Die Welt krankt an der einen oder anderen Stelle, je nach Neigung werden im Grunde zwei Wege diskutiert, um die Kurve zu kriegen, nämlich Verbote oder Bewusstseinswandel und damit verbunden die Frage, was besser, schneller, wirksamer und nachhaltiger ist.
Von denen, die meinen, dass Verbote der bessere Weg seien, hört man oft kategorische Äußerungen über den Menschen. Dass dieser eben unbelehrbar, ein Gewohnheitstier oder sogar einfach dumm sei und man ihn daher zu seinem Glück zwingen müsse. In der Tat, manches kann man nicht unbedingt nachvollziehen. Da ringt man sich zu bestimmten Einsichten durch und tut genau das Gegenteil davon. Da liegt die Idee nahe, dass man nachhelfen sollte.
Die Lust am Verbot
Eigenartig kommt mir jedoch vor, wie schnell so viele Menschen Verboten als Lösung zustimmen. In einem haben die Vertreter dieser Seite recht: Verbote wirken sofort, gesetzt, man hält sich dran und man kann sie im Zweifel einklagen und durchsetzen. Nur kann das natürlich wieder zu einem riesigen bürokratischen Wust führen, zumal, wenn es Gesetzeslücken gibt. Eine Lösung die viele intuitiv favorisieren ist, Gesetze ganz einfach zu gestalten, aber wir sind stolz darauf zu rigide Gebote und Verbote hinter uns gelassen zu haben. Und wenn es dann um die Feinheiten geht, sind die meisten dann doch froh, wenn man sich im eigenen Fall auf Lücken berufen kann, obwohl die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit auch nicht zu groß werden sollte und darf.
Verbote kommen dem Wunsch nach Aktionismus nach. Wenn es irgendein Problem gibt, gibt es die Tendenz sofort eine Lösung finden zu wollen und genau so gerne, einen Schuldigen. Man ist seltsam zufrieden, wenn jemand geopfert wird, obwohl das mit der Lösung des Problems oft nichts zu tun hat. Aber, der/die war Schuld und ist jetzt weg, ist für viele attraktiv, weil man das Probleme gerne an Personen fest macht.
Ein weiteres Argument ist, dass man sich – hier ist man wieder Gewohnheitstier – eben schnell an das gewöhnt, was nun einfach nicht mehr geht und ein paar Jahre später hat man es vergessen. Bestimmte Ideen, wie der Wunsch nach Freiheit dringen aber offenbar immer wieder nach oben und die Versuche diese Wünsche zu kontrollieren sind auch in den paranoidesten Regimen oft gescheitert. Oft im wahrsten Sinne grausam gescheitert.
Psychologisch könnten Verbote zum einen ein sadistisches Prinzip zum Ausdruck bringen: Ich kann dem anderen meinen Willen aufdrängen und muss ihn nicht lange und zermürbend überzeugen. Das ist schön, es müssen dann nur die richtigen Verbote sein, also jene, mit denen ich mich identifizieren kann. Blöd ist, wenn es die der anderen sind. Wenn die einen die Umwelt retten wollen und die anderen den Wirtschaftsstandort.
Der andere Aspekt für Verbote kann eine gewissen Selbsteinsicht sein, wenn man sich dabei ertappt, dass man überzeugende Argumente zwar durchaus überzeugend findet, sich selbst aber trotzdem nicht dran hält. So eine etwas mangelnde Selbstdisziplin. Ich weiß, was sein müsste, schaffe es aber nicht. Solange wir nur mit unserem Wohlergehen spielen, ist das Privatvergnügen, wenn aber andere die Zeche zahlen müssen, bekommt es einen Beigeschmack. Wer sich schon selbst nicht über den Weg traut, traut anderen vermutlich noch weniger und könnte Verbote als eine Art Hilfe ansehen. Man kann sogar noch ein wenig schimpfen, aber die Sache ist immerhin klar, es ist verboten.
Verbote führen zum Widerstand
Das ist wohl der springende Punkt. Schimpfen ist der eine Aspekt, sich nicht dran zu halten, der andere. Das tun wir alle in vielen Situationen des Lebens. Dass man alles gemäß der Verkehrsregeln macht, passiert genau ein mal, in der Fahrprüfung. Danach nie wieder. Würden Krankenschwestern sich nach jedem Patientenkontakt vorschriftsmäßig die Hände desinfizieren, wären die in jeder Schicht zwei Stunden allein damit beschäftigt. Und so weiter.
Besonders allergisch reagiert man derzeit aber auf moralische oder sogenannte Denkverbote. Beklagt wird hier eine Art moralischer Zweiklassengesellschaft. Die einen machen grob gesagt immer alles richtig und die anderen immer alles falsch. Da aber auch die, die alles falsch machen, einiges richtig machen, instrumentalisieren sie den Diskurs für sich und greifen damit auf eine Opfererzählung zurück, die zwar als solche richtig erkannt ist und kritisiert wird, aber im Grunde nur übernommen ist. „Nicht die sind die wahren Opfer, sondern wir. Und wir dürfen das noch nicht mal sagen, ohne dass man auf uns eindrischt.“ Da kommt dann zur Instrumentalisierung auch noch echter Trotz dazu, dazu genügend Moralisten, die wirklich glauben, allein sie lägen richtig.
Wobei moralisch oder Denkverbote ja keine wirklichen Verbote sind, in dem Sinne, dass man sie einklagen kann. Dennoch ist es auch nicht folgenlos gegen diese zu verstoßen, denn man ist im schlimmeren Fall gesellschaftlich erledigt. Dann ist man wirklich Opfer, aber wer gewieft ist, kann auch das instrumentalisieren, indem er Grenzen dezent überschreitet, sagt, sooo habe man das erstens, gar nicht gesagt und dann natürlich, zweitens, gar nicht gemeint und drittens, sähe man hier doch, dass man immer nur bewusst missverstanden wird. Derzeit das Geschäft der Rechtspopulisten, in der kontinuierlichen Ausweitung des Opferbegriffs sind aber viel eher linkspopulistische Wurzeln zu finden. Andererseits sind Denkverbote im Grunde weniger Verbote als Argumente und gehen langsam in die andere Möglichkeit über.
Die scheinbaren Nachteile des Bewusstseinswandels
Beim Bewusstseinswandel fallen einem oft zuerst die eher schwierigen Aspekte auf. Es dauert zu lange, ist dabei ein nicht unwichtiges Argument. Bis wirklich jeder überzeugt ist, so heißt es dann, vergeht einfach viel zu viel Zeit, das Verbot könnte hingegen von jetzt auf gleich wirken. Der andere Aspekt ist der, dass sich unterm Strich nichts tut, wenn man alleine versucht die Welt zu ändern oder ein paar Überzeugungstäter an seiner Seite hat. Dazu kommt die Frage, die sich viele stellen, nämlich, warum denn ausgerechnet sie anfangen sollten, sich zu ändern, wenn die anderen es auch nicht tun.
Man ist ja in aller Regel vom Mainstream abgegrenzt oder möchte es sein. Die Strahlkraft von Vorbildern und Statussymbolen ist groß. Aber ist man nicht selber immer nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein? Und haben nicht die anderen durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon, was wichtig ist, hier und jetzt? Die eine will das Klima retten, der andere bezahlbaren Wohnraum, die nächste Spaß haben, einfach ein bisschen leben, roh und ungeschliffen.
Bewusstseinswandel funktioniert auch über Argumente. Wenn diese mit zu weit erhobenem Zeigefinger daher kommen, so stößt das manche ab. Das manches verwässernde einerseits/andererseits bringt dann aber auch kein Ergebnis, denn gleichzeitig für Wohlstand, Gerechtigkeit, Müllvermeidung und Klimaschutz zu sein klingt zwar gut, fährt sich aber manchmal gegenseitig in die Parade. Also ein langer, zermürbender Ritt, der am Ende dann doch nichts bringt, weil jeder seine Vorstellungen hat?
Nur, wenn man Diskurs und Argumente so versteht, dass man sie dem anderen überstülpt, um ihn dahin zu kriegen, wo man ihn haben will, weil man ja ohnehin recht hat. Als Austausch auf Augenhöhe verstanden, kann man selbst bereichert werden und vielleicht sogar zusammen entwickeln, wie man scheinbar konträre Ansätze verbinden kann, oder Prioritäten erarbeiten. Aber reicht das? Vielleicht, aber eine Garantie gibt es eben nie.