem Mangel, sondern aus einer Idee der Fülle heraus interpretiert, kann mehrere Problembereiche koordinieren und zusammen angehen. Er kann diese, seine Einstellung vorleben und zugleich in diese Richtung argumentieren. Und er oder sie kann nach einigen Jahren Geschichten erzählen und sich mit anderen darüber austauschen, wie es war, welche Schwierigkeiten man erlebt hat, aber auch, wie dann eins ins andere griff.

Verbote oder Bewusstseinswandel: Was bringt mehr? Wenn man mich fragt, der Bewusstseinswandel.