Was hilft gegen unerträgliche Angst? Der Baukasten

Jemand übernimmt die Verantwortung

Das ist eine Art erster Hilfe, die man erlebt, wenn man in der Gesellschaft von Menschen oder Institutionen ist, denen man vertraut. Das kann die Notfallambulanz, ein Psychologe, Arzt, aber auch ein guter Freund oder eine selbstsichere oder einfühlsame Person sein. Diese übernimmt stellvertretend die Verantwortung, die man aktuell selbst nicht tragen kann. „Bitte kümmere dich um mich, ich schaffe es im Moment nicht“, ist die Botschaft dahinter.

Vertrauen

Traut man sich zu, die Verantwortung selbst zu übernehmen ist es ungeheuer hilfreich, wenn man in einem Umfeld ist, dem die Angststörung des Betroffenen in groben Zügen bekannt ist und zu dem man vertrauen hat, in der Weise, dass auf den Betroffenen Rücksicht genommen wird. Hier ist die Nähe zum sekundären Krankheitsgewinn oder sogar zur emotionalen Erpressung jedoch nahe, so dass man aufpassen muss, hilfreiche Menschen nicht auszusaugen und zu überfordern. Aber so eine kleine Insel des Vertrauens kann Gold wert sein.

Ablenkung

Psychische Störungen sind in aller Regel Beziehungsstörungen, nicht im engen Sinne der Paarbeziehungen, sondern Beziehungen im Allgemeinen. Partner, Freunde, Eltern, Arbeitskollegen sind hiermit gemeint. Wenn Ablenkung erleichtert und die Symptome dämpft ist das nicht nur bei der Angst ein gutes Zeichen, denn dann ist ein Wunsch nach intakten Beziehungen vorhanden. Weniger gut ist es, wenn jemand nur noch durch und über seine Symptome kommuniziert, wie wir das bei hartnäckigen Form der Hypochondrie beobachten können.

Wut und Mut

Starke Emotionen sind in der Lage die Angst für eine gewisse Zeit zu überlagern. In diesen Situationen kann ein Mensch, der unter Angst leidet, sogar unter überwältigender Angst, diese überwinden und in diesen kostbaren Situationen kann der Knoten platzen und es können Weichen für eine angstfrei(er)e Zukunft gestellt werden. Denn was einmal klappt, funktioniert auch wieder.

Begeisterung

Wenn man es schafft für ein Thema Feuer und Flamme zu sein, kann man auch große Ängste überwinden. Grund genug sich nie auf seine Symptome reduzieren zu lassen und sich zwar zu seiner Angst zu bekennen, aber sich nicht einzig und allein über sie zu definieren. Und damit vielleicht ein Antrieb, aus dem eigenen Kokon auszubrechen und sich begeisternde Tätigkeiten zu suchen, eine der schönsten ist, sich zu verlieben.

Man erkennt die Hintergründe

Wenn man sich alle Wege verstellt, die normalerweise funktionieren und beruhigen, wird bei aller Verzweiflung die eine solche Situation auslöst auch ein gewisser Besonderheitsanspruch deutlich. „Mag ja sein, dass das bei anderen funktioniert, aber eben nicht bei mir.“ Die Normalität kommt Menschen mit unerträglicher Angst nicht sicher genug vor, in ihrer Phantasie ist die Ausnahme die Regel. Man kann auch die Phantasie entwickeln, dass die Angst, mit der man sich nicht gebührend ernst genommen fühlt, vielleicht dereinst zum Tode führt und man dann zwar gestorben ist, aber wenigstens sehen die anderen am Ende, dass man Recht hatte und wie es wirklich um einen stand. Ein leises Gefühl des Triumphs.

Aber kann es wirklich darum gehen, dass man lieber tot wäre, als unterlegen zu sein und nicht Recht zu bekommen? Ja, das kann es geben und es weist in die Richtung einer gefühlten Selbstwichtigkeit, gegen die man zwar aktuell wenig machen kann, aber langfristig. Und sei es nur, dass man jetzt den wunden Punkt erkennt, den, der vielleicht sogar einen Teil der Angst speist. Immerhin ist man dann insofern einen Schritt weiter, als die Angst und Panik zwar weiter aus heiterem – naja, oder dauernd verhangenem – Himmel kommen, aber man kennt schon mal in Konturen das Thema dahinter und fischt nicht mehr völlig im Trüben. Denn dass es im Zusammenhang mit der eigenen Thematik allzeit um eine Frage von Leben und Tod geht, ist für Menschen mit unerträglicher Angst oft wichtig, denn sie empfinden es so. Der verständliche Wunsch ernst genommen zu werden – wenigstens jetzt – zeichnet sich im Hintergrund ab und diese Angst, nicht ernst genommen und übergangen zu werden hat vielleicht eine ganz reale Geschichte. Auch der kann man nach gehen.

Wertschätzung für das eigene Ich lernen

Unlängst hörte ich in einem Radiointerview eine Frau, die Knastinsassen beibringt ihre Zelle persönlich und menschenwürdig zu gestalten und sauber zu halten. Eigentlich vollkommen unwichtig, könnte man meinen, wo man doch schon der Freiheit, einem seiner wichtigsten Güter, beraubt ist. Doch ihre Botschaft war, dass dies ein Akt der Wertschätzung für das eigene Ich ist. Ordnung und Sauberkeit, das klingt so bieder und unattraktiv und doch gibt die Wertschätzung für die eigene Umgebung dem Ich etwas dvonn zurück, denn man selbst ist von dem Ort den man gestaltet nicht getrennt. Gerade wenn man Wertschätzung von außen nie erfahren hat, ist es umso besser, wenn man irgendwann selbst den ersten Schritt macht.

Selbstvertrauen und Selbstakzeptanz

Diese Wertschätzung erhöht auch das Selbstvertrauen und die Selbstakzeptanz. Für manche Angstpatienten ist es ungewohnt, dass es um sie und ihre Bedürfnisse überhaupt gehen könnte, was dazu führt, dass sie diese oft gar nicht kennen, weil sie in ihrem Leben bisher nie danach gefragt wurden. Vielleicht erlaubte die Lebenssituation es nicht, vielleicht wurde aus Desinteresse nie danach gefragt. Möglicherweise war es ein stilles Gebot, dass man funktionieren oder für andere da sein musste, die scheinbar wichtiger waren. „Und was ist mit mir?“, könnte man fragen, aber wenn diese Frage nie im Raum stand, kann man nicht lernen, dass man selbst und die eigenen Bedürfnisse eben auch befriedigt werden wollen und dürfen. Darum ist der erste Schritt sich selbst, die eigenen Bedürfnisse, Abneigungen und Freuden kennen zu lernen, sich selbst immer genauer kennen zu lernen. Das ist der Weg aus der Identitätsdiffusion, die mit der Ich-Schwäche einhergeht.

Erdung

Erdung ist ein wichtiger Punkt und bedeutet an dieser Stelle, sich einen oder noch besser mehrere Bereiche, Inseln zu schaffen, die vergleichsweise oder sogar weitgehend angstfrei sind. Das geht zum einen dadurch, dass man die eigene Widerstandskraft erhöht. Eine Verbesserung der körperlichen Fitness ist ein guter Punkt, aber auch, wenn man alle philosophischen und spirituellen Höhenflüge für eine gewissen Zeit einstellt. Zumindest solche, die die Psyche verwirren und emotional aufputschen. Was gut tut ist einfache und körperliche Arbeit und einen gewisse Bodenständigkeit. Deftiges und schweres Essen und Übungen, bei denen man Spannungen ablassen kann oder den Körper spürt.

Disziplin

Mit Disziplin kann man Ängste, Süchte und auch andere psychische Erkrankungen tatsächlich überwinden. Einfach in dem man konsequent seinen Weg geht und sich nicht beirren lässt. Bei allen Schwierigkeiten die man eventuell mit bestimmten Therapieformen haben kann, spielt doch die Disziplin und das Üben bei der Überwindung der Ängste eine entscheidende Rolle. Manche Dinge muss man einfach immer und immer wieder machen, nicht zig mal nacheinander, sondern täglich oder zumindest in regelmäßigen Abständen, bis man dann in Eigenregie die Abstände vergrößern kann. Sich auf diese Weise zu fordern, aber nicht zu überfordern, führt dazu, dass man etwas in eigener Verantwortung macht und dabei sich und die eigene Grenzen besser kennen lernt.