Die Angst vor dem Tod eint uns alle. Seit Jahrhunderten. Aber wie läuft das Sterben als Prozess eigentlich ab? In diesem Artikel lassen wir die biochemischen Vorgänge beim Sterben weitestgehend außen vor und nähern uns den Abläufen vor dem Tod aus psychologischer Sicht.
Der Mensch stirbt nicht auf einmal
Lange Zeit schenkte man den Sterbenden sowie deren Angehörigen im Medizinstudium verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Es gab somatische Kriterien, die es zu beachten galt, waren diese erfüllt, wurde der Tod eines Menschen diagnostiziert. Doch die Palliativmedizin hat sich ihren Stellenwert mühsam erarbeitet.
Heute setzen sich viele Ärzte für eine humanere Medizin kurz vor dem Tod ein. Statt lebensrettender und -erhaltender Maßnahmen bis zum letzten Atemzug – und darüber hinaus -, wird die Forderung laut, den Patienten selbst hinsichtlich ihres Lebensabschieds mehr Rechte zu geben. Denn für die Ärzte ist der Grad zwischen ebenjener Zugeständnisse an die Menschlichkeit und der Erfüllungsdoktrin ihrer medizinischen Arbeit immer noch ein schmaler.
Ist der Eintritt des Todes diskutabel?
Der Kardiologe Sam Parnia und seine Kollegen lösten mit ihren unkonventionellen Studien über das Sterben sowie zu Nahtoderfahrungen neue wissenschaftliche und philosophische Debatten zum Zeitpunkt des Todes beim Menschen aus. In einem klinischen Fall konnte Parnia bei einem Patienten Bewusstseinszustände während des Todes klinisch verifizieren, weil ebenjener Patient rückblickend Prozesse und Geräusche einer Maschine beschrieb, die definitiv in der Zeit passierten, als er als klinisch tot galt. Müssen wir demnach das Sterben als Prozess neu definieren?
Andere neurowissenschaftliche Forschungen bringen weitere Erkenntnisse, indem sie den Sterbeprozess im Gehirn zumindest teilweise nachvollziehbar machen. Von einer Welle gleich einem Tsunami ist hierbei die Rede. Diese Welle tobt durch das Gehirn und bringt den kognitiven Zelltod mit sich, wäre aber bis zu einem gewissen Punkt umkehrbar, wenn die Durchblutung rechtzeitig wieder einsetzen würde. Eine enorme wissenschaftliche Erkenntnis, von der unter anderem die Schlaganfallforschung profitieren könnte.
Sterben als palliativer Prozess
Sterben ist ein Prozess, soviel ist sicher. Der Mensch stirbt nicht mit einem Fingerschnipp. Die Organe fahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Funktionen herunter, bis sie sie ganz einstellen. Dies kann mehrere Tage, Monate oder gar Jahre dauern.
Zwei Phasen des Sterbens werden seitens der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin definiert:
- Terminalphase: Die Aktivität des Betroffenen wird durch die fortschreitende Erkrankung mehr und mehr beeinträchtigt. Die Symptome der Krankheit nehmen zu. In dieser Phase ist eine engmaschige Betreuung des Betroffenen nötig. Sie kann Wochen oder Monate anhalten.
- Sterbephase (Finalphase): Diese Phase umfasst die letzten Stunden vor dem Tod. Sie kann auch manchmal Tage andauern. In dieser Phase ist es wichtig, dem Betroffenen einen friedvollen Übergang zu ermöglichen, zudem eine stützende Betreuung der Angehörigen.
Einige noch junge Forschungsansätze versuchen anhand biochemischer Marker, die Dauer des verbleibenden Lebens eines Organismus vorherzusagen. Würde das Sterben als Prozess dadurch immer genauer vorhersagbar, muss eine Debatte geführt werden: zwischen der Hilfestellung durch solche Erkenntnisse, welche eine gezieltere medizinische Betreuung ermöglichen würden, und der Notwendigkeit, in ethischer Hinsicht angemessen auf den Sterbenden und seine Angehörigen zu reagieren.
Sterben als Prozess der Akzeptanz
Wie läuft nun Sterben als Prozess für den Betroffenen ab? Im Allgemeinen erlebt ein Sterbender fünf Phasen vor dem Tod. Ungeachtet dessen können diese natürlich interindividuell unterschiedlich verlaufen.
Nach Kübler-Ross, einer Schweizer Ärztin und Sterbeforscherin, werden folgende Phasen unterschieden:
- Nicht wahrhaben wollen: In dieser Phase kommt es zur Leugnung/ zum Verdrängen des Zustandes, da dieser unerträglich scheint. Der Betroffene geht in die Isolation vom sozialen Umfeld. Ein Auseinandersetzen mit der Situation erfolgt zumeist nicht, da ein Schockzustand vorherrscht.
- Aggressiver Widerstand: In der zweiten Phase folgt daraufhin die Wut gegen das soziale Umfeld, gegen die Ärzte usw. Die Suche nach einer Erklärung, nach einem Verantwortlichen für die individuelle Situation beginnt. Auch Autoaggression kann vorgehen, weil das Empfinden vorherrscht, der Körper hätte einen im Stich gelassen. Suizidale Gedanken sind ebenfalls möglich. In dieser Phase ist großes Verständnis seitens des sozialen Umfeldes wichtig.
- Innere (und äußere) Verhandlungen führen: Der Betroffene startet ein Auseinandersetzen mit dem Tod. In diesem Zusammenhang werden oft innere Monologe geführt, mit Gott/dem Schicksal etc. Zudem auch Dialoge mit Ärzten, Pflegepersonal usw., weil der Patient alle Chancen zur Heilung wahrnehmen möchte. Eventuell formuliert der Sterbende letzte Wünsche, dessen Umsetzungen mithilfe der Angehörigen wichtig sind.
- Depressive Apathie: Die Symptome der Erkrankung nehmen zu, was zur Hoffnungslosigkeit führt. In diesem Stadium werden weitere medizinische/psychologische Interventionen oft abgelehnt. Die Phase ist gekennzeichnet von Rückblicken über das Leben. Ängste/Trauer in Bezug auf den Tod nehmen zu. Ein Abwägen bezüglich aktiver Sterbehilfe kann ebenfalls erfolgen. Angehörige sollten zuhören und die Belange des Betroffenen ernst nehmen. Palliative Interventionen werden geprüft, um für die verbleibende Zeit für Schmerzlinderung und eine Verringerung des Leidens sowie der Ängste zu sorgen.
- Akzeptanz des Todes: Der Tod wird als Teil des Lebens angenommen. Das Schicksal wird vom Patienten mit Fassung getragen. Häufig regelt er letzte Angelegenheiten. Eine Unterstützung durch die Angehörigen ist hilfreich. In dieser Phase ist das Abschied nehmen und das Loslassen ein großer Bestandteil, um ein sanftes und sorgenfreies Einschlafen zu ermöglichen.
Nachdem wir uns mit dem Sterben als Prozess auseinandergesetzt haben, befassen wir uns im nächsten Teil unserer Artikelserie mit dem Erleben beim Sterben und der aktuellen Forschung dazu. Was wäre, wenn Sterben gar nicht so schlimm wäre?