Den Stand der Willensfreiheitsdiskussion zu verfolgen ist auch eine, sogar sehr anspruchsvolle, Denksportübung.

Man muss die Argumente, wie bei einem Hausbau, innerlich zusammenfügen und wenn man das Dachgeschoss plant nicht vergessen, dass man ein Fundament braucht.

  • Sich fragen, ob determiniert zu sein zwingend bedeutet unfrei zu sein.
  • Sich klar machen, dass man eine vollkommen determinierte Welt nicht aus einer göttlichen Perspektive betrachten kann, sondern nur aus einer menschlichen.
  • Sich klar machen, dass die menschliche Perspektive immer nur einen Ausschnitt darstellt, in dem Freiheit ein sinnvoller Begriff ist, sofern man begründet entscheidet.
Ausrufungszeichen und Fragezeichen

Bei allen gefundenen Antworten bleiben noch immer Fragen © Johannes Ahlmann under cc

Sind diese Schritte gegangen, lohnt sich immer ein Blick in die Lebenswirklichkeit. Entspricht diese Theorie noch unserem Alltagsempfinden? Man kann zugestehen, dass die Ansicht, wir würden nur einen Teil der Realität sehen und aus diesem Teilausschnitt unsere vernünftigen Schlüsse ziehen, zumindest nicht weltfremd ist.

Das ist es, was wir alle tun. Fragen, wo der nächste Urlaub hingehen soll. Preise, Spaß- und Erholungsfaktor mit den Erfahrungen anderer und den Angeboten vergleichen, am Ende steht das Ergebnis. Einige Spritzer Abenteuer, Zufall und Intuition können auch dabei sein.

Der Kompatibilismus macht ein Gedankenexperiment, vergessen wir das nicht. Er behauptet nicht, dass die Welt tatsächlich zu 100% determiniert ist, er will prüfen, ob unter diesen Bedingungen Freiheit ein sinnvoller Begriff ist. Doch wenn das unter diesen Bedingungen so ist – und Kompatibilisten sind dieser Meinung – dann auch unter allen weniger harten, die gar nicht so leicht zu finden sind.

Gelten die Naturgesetze eigentlich überall?

Man kann nicht begründen, warum es irgendwo im Universum einen Ort geben soll, an dem die Naturgesetze nicht gelten. Ebenso fragwürdig ist die Einstellung, sie hätten vor 200 Jahren nicht gegolten und könnten nächstes Jahr anders sein. Wenn aber die Naturgesetze immer und überall gelten, dann ist auch alles immer determiniert.

Doch offenbar gibt es tatsächlich echte Zufälle im Reich der Quantenwelt. Da aber auch der echte Zufall die Freiheit nicht vergrößert und unsere Lebenserfahrung uns sagt, dass die Welt von heute doch ziemlich ähnlich der von gestern ist, ist das meiste im Leben determiniert, kann aber dennoch frei sein. Beim gegenwärtigen Stand der Willensfreiheitsdiskussion hat diese Auffassung die Nase vorn.

Kritik am Neurodeterminismus

Der Neurodeterminismus, genauer gesagt, die theoretischen Ableitungen, die am Anfang der Diskussion aus seinen Daten gezogen wurden, ist insgesamt zu eng und zu widersprüchlich.

Wenn wir nur Marionetten unseres Gehirns sind, wozu dann Hirnforschung? Sie könnte niemanden überzeugen, denn wir sind durch Verschaltungen bereits festgelegt. Auf Argumente und Abwägungen könnte niemand reagieren, nimmt man jene Hirnforscher beim Wort, die zunächst die Diskussion bestimmten.

„Damit ist dem Ich nicht nur der freie Wille entzogen, sondern es wurde so nebenbei auch gleich mit aufgelöst.“, so stellten wir früher fest.

Wie kann man jemanden überzeugen wollen, dass man selbst und andere gar nicht existieren, ohne sich zu widersprechen? „Ich weiß, dass es mich nicht gibt, darum bin ich klüger als du.“ So ein Satz richtet sich an jenen Adressaten, dem er zugleich die Existenz abspricht.

Erste Person Perspektive vs. Dritte Person Perspektive

geöffente Tür in Traumwelt

Die intensive Diskussion hat neue Perspektiven eröffnet © Hartwig Koppdelaney under cc

Hier liegt der nächste Fehler. Es wurde von Seiten der Neurodeterministen behauptet, es sei inzwischen möglich, die Sprache der ersten Person, also der Ausdruck unser subjektiven Erlebens, in die beschreibende Sprache der dritten Person zu übersetzen. Demnach könne man auf die gesamte Ich-Perspektive zugunsten einer objektivierten Sicht verzichten. (vgl. Wolf Singer, „Hirnforschung und Willensfreiheit: Zur Deutung der neuesten Experimente“ S.35)

Das würde zu einer Verarmung der Sprache führen, in der nun jeder Begriff genau eine Bedeutung hätte. Doch darüber hinaus sind die Hirnforscher ihren eigenen Forderungen nicht nachgekommen und behaupten vom Gehirn, es könne „wollen“ oder gar „perfide“ sein. Damit greifen sie aber selbst auf Formulierungen zurück, die man klassischerweise nur Personen, also Subjekten, zuschreibt. Hier ein Klassiker.

Beendet ist die Kontroverse um den Stand der Willensfreiheitsdiskussion sicher noch nicht. Aber während sich im Mainstream eher die Idee festsetzt, Hirnforscher hätten bewiesen, dass es keine Willensfreiheit gibt, gilt dies in der Fachwelt in weiten Teilen inzwischen als unhaltbare Position.