Grüne und rote Zacken vor schwarzem Grund

Eine Darstellung des Schmerzes. Hier stechend, aggressiv, grell, elektrisch. © iProzac under cc

Bevor wir über chronische Schmerzen reden, müssen wir Schmerzen im Allgemeinen betrachten. Es ist besser, es würde keine geben, könnte man denken, denn so gut wie jeder von uns kennt Schmerzen in der einen oder anderen Form und nahezu niemand liebt sie. Und doch ist es schon zu Beginn der Geschichte schwieriger als man denkt, denn es gibt durchaus Menschen die, genetisch bedingt, keinerlei Schmerzempfinden haben und bevor sich der eine oder andere wünscht, er möge doch auch dazu gehören, sollten wir einen Blick darauf werfen, wie es diesen Menschen geht: fürchterlich!

Durch ihr fehlendes Schmerzempfinden nehmen sie keinerlei Rücksicht auf ihren Körper, sind ständig verletzt, da aber auch ihre entzündeten Verletzungen nicht schmerzen und von ihnen entsprechend rücksichtslos behandelt werden, sind sehr viele dieser komplett schmerzunempfindlichen Menschen amputiert, sterben früh und gehen mit anderen Menschen und deren Schmerzgrenzen ebenso rücksichtslos um wie mit sich selbst, was zu einem katastrophalen Sozialverhalten führt.[1]

Zu diesen direkten Aspekten gesellen sich indirekte, etwa wenn man daran denkt, dass Schmerzen Erfahrungen sind, die wie Hunger oder Lust zum Menschsein gehören. Sie verbinden uns nicht nur mit anderen Menschen, sondern sogar mit dem Tierreich. In jedem Fall konstituieren Schmerzen einen Teil jener Urerfahrungen, die wir alle teilen. Differenzierungen inklusive, mit Bezeichnungen wie: ziehender, pochender, stechender, dumpfer, brennender Schmerz können wir etwas anfangen, genau so wie mit der veränderlichen Intensität des Schmerzes: Von leicht und gut zu ertragen bis zum Vernichtungsschmerz.

Ursache und Wirkung

Beim Akutschmerz ist einigermaßen klar, dass es einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung gibt. Wir stoßen mit dem Schienbein gegen den Tisch, mit dem Ellenbogen gegen die Tür oder mit dem Kopf gegen Hängeschrank oder Lampe. Das Resultat ist zumeist ein kurzer, spitzer Schmerz, „Aua“, verbunden mit einem schmerzverzerrten Gesicht, das jeder erkennt, mit einer festhaltenden, reibenden oder schüttelnden Körperreaktion, oft mit Schimpfen verbunden. Der Hinweis auf den Zahnarztbohrer reicht bereits, damit sich bei manchen Menschen etwas zusammenzieht.

Wenn wir im Fernsehen einen Sportler sehen, dessen Gelenke beim Unfall widernatürlich abstehen, verziehen wir sofort unser Gesicht, können da manchmal gar nicht hingucken. Ebenso bei Stürzen, beim Zusammenprallen oder wenn wir blutende Wunden sehen. Die allermeisten wissen, „das tat weh“ und leiden mehr oder weniger stark mit.

Doch auch, wenn wir dem auslösenden Ereignis nicht beiwohnten, so erkennen wir doch, wenn jemand Schmerzen hat. Man sieht einigen ihren Kopfschmerz an. Mit Menschen die Zahnschmerzen haben und sich mit halb geöffnetem Mund die Wange halten, empfinden wir in aller Regel Mitgefühl, da Deutschland fast kollektiv „Rücken“ hat, wissen auch hiervon viele ein Lied zu singen und auch der Anblick von Menschen mit Knie- oder Hüftbeschwerden ist uns nicht fremd. Das kennen wir und können es einschätzen. Aber es gibt noch andere Formen des Schmerzes und damit sind wir mitten im Thema.

In einem früheren Artikel schrieb ich: „Wenn kein objektiver und das heißt oft körperlicher Befund da ist, ist man auch nicht richtig krank, wenn irgendwie „nur“ die Psyche oder das Empfinden spinnt.“[2] Das ist bekannt, aber noch längst nicht alles und bedarf daher einer genaueren Betrachtung. Und hier wird es spannend.

Wir haben nicht nur ein kulturelles Sensorium dafür entwickelt, ob und wann jemand richtig krank ist, auch die Genesungszeit ist geregelt. Wir wissen, dass Kopfschmerzen eine Sache von Stunden oder einem Tag sind, wie lange man nach einem Beinbruch oder Bandscheibenvorfall braucht um wieder fit zu werden und weiter zu machen wie bisher. Und dann gibt es jene Menschen, die chronische Schmerzen haben. Deren Problem ist vielfältig: Erstens, sieht man ihre Schmerzen oft nicht und die Ursache, wenn man jemals eine fand, liegt möglicherweise schon länger, lange, manchmal sehr lange zurück. Nicht selten sind Auslöser und Schmerzerleben völlig entkoppelt, man spricht dann vom Schmerzgedächtnis.

Das Schmerzgedächtnis

Das Schmerzgedächtnis ist eine Art Gewohnheit, zu der es neuronale Korrelate gibt, aber gleichzeitig sind es schmerzvermeidende Bewegungsabläufe, die dazu gehören, die sogenannte Schonhaltung, die auf lange Sicht mehr Probleme bringt, als sie verhindert. Und es ist die Erwartung des Schmerzes, der nun schon lange Zeit ein Lebensbegleiter ist. Um die Ausbildung des Schmerzgedächtnisses zu vermeiden, versucht man heute mit einer effizienten Schmerztherapie früh zu beginnen und die potenten Schmerzmittel so zu dosieren, dass die Patienten gar nicht erst lange unter Schmerzen leiden. Ist dieser Punkt versäumt, wird die Therapie schwieriger.

Ob es so etwas wie ein Schmerzgedächtnis tatsächlich gibt, ist jedoch umstritten. Nach Aussagen des renommierten Schmerzexperten und leitenden Arztes der Bochumer Abteilung für Schmerzmedizin Prof. Christoph Maier und Dr. Andreas Schwarzer speichert das Gehirn alle Eindrücke und kann Schmerzen also auch wieder verlernen.[3]

Doch die psychologische Seite des Schmerzes ist weitaus komplexer. Wir müssen hier neue Pflöcke einschlagen, aber in einer bestimmten Weise, die einen einfachen und einen komplizierten Aspekt hat. Der einfache Teil ist der, dass all diese Bausteine mehr oder minder bekannt und seit Jahren, mitunter seit Jahrzehnten, medizinisch und psychologisch nachgewiesen sind. Man darf davon ausgehen, dass man einige Zusammenhänge noch sehr viel länger kennt, auch wenn sie nicht systematisch untersucht sind. Der komplizierte Aspekt ist, dass wir aus diesen Steinen ein Haus bauen müssen, was trägt. Es bringt nichts, einen Schritt zu gehen, dann alles zu vergessen und wieder bei Null anzufangen. Genau das passiert aber oft. Bleibt man bei der Sache, ist das Haus aber stabil und wird mit jedem Besuch stabiler. Man kann, ist es einmal errichtet, es immer genauer betrachten, versteht immer mehr und findet sich immer besser darin zurecht. Man kann sich nun den Details zuwenden, anstatt es alle 20 Jahre als Sensation zu entdecken und zu verkaufen, dass die Psyche ja bei chronischen Schmerzen offenbar auch eine Rolle spielt. Natürlich tut die das, aber das wissen wir längst und es bedeutet in der Konsequenz weit mehr, als dass irgendwas mit Entspannung bestimmt auch ganz nett und hilfreich wäre.