Der Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen ist kein leichter. Und viele würden sagen, dass es grundsätzlich besser wäre, so weit wie möglich auf Abstand zu Menschen mit einem narzisstischen Persönlichkeitsstil zu gehen. Doch nicht immer ist das möglich. Beispielsweise weil ein Elternteil narzisstische Tendenzen aufweist und man sich nicht lossagen mag. Oder weil man mit einer narzisstischen Person ein gemeinsames Kind hat. Oder weil einige sich in Partnerschaften mit NarzisstInnen befinden, aus denen sie sich noch nicht loslösen können. Möglicherweise trägt der Chef oder die Chefin narzisstische Züge in sich. Nicht zuletzt finden sich in jedem Alter und jeder Generation stark selbstbezogene Menschen, die dysfunktionale Gedanken- und Verhaltensstrukturen ihrem Umfeld gegenüber an den Tag legen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf eine solche Person treffen, ist schlichtweg hoch.

Es ist also von Vorteil – falls man sich von einer solchen Person in seinem näheren Umfeld nicht verabschieden kann oder möchte –, ein paar hilfreiche Kompetenzen für den Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen zu erlangen. Sollte jedoch die eigene körperliche Unversehrtheit und tiefgreifende seelische Stabilität im Kontakt mit dieser Person nicht gewährleistet sein, ist ein unverzüglicher Kontaktabbruch unter Einhaltung der größtmöglichen Sicherheit die oberste Priorität.

Keine Allgemeingültigkeit für Umgang mit Narzissten

Babyfüße umhüllt von Händen der Mutter

Schon als Baby werden wir von dem Verhalten unserer Eltern emotional geprägt. © Christian Haugen under cc

Vorab ist es wichtig zu wissen, dass es keine Allgemeingültigkeit für den Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen gibt. Gerade langjährige PartnerInnen von narzisstischen Personen sind die eigentlichen ExpertInnen für „ihren Beziehungsmenschen“. Sie wissen um die Dramen, die sich in der Beziehung abgespielt haben. Ähnlich verhält es sich für erwachsene Kinder mit einem narzisstischen Elternteil. Nur sie wissen, wie ihre Kindheit und ihr Heranwachsen in einem dysfunktionalen Familiensystem mit dieser speziellen Person war. Demzufolge ist im Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen auch stets das eigene Gespür gefragt. So kann man zumindest von der eigenen Seite aus versuchen, dazu beizutragen, dass Gespräche nicht eskalieren oder man selbst nicht emotional angeschlagen aus einem solchen Streit hervorgeht. Die andere Seite, das Kommunikationsverhalten unseres Gegenübers, können wir selbstredend nicht beeinflussen. Die Verantwortung für das Verhalten der anderen Person können und sollten wir nicht übernehmen. Wir können nur darauf achten, dass wir uns selbst respektvoll benehmen.

In dieser Artikelserie versuchen wir uns an einer Art Leitfaden, an dem man sich im Sinne der gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg entlang hangeln könnte und der im besten Fall ruhig durch ein Gespräch mit einem aufbrausenden, narzisstisch orientierten Menschen führt.

Wenn aus Gesprächen Abwertungen werden

Viele Betroffene von beispielsweise destruktiven Partnerschaften gehen in einem Streitgespräch nach einer Phase des Aufbäumens, Kämpfens und Verteidigens in eine Defensive. Es ist eine Reaktion darauf, weil die narzisstischen Gewehrsalven verbal immerfort auf sie einprasseln. Manche Betroffene ereilt eine gewisse Resignation und fast schon Selbstschädigung. Sie wollen, dass der Wortschwall mit all den Anschuldigungen, Bloßstellungen und Wahrnehmungsverwaschungen endlich aufhört. Solche selbstschädigenden Äußerungen sind zum Beispiel:

„Ja, was soll’s. Du hast recht. Dann bin ich eben dumm.“
„Es stimmt ja auch, was du sagst. Ich bekomme nichts hin im Leben.“

Nicht wenige Betroffene von narzisstischem Missbrauch nehmen das verletzende Verhalten des Gegenübers zu sich. Sie denken sich manches Mal tief in ihrem Inneren: Vielleicht hat der/die andere ja doch recht? Gerade wenn solche Sätze des Gegenübers mit unseren seit der Kindheit verankerten Glaubenssätzen übereinstimmen – und NarzisstInnen haben oft ein gutes Gespür dafür, was uns verletzt –, treffen sie uns tief in unserem Inneren.

Im Streit: Statt Inhalt, Abwertung

Bei einem Gespräch mit NarzisstInnen oder einem Streit geht es oft nicht um die Inhaltsebene (also das eigentliche Streitthema) beziehungsweise wird diese immer mehr außer Acht gelassen. Stattdessen wird der Streit von Seiten der NarzisstInnen zunehmend persönlicher. Macht, Geringschätzung, Rechthaberei und destruktive Kritik an dir treten in den Vordergrund.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Aussagen deines narzisstischen Gegenübers nur mit ihm zu tun haben und nicht mit dir. Vielmehr stehen sie für die ambivalenten Einschätzungen und Verhaltensweisen der aussagenden Personen. Je nachdem, wie ihre aktuelle Tageslaune ist, ob sie etwas von dir möchten, ob du ihnen nützlich sein könntest, oder ob du nach ihrer Vorstellung funktionierst. Je nach spezieller Situation und Konstellation fällt ihre Bewertung von dir mal gut, mal neutral und mal schlecht aus. Sowohl die Lobpreisungen als auch die Abwertungen sagen nichts über deinen tatsächlichen Wert aus. Sie zeigen lediglich deinen „aktuellen Bezug“ zu einer narzisstischen Person auf, also wie sie dich in diesem Moment wahrnimmt.

Fremdabwertung als Bewältigungsmechanismus

Baum und Sträucher am Feldrand

Eine narzisstische Person sieht sich oft über dir. Sie ist der Baum unter vielen Sträuchern. © Andreas Rockstein under cc

Eine heftige und nicht konstruktive Kritik verrät zuvorderst etwas über den Absendenden, nicht über den Empfangenden. Natürlich kann selbst in einer solchen Kritik unter Umständen auch ein Körnchen Wahrheit stecken. Wir alle haben unsere Stärken und Schwächen, das ist etwas Normales, Menschliches. Die eigentlichen Fragen in diesem Zusammenhang lauten allerdings: Warum sollte man das Vertrauen von anderen Menschen missbrauchen und ihnen ihre eigenen Schwächen vorhalten, sobald es einem selbst nützt? Warum sollte man wollen, dass ein anderer Mensch sich schlecht fühlt? Menschen, die sich solcher Muster der Fremdabwertung bedienen, haben oftmals einfach keine anderen Kompensationsstrategien, um mit ihrem eigenen Frust, ihrer Antizipation einer potenziellen Selbstwertschädigung, einer möglichen Beschämungsgefahr oder drohenden Verantwortungsübernahme umzugehen. Es geht darum, sich selbst besser zu fühlen, indem dir die Verantwortung zugewiesen wird. So oder so, es hat nichts mit dir zu tun.

Wenn wir aufhören, so wie bisher in Gesprächen zu reagieren – also uns nicht mehr steuern, provozieren oder manipulieren lassen –, entziehen wir unserem Gegenüber den Zugriff auf uns. Sein Verhalten ruft keine (emotionale) Reaktion mehr bei uns hervor. Dadurch entkräften wir seine Hebel.

Umgang mit Narzissten: Starkes Schamgefühl?

Später werden wir auf einige Tipps für den Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen eingehen und auch mögliche Kommunikationsbeispiele benennen. Doch zunächst möchten wir auf die höhere Vulnerabilität und das stärkere Schamgefühl Bezug nehmen, was bei NarzisstInnen vorzuliegen scheint.

Viele narzisstische Menschen sind sensibilisiert für Zwischentöne, Manipulationen oder sonstiges negatives Feedback. Sie besitzen feine Antennen dafür, wenn jemand sie unterschwellig oder indirekt angeht. Ein Grund dafür könnte beispielsweise sein, dass viele in der Kindheit eine Reihe von Abwertungen und Verletzungen erfahren haben. Entsprechend sind sie nun sofort hellhörig dafür. Dass Narzissmus mit einem labilen und schambehafteten Selbst einhergehen könnte, verdeutlicht die Studie des Forschungsteams um Dr. Kathrin Ritter von der Berliner Charité. Wie sich zeigt, besaßen die Teilnehmenden, die eine klinisch diagnostizierte Narzisstische Persönlichkeitsstörung aufwiesen, im Vergleich zu psychisch unauffälligen Personen eine stärkere implizite, assoziative Verknüpfung einer unbewussten Schamneigung in Bezug auf die eigene Person, sowie auch explizit ein stärker berichtetes Schamgefühl.

Verletzlichkeit bei narzisstischen Personen

Mann und Frau diskutieren am Hauseingang

Ob bei der Arbeit oder im Privaten: Viele Menschen haben einen narzisstischen Persönlichkeitsstil. © Sascha Kohlmann under cc

Die Ergebnisse der Studie stützen die Annahme, dass das Selbstkonzept von Personen mit einer starken Ausprägung im Narzissmusbereich durch Vulnerabilität, das heißt Verwundbarkeit, gekennzeichnet ist. Sehen sie sich kritischen oder ablehnenden Reaktionen anderer Menschen gegenübergestellt oder auch problematischen und herausfordernden Situationen, könnte es sein, dass sie sich stärker und im Ganzen als Person abgewertet fühlen. Möglicherweise wechseln sie deshalb so schnell in den Verteidigungsmodus und suchen die Schuld im Außen. Sie nehmen Informationen für sich stärker als negativ und als bedrohlich wahr.

Ein Streitgespräch muss also nicht unbedingt der Auslöser dafür sein. Auch liegt es nicht zwangsläufig daran, dass dein Verhalten irgendeine Respektlosigkeit aufweisen würde und nicht neutral oder zusprechend sei. Allein ein bestimmter Blick, die Tatsache, dass du während des Gespräches stehst und nicht sitzt, oder ein Lächeln zur falschen Zeit können bei Personen, die eine hohe Verwundbarkeit aufweisen, zu einem Missverständnis führen. Auch bestimmte Erinnerungen, von denen sich narzisstische Personen getriggert fühlen, bestimmte Schlussfolgerungen oder Antizipationen, die sie tätigen, eine Unlust, die Aufgabe zu übernehmen, oder ein stressiger Tag, eine Unzufriedenheit mit sich, eine Konkurrenzhaltung zu dir etc. können dazu führen, dass das fremdabwertende Verhalten mit starker negativer Emotionalität dir gegenüber zutage tritt.

Ein Vorteil für den Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen ist, dass sie sich ähnlich empfänglich für positive Botschaften zeigen – wenn sie authentisch gemeint sind. Aus dem klinischen Kontext weiß man, dass narzisstische Personen mitunter auch stark auf Beachtung, Lob, Anerkennung und Respekt ansprechen.

Was für dich im Umgang mit Narzissten wichtig ist

Letztendlich spielt es keine Rolle, warum ein narzisstisch orientierter Mensch diese Verhaltensweisen an den Tag legt, ob es daran liegt, dass er stark sensibel oder beschämt ist. Deshalb ist das Ansinnen dieses Artikels auch nicht, Verständnis für eine Person zu haben, die einen selbst immerfort aufs Heftigste verletzt. Schlechtes Verhalten ist schlechtes Verhalten. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und jeder Erwachsene ist für sein Verhalten verantwortlich. Eine Täter-Opfer-Umkehr ist also nicht das Anliegen der vorhergehenden Ausführungen. Vielmehr geht es darum, die Hintergründe für den Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen zu verstehen, damit wir uns besser von diesem dysfunktionalen Verhalten abgrenzen können. Damit wir nicht die Herabsetzungen unseres Gegenübers in unseren Erlebens- und Identifikationsbereich nehmen, sie nicht persönlich nehmen und nicht unseren Selbstwert davon untergraben lassen.

Jenes gelingt umso besser, je weniger emotionale Nähe wir in Bezug auf NarzisstInnen zulassen. Schon allein deshalb sind Abgrenzung und Distanz, soweit möglich, wichtig. Andernfalls kann die Heilung von dem emotionalen Missbrauch infolge von einem Umgang mit Narzissten und Narzisstinnen erschwert werden. Im nächsten Artikel geben wir dir Tipps und Beispiele an die Hand, wie du bei einer Kommunikation mit NarzisstInnen vorgehen kannst: Narzisstische Spielchen entkräften durch gute Kommunikation – Wenn jedes Gespräch zum Streit wird (2).