Das Kernproblem der Bewusstseinsforschung kann man schnell auf den Punkt bringen, denn das Bewusstsein ist Objekt und das, was forscht.
Eine chemische Verbindung, Baumrinde und noch das Gehirn kann man recht gut zum Objekt oder Forschungsgegenstand machen. Letzteres wird vor allem in fMRTs untersucht und man erhält gewisse Aufschlüsse über Struktur und Durchblutungssituation. Aber Bewusstsein kann ich nicht ins Reagenzglas schütten, nicht unters Mikroskop legen und auch im fMRT sehe ich kein Bewusstsein.
Doch das kennen Psychologen, Soziologen und Geisteswissenschaftler, ihr Forschungsgegenstand ist selten materieller Natur, denn die Einstellung von Menschen, sind anders zu untersuchen, als ihr Blutzuckerspiegel. Man muss sie fragen oder Experimente durchführen, die Rückschlüsse auf bestimmte kürzere oder längere Bewusstseinszustände ermöglichen. Zudem versteht jeder etwas anderes unter Bewusstsein, darum ist es gut sich immer wieder einen Überblick zu verschaffen.
Was man machen kann, ist bestimmte Teilbereiche des Bewusstseins zu untersuchen, in der Hoffnung, dass sich die Ergebnisse der diversen Disziplinen zu einem größeren Gesamtbild zusammen setzen lassen.
Erleben, erforschen und bewerten
Wenn wir einen Tisch untersuchen: Größe, Gewicht, Holz, Art der Verarbeitung und so weiter, dann verändert diese Untersuchung den Gegenstand kaum, jedenfalls nicht so, dass das Ergebnis verfälscht wird. Misst man den Blutzucker, ist das ebenfalls der Fall. Beim Blutdruck ist es schon anders, manche haben bei der Messung beim Arzt einen erhöhten Druck, weil sie beim Arzt sind.
Auch bei Untersuchungen von Gruppen oder Befragungen, gibt es diverse Faktoren, die das Ergebnis verzerren, es ist eine Kunst für sich geeignete Studien zu designen, die frei von ungewollten Verzerrungen sind. Da wird es dann aber insgesamt kompliziert, auch bei Verfahren, die sich einen objektivieren Anstrich geben.
Untersucht man ein Gehirn, muss man natürlich auch wissen, was die Person, deren Hirn man scannt, gerade erlebt, damit die spezifische Durchblutungssituation mit irgendeiner Art Erleben (oder äußerlich sichtbaren Symptomen) korreliert werden kann. Denn der reine Scan sagt gar nichts aus. Ein Problem dabei: Berichtet man über das, was man sieht, verändert das bereits die Wahrnehmung. Die Wahrnehmungspsychologie kennt das als bistabile Wahrnehmung, beim Hirnscan sind, wenn man drüber redet, was man wahrnimmt, andere Bereiche im Hirn aktiv, als wenn man nur wahrnimmt, das wird No-Report-Paradigma genannt. Das kennen wir allerdings auch aus der Quantenwelt, dass die Art der Messung das Ergebnis verändert. Der Tisch bleibt Tisch, das Quantenverhalten und die Wahrnehmung ändern sich.
Wo schon die unschuldige Wahrnehmung viel verändert, ist es mit der Bewertung noch drastischer. Das Ereignis als solches mag sein, wie es ist, oft ist die Einschätzung und Bewertung oder Kontextualisierung der entscheidende Punkt. Dass die Frage nach den Fakten automatisch alles klärt, haben wir in der Pandemie als Wunschtraum erkennen können. Man muss natürlich die richtigen Daten, Fakten und Experten an der Hand haben und welche das sind, entscheidet dann jeder für sich.
Dass ich Albträume oder Schmerzen habe, ist der eine Punkt, wie ich sie einordne, bewerte ist ein anderer. Die Bewertung, ihre bewussten und weniger bewussten Anteile wirken aber wieder auf die Schmerzen und Träume zurück. Diese Rückkopplung bezieht sich aber nicht nur auf das, was unter der eigenen Schädeldecke passiert, denn unser Bewusstsein kann auch den eigenen Körper mal direkter, mal indirekter beeinflussen und auch in Systeme oder soziale Situationen hinein wirken. Ändert sich eine Rolle im sozialen System, so ist das System gezwungen, sich anzupassen.
Aber auch das, was von außen auf mich einwirkt, kann durch meine Bewertung verändert werden und das ist keine Schönfärberei und nicht immer Realitätsverlust. Auch den gibt es, aber die Realität ist keine rein externe Größe, die in jedem Fall unverrückbar wie eine Mauer dasteht.
Das Bewusstsein und seine Umwelten
Wir stellen uns das ungefähr so vor: Das Gehirn produziert die Innenwelt, aber nicht die Außenwelt. Weil die Außenwelt bereits da ist, die Innenwelt aber nicht. Denn die materielle Außenwelt ist ja nun mal vorhanden. Wir können uns, wenn wir die entsprechenden Begriffe gelernt haben, problemlos über sie verständigen. ‚Da ein Baum, dort ein rotes Auto, der Himmel bewölkt, ein Vogel zwitschert.‘ Es reicht die Augen und Ohren aufzusperren, um das zu bestätigen.
Man kann sich über die Außenwelt verständigen, über die Innenwelten zu den gleichen Bedingungen aber auch. Sie werden bestätigen können, dass es Empfindungen wie wie Wut, Trauer, Freude, Hunger, Schmerz und Harndrang wirklich gibt. Direkt sehen und drauf zeigen kann man nicht, aber einen direkten Zugang gibt es natürlich dennoch. Aber das sind Grobheiten. Kränkungen sind komplexer, als ‚Ärgerniss mit Traurigkeit verbunden‘ sind sie bereits zusammengesetzt, man ist ein paar Schritte weiter in die Welt der Emotionen vorgedrungen. Aber es geht noch weiter: Vertrauen, Verzeihen, Reue, Sorge, der Wunsch nach Wiedergutmachung, das sind bereits so komplexe Emotionen, dass nicht alle sie empfinden können. Es gibt ausreichend Zeugen dafür, die bestätigen können, dass diese Gefühle real sind, aber es gibt Menschen, die sie nicht empfinden und die daher die Rede über das, was sie in sich nicht vorfinden, als eigenen Mangel, oft aber auch als Strategiespiel oder Trick der anderen interpretieren. So wie Farbenblinde zwar Graustufen differenzieren können, aber Farbigkeit eben doch nicht erleben.
Aber Innenwelt ist keineswegs nur auf Emotionen beschränkt und schon in komplexen Emotionen ist Kognition mit verarbeitet. Denken wir an Sprache oder Logik. Wir alle beherrschen Alltagslogik und -sprache, aber man kann in der Welt der formalen Logik auf alle möglichen Komplexitätsebenen vorstoßen, wenn man denn kann. Auch Sprachen können uns auf alle möglichen verschlungenen Pfade mitnehmen, in die Welt der Lyrik, in die höchst allgemeinen Bilder eines Kafka oder die Absurditäten von Beckett, die feinsten Skizzen von Thomas Mann oder grundsätzliche andere Ausdrucksformen, die statt Dingen mit Eigenschaften, eher sich überlappende und verändernde Zustände oder Prozesse beschreiben.
Es steht zwar da, auf dem Papier oder e-Reader, aber es muss in uns eine Resonanz erzeugen, in unserer Innenwelt. Was da im Gehirn passiert wissen wir einfach nicht und der Optimismus es sehr bald zu wissen, schwindet immer mehr. Dennoch ist das ein Aspekt des Lebens, der uns außerordentlich erfüllen kann, wir können in eigene Welten abtauchen und wir können einander in einem hohen Maße über die Empfindungen berichten, die man hatte, wenn man dies oder das gelesen hat. Andere, die einen Roman ebenfalls lesen, können das oft bestätigen. Das ist wirklich schon außerordentlich komplex und doch auch nicht mehr, als über Literatur zu reden. Aber es ist fast lächerlich, den ganzen Bereich des Inneren darauf zu reduzieren, dass es ihn eigentlich nicht wirklich gibt. Das hat die naturwissenschaftliche Bewusstseinsforschung inzwischen erkannt.
Fließende Übergänge und Stufen. Eine Sache des Blicks.
Traum und Wachbewusstsein sind zwei paar Schuhe. Oder? Schlafforscher, die ihren Teil zur Bewusstseinsforschung beitragen, kommen nach und nach zu anderen Erkenntnissen.
„Während der Träume sind dieselben Hirnregionen aktiv wie im Wachzustand. Die Inselrinde und der Gyrus cinguli etwa, die für die Bewertung von Emotionen sowie motorische Reaktionen auf eine Bedrohung wichtig sind. Auch im Hippocampus, einer zentralen Schaltstation des limbischen Systems, feuern Nervenzellen.en
Daher ist es nicht ungewöhnlich, Traum und Realität zu verwechseln. Oftmals fragen sich Menschen nach dem Aufwachen in einem Gefühl von Trauer, ob sie tatsächlich jemanden verloren haben, sind noch wütend wegen eines in der Realität nie stattgefundenen Streits mit dem Partner oder schlagen mit einem dumpfen Gefühl von Unsicherheit die Augen auf – irgendetwas stimmt hier nicht!“[1]
Es gibt Unterschiede zwischen den Schlafphasen, aber auch zwischen den Wachphasen. Wenn wir tagträumen, was wir oft tun oder wenn wir lesen. Vielleicht ist der Unterschied zwischen schlafen und wachen geringer, als zwischen den einzelnen Schlaf- und Wachphasen. Aber auch hier können wir bestätigen, dass es Träume, Tagträume, Albträume gibt. Angriffe, Verlust, Trennung, Tod und Krieg sind häufige Albtrauminhalte, von vielen Menschen geteilt.
Dazu kommen außergewöhnliche Bewusstseinserfahrungen. Wie der Name schon sagt, sind sie selten, aber dann doch wieder so typisch – am häufigsten sind Einheits- oder Verschmelzungserfahrungen mit Dingen, Situationen oder Personen, die wir normalerweise als von uns getrennt erfahren und von denen wir gelernt haben, dass sie von uns getrennt sind – dass auch sie wieder zu erkennen sind.
Also überall nur fließende Übergänge? Wenn man sich die Grenzen genau anschaut, bekommt man den Eindruck, dass sie immer wieder verschwimmen. Schaut man aufs Ganze, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es zwischen lebendiger und unbelebter, zwischen intelligenzbegabter und rein funktional ablaufender Umwelt und auch zwischen Wachen und Schlafen einen Unterschied gibt. So entstehen Stufen. Wir assoziieren Bewusstsein mit Leben, ob es stimmt, wissen wir nicht, die Bewusstseinsforschung auch nicht. Vielleicht ist künstliche Intelligenz auch bald bewusst, aber dafür müssten wir wissen was Bewusstsein überhaupt ist. Wenn wir es nur mit Leben assoziieren, scheidet KI einfach per Definition aus und das kann nicht sein.
Theoretische und praktische Erkenntnisse aus der Bewusstseinsforschung
Die theoretischen Erkenntnisse sind spärlich. Über den ontologischen Status von Innenwelten oder nichtmateriellen Umwelten weiß man wenig. Man meint zwar, alles sei irgendwie über materielle Wege zu erklären, aber man glaubt eigentlich nicht mehr, dass diese Erkenntnisse unmittelbar vor der Tür stehen. Für Die Theoretiker der Bewusstseinsforschung vielleicht auch eine neue Freiheit, wer weiß?
Praktisch tut sich ungleich mehr und die Praktiker haben den Vorteil, dass das was sie tun, wenn es klappt und eigentlich auf sich ausschließenden Prinzipien beruht, nicht interessieren muss. So kann man Albträume durch die Imagery-Rehearsal-Therapie umschreiben und das ist sehr effektiv. Man erklärt sich das so, dass, weil im Hirn beim Wachen und Träumen ähnliche Bereiche aktiv sind, man auch vom Wachsein aus auf die Traumwelt einwirken kann. Umgekehrt können Bilder(reisen), Imaginationen natürlich etwas auf der ‚realen‘ Ebene bewirken.
Wenn wir teilnehmen/erleben und bewerten/beobachten, dann können wir nicht nur die Bilder verändern, übrigens auch die vermeintlich realer Ereignisse, sondern auch ihre Bewertung. Ein Verrat an der Realität? Nein, denn unbewusst werden unsere Erinnerungen ohnehin immer wieder neu angepasst, so, dass wir damit gut leben können. Realität und falsche Erinnerung, Traum und immer wieder gehörte Erzählungen, sowie Reste aus Filmen und Büchern fließen zusammen.
Manche Bewertungen sind wichtiger als das Ereignis und auch sie können wir hinterfragen und verändern. Glaubenssätze sind gar nicht so tief im Unbewussten – auch ein schönes Gebiet für die Bewusstseinsforschung – vergraben, aber ihre ständige Wiederholung machen sie zu einer Art inneren Gewissheit, die man einfach nie hinterfragt hat. Auch hier wird die reine Bewertung (durch andere) zur eigenen Realität. Man kann sie ändern, indem man hinterfragt, ob die Sätze denn wirklich stimmen.
Unbewusster – und darum tiefgehender – geht es bei chronischen, wiederholten, oft langjährigen Traumatisierungen zu, bei denen Kindern immer wieder sexualisierte Gewalt angetan wird, in denen sie verprügelt werden, im Suff oder einfach so, wo sie Zeuge der Gewalt an anderen werden. Ebenso wenn Kinder kalt und abweisend behandelt werden und nur Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie tadellos funktionieren, also die Bedürfnisse der Eltern erfüllen, während ihre eigenen anderen egal sind. Hier gräbt sich das Bild ein, dass man nichts wert ist, ein Ding, ein Gebrauchsgegenstand und entsprechend leichtfertig geht man später oft mit sich selbst um. Hier ist Therapie nötig und auch sie wird immer besser.
Doch auch mit Meditation, Yoga, Gartenarbeit und diversen außertherapeutischen Methoden kann man sein Bewusstsein beeinflussen, eventuell auch Urvertrauen aufbauen. Es ist oft sinnvoll diese Methoden zu kombinieren, mit der Weltbild-Methode haben wir einen möglichen Ansatz für chronische Schmerzen ausführlicher vorgestellt, das Prinzip ist auf weitere Erkrankungen übertragbar.
Es ist schön, dass sich die Einstellungen zum Bewusstsein verändert haben. Praktiker aus allen Zeiten haben diese Wege schon früher beschritten, man darf gespannt sein, was der wissenschaftliche Blick darauf ergibt. Luzides Träumen hat man etwas naserümpfend angeschaut, heute kann man es in Kursen lernen. Seltsame Phänomene gibt es genügend, etwa Menschen aus der Ferne ’sehen‘ zu können, ohne in ihrer Nähe zu sein. Es gibt für die Bewusstseinsforschung noch viel zu tun.
Quellen:
- [1] Alina Schadwinkel, Panik in der Stille der Nacht, Spektrum 04.02.2022, https://www.spektrum.de/news/unruhiger-schlaf-was-hilft-gegen-albtraeume/1978531