Frauengesicht in Nahaufnahme von unten

Das Ich wird als Ganzes empfunden © Hydroxy under cc

Das Ich in der Psychologie ist ebenfalls ein zusammengesetztes Phänomen. Zwar spüren wir zuweilen die zwei Seelen in der eigenen Brust und unser Gewissen zwickt mitunter, doch wie bei der philosophischen Betrachtung erleben wir uns dennoch als Einheit, wenn wir von uns selbst reden.

Das Ich den analytischen Traditionen

Bedeutenden Vertretern der analytischen Richtungen zufolge besteht das Ich jedoch ebenfalls aus Komponenten. Bei Freud bildet es eine Schnittmenge aus dem biologischen Trieberbe des Es, den sozialen Regeln des Über-ich und den Grenzen des praktisch Möglichen, dem Realitätsprinzip.

Bei C.G. Jung ist das Ich die Integration von Persona, jene Anteile, mit denen man sich bewusst identifiziert und dem Schatten, jenen unbewussten Anteilen, die man bei sich ablehnt, aber dennoch, versteckt, lebt.

Das spezifische Einheitsempfinden bezeichnet Erik Erikson als Ich-Identität, ein wichtiger Begriff für die heutige Psychologie.

Da das Ich, wie wir sahen, in seiner Entstehung nicht vom Du zu trennen ist – ein Ich zu denken ergibt ohne das Du überhaupt keinen Sinn – ist auch das Ich in der Psychologie dadurch charakterisiert, wie gut und genau man sich kennt und beschreiben kann und wie gut man andere kennt und beschreiben kann. Ist diese Fähigkeit eingeschränkt, spricht man von Identitätsdiffusion.

Persönlichkeit

Psychologisch wird der Teilnehmer- und Beobachterperspektive dadurch Rechnung getragen, dass man, zum oben Genannten (kohärente Wahrnehmung von sich selbst und wichtigen anderen), das Selbsterleben hinzunimmt, durch Beobachtungen und Befragungen, die das Temperament, die kognitive Intelligenz und das Wertesystem eines Menschen, sowie sein Verhalten betreffen. Die Summe all dieser Faktoren nennt man Persönlichkeit.

Das dreifache Ich der Psychologie

Das Ich in der Psychologie ist eine Formulierung, die man so nicht ganz stehen lassen kann, da die Psychologie mit mindestens drei Begriffen des Ich arbeitet.

Das nonverbale Ich

Neugeborene Kinder haben schon nach erstaunlich kurzer Zeit die Fähigkeit, sich selbst von anderen zu unterscheiden und haben eine erste Repräsentation von sich und anderen noch lange bevor sie sprechen können.

Das verbale Ich

Trotz allem stellt das verbale Ich noch einmal eine dramatische Veränderung dar. Freud hat meisterhaft erkannt, welche Neuerung ins Spiel kommt, wenn das Kind lernt Verneinungen wirklich zu begreifen. Es öffnet nun die Tür in eine ganz neue Welt, die der abstrakten Begriffe und der Verneinungen. Den Hund kann man sehen und drauf zeigen, „keinen Hund“ oder ein „Nein“ kann man nicht sehen, man muss den Sinn denkend erfassen.

Das tut das Kind auch und experimentiert, zum Leidwesen der Eltern, exzessiv mit diesem „Nein“ in Wort und Tat, man nennt es die Trotzphase. Dieses Bewusstsein, sich auch verweigern zu können, ist auch die Wurzel zu der Erkenntnis, dass es von einen selbst abhängt, ob und wann man etwas hergibt. Das Kind lernt die Körper und seine Funktionen zu kontrollieren, erhebt sich mit dem Bewusstsein zum ersten Mal über seine bloße Natur und muss ihren Gegebenheiten eben nicht einfach passiv ihren Lauf lassen, sondern kann sie willentlich beeinflussen.

Das Machtbewusstsein, das mit dieser Erkenntnis einhergeht, belegte Freud mit dem so treffenden, wie technischen (und etwas fiesen) Begriff „analsadistisch“. Der merkwürdig erscheinende Zusammenhang zwischen Geld und Kot findet hier seine Erklärung, denn das „Geschenk“ auf dem Töpfchen ist etwas, bei dem sich das Kind bewusst verweigern und Erwartungen durchbrechen und mit ihnen spielen kann.

Das reflexive Ich

Doch das Ich, das einfach nur will oder nicht will, etwas tut oder sich verweigert, ist letztlich ein primitives Ich. Irgendwann dringen die meisten Menschen zu der Frage durch, warum sie eigentlich Tun und Denken, was sie Tun und Denken. Mache ich das selbst? Will ich das wirklich? Wer bin ich eigentlich? Die Geburtsstunde der Reflexion.

Das Ich in der Psychologie ist wesentlich dieses autonome, selbstbestimmte, reflexive Ich. Das soll, mindestens im therapeutischen Bereich, gefördert und ausgebaut werden, so dass der Mensch in der Lage ist, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu steuern. Dazu gehört auch sich beherrschen zu können, abzuwarten, die eigenen Wünsche nicht zu verdrängen, aber sie sich zur rechten Zeit zu erfüllen.

Mindestens diese drei Ebenen und ihre Wechselwirkungen umschließt das Ich in der Psychologie, denn interessanterweise leben all die unteren Ebenen auch dann weiter, wenn höhere etabliert wurden.